I. Ordnung: Flagellaten(Geisselthierchen).
DieFlagellatensind durch den Besitz einer oder mehrerer langer Geisselncharakterisirt, die meist nur an dem Vorderendedes in der Regel von einer Kutikula umgebenen Körpers vorhanden sind. Eigentliche Wimpern kommen neben den Geisseln nicht vor, dagegen eine der Länge nach über den Körper verlaufende Membran, deren freier Rand sich in mehr oder weniger ausgesprochenen Zacken auszieht und dann Wimpern vortäuscht (Braun). Der meist kleine Körper hat oft am vorderen Ende eine Mundstelle, ein After fehlt. DieVermehrungerfolgt durch Theilung; entweder durch Theilung des Körpers in zwei Individuen oder (selten) nach Encystirung in eine grössere Anzahl von Schwärmern. Man findet die Flagellaten im süssen und salzigen Wasser, theils festsitzend (oft an Thieren), theils frei schwimmend; manche scheiden Gehäuse aus.
Die inFäulnisswässern lebendenGruppen enthalten meist noch die parasitisch lebenden Arten, die man theils im Darm und dessen Anhängen, theils in den Genitalien oder im Blute antrifft.
Trichomonas.Rundlicher oder ovaler durchsichtiger Körper mit drei oder vier oft verklebenden Geisseln am Vorderende. Das Hinterende ist spitz und ohne Geissel.
1.Cercomonas hominis(Davaine1854) (Syn.: Trichomonas hominis Dav. 1854; Cercomonas intestinalisLambl1875; Megastroma entericumGrassi1881; Trichomonas intestinalisLeuckart1879; Monocercomonas hominisGrassi1882.)
Figur 32.Trichomonas hominis Dav. (NachGrassi.)
Figur 32.
Trichomonas hominis Dav. (NachGrassi.)
Der Parasit ist birnförmig, mit spitz zulaufendem Hinterleibsende und 3–4 Geisseln am Vorderende. Die Länge beträgt 0,004 bis 0,010 und die Breite 0,004. Cercomonas intestinalis kommt sehr häufig beim Menschen vor und ist bei Darmkatarrhen[276]und besonders oft bei Diarrhöen der Kinder[277]beobachtet worden. Trotzdem ist diepathogene Bedeutungnoch sehr zweifelhaft. Ebenso ist über die Entwicklung und Infektionsquelle sicheres bisher nicht bekannt.Epsteinsah in seiner Klinik einmal sechsKinder eines Zimmers fast gleichzeitig an Trichomonaden-Diarrhöe erkranken, und stellte ausserdem fest, dass Säuglinge, auch wenn sie neben der Muttermilch noch andere Kost erhalten und selbst an Diarrhöe erkranken, stets frei von Trichomonaden gefunden werden.
Jüngst hatHensen[278]eine Mittheilung gemacht über einen Befund vonInfusorien im Mageninhalt bei Carcinoma ventriculi.
Bei einem 39jährigen Arbeiter, welcher unter den Erscheinungen zunehmender Abmagerung, Erbrechen schleimiger Massen und unverdauter Speisen kurz nach dem Essen ins Krankenhaus kam, wurden im Mageninhalte Infusorien gefunden. Die Sektion ergab ein grosses zum Theil zerfallenes Carcinom des Magens, und Verwachsungen desselben mit dem linken Leberlappen, dem Pankreas und dem Zwerchfell, sowie Metastasen in der Leber, den retroperitonealen und den am Cardiamagen gelegenen Lymphdrüsen.
In dem ausgedehnt carcinomatösen Magen, mit seinen zahlreichen ulcerirten und zerklüfteten Flächen, seinem zersetzten und alkalisch reagirendem Inhalt, waren zahlreiche Infusorien nachzuweisen, deren Grösse von 5–15 µ schwankte. Dieselben zeigten zuweilen eine lebhafte Bewegung und liessen sich mit Methylenblau färben.Hensenmöchte dieselben den Monadinen zuzählen, wie solcheMarchand[279]gelegendlich im Urin gefunden hat. Im Erbrochenen und im Stuhl waren sie nicht nachzuweisen.
Figur 33.Trichomonas vaginalis (nachBraun).
Figur 33.
Trichomonas vaginalis (nachBraun).
Unter normalen Verhältnissen dürften sie im Magen leicht zu Grunde gehn, dagegen meintHensen, könnte ein solcher Befund gelegentlich in diagnostischer Hinsicht verwerthbar werden.
Figur 34.Trichomonas vaginalis, sehr starkvergrössert. (NachKünstler.)
Figur 34.
Trichomonas vaginalis, sehr starkvergrössert. (NachKünstler.)
2.Trichomonas vaginalis(Donné1837). Der kurze oder mehr langgestreckte Parasit besitzt an seinem vorderen Ende vier Geisseln, welche so lang oder länger als der Körper sind. Das hintere Ende verlängert sich in eine gerade oder gebogene Spitze. Trichomonas vaginalis ist ein sehr häufiger Parasit bei Frauen und gelegentlich auch beim Manne (im Urin,Miura[280]) beobachtet worden. Die Parasiten lebenin dem sauer reagirenden(nicht in normalem)Vaginalschleimbei Frauen verschiedenen Alters,sowohl bei menstruirenden wie nicht mehr menstruirenden Personen, Schwangeren wie Nichtschwangeren, selbst bei Mädchen von 6–7 Jahren, sofern bei denselben Scheidenkatarrh mit saurer Reaktion des Sekretes besteht. Bei Injektion alkalischer Flüssigkeiten werden die Parasiten getödtet (Braun). Unbekannt ist bisher, ob die Trichomonaden den Scheidenkatarrh hervorrufen oder nur Begleiter desselben sind.
Neuerdings hatSchmidt[281]in drei Fällen vonLungenerkrankungenFlagellaten beobachtet, welche er Trichomonas pulmonalis benannte, jedoch möglicherweise für identisch mit Trichomonas vaginalis hält. In zwei Fällen handelte es sich um eine Aspirationspneumonie und Lungengangrän, im dritten um Bronchiektasie. Der Fundort der Protozoen waren in allen drei Fällen ausschliesslich die übelriechendenDittrich’schen Pfröpfe, die in wechselnder Zahl und Grösse im Auswurf angetroffen wurden. Zerdrückte man einen solchen frischentleerten Pfropf zwischen Objektträger und Deckgläschen, so sah man zwischen den verschiedenen Bakterien die betreffenden Infusorien, welche sich auf den ersten Blick nicht viel von Leukocyten unterscheiden, bald an ihrer selbständigen eigenartigen Bewegung. Die durchschnittliche Grösse ist etwas geringer als die eines Eiterkörperchens; ihre Form wechselt ausserordentlich. Am häufigsten zeigen sie eine ovuläre oder unregelmässig längliche Gestalt. An dem einen Pol tragen sie eine wechselnde Anzahl in lebhafter Bewegung begriffener Geisseln. Ausser der Geisselbewegung existirt auch noch eine amöboide Bewegung, deren Effekt eine fortwährende Veränderung der Leibesform ist. Färbungen von Trockenpräparaten ergaben keine instruktiven Bilder. Am besten ist es nachSchmidtMethylviolett oder irgend eine andere Farbe am Deckglasrande des frischen Präparates aufzutupfen und zu warten, bis durch Diffusion der Farbstoff die im Gesichtsfeld eingestellten Thiere erreicht. Die Färbung tritt erst dann ein, wenn die Lebensthätigkeit aufgehört hat. Versuche, die Infusorien zu isoliren, zu züchten, oder künstlich zu übertragen, gelangen nicht. Interessant ist noch,dass in einem Falle mit der Besserung des Krankheitsprozesses dieDittrich’schen Pfröpfe und mit ihnen die Trichomonaden aus dem Sputum verschwanden.
Vor Kurzem hatWieting[282]über das Vorkommen von Trichomonas in der Lunge eines Schweines bei lobulärer Pneumonie berichtet.
Bei einem 4 Monate alten Schwein, das 14 Tage lang die Erscheinungen einer Lungenaffektion dargeboten hatte, wurde nach der Sektion in den grösseren und kleineren lobulärpneumonischen Heerden eine der Trichomonas vaginalis sehr ähnliche Flagellatenart beobachtet. Daneben war auch derFränkel-Weichselbaum’sche Diplococcus lanceolatus vorhanden. Die Flagellaten sind danach wahrscheinlich sekundär zur Ansiedlung gekommen.
Lamblia.Blanchard1888.
Die Gattung istcharakterisirtdurch eine vordere, saugnapfartige Vertiefung und durch das Vorhandensein vonGeisseln am Vorderende und am Hinterendedes Thieres.
Figur 35.Das vonRoosbeobachteteFlagellat.
Figur 35.
Das vonRoosbeobachteteFlagellat.
Lamblia intestinalis(Lambl1859).Syn.: Cerkomonas intestinalisLambl1859. Hexamita duodenalisDavaine1875. Dimorphus murisGrassi1879. Megastoma entericumGrassi1881. Megastoma intestinale.Blanchard1886.
Die Parasiten sind von birnförmiger Gestalt und die vier Geisselpaare nach hinten gerichtet. Die Länge beträgt 0,010–0,016 mm, die Breite 0,005–0,0075 mm. DieCystensind oval, 0,009–0,012 mm lang und 0,007–0,010 mm breit; sie erscheinen wasserhell, leicht grünlich; der eingeschlossene Parasit ist oft nur andeutungsweise als dunklerer S-förmiger Körper zu sehen.
Man hat Lamblia intestinalis beimMenschensowohl bei Gesunden wie bei Kranken, bei Erwachsenen ebenso wie bei Kindern gesehen und ist jetzt zu der Ansicht gekommen, dass der Parasit im Ganzen sehr häufig beim Menschen vorkommt, jedoch eine besondere pathogene Bedeutung nicht besitzt.
Bei Thierenist der Schmarotzer sehr oft festgestellt worden, und besonders im Darm (vorwiegend im Duodenum und Jejunum) der Mäuse, Ratten, Katzen, Kaninchen und Schafe beobachtet.
Hinsichtlich derInfektion des Menschenwird angenommen, dass der Mensch sich die Parasiten durch Aufnahme der Cysten einverleibt, welche in den meisten Fällen von den Mäusen und Ratten ausgestreut, ins Wasser oder auch in andere Nahrungsmittel gelangen und so den Weg in den menschlichen Körper finden.
Figur 36.Lamblia intestinalis von der Fläche, von der Seite, aufDarmepithelien, abgestorbene und encystirt. (NachGrassiundSchewiakoff.)
Figur 36.
Lamblia intestinalis von der Fläche, von der Seite, aufDarmepithelien, abgestorbene und encystirt. (NachGrassiundSchewiakoff.)
Neuerdings hatW. Janowski[283]in einer sehr fleissigen Arbeit, welche die gesammte Litteratur berücksichtigt, dieFrage der Bedeutung der Flagellaten für die Pathologie des Darmkanalserörtert und gelangt dabei auf Grund seiner eigenen 6 Beobachtungen und auf Grund der ganzen diesbezüglichen Litteratur zu dem Schlusse, dass dieAnwesenheit der Flagellaten im Darme grösstentheils ganz ohne Einflussauf die Funktionen desselben ist, dass jedoch inAusnahmefällen, die Flagellaten durch ihre Anwesenheit denDarm reizenund theils Diarrhöe hervorrufen, theils dieselbe in die Länge ziehen können.
„Dies schliessen wir, sagtJanowski, aus den bis jetzt schon vorhandenen Daten über gewisse Fälle, in denen Trichomonaden oder Cerkomonaden im Darme vorhanden waren. Ist dies aber der Fall, so liegt darin ein Grund mehr für uns, in jedem Diarrhöefall im Krankenhause und wenigstens bei jeder hartnäckigen Diarrhöe ausserhalb des Hospitals den frisch abgegebenen Stuhl einer mikroskopischen Untersuchung zu unterziehen. Auf diese Weise ist doppelter Nutzen zu erzielen. Erstens wird weit rascher, als es bis jetzt der Fall war, ein Material zusammenkommen, auf Grund dessen die Frage von der Bedeutung der Flagellaten in der Pathologie des Darmkanals bald ihre vollständige Lösung finden wird. Zweitens gewinnt der behandelnde Arzt dadurch eine Handhabe, um im betreffenden Falle von vorne herein die richtige Prognose zu stellen und sich für eineentsprechende Behandlungsmethode zu entscheiden. Von allen Fällen, in denen es sich um hartnäckige Diarrhöe mit Vorhandensein zahlreicher Flagellaten im Stuhle handelt, kann man sagen, dass diegeeignetste Behandlung derselben die gegen die Flagellaten selbst gerichtete ist. Gerade dieseTherapiegiebt zuweilen (Zunker,Roosu. A.) sehr rasch günstige Resultate, während jede andere sich erfolglos erweist. Die Behandlungsmethode ist äusserst einfach: der Kranke erhält mehrere Tage nach einander 3–4mal täglich 0,1–0,2 Kalomel. Selbstverständlich muss sorgfältig auf etwaige sich einstellende Vergiftungssymptome geachtet und die Kur in diesem Falle unterbrochen werden. Gewöhnlich hört nach 3 solchen Kuren die Diarrhöe auf. Die Intervalle zwischen den einzelnen Kuren müssen je nachdem, ob und wie bald sich wieder Flagellaten im Stuhl zeigen und je nachdem der Kranke sich dem Kalomel gegenüber verhält, von verschiedener Dauer sein. Zuweilen hilft schon 1 solche Kur und leistet somit bessere Dienste als der jahrelange Gebrauch von Mineralwasser oder von anderen therapeutischen Mitteln. Ungeachtet der Seltenheit solcher Fälle, in denen die Flagellaten die wahre Ursache der Diarrhöe sind, sollte man sie doch in keinem Falle von hartnäckiger Diarrhöe ausser Acht lassen und eine gegen sie gerichtete Behandlung einschlagen, sobald man zahlreiche Exemplare derselben in frisch abgegebenen Entleerungen solcher Individuen findet, bei denen keine andere Ursache für den Durchfall nachzuweisen ist.“ — Manche empfehlen zu diesem Zwecke ausser Kalomel noch Klystiere mit einer schwachen Sublimatlösung, und in einem Falle glaubtJanowski, dass Chinin die Trichomonaden getödtet hat[284].
L. Pfeiffer[285]glaubt, dass bestimmte Arten derDiphtherie der Vögeldurch Flagellaten hervorgerufen werden. Bekannt ist in dieser Hinsicht bisher nur, dass Protozoen, wahrscheinlich Koccidien, solche Erkrankungen hervorrufen können.L. Pfeifferfand bei allen kranken Tauben, bei welchen die Krankheit auf den Schleimhäuten ausgesprochen war, Flagellaten im Schleim des Maulinnern und derTrachea. Siefehltenim MaulschleimgesunderTauben. Bei akut tödtlichen Erkrankungen unter Hühnern, Enten, Krähen, Pfauen und Truthähnen mit diphtherischen Veränderungen in der Trachea und im Darm fanden sich Millionen dieser Flagellaten.Verimpfungendes Schnabel- oder Darminhaltes in das Schnabelinnere von gesunden Tauben und Hühnern bewirkte in zwei Tagen den Tod der Impfthiere und fanden sich dann Millionen von Flagellaten in der Trachea und im Darmrohr vertheilt.Pfeifferzählt die von ihm beobachtete Flagellate zur GattungTrichomonas. Ein undulirender Saum bewegt sie lebhaft von vorne nach hinten. Die Zahl der Geisseln beträgt 2, 3–4; in der Mehrzahl der Fälle 3. Ein grosser Kern liegt an der Geisselbasis, ein bis zwei kontraktile Vakuolen am anderen Pol. Eine typische Gestalt hat jedoch nachPfeifferdie Flagellate nicht, Theilungen sind häufig zu bemerken.Babesfand ähnliche Protozoen auch auf der normalen Schleimhaut der Vögel und glaubt, dass sie die Ursache der Erkrankung nicht sind.