DREIZEHNTES KAPITEL.

DREIZEHNTES KAPITEL.

Das Wetter war in diesem Jahre ganz ungewöhnlich: nach den Stosswinden und Nebeln lag ein weissglühender Himmel über der Gegend ausgebreitet.

In zwei Tagen war ohne jeden Übergang der feuchten Kälte und den Regengüssen eine brennende Hitze, eine Luft von entsetzlicher Schwere gefolgt. Wie mit Feuerhaken geschürt strahlte die Sonne, gleich der Öffnung eines Backofens, ein fast weisses Licht aus, das das Auge blendete; ein heisser Staub erhob sich von den kalkigen Chausseen und verdorrte die Bäume und den Rasen. Die Sonne, die auf die weiss getünchten Mauern, die Zinkdächer und die Fensterscheiben niederbrannte, blendete förmlich. Die Glut einer Giesserei lag auf dem Hause des Herzogs Jean.

Halb nackt öffnete er ein Fenster, eine Welle heisser Luft schlug ihm ins Gesicht; in dem Esssaal, in den er sich flüchtete, war es glühend.

Er setzte sich ganz verzweifelt nieder, denn die Überreizung, die ihn aufrecht hielt, solange er beim Ordnen seiner Bücher seinen Träumen nachgehangen hatte, war jetzt vorüber.

Wie alle nervösen Leute wurde er durch die Hitze sehr angegriffen. Die Bleichsucht, durch die Kälte zurückgehalten, machte sich wieder bemerkbar und schwächte den ohnedies schon matten Körper noch mehr durch übermässigen Schweiss.

Das Hemd auf dem nassen Rücken klebend, die Beine und Arme kraftlos, die Stirn mit Schweiss bedeckt, der in salzigen Tropfen die Backen hinablief, lag der Herzog wie gebrochen in seinem Sessel. Der Anblick des Fleisches, das auf dem Tische stand, widerte ihn in diesem Augenblick an und er befahl, es fortzutragen; er bestellte sich Eier und versuchte Stückchen Brot, ins weiche Gelbe getunkt, hinunter zu würgen; aber sie blieben ihm in der Kehle sitzen. DieNeigung zum Erbrechen kam. Er trank einige Tropfen Wein, die ihm wie Feuer im Magen brannten.

Er wischte sich das Gesicht ab; der Schweiss, noch eben warm, floss kalt an den Schläfen entlang. Er sog einige Stückchen Eis langsam auf, um die Übelkeit zu vertreiben. Doch vergeblich.

Eine grenzenlose Mattigkeit drückte ihn nieder; er meinte zu ersticken und stand auf.

Noch nie hatte er sich so beunruhigt, so zerrüttet, so elend gefühlt. Dabei quollen seine Augen, er sah die Gegenstände doppelt und um sich selbst drehend. Bald verschwand ihm das Gefühl für die richtigen Entfernungen, sein Glas schien ihm eine Meile von ihm zu stehen. Er verhehlte sich nicht, dass er der Spielball seiner sensationellen Täuschungen war, und unfähig, dagegen zu reagieren, legte er sich auf das Sofa im Salon.

Da aber wiegte ihn ein Schwanken, wie das Schwanken eines Schiffes, und die Übelkeit wurde stärker; er stand wieder auf und entschloss sich, durch ein Verdauungsmittel die Eier, die ihn nahezu erstickten, hinunterzubringen.

Er ging nach dem Esszimmer zurück und verglich sich in dieser Kabine melancholisch mit einem Seereisenden. Er kam sich wie ein von Seekrankheit befallener Passagier vor.

Schwankenden Schrittes wendete er sich dann zu dem Wandschrank, prüfte seine Mundorgel, doch öffnete er sie nicht, sondern nahm von dem oberen Brett eine Flasche mit Benediktiner, die er ihrer Form wegen aufbewahrte.

Aber für den Augenblick war ihm alles gleichgültig; mit mattem Auge betrachtete er die dickbäuchige dunkelgrüne Flasche, die sonst in ihm die Vorstellung eines mittelalterlichen Klosters wachgerufen hätte: mit ihrem antiken Mönchsbauch, ihrem Kopf und Hals, mit einer Pergament-Kapuze versehen, ihrem roten Wachssiegel mit den drei silbernen Bischofshüten am Halse, gesiegelt wie eine Bulle, und einer Etikette, auf deren gelblichem Papier in Mönchslatein stand: „Liquor Monachorum Benedictinorum Abbatiae Fiscanensis“.

Diese klösterliche Hülle barg einen safrangelben Likör von entzückender Zartheit.

Er trank einige Tropfen von diesem Likörund fühlte während eines Augenblicks etwas Erleichterung, aber bald brannte das Feuer wieder von neuem in seinen Eingeweiden.

Er warf verzweifelt seine Serviette hin und begab sich wieder in sein Arbeitszimmer, wo er langsam auf und ab ging.

Es war ihm, als sei er unter einer Luftglocke, in der ihm die Luft nach und nach entzogen wurde, und eine wonnige grausame Schwäche bemächtigte sich seiner, vom Rückenmark durch alle Glieder gehend. Er sträubte sich dagegen, und da er es nicht mehr aushalten konnte, flüchtete er sich, vielleicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Fontenay, in seinen Garten und suchte Schutz unter einem Baum, der einen runden Schatten warf.

Auf dem Rasen sitzend, sah er mit stumpfer Miene auf die viereckigen Gartenbeete, auf denen seine alten Dienstboten Gemüse gepflanzt hatten.

Er sah sie wohl an, aber erst nach Verlauf einer Stunde bemerkte er sie, denn ein gräulicher Nebel schwebte vor seinen Augen und liess ihn nichts unterscheiden, ähnlich wie auf dem Meeresgrund, wo man nur unbestimmte Bilder gewahrt.

Schliesslich fand er sein geistiges Gleichgewicht wieder und unterschied deutlich Zwiebeln vom Kohl, sowie etwas weiter ein Feld mit Kopfsalat und im Hintergrunde die ganze Hecke entlang eine Reihe weisser Lilien, die unbeweglich in der schweren Luft ihren Duft ausströmten.

Er durchstöberte den Garten, sich für die in der Hitze verwelkten Pflanzen und den heissen Erdboden interessierend, der in dem glühenden Staub der Luft dampfte. Dann bemerkte er oberhalb der Hecke, die den tiefer gelegenen Garten von der erhöhten Strasse, die nach dem Vorwerke führte, trennte, einige Jungen, die sich in vollem Sonnenbrand im Staube wälzten.

Er konzentrirte seine Aufmerksamkeit eben auf sie, als ein anderer, kleinerer erschien; er sah schmutzig aus, hatte Haar wie Seegras und war voll von Sand; zwei grüne Blasen hatte er unter der Nase, widerliche Lippen, weiss beschmiert mit weichem Käse, der auf Brot gestrichen und mit gehackten Zwiebeln bestreut war.

Der Herzog sog den Geruch davon ein; ein krankhaftes Gelüst bemächtigte sich seiner. Die schmutzigen Brotschnitte liessen ihm das Wasserin den Mund treten. Es schien ihm, als wenn sein Magen, der jede Nahrung verweigerte, dies abscheuliche Essen verdauen würde und sich sein Gaumen wie an einem Leckerbissen daran laben könne.

Er sprang auf, lief nach der Küche, befahl, aus dem Dorf einen Laib Brot, weissen Käse und Zwiebeln zu holen, bestimmte, wie man ihm die Brotschnitte bereiten solle, genau wie die, an denen der Junge herumwürgte, und ging zu seinem Baum zurück, unter dem er sich wieder niederliess.

Jetzt schlugen sich die Jungen. Sie entrissen sich Stücke Brot, die sie sich in die Backen stopften, wobei sie sich die Finger ableckten. Es hagelte dabei Fusstritte, Faustschläge, und die Schwächsten, die zur Erde geworfen wurden, schlugen mit den Beinen um sich und heulten.

Dieses Schauspiel belebte den Herzog; das Interesse, das er an dem Kampf nahm, wendete seine Gedanken von seinem Übel ab; bei der Erbitterung der Bengel dachte er an das grausame Gesetz vom Kampf ums Dasein, und obgleich diese Jungen nur aus niedrigem Stande waren,konnte er sich doch nicht erwehren, sich für ihr Los zu interessieren und zu glauben, dass es besser für sie gewesen wäre, wenn ihre Mütter sie nicht in die Welt gesetzt hätten.

„Welcher Wahnsinn,“ dachte der Herzog, „Kinder zu zeugen!“

Der Diener unterbrach die wohlgemeinten Betrachtungen, über welche der Herzog nachgrübelte, und überreichte ihm auf einem silbernen Teller das gewünschte Käsebrot.

Eine Übelkeit überkam ihn; er hatte nicht den Mut, dieses Butterbrot zu essen, denn die krankhafte Überreizung seines Magens war vergangen. Ein Gefühl entsetzlicher Zerrüttung befiel ihn von neuem; er musste aufstehen. Die Sonne drehte sich und nahm nach und nach seinen Platz ein, die Hitze wurde noch drückender und lästiger. – „Werfen Sie das Butterbrot jenen Jungen hin,“ sagte der Herzog zu dem alten Diener, „mögen die sich darum schlagen; mögen sich die Schwächeren verkrüppeln und keinen Teil an den Leckerbissen haben; mögen sie obendrein von ihren Eltern tüchtig durchgeprügelt werden, wenn sie mit zerrissenen Hosenund blauen Augen nach Hause kommen; das wird ihnen einen Vorgeschmack von dem Leben, das ihrer wartet, geben!“

Mit diesen Worten ging er langsam seinem Hause zu und sank halb ohnmächtig auf einem Sessel nieder.

„Ich muss indessen versuchen, etwas zu essen,“ murmelte er, und er tunkte einen Zwieback in einen alten Constantia, von dem er noch einige Flaschen im Keller hatte.

Dieser Wein in der Farbe leicht angebrannter Zwiebelschale, die Mitte zwischen Malaga und Portwein haltend, doch mit einem besonders zuckrigen Bouquet und einem Nachgeschmack von Weintrauben hatte ihn oft gestärkt und manchmal sogar seinem durch gezwungenes Fasten geschwächten Magen neue Kraft eingeflösst. Aber diese Herzstärkung, sonst treu und zuverlässig, verfehlte heut ihre Wirkung.

Nun hoffte er, dass ein linderndes Mittel die glühenden Eisen, die ihm gleichsam den Magen zerrissen, vielleicht abkühlen würde, und er nahm seine Zuflucht zu dem Nalifka, einem russischen Likör in einer mattgolden glasiertenFlasche. Aber dieser ölige und himbeerartige Saft war ebenfalls wirkungslos.

Leider! Die Zeit war fern, wo der Herzog sich noch einer guten Gesundheit erfreute, wo er in voller Hundstagshitze auf seinem Besitztum einen Schlitten bestieg und da, eingewickelt in Pelze, die er bis zur Brust hinaufzog, zu frösteln versuchte und sich sagte, indem er sich mit den Zähnen zu klappern bemühte: „Ah! dieser Wind ist eisig, man erfriert fast, man erstarrt wirklich!“ bis es ihm fast gelang, sich zu überzeugen, dass es recht bitterlich kalt sei!

Unglücklicherweise wirkten diese Mittel nicht mehr, seit seine Leiden thatsächlich überhandgenommen hatten.

Dabei blieb ihm nicht einmal die Zuflucht, zur Opiumtinktur zu greifen; denn anstatt ihn zu beruhigen, regte ihn dies schmerzstillende Mittel derartig auf, dass es ihm die Ruhe raubte.

Früher hatte er sich mit Opium und Haschisch Visionen erzeugen wollen, aber diese beiden Substanzen hatten Erbrechen und heftige nervöse Aufregungen herbeigeführt, er hatte sofort darauf verzichtet und ohne Hilfe dieser derben Reizmittelvon seinem Gehirn allein verlangt, ihn weit von dem Leben ab ins Reich der Träume zu führen.

„Welch ein Tag!“ seufzte der Herzog, sich den Hals trocknend und fühlend, dass das, was ihm noch an Kräften geblieben war, sich in neuem Schweiss auflöste. Eine fieberhafte Erregung verhinderte ihn still zu sitzen. Von neuem irrte er durch alle Zimmer, alle Sitze nacheinander versuchend.

Des Kampfes müde sank er endlich vor seinem Schreibtisch nieder. Den Ellbogen auf die Platte gestützt, bewegte er mechanisch, ohne an etwas zu denken, einen Sternhöhenmesser, der anstatt eines Briefbeschwerers auf einem Haufen Bücher und Notizen stand.

Er hatte dieses Instrument aus graviertem, vergoldetem Kupfer, aus Deutschland stammend und im siebzehnten Jahrhundert gearbeitet, bei einem Trödler in Paris gekauft nach einem Besuch des Cluny-Museum, wo er lange in Entzücken vor einem wunderbaren Astrolabium aus geschnitztem Elfenbein gestanden hatte, dessen kabbalistische Art ihn geradezu bezauberte.

Dieser Briefbeschwerer rief einen ganzen Schwarm Erinnerungen in ihm wach. Der Anblick dieser Seltenheit liess ihn vergessen, wo er sich befand, seine Gedanken schweiften zurück zu dem Trödler in Paris, der ihm das Instrument verkauft hatte.

Er sah sich im Geist wieder im Museum vor dem Astrolabium aus Elfenbein, während seine Augen fortfuhren, den Sternhöhenmesser aus Kupfer vor sich auf dem Tische zu betrachten, ohne ihn zu sehen.


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