VIII.
Der akademische Verein Gryphius feierte Weihnachten. Es fehlten zwar noch drei Tage bis zum Feste, aber die jungen Herzen waren schon längst in der fröhlichsten Weihnachtsstimmung. Am nächsten Morgen wollten dann mehrere der Mitglieder in die Heimat reisen.
Tönnies kam nachmittags zu Eberhard und hätte ihn am liebsten gleich mitgenommen.
„Sonst schwänzest du womöglich die Weihnachtskneipe,“ sagte er und sah seinen Freund forschend an.
„Das traust du mir hoffentlich nicht zu,“ lächelte Eberhard. Er mußte sich abwenden, um die aufsteigende Röte zu verbergen. Der gutmütige, heitere Adolf aber, der Eberhard als weit überlegen empfand, hatte schon wieder das Gefühl, etwas gutmachen zu müssen:
„Du wirst mir das doch nicht übelnehmen, Eberhard! — Aber leider fehlst du jetzt so oft... Läßt die Kleine dich gar nicht von ihrer Seite?“
„Ach Gott — das ist’s auch,“ sagte Freidank mit innerer Qual. „Man hat Zeiten, Tönnies, in denen man keinen Menschen sehen möchte... Keinen... Das geht wieder vorüber...“
„Hoffentlich,“ sprach Tönnies herzlich. „Du wirst kein Pessimist werden, Freidank. Das wäre nicht richtig, glaube mir... Nun, du wirst selbst wissen, was du zu tun hast! Ich weiß, du gehst deinen geraden Weg...“ „Ja,“ antwortete Eberhard fest, während sich in seinen Kopf der Gedanke einschlich, ob Tönnies sein Tun wohl für den geraden Weg halten würde....
„Also das ist sicher, du lässest uns nicht sitzen!“ mahnte Tönnies noch einmal beim Abschiednehmen. „Auf Wiedersehen!“ —
Im Theater war Eberhard heute der Held einer Sensation. Im Vestibül klebten riesige, rote Plakate und dem Programm waren gleichlautende Zettel beigegeben, welche besagten, daß Roland den Münchener Binder zu einem freien Revanchekampfe herausgefordert habe. Das Publikum versprach sich von diesem Kampfe einen besonderen Genuß; sollte doch ohne Pause bis zur Niederlage einer der beiden Athleten gerungen werden.
Eberhard runzelte die Stirne, als er die schreiend grellen Plakate erblickte. Das war wieder so ein Trick der Kampfleitung, das! Er selbst hatte nicht daran gedacht, Aloys Binder herauszufordern. Aber es mußte um jeden Preis eine Sensation in die Ringkämpfe hineingetragen werden. Jetzt, um die Weihnachtszeit, erwiesen sich nicht einmal die Entscheidungskämpfe, die gegen Mitte des Monats begonnen hatten, als genügend wirksamer Kassenmagnet. Darum wurden Extrakämpfe eingeschaltet, die, wie das Publikum glauben mußte, lediglich aus Ehrgeiz, außerhalb der Konkurrenz, zwischen einzelnen Ringern ausgetragen wurden.
Im Foyer blühte heute das Geschäft der Buchmacher. Bereits wurden allabendlich hohe Summen auf die endgültigen Sieger der Ringkämpfe gewettet. Aber die letzten Entscheidungen lagen noch in weitem Felde. Inzwischen wurde lustig auf die Extra-Kämpfe gewettet und verloren...
Als Eberhard das Vestibül durchschritt, hörte er hinter sich und zu beiden Seiten flüsternde Stimmen, die seinenNamen nannten. Er wendete sich nach niemand um und blickte finster gradeaus. Er hatte sich bereits jene düstere, abwehrende Haltung angewöhnt, mit der die großen Champions sich die unerwünschten Verehrer fern halten. Er wußte es selbst, es war eine theatralische Pose, aber dennoch hatte er nicht die Absicht, sie aufzugeben. Es war ein Leben des Scheins, ein Leben voller Scheinerfolge, welche aber ebenso bejubelt und so glänzend honoriert wurden, wie echte Erfolge. Die Kraft allein war echt....
Es war noch so zeitig, daß Eberhard hoffen konnte, in der Garderobe keinen Kollegen zu treffen. Aber Binder saß doch schon am Tische und versteckte bei Eberhards Eintritt einen Zettel.
„’n Abend,“ sagte Freidank, wider Willen unangenehm berührt. „Ach, ich habe Sie nicht stören wollen!“
„Sie stören mich nicht,“ sagte Aloys. „Ich schreibe nur ’ner Chansonette... einem hübschen, brünetten Pussel.... Sie sind auch für so was, Roland...!“
Hatte Eberhard recht gehört? Lag ein Unterton des Hohnes in Binders Worten oder witterte nur seine Abneigung gegen den Münchener Böses?
„Pardon — —,“ sagte er hart. „Ich möchte nicht... Sie verstehen...“
„Ach, Sie sind eifersüchtig!“ erwiderte der Münchener unvermittelt mit einem frechen Aufblick.
„O nein! Ich habe keine Ursache dazu!“ entgegnete Eberhard bestimmt und ging wieder hinaus. Im Artistenfoyer, einem langen, breiten Korridor, blieb er noch einmal lauschend stehen: war nicht ein höhnisches Lachen hinter ihm hergeklungen? Aber alles blieb still. Nur die Soubrette, Fräulein Coeur de Rose, strich wie eine verliebte Katze im Foyer herum. Sie war schon zur Vorstellung angekleidet und hatte ihren dekolletierten Busen mit einem durchsichtigen Schleiergewebe bedeckt, um den ärgsten Anschein der Koketterie zu vermeiden. Er wendete sich brüsk von dem geschminkten Weibe ab und ging durch das ganze Haus hindurch in das Theaterrestaurant.
Unwillkürlich suchten seine Blicke beim Eintritt Fräulein Leonie Krömer. Doch die schöne Brünette thronte nicht auf dem gewohnten Platz. Sie hatte endlich kapituliert und saß neben Sergej Roditscheff an einem der kleinen Tischchen von gelblichem Marmor. Das Bild prägte sich fest in Freidanks Gedächtnis ein: Leonie war verwirrt, rot und schön in ihrer Leidenschaft und ihrem Schuldbewußtsein. Roditscheff hatte sich ihrer Hand bemächtigt und spielte mit den Ringen an ihren schlanken Fingern. Er war blaß, lächelnd, ruhig und siegesbewußt, wie immer... Nur ein sehr geübtes Auge hätte ihm den letzten Zweifel an seinem Siege über diese Spröde vom Gesicht ablesen können. Denn Leonie schwankte noch, während Roditscheff sie zuversichtlich fragte:
„Gleich nach der Vorstellung kann ich dich abholen, Lona?“
„Um Gotteswillen, nein!“ erwiderte Leonie hastig flüsternd, „mein Schwager... und überhaupt...“
„Um zwei Uhr wird das Restaurant geschlossen,“ sagte Sergej, „also um zwei Uhr, Lona, um zwei Uhr, Lona...“
Unter seinen hellen, hypnotisierenden Blicken senkte Leonie Krömer den schwarzen Kopf....
Eberhard verbarg sich hinter der größten Zeitung, die er finden konnte. —
Von einem Tisch, an dem ziemlich viele lebhaft redende Männer saßen, löste sich jetzt ein Mann und begann ein Gespräch mit Freidank. Er war ein Buchmacher namens Goldschmidt, der mit großer Geschicklichkeit das Gespräch auf den Revanchekampf des heutigen Abends zu lenkenwußte. Er redete in einem seltsamen Fachjargon, der aus jüdischen und sportlichen Redensarten bestand, allerlei krausen Unsinn, welcher schließlich in der vorsichtig umschriebenen Frage gipfelte, ob Roland oder Binder bei dem Ringkampfe Sieger bleiben würde?
„Zum Teufel, kann ich das wissen?“ fragte Freidank über die Zeitung hinweg.
„O, Herr Roland — —! — sagen Sie mir nicht so was! — Ich bin nicht einer von ’s dumme Publikum... Ich wollte Ihnen vorschlagen ein gutes Geschäft, ein sicheres Geschäft ....“
Eberhard legte die Zeitung hin:
„Ich bitte, Herr Goldschmidt, sagen Sie klipp und klar, was Sie von mir wollen!“
Er wollte.... nun, Herr Roland sollte es nicht übel nehmen... Gegen seine Ehre ginge es ja nicht, — und außerhalb der Konkurrenz... und ein glattes Geschäft wäre es...
Und als Freidank gelangweilt die Stirne furchte, erklärte er ihm das beabsichtigte Geschäft. Von den Wettenden — und es wurden sehr hohe Wetten heute abend abgeschlossen — hielten die meisten auf Roland, obwohl er schon von Binder besiegt worden war. Es waren Gerüchte von „Schiebungen“ durchgesickert, die das Publikum lebhaft erregt hatten. Den heutigen „Revanchekampf“ hielten die Leute aber für echt. Hohe Summen waren auf den Sieg Rolands gesetzt worden, die im Falle von Rolands Niederlage dem Buchmacher zufielen. Mit der Kunst der Überredung und mit der Zusicherung eines hohen Gewinnanteils suchte Herr Goldschmidt Eberhard nun zu bewegen, Aloys Binder den Sieg zu lassen. —
Eberhard mußte über die Unverfrorenheit lachen, mit welcher der Buchmacher ihm dieses Geschäft anbot. AberGoldschmidt verlor keine Zeit; er zog schnell einen Hundertmarkschein aus der Tasche, den er unauffällig in Eberhards Rocktasche beförderte.
„Schön! Herr Roland!“ sagte er dabei mit vergnügtem Lächeln, „wir sind einig, nicht wahr? Das ist die Anzahlung ... Den Rest zahle ich Ihnen nach der Vorstellung ... Es bleibt dabei... Ein gutes Geschäft für Sie, ein ausgezeichnetes Geschäft!“
Strahlend vor Vergnügen kehrte er zu seiner Gesellschaft zurück und versicherte seinen Wettlustigen, daß sie unbedingt gewinnen würden, denn Roland würde natürlich Sieger!
Eberhard trank sein Bier aus und dachte kaum mehr an den Zwischenfall, als er die Ringkämpfergarderobe betrat. Alsbald brachte ihm der Kellner ein Briefchen, in dem Fritzi ihm in ihren kindlichen, ungeübten Schriftzügen mitteilte, daß sie nicht ganz wohl sei und darum’ früh nach Hause gehen würde, um auszuschlafen. Während er den Zettel las, fühlte er Binders höhnisch funkelnde Blicke auf seinem Gesichte. Aufblickend, gewahrte er auch ein fatales Lächeln des Müncheners, der in seiner Lieblingsstellung in Unterhosen auf einem Koffer hockte.
„Was haben Sie?“ fragte Eberhard, indem er sich mühsam beherrschte.
„Ich? — Zehn Rendezvous, zwanzig Liebesanträge!“ lächelte Binder, „und Sie haben wahrscheinlich einen Brief von Ihrer Dulcinea... Ich kenne das... Na, lassen Sie sie schießen! Ich trete Ihnen als Ersatz gern meinen Reisedrachen ab... Celeste, die Sie im stillen anschmachtet..“
Eberhard sagte zornig: „Ich danke.“ Er ging mit schweren Tritten an seinen Koffer und kleidete sich an, während er ohne Unterlaß an Fritzi dachte, an Fritzi, die krank war, während er auf die Weihnachtskneipe mußte.In dieser Stunde verfluchte er sich selbst, sein Leben, seinen neuen Beruf und seine Zukunft. Er verfluchte seine Kollegen, die unter läppischen Gesprächen herumstanden und sich zur Vorstellung ankleideten. Er wußte selbst nicht recht, was er heute abend gegen die Ringkämpfer hatte. Sie kamen ihm sämtlich so ordinär vor, so brutal, so gemein... Oder war daran nur dieser Kerl, der Binder, schuld? Binder erzählte laut und schamlos von seiner Freundin Celeste, während er mit ruckweisen Bewegungen die Trikots anlegte:
„Sollte man es denken, Kiesling? — Vorgestern wurde sie frech. Ich kam abends mit ’nem Weib nach Hause; Celeste saß am Tisch und wartete auf mich. Das Weib war ’ne Dame, müßt ihr wissen, darum ließ ich sie erst im Korridor warten, schob meine Celeste in die Wohnstube und sperrte die Tür zu. Dann holte ich meine Dame herein. Kaum wird die Dame etwas warm, kriegt der Drachen nebenan einen Weinkrampf... heult... schreit... poltert gegen die Türe... Die Dame bekommt einen Mordsschreck und will wissen, wer da lärmt. Ach, eine dumme Chansonette, die ich mir aus dem vorigen Engagement mitgenommen habe, weiter nichts, sage ich. Aber trotzdem ließ die Dame sich nicht mehr beruhigen und lief mitten in der Nacht davon!“
„Und?“ fragte Kiesling ohne besonderes Interesse.
„Und? —“ erwiderte Binder höhnisch lächelnd, „und Celeste hat zwei Tage nicht ausgehen können, so viel Schläge hat sie bekommen. Ich habe sie gehauen, bis sie freiwillig versprochen hat, zukünftig die Damen, die mich besuchen, wie eine Magd zu bedienen, wie eine Sklavin... auf den Knieen, wenn ich’s verlange...“
„Deine Sache...“ sagte Kiesling gelassen, und Binder fuhr fort:
„Ihr Geld reicht ohnehin nur noch ein paar Monate... Ihre Mitgift kann sie nicht angreifen; ich hab’ nur ihr persönliches Vermögen in den Händen... Wenn ihr Geld zu Ende ist, kann sie meinethalben zu ihrem Ehemann zurückkehren, dem sie mit mir davongelaufen ist!“
Mehrere Athleten lachten, andere, welche diese unnoble Handlungsweise nicht billigten, zuckten die Achseln. Niemand aber fand, daß diese Liebesaffäre des Ereiferns wert gewesen wäre. Mein Gott.... jeder nahm, was er bekommen konnte....
Als die Ringkämpfer die Bühne betraten, bemerkte Eberhard, daß Madame Celeste doch im Theater war. Sie hatte sich also von ihrem Schmerzenslager aufgerafft, nur um ihren Peiniger ringen zu sehen... Sie sah sehr blaß aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Freidank war es auch, als ob Celeste heute nicht anbetend, wie sonst, sondern mit einem eigentümlich entschlossenen, harten Ausdruck im Gesicht zu Binder hinaufsah. Er konnte nicht zum zweitenmal hinsehen, weil er nun seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kampf gegen Aloys richten mußte.
Ein Pfiff gellte durch das stille Theater. Die beiden Athleten gingen schnell aufeinander los, Binder, nach seiner heimtückischen Art, mit gesenktem, vorgestrecktem Kopfe, Freidank mit äußerer Ruhe. Jeder hielt die Augen fest auf die Hände des andern gerichtet, jeder griff nach des Gegners Handgelenken und suchte den andern von Zeit zu Zeit durch einen schnellen, listig angebrachten Griff zu überrumpeln. Aber keiner bekam ein Übergewicht über den andern.
Das Theater lag in atemlosem Schweigen. Mit Herzklopfen verfolgten die Hunderte im Saal und in den Logen den Kampf, in dem die Kämpfer ihre besten Kräfte noch zurückhielten. Die Sekunden dehnten sich endlos lang, die Minuten wuchsen in die Ewigkeit hinein. Plötzlich, mit einem gewaltigen Schritt, waren beide Ringer dicht aneinander und umschlangen sich gegenseitig mit einem Griffe, der jedem gleiche Chancen bot und welchen die Ringer Zwiegriff nennen.
Und wieder ein herzbeklemmendes Zuwarten! welcher wird seine Chance ausnützen? — Der Münchener! Er hob Roland wild, zornig, ruckweise auf und schleuderte ihn zu Boden. Beide wälzten sich übereinander, Roland hockte auf dem Teppich, und Binder bemühte sich mit aller Kraft vergebens, den unbeweglich Dasitzenden aus seiner Stellung zu bringen.
Der erste Gang war vorüber; die Ringer traten schweißbedeckt, mit verwirrten Haaren, von der Bühne ab und wurden mit rauhen Handtüchern abgetrocknet. Währenddessen trat Markus auf Freidank zu und flüsterte:
„Wie lange wollt Ihr ringen? Länger als dreißig Minuten?“
„Möglich —,“ sagte Eberhard mit einer unbestimmten Geste.
„Zum Teufel, Roland, das muß doch abgemacht sein!“ sagte der Manager ärgerlich, „hab’ ich ’ne Ahnung, wann ich abpfeifen soll?“
„Werden es schon merken,“ erwiderte Freidank kurz und ging wieder aus der Kulisse heraus, um weitere Fragen abzuschneiden.
Wer von den Zuschauern den Ringkampf für ein Spiel gehalten hatte, der wurde an diesem Abende inne, daß es auch Kämpfe von blutigem Ernst gibt. Die Spannung und Erbitterung der beiden Athleten, die einander lauernd gegenüberstanden, teilte sich langsam dem Theater mit. Die verhaltene Kraft, die scharfe Anspannung aller Sinne trieb den Kämpfern den Schweiß aus allen Poren, jagte ihr Blut in rotem Wirbel durch die Adern. Wenn sie einander gewaltsam anpackten, schallte das Klatschen der grob gefaßten Griffe bis in die hintersten Winkel des weitläufigen Theaters.
Wieder einmal waren beide blitzschnell vom Boden aufgesprungen und standen sich gegenüber; da packte Binder Freidanks rechten Daumen mit der Linken und schlug ihm mit der Rechten gegen den Ellenbogen. Freidank aber hatte die tückische Absicht gemerkt, sprang wie ein Löwe herum und riß den Bayer zu Boden. Er hielt ihn fest und flüsterte ihm zähneknirschend zu:
„Was fällt dir ein? Willst du disqualifiziert werden?“
„Nein!“ flüsterte Binder frech zurück, „aber heute geht’s im Ernst.... Um die kleine Katze, die Fritzi....“
Eine Sekunde lang sah Freidank alles rot, dann faßte er sich:
„Also um Tod oder Leben.... um dein oder mein Leben....“ „Immer tragisch!“ höhnte der Münchener, der unter Eberhard lag, ein wenig keuchend. „Ums Leben ja gerade nicht, aber meinethalben um die Fritzi... die Fritzi ist mir ja doch sicher...“
Eberhard hörte nichts mehr. In Berserkerwut stürzte er sich über den Gegner. Das, was ihn ergriffen hatte, war nicht mehr bloße Kampflust. Es war Mordlust...
Und mit dieser Mordgier in dem fiebernden Blute stand er vor Hunderten von Zuschauern und war gezwungen, den Kampf nach seinen Regeln, mit allen Finessen, die das Publikum entzücken, zu Ende zu führen...
Die Zuschauer waren von jenem leidenschaftlichen Taumel ergriffen, der sich seit Jahrtausenden gewaltigen Menschenmassen mitteilt, sobald zwei feindliche Kräfte sich vor ihren Augen messen. Genau so verfolgten einst die Griechen die Kämpfe ihrer Ringer im Stadion, so und nicht anders saß das alte Rom rund um die Arena und blicktegebannt und gespannt, mit fieberndem Parteinehmen und grausamer, zitternder Lust, auf Siegen oder Unterliegen.
Die ersten drei Gänge, jeder zehn Minuten lang, waren längst vorüber. Jetzt ging es weiter ohne Pause, bis einer von beiden am Ende seiner Kräfte war. Das pfeifende Keuchen harter Atemzüge rang sich mühsam von den Lippen der Ringer; es kam aus den schwer arbeitenden Tiefen ihrer Brust, es erfüllte mit leisem, aber deutlichem, aufreizendem Geräusch das ganze Theater. Keine Wollust ist so groß, als die Wollust des Zuschauers beim mörderischen Kampfe..
Eberhard spannte seine letzten Kräfte an, und Binder ließ alle Rücksichten fallen. Er stieß und schlug, wo die Gelegenheit sich bot, sinnlos auf seinen Gegner ein. Bereits war er zweimal verwarnt worden, versuchte aber zum drittenmal, Roland mit einem rohen Halsgriffe die Luft abzuschneiden. Er stand tiefgebeugt, den Rücken gebogen, den Kopf gesenkt, heimtückisch, wie ein Raubtier vor dem Sprunge. Da, als er sich noch tiefer duckte, griff Eberhard zu, langte mit den starken, weißen Armen über Binders Kopf hinweg, umschlang den Feind an den Hüften und hob ihn rücklings auf. Binder, der kopfüber in der Luft hing, merkte, daß er verloren war. In den Armen des Starken zappelnd, blickte er Freidank haßerfüllt an und flüsterte mit erlöschender Kraft:
„Die Fritzi ist mir doch sicher...“
Eberhard hob ihn noch höher und schleuderte ihn von bedeutender Höhe herab mit brutaler Wucht auf den Boden.
Er vernahm nicht mehr das ausbrechende Beifallsgeheul der leidenschaftlichen Menge, die seinem Siege zujubelte, er wollte in die Garderobe stürzen. Markus lief ihm nach, zerrte ihn am Trikot auf die Bühne, stieß ihn hinaus; er mußte sich verbeugen, zweimal, dreimal, während das wilde Rauschen des Beifalls ihn umtobte, wie ein Meer im Sturme.
Seit dem Augenblicke, wo sie sich als Abschiedsgruß auf der Bühne die Hände gereicht hatten, kümmerte sich keiner der Kämpfer mehr um den andern. In der Garderobe halfen Kameraden den zu Tode Erschöpften aus den Trikots und rieben ihnen die zuckenden Glieder mit Branntwein ein. Dann lagen sie beide blaß, mit geschlossenen Augen, auf harten Matratzen und kehrten langsam zum normalen Atmen zurück. Ihre Lungen waren bis zum letzten Atemzuge ausgepumpt. Sie hatten nahezu zwei Stunden gerungen.
Thyssen erschien unter der offenen Türe, beide Hände in den Taschen, und blickte schweigend die ermatteten Ringer an. Sein heller, scharfer Geist hatte in dem grauenvollen Kampf des Abends eine Tragödie gespürt, für die es vorher nicht einmal die leiseste Andeutung gegeben hatte. Er ließ seine dunklen, zwingenden Augen auf Eberhard ruhen und fragte:
„Warum habt Ihr nicht aufgehört, als Markus euch das Zeichen gab? Was habt ihr miteinander vor?“
Eberhard richtete sich halb auf. Das Unausgesprochene, es sollte niemals ausgesprochen werden, Fritzis Name sollte unversehrt bleiben, die Tragödie sollte in Schweigen erstickt werden. Vielleicht war sie zurückzuhalten... vielleicht war die rollende Lawine in ihrem Laufe zu hemmen....
Er blickte Binder, der möglicherweise eine hämische Bemerkung auf den Lippen hatte, stahlhart an und erwiderte, ohne die Augen von seinem besiegten Gegner zu lassen:
„Sie irren sich, Herr Thyssen. Es ist nichts.“
„Dann ist es gut,“ sagte der Weltmeister langsam...
Eberhard stand auf. Seine Glieder schmerzten, seine Gelenke brannten. Nur schlafen — schlafen! Aber er mußte ja auf die Weihnachtskneipe....
Im Vestibül, welches Eberhard durchschreiten mußte, wartete Herr Goldschmidt, der Buchmacher. Als er denRingkämpfer kommen sah, sprang er mit rotem Kopf auf ihn los und fauchte ihn zornig an:
„Was haben Sie gemacht? War das nach unserer Verabredung gehandelt? Was stellen Sie sich vor unter einem Geschäft? Und meine Anzahlung?“
„Verabredung! Geschäft! Anzahlung!“ sagte Freidank erbittert, „was wollen Sie eigentlich von mir, Sie....? Sie....?“
„Sie behaupten, daß Sie das nicht mehr wissen?“ zischte der Buchmacher, „Sie leugnen, daß ich Ihnen hundert Mark auf Ihre Niederlage angezahlt habe? Das leugnen Sie, Herr....?“
„Reden Sie keinen Blödsinn!“ sprach Eberhard zornmütig von oben herab, „ich habe den Kerl geschmissen... Der Kerl hat es nicht besser verdient... Lassen Sie mich in Ruhe! Ein anständiger Mensch bietet nicht solche Geschäfte an... Ihre sogenannte Anzahlung, Herr... Goldschmidt,“ Eberhard lachte den bebenden Hebräer hochmütig und höhnisch an, „um Ihre Anzahlung wiederzubekommen, dürfen Sie mich verklagen... Ich schmeiße, wen ich will, und nicht, wen Sie wollen!“
Er ging mit schweren Schritten an dem Buchmacher, der ihm in ohnmächtiger Wut nachblickte, vorüber und trank am Büfett des Theaterrestaurants hastig mehrere Gläser Kognak aus, welche seiner Gedanken Qual so weit zerstreuten, daß er Binders Reden über Fritzi vergaß. Das Kind lag längst zu Hause im Schlafe, das war gewiß. Er hatte Fritzis Hausschlüssel in der Tasche. Aber warum die Geliebte im Schlafe stören? Besser, auf die Kneipe zu gehen....
Die Nacht war mild und dunkel. Warme Lüfte strichen über den Schnee hin und von den Dächern rieselten dünne Bächlein. Eberhards Schritte knirschten leise in dem tauendenSchnee, als er in die Linienstraße einbog, wo die Kneipe des Vereins Gryphius im ersten Stock eines Hinterhauses lag. Im zweiten Stock desselben Gebäudes hauste die „Munichia“, deren Angehörige den Gryphianern nicht besonders freundlich gesinnt waren. Man hielt offizielle Freundschaft, während man einander insgeheim nachspürte, um eine Veranlassung zum Abbrechen der freundschaftlichen Beziehungen zu finden.
Eberhard kam spät, aber die Freunde hatten fest auf sein Erscheinen gezählt. Der kleine, lustige Tönnies sprang sofort auf, drückte Eberhard herzlich beide Hände und zog ihn auf den Platz neben sich, den ein Fuchs alsbald räumen mußte. Es war kurz vor Beginn der Fidelitas. Frohe Gemeinsamkeit strahlte allen diesen jungen, enthusiastischen jungen Männern aus den Augen, gemeinschaftliche Interessen, gemeinschaftliche Hoffnungen zogen ihren Zauberring um den Jünglingskreis. Eberhard beantwortete heiter ein paar Fragen, tat den Freunden mit dem kühlen, schäumenden Bier Bescheid und lehnte sich dann, das Kneipcerevis auf dem Kopfe, behaglich hintenüber mit dem vollen Frohgefühl: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! —
In der Ecke stand ein Weihnachtsbaum, der von den Füchsen scherzhaft und phantastisch herausgeputzt war. Zur Beleuchtung des Baumes hatte man zufällig starke, gelbe Wachskerzen gekauft, die ihren süßen, edlen Duft in feinen Wogen durch das Kneipzimmer sandten. Die Lichter knisterten leise; man hatte ein mechanisches Musikinstrument eingestellt, welches nun einen großen Kinderchor erklingen ließ. Wie aus weiter Ferne, aber dennoch deutlich, zogen die glücklich-naiven Worte dahin:
„O, du fröhliche,O, du selige,Gnadenbringende Weihnachtszeit!“
„O, du fröhliche,O, du selige,Gnadenbringende Weihnachtszeit!“
„O, du fröhliche,
O, du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit!“
Von den Wänden grüßten die vertrauten Bilder alter Kommilitonen; das Bild Andreas Gryphius’ war von einer jungen, pietätvollen Hand mit grünen Tannenzweigen bekränzt worden. Die jungen Männer, der holden Kinderzeit noch nah und nicht entfremdet, wollten sämtlich unter Lachen und Necken ihre mildgerührte Stimmung verbergen und vermochten es nicht....
„Christ ist erschienen,Uns zu entsühnen.Freue dich, freue dich, o Christenheit!“
„Christ ist erschienen,Uns zu entsühnen.Freue dich, freue dich, o Christenheit!“
„Christ ist erschienen,
Uns zu entsühnen.
Freue dich, freue dich, o Christenheit!“
Der Kinderchor sang’s aus der Walze des leblosen Musikinstrumentes heraus. Und wieder einmal, wie so oft, träumte Eberhard von ernster Geistesarbeit und ehrlichen Erfolgen, von stillem Schaffen und Freude an erreichten Zielen....
— Die Kneipe der Munichen im oberen Stockwerk war schon zu Ende.
Man hatte sie ihr Kneipzimmer verlassen und die Treppe hinabsteigen hören. Dann trat Tönnies einmal zufällig auf den Treppenflur hinaus und lief gegen einen Munichen an, der gerade die dunkle Treppe herabkam. Er entschuldigte sich höflich und bat den Munichen, ein Weilchen Gast der Gryphianer zu sein. Gemeinsam traten beide junge Männer ein. Die Türe blieb offen stehen. Ein kalter Luftzug fuhr Freidank ins Gesicht; er drehte sich um:
„Tönnies, bitte, schließe die Tür!“
Der Muniche sah Freidank ins Gesicht, fragend, erschrocken, unsicher... Aber er hatte keine Zeit, irgendwelche Zweifel oder Vermutungen auszusprechen, da er von dem Kneippräsiden begrüßt und gastfrei aufgenommen wurde. Eine halbe Stunde flog dahin in munterem Gespräch. Und dann, jäh, zwingend, wie das Grauen sich immer zu nahen pflegt, trat plötzlich ein unsichtbarer, eisiger Gastin den Kreis der jungen Männer, lähmte die plaudernden Lippen, hielt den Schlag der Herzen zurück. Das Schweigen breitete sich aus, jeder fühlte es, obwohl es keiner sah, ohne Grund richteten alle Augen sich auf Eberhard Freidank....
Aber der Präside sprang auf; mit einem Schwerthieb wollte er das Grauen töten, entzweischneiden, in Nichts auflösen:
„Freidank! Kommilitone Freidank! von Herrn Höpfner-Munichiae ist soeben eine — ganz — erstaunliche — Beschuldigung gegen dich erhoben worden....“
Die Stimme des jungen Mannes bebte, die jungen, zuckenden Lippen wollten den Dienst versagen. Zu ungeheuerlich erschien ihm die Behauptung des Munichen, zu phantastisch die Idee.... Er rang nach Haltung und fuhr fort:
„Du sollst — im Odeontheater — einer der Konkurrenzathleten sein, du sollst — heute abend — mit einem — gerungen haben.... Freidank, sage, daß es nicht wahr ist......“
Unser Leben ist ein Würfelspiel; wir heben die Würfelbecher, betrachten die Würfel, zählen die Augen, wägen unsere Chancen.... Aber manchmal nimmt uns Einer den Becher aus der Hand, schüttelt ihn und schleudert den Inhalt heraus, daß wir das Aufklirren der beinernen Würfel hören. Ich habe es in schrecklichen Stunden gehört, und vielleicht auch du, und du kennst vielleicht das Grauen jener Sekunden, in denen die Schicksalswürfel dröhnend niederfallen. —
Eberhard Freidank stand auf und sagte leise und ernsthaft:
„Ja, das ist wahr.“
In schweigender Erschütterung blickten die jungen Männer vor sich nieder. Alle hatten sich erhoben. Der Muniche stand blaß und abgewendet, selbst ergriffen von der Wirkung seiner Anklage.
Freidank machte eine unwillkürliche Bewegung, um das Zimmer zu verlassen. Da faßte sich der Präside und sagte, ohne seinen Schmerz zu verhehlen:
„Freidank, das tut mir weh, — bei Gott, — als ob’s mein eigener Bruder wäre... Du warst uns wie ein Bruder, Freidank.... Aber... daß man das sagen muß! — Freidank, so leid es uns allen tut... aber.... Mit der blanken Waffe.... ist das nicht auszutragen....“
„Ich weiß schon,“ sagte Freidank erschöpft. „Lebt wohl! Und es soll euch im Leben gut gehn, und ihr sollt erreichen, was ihr erstrebt.“
Und er wendete sich zur Türe. Keiner hielt ihn zurück. Im Flur gab der Vereinsdiener ihm den Mantel um und reichte ihm die Pelzmütze. Da kam ihm einer nach: das war Tönnies.
„Verzeih,“ sagte Adolf Tönnies gedrückt, „ich schuldete dir noch fünf Mark, Freidank... Erlaube, daß ich diese Schuld berichtige....“
Alles, was vorhergegangen war, war nichts gegen diesen Schmerz. Adolf brachte ihm fünf Mark zurück, die er wohl von dem Studenten hatte leihen können, von dem Ringkämpfer aber nicht...
„Deshalb bist du mir nachgegangen, Tönnies?.....“
„Pardon —, ja, deshalb! Denn ich fürchte, daß ich in Zukunft dazu keine Gelegenheit mehr haben Werde, in Anbetracht deiner neuen Karriere....“
Freidank ließ das Silberstück fallen, daß es klirrend fortrollte. —
Die meisten Straßenlaternen waren ausgelöscht; die Straße war noch finsterer. Tauwind flog über die Stadt, fraß die letzten Schneereste und glitt weich durch die Haare des Ausgestoßenen. Eberhard hatte keinen Gedanken....
Ein einsames Mädchen strich langsam vorbei; da fiel ihm Fritzi ein. „Zu Fritzi!“ sagte er sehr sanft vor sich hin, und ein liebeseliger Frieden zog in sein Herz ein, „zu Fritzi!“
Er kam an das Haus, wo Fritzi wohnte, stieg vorsichtig die Treppen hinauf und schloß die Türe auf. Er wollte das kranke Mädchen nur sehen, einen Kuß auf ihre weiße Stirn drücken und wieder von dannen gehen. Aber das Zimmer war leer, und Fritzi war nicht darin.
Er sah sich um, er griff an seine Stirn. Wahrhaftig, es war Fritzis Zimmer.... Das Bett war unberührt, das Mädchen war nicht heimgekommen. Er stand eine Weile am Fenster und sah zwecklos hinaus, dann fing er an, zu toben und zu fluchen. Das Dröhnen seiner Stimme lockte Frau Krichelmann, die Wirtin, herbei. Sie erschien in Nachtjacke und Unterrock und fragte entsetzt, was geschehen sei?
„Sie wissen es besser als ich!“ stöhnte Freidank, „wo ist Fritzi?“
„Das Fräulein Fritzi?“ Die Wirtin besann sich nach einer Lüge, „das Fräulein Fritzi ist, so viel ich weiß, zu Fräulein Liane gegangen....“
„Liane!“ sagte Eberhard bebend, „aber Liane ist nicht in Berlin... Fritzi ist anderswo... Wenn Sie keine Wahrheit wissen, so sagen Sie wenigstens keine offne Lüge....“
„Das dürfen Sie mir nicht ins Gesicht sagen!“ erwiderte Frau Krichelmann, „ich habe Fräulein Fritzi nicht zu hüten!Ich weiß nur, daß sie bei Fräulein Liane schlafen wollte! — Sie zahlen pünktlich die Miete für Fräulein Fritzi, Sie sind mir ein lieber Mieter, Herr Freidank! aber ich bitte Sie, machen Sie keinen Lärm hier.... mitten in der Nacht....“
Freidank warf die Türe zu und jagte die Treppen hinunter. Er dachte daran, wie er sie vor drei Wochen unter tausend Zweifelschmerzen gesucht und nicht gefunden hatte und ihr dann selber untreu geworden war.... Er hatte nie den Mut gefunden, Fritzi zu fragen, wo sie jenen Abend verlebt hatte. Und heute? — Ganz flüchtig kamen ihm Aloys Binders Reden in den Sinn. Aber das war nichts, konnte nichts sein, als haltlose Prahlerei. Seine Fritzi... und dieser rohe, tierische Mensch mit der niedrigen Stirn und dem steilen, borstigen Haar... Und dann — bei dem Kampfe des heutigen Abends mochten Binder die Liebesgedanken für diese Nacht wohl gründlich vergangen sein. —
Eberhard lief durch die Straßen; ohne daß er eigentlich die Absicht hatte, gelangte er zu dem Hause, in dem Aloys Binder mit Madame Celeste wohnte. Die drei Fenster im ersten Stock, die dicht verhängt waren, gehörten zu Binders Zimmern. Schmale Lichtstreifen schimmerten durch die Ritzen. Jetzt wurde an einem Fenster der Vorhang aufgezogen und das Fenster geöffnet. Eine weibliche Gestalt beugte sich hinaus, sah den Himmel an, trat wieder zurück und schloß die Fenster. Eberhard hatte sie genau erkannt; es war Madame Celestes zarte, schlanke Silhouette. —
Die Nacht ging schon auf den Morgen zu. Ein dünner, warmer Regen floß grau aus schweren Wolken. Eberhard ging mit matter Seele und erschlafften Sinnen in das Kaffeehaus, in dem die Ringkämpfer den größten Teil ihrer Nächtezuzubringen pflegten. Jetzt erst gehörte er ganz zu ihnen....
Aber die Kollegen waren zum größten Teil schon fortgegangen; nur Manuel Gomez und der stille Türke waren noch anwesend. Der unverträgliche Spanier fand keinen Zechgenossen mehr außer dem Türken, mit dem er sich in keiner Sprache verständigen konnte. Faul, fast unbeweglich, lagen sie auf den Stühlen und betranken sich schweigend.
Eberhard ging aufs Geratewohl in ein anderes Kaffeehaus hinein. Dort saßen, vor neugierigen Blicken durch einen Vorhang ein wenig geschützt, Kiesling, Roditscheff und Leonie Krömer. Leonie erschrak, als sie Freidank erblickte, aber Kiesling beruhigte sie:
„Der spricht nicht, Fräulein, er ist ein honetter Kerl! ... Am besten, wir holen ihn an unsern Tisch und lassen ihn merken, daß er zu schweigen hat....“
Eberhard kam. Er hatte die Situation schnell begriffen. Leonie saß mit dem Russen auf dem kleinen, roten Ecksofa und hielt die schönen Augen auf den Maiglöckchenstrauß gesenkt, den Roditscheff ihr gebracht hatte. Ihre letzte Widerstandskraft war zerbrochen. Von Zeit zu Zeit zuckte es leise um ihren Mund, ein Lächeln schamvoller Verlegenheit. Aber ihre Seele hatte sich dem riesigen, helläugigen Ringkämpfer schon ergeben. Leonie wartete in Scham und Sehnsucht, bis Sergej sie an der Hand nehmen und im Triumphe als sein Eigentum und sein Liebchen nach Hause führen würde....
„Hatten Sie ein Stelldichein hier, Roland?“ fragte Kiesling mit seinem flüchtigen, schmalen Lächeln. „Alsdann ist Ihnen die Dame ausgerückt, wie mir scheint.“
Freidank kämpfte mit sich. Sollte er sprechen und Fritzikompromittieren? Aber die beiden, die von ihm Verschwiegenheit über Fräulein Krömer erwarteten, konnten ihn vielleicht aufklären, konnten vielleicht die zermalmende Ungewißheit lösen.
„Kein Stelldichein,“ sagte er, und seine Stimme klang rauh. „Ich suchte meine — Freundin... Fräulein Fritzi .... Sie ist nicht zu Hause....“
Freidank sah den Blick des Einverständnisses, den Kiesling und Roditscheff wechselten. Also sie wußten... wußten mehr, wie er selber wußte....
Kiesling war ein verschwiegener Mensch und konnte Skandalgeschichten nicht leiden. Aber in diesem Augenblicke hielt er es für eine natürliche Anstandspflicht, Freidank zu warnen:
„Hören Sie, Roland —! Meine Affaire ist es nicht.... Aber, wenn Sie klug sind, so ziehen Sie Ihre Hände zurück ..... Wir sprechen doch, nicht wahr, von Fräulein Fritzi l’Alouette, der Chansonette. Fräulein Fritzi l’Alouette ist heute abend beim Binder.“
Und er nickte ernsthaft mit dem Kopfe. —
Freidank ließ die Faust auf den Tisch fallen. Das Blut war aus seinen Lippen gewichen, seine Augen wurden starr:
„Das wissen Sie? — das ist sicher und wahrhaftig, und nicht nur eine von den vielen Klatschgeschichten aus der Garderobe, daß es der Binder mit meiner Fritzi hat?“ —
„.... Also zeig’s ihm, Sergej,“ sagte Kiesling.
Der Russe zog ein juchtenes Portefeuille und sah mit nachdenklichem Gesicht eine Anzahl Bilder durch. Einen Augenblick hielt er das Momentbild aus der Photographenbude vom Rummelplatze zwischen den Fingern und legte es dann schweigend vor Eberhard auf den Tisch.
Das Bild stellte Fritzi inmitten ihrer beiden Begleiter dar. Sie war gar nicht zu verkennen. Den Lockenkopf mit dem kecken Pelzmützchen hatte sie zärtlich an Binders Schulter gelehnt, und Binder hielt sie fest im Arm, die Hand auf ihre zierliche Taille gepreßt....
„Ich danke Ihnen,“ sagte Freidank heiser. „Ich danke Ihnen vielmals. Ja, das ist Fritzi.“ —
Ende Kapitel VIII