NEUNTES KAPITEL.
Dieses Alpdrücken wiederholte sich; er fürchtete sich vor dem Einschlafen. Er blieb stundenlang auf seinem Bett ausgestreckt, bald in anhaltender Schlaflosigkeit und fieberhafter Aufregung, bald in schrecklichen Träumen, in denen er den Boden unter den Füssen verlor, eine Treppe hinunterstürzte oder in einen Abgrund fiel, ohne sich festhalten zu können.
Das während einiger Tage eingelullte Nervenleiden gewann wieder die Oberhand und trat heftiger und eigensinniger unter neuen Formen auf.
Jetzt belästigten ihn die Decken; er erstickte unter ihnen, hatte ein Kribbeln im ganzen Körper, Hitze im Blut. Ein Prickeln peinigte ihn am ganzen Leibe. Zu diesen Symptomen kam bald ein dumpfer Schmerz in den Kinnbacken hinzuund das Gefühl, als wenn seine Schläfen in einen Schraubstock gepresst würden.
Seine Befürchtungen wuchsen; unglücklicherweise fehlten die Mittel, diese hartnäckige Krankheit zu bezwingen.
Ohne Erfolg hatte er Kaltwasserapparate in seinem Ankleidezimmer herrichten zu lassen versucht. Die Unmöglichkeit, das Wasser auf die Höhe, auf der sein Haus lag, hinaufzuleiten, die Schwierigkeit, es sich in genügender Quantität zu verschaffen in einem Dorf, wo die Brunnen sparsamkeitshalber nur zu gewissen Stunden im Betrieb waren, verhinderte die Benutzung; da er sich nicht durch den Wasserstrahl peitschen lassen konnte, der, kräftig auf die Wirbelsäule gerichtet, mächtig genug war, um die Schlaflosigkeit zu bekämpfen und die Ruhe herbeizuführen, musste er sich mit kurzen Abwaschungen in seiner Badewanne oder mit einfachen Übergiessungen begnügen, worauf er sich von seinem Diener mit Pferdehaarhandschuhen frottieren liess.
Aber dieses schwache Mittel hemmte das Vorschreiten des Nervenleidens keineswegs; höchstens empfand er während einiger Stunden etwasErleichterung, übrigens teuer genug bezahlt durch die Rückfälle, die sich immer heftiger erneuerten.
Seine Unzufriedenheit nahm mehr und mehr zu; die Freude, einen seltenen Blumenflor zu besitzen, war verflogen; er war schon gegen ihre Farben und Formen abgestumpft; denn trotz aller Sorgfalt, mit der er sie pflegte, verwelkten die meisten seiner Pflanzen. Er liess sie daher aus seinen Zimmern entfernen.
Jetzt ärgerte ihn wieder bei seiner Reizbarkeit der leere Raum, den sie vorher eingenommen hatten.
Um sich zu zerstreuen und die endlosen Stunden zu töten, nahm er Zuflucht zu seinen Kupferstichen und ordnete seine Goyas. Die ersten Drucke der „Capriccios“, an ihrem rötlichen Ton erkennbar, früher einmal mit schwerem Gelde erstanden, heiterten ihn auf. Er vertiefte sich in sie, den Phantasieen des Künstlers folgend, verliebt in seine phantastischen Scenen, seine auf Katzen reitenden Hexen, seine Weiber, die da versuchen, einem Gehängten die Zähne auszureissen, seine Räuber, seine Dämonen und Zwerge.
Dann durchblätterte er alle andern Serienseiner Radierungen und Aquatintazeichnungen, seine unheimlichen „Sprichwörter“, seine wilden Kriegs-Skizzen, seinen Kupferstich des Garot, von dem er einen wunderbaren Künstlerabdruck auf dickem Papier von sichtbaren Wasserstreifen durchzogen, besonders gern hatte.
Das wilde Feuer, das herbe, stürmische Talent von Goya fesselte ihn; aber die allgemeine Bewunderung, die seine Werke erlangt hatten, brachten ihn trotzdem etwas von ihm ab, und er hatte daher davon abgesehen, sie einrahmen zu lassen, aus Furcht, dass, wenn er sie zur Schau stellte, der erste beste Einfaltspinsel es für nötig hielte, Dummheiten darüber loszulassen oder vor Entzücken ausser sich zu geraten.
Es ging ihm ebenso mit seinen Rembrandts, die er dann und wann mit heimlichem Entzücken betrachtete; denn wie die schönste Arie der Welt unausstehlich wird, sobald sie der Pöbel summt und die Strassenorgel sich ihrer bemächtigt, so wird das Kunstwerk, das den unselbständigen Künstler zur Nachahmung reizt, das die Dummköpfe loben und das sich nicht damit begnügt, die Begeisterung von wenigen zu erregen, ebenfallsfür die Kenner entweiht, banal, ja widerwärtig.
Dieses Schwanken in seiner Bewunderung war übrigens mit sein grösster Kummer; äusserliche Erfolge hatten ihm Bilder und Bücher, die ihm ehemals teuer waren, für immer verleidet; infolge des Beifalls der Stimmenmehrheit entdeckte er zuletzt Mängel, die gar nicht da waren, er wies sie zurück, indem er sich fragte, ob sein Scharfsinn sich nicht abstumpfe und ihn betrüge.
Er schloss seine Mappen und verfiel wieder einmal seinen schwankenden Gefühlen und unfruchtbaren Grübeleien. Um den Lauf seiner Gedanken zu ändern, nahm er besänftigende Lektüre zur Hand, versuchte sich das Gehirn abzukühlen. Er las die Romane von Dickens, an denen sich die Genesenden und die Unglücklichen entzücken.
Aber diese Bücher brachten die entgegengesetzten Wirkungen hervor, als er erwartet hatte: er sah nur keusch Liebende, steif gekleidete Heldinnen, die nur beim Sternenlicht lieben und sich begnügen, die Augen zu senken, zu errötenoder vor Glück zu weinen, indem sie sich die Hände drücken. Diese übertriebene Keuschheit führte ihn der entgegengesetzten Übertreibung zu; so dass er von einem Extrem ins andere fiel, sich mächtig bewegter Scenen erinnerte, an die sexuellen Beziehungen zwischen Mann und Weib und an ihre Küsse dachte.
Er unterbrach seine Lektüre und grübelte weiter über die Prüderie Englands. Er wurde von einer seltsamen Aufregung befallen. Die Zeugungsunfähigkeit seines Gehirns und seines Körpers, die er für eine permanente gehalten hatte, verschwand. Die Einsamkeit wirkte belebend auf seine Nerven. Die sinnliche Seite, seit Monaten ganz unempfindlich, war zuerst wieder durch die entnervende fromme Lektüre angeregt, dann durch die englische Ziererei zu einer Nervenkrisis gesteigert und stand jetzt in voller Blüte da; durch die Erregtheit seiner Sinne in die Vergangenheit zurückgeführt, watete er im Schmutz seiner alten Erinnerungen herum. –
Er stand auf und öffnete schwermütig eine kleine vergoldete Dose, deren Deckel mit glitzernden Steinen besetzt war.
Sie war voll von violetten Bonbons; er nahm einen heraus und ihn mit den Fingerspitzen leicht berührend, dachte er an die seltsamen Eigentümlichkeiten dieses Bonbons. Damals, als er sich seiner Impotenz klar ward, als er noch ohne Bitterkeit, ohne Bedauern, ohne neues Verlangen an das Weib dachte, legte er einen dieser Bonbons auf die Zunge, liess ihn zergehen, und plötzlich stiegen mit einer unendlichen Sanftheit verwischte Rückerinnerungen an wollüstige Ausschweifungen in ihm auf.
Diese Bonbons, von Siraudin erfunden und mit dem lächerlichen Namen „Perles de Pyrénées“ bezeichnet, enthielten einen Tropfen Sarcanthusöl. Sie drangen in die Schleimhäute ein und erinnerten ihn an die Wollust aromatischer Küsse.
Gewöhnlich lächelte er beim Einatmen dieses verliebten Aromas, das ihm ein Teilchen Nacktheit vor das geistige Auge führte und für einen Augenblick wieder das Verlangen nach dem noch vor kurzem angebeteten Geruch bestimmter Frauen in ihm rege machte.
Jetzt wirkten sie nicht mehr heimlich und leise, sie beschränkten sich nicht mehr darauf,das Bild ferner und konfuser Ausschweifungen anzufachen – im Gegenteil, die Schleier zerrissen, und vor seinen Augen entstand die verkörperte, zudringliche, brutale Wirklichkeit.
An der Spitze der Fata morgana ehemaliger Geliebten, welche der Genuss dieses Bonbons in klaren Zügen zu zeichnen half, befand sich eine mit grossen weissen Zähnen, mit einer Haut wie von rosa Atlas, die Nase wie gemeisselt, mit kleinen Mäuseaugen und kurz abgeschnittenem blonden Haar.
Sie hiess Miss Urania, war Amerikanerin und eine der berühmtesten Akrobatinnen des Cirkus, deren schön proportionierter Körper, kräftige Schenkel und Muskeln von Stahl und Eisen Aufsehen erregte.
Herzog Jean hatte sie während langer Abende aufmerksam beobachtet; die ersten Male war sie ihm wie sie wirklich war erschienen, das heisst kräftig und hübsch, aber der Wunsch, sich ihr zu nähern, packte ihn nicht; sie besass nichts, was sie der Lüsternheit eines blasierten Menschen begehrlich machen konnte, und doch ging er wieder nach dem Cirkus hin, angelockt, ohne zuwissen wovon, getrieben von einem schwer zu erklärenden Gefühl.
Während er ihre Bewegungen verfolgte, machte er eine sonderbare Beobachtung; in dem Masse, wie er ihre Geschmeidigkeit und ihre Kraft bewunderte, sah er eine Geschlechtsveränderung mit ihr vorgehen: ihre zierlichen und weiblichen Bewegungen verwischten sich mehr und mehr, während sich die gewandten und kräftigen Reize des Mannes dafür vordrängten; kurz, nachdem sie sich zuerst als Weib gezeigt, dann für eine kurze Zeit geschlechtslos gewesen war, schien sie vollständig Mann geworden zu sein. „Diese Akrobatin könnte sich, wie sich ein kräftiger Kerl in ein zartes Mädchen verliebt, auch in einen Schwächling, wie ich es bin, verlieben,“ sagte sich der Herzog; und indem er sich betrachtete und Vergleiche zog, wurde es ihm klar, dass er immer femininer wurde; und er sehnte sich nach dem Besitz dieser Frau und begehrte sie, wie sich ein bleichsüchtiges junges Mädchen wohl nach einem robusten Manne sehnt, dessen Liebkosungen sie zu erdrücken drohen.
Dieser Austausch des Geschlechtes zwischender Akrobatin und ihm begeisterte ihn. „Wir sind für einander bestimmt,“ überzeugte er sich selbst.
Eines schönen Abends entschloss er sich, die Logenschliesserin abzuschicken. Aber Miss Urania hielt es für angemessen, ihm nicht eher Gehör zu schenken, bis er ihr den üblichen Hof gemacht; doch zeigte sie sich wenig grausam, denn durch Hörensagen wusste sie, dass der Herzog des Esseintes reich war und dass sein Name genügte, um eine Frau in Mode zu bringen.
Aber sobald seine Wünsche Erhörung gefunden hatten, übertraf seine Enttäuschung alle bisherige Erfahrung. Er hatte sich die Akrobatin dumm und roh wie einen Jahrmarktsringer vorgestellt, ihre Dummheit war aber unglücklicherweise nur weiblich. Gewiss, es fehlte ihr an Erziehung und an Takt, sie hatte weder Verstand noch Geist und sie bewies bei Tisch einen tierischen Eifer, anderseits aber waren alle kindlichen Gefühle des Weibes in ihr vorhanden; sie schwatzte auch und kokettierte wie alle von ihren Albernheiten eingenommenen Frauenzimmer.
Dabei bewahrte sie im Bett eine puritanische Zurückhaltung und zeigte keine jener athletischenRoheiten, die er ersehnte, aber auch gleichzeitig fürchtete. Sie war nicht, wie er es einen Augenblick gehofft, den Aufregungen ihres Geschlechts unterworfen. Doch wenn er den Mangel ihrer Sinnlichkeit recht untersucht hätte, so würde er eine Neigung zu einem zarten, schmächtigen Wesen, zu einem ihm ganz entgegengesetzten Temperamente, einem mageren Clown, entdeckt haben.
Unglücklicherweise trat der junge Herzog wieder in die einen Moment vergessene Männerrolle zurück; seine Eindrücke von weiblicher Natur, von Schwäche, verschwanden; die Illusion war nicht mehr möglich. Miss Urania war eine ganz gewöhnliche Maitresse, die in keiner Weise den neugierigen Erwartungen des Gehirns entsprach, die sie anfangs hervorgerufen hatte.
Obgleich der Reiz ihrer weichen, frischen Haut, ihrer prächtigen Schönheit den Herzog zuerst überrascht und bei ihr zurückgehalten hatte, suchte er dieses Verhältnis schnell wieder zu lösen und den Bruch zu beschleunigen, denn seine frühzeitige Impotenz verschlimmerte sich noch bei den eisigen Liebkosungen, bei dem gezierten Wesen dieses Mädchens.
Und doch war sie die erste, die vor ihm stehen blieb bei dem ununterbrochenen Vorbeimarsch dieser wollüstigen Bilder; wenn sie sich aber schliesslich seinem Gedächtnis doch fester eingeprägt hatte als eine Menge anderer, deren Reize weniger trügerisch und deren Genüsse weniger beschränkt gewesen waren, so lag das an dem gesunden und kräftigen Geruch ihres weiblichen Körpers; dieser Überfluss an Gesundheit war das Gegenteil der Blutarmut, die man mit Parfüms auffrischte, deren feinen Geruch er in dem zarten Siraudin-Bonbon wiederfand.
Er gedachte seiner andern Geliebten. Sie drängten sich wie eine Herde in seinem Gehirn zusammen, doch alle überragte ein Weib, dessen eigentümlicher Reiz ihn während mehrerer Monate aussergewöhnlich gefesselt hatte.
Es war eine kleine, magere Brünette mit schwarzen Augen und pomadisierten Haaren, die auf dem Kopfe wie mit einem Pinsel angeklebt waren, mit einem Scheitel auf der linken Seite, der ihr das Aussehen eines Jungen gab.
Er hatte sie in einem Café-Konzert kennen gelernt, wo sie Bauchredner-Vorstellungen gab.
Zum Erstaunen der Zuschauer, die sich fast unbehaglich bei diesen Ausführungen fühlten, liess sie abwechselnd Kinder aus Pappe sprechen, die wie Orgelpfeifen auf Stühlen aufgestellt waren.
Herzog Jean war bezaubert gewesen; eine Menge von Ideen keimten in ihm auf. Zuerst beeilte er sich, die Bauchrednerin mit Haufen von Banknoten zu bändigen, da sie ihm gerade wegen des Kontrastes, den sie zu der Amerikanerin bildete, gefiel. Diese kleine Brünette brannte wie ein Krater; aber trotz all ihrer angewandten künstlichen Mittel erschöpfte sich der Herzog in wenigen Stunden; er fuhr indessen fort, sich willfährig von ihr ausziehen zu lassen, denn mehr als die Geliebte zog ihn das Phänomen an.
Endlich waren die Pläne, die er gemacht hatte, gereift.
Er liess eines Abends eine Sphinx aus schwarzem Marmor bringen, in der klassischen Stellung liegend, mit ausgestreckten Tatzen, mit steifem, geradem Kopf, und eine Chimäre aus buntem Thon, mit gesträubter Mähne, wilde Blicke werfend, mit den Strähnen ihres Schweifes ihre geschwollenen Seiten fächelnd. Er stelltedie beiden Tiere in seinem Zimmer auf und löschte die Lampen aus. Die glühenden Kohlen im Kamin glommen weiter und vergrösserten alle Gegenstände, die wie im Schatten verschwanden.
Dann streckte er sich auf dem Sofa aus, nahe seiner Geliebten, deren unbewegliches Gesicht von dem Schein der Glut erleuchtet wurde, und wartete.
Mit seltsamen Tönen und Ausdrücken, welche er sie lange und geduldig vorher hatte einüben lassen, belebte sie, ohne die Lippen zu bewegen, ohne sie nur anzusehen, die beiden Ungeheuer.
Und in der Stille der Nacht begann jetzt der wunderbare Dialog zwischen der Chimäre und der Sphinx, vorgetragen mit tiefen, rauhen Kehllauten, dann in scharfer, feiner Stimme:
„Hier, Chimäre, halte still.“
„Nie und nimmer.“
Gewiegt von der entzückenden Prosa Flauberts, hörte er schwer atmend das schreckliche Duett, und ein Schauder durchflog ihn vom Nacken bis zur Zehe, als die Chimäre die feierlichen und zauberhaften Worte ausspricht:
„Ich suche neue Wohlgerüche, prächtigere Blumen, unbekannte Genüsse.“ –
Ach! es war ihm, als ob diese Stimme zu ihm selbst, geheimnisvoll, wie in einer Beschwörung, sprach.
Das ganze Elend seiner eigenen nutzlosen Anstrengungen strömte ihm zum Herzen zurück. Sanft umfasste er das schweigende Weib wie ein ungetröstetes Kind; nicht einmal das verdriessliche Gesicht der Komödiantin beachtete er, die genötigt war, eine Scene zu spielen und ihr Handwerk noch während ihrer Mussestunden auszuüben.
Ihr Verhältnis dauerte fort, doch bald verschlimmerte sich die Schwäche des Herzogs; die Aufwallungen seines Gehirns schmolzen nicht mehr das Eis seines Körpers; die Nerven gehorchten nicht mehr seinem Willen; die leidenschaftlichen Thorheiten der Greise beherrschten ihn. Da er sich mehr und mehr bei seiner Geliebten schwach werden fühlte, nahm er seine Zuflucht zu dem wirksamsten Hilfsmittel der alten und unbeständigen Aufreizung, zu der Furcht.
Während er seine Maitresse in seinen Armenhielt, erscholl hinter der Thür eine rauhe Säuferstimme: „Wirst du gleich öffnen? Ich weiss sehr gut, dass du mit einem reichen Gimpel zusammen bist, na warte nur, du Schlange!“
Wie die Wüstlinge in der Gefahr einen Reiz empfinden und im Freien, auf den Böschungen, im Garten der Tuilerieen, im Wald oder auf einer Bank ihre Sinnlichkeit befriedigen, so fand der Herzog vorübergehend seine Kräfte wieder und stürzte sich auf die Bauchrednerin, deren Stimme hinter der Thür tobte, und empfand unerhörte Genüsse in diesem Herumstossen, in dieser Angst des Mannes, der sich in Gefahr befindet.
Unglücklicherweise waren diese Freuden von kurzer Dauer, denn trotz der enormen Summen, die er der Bauchrednerin bezahlte, verabschiedete ihn diese schliesslich und gab sich noch demselben Abend einem strammen Burschen hin, dessen Ansprüche weniger kompliziert, dessen Lenden aber kräftiger waren.
Diese Komödiantin hatte er wirklich bedauert und bei der Erinnerung an ihre Geschicklichkeit schienen ihm die andern Frauen anmutlos.
Eines Tages, da er allein in der Avenue deLatour-Maubourg spazieren ging, in seine Betrachtungen und seinen Widerwillen gegen das weibliche Geschlecht vertieft, wurde er nahe bei der Esplanade des Invalides von einem jungen Menschen angeredet, der ihn bat, ihm den kürzesten Weg nach der Rue de Babylone zu zeigen.
Herzog Jean bezeichnete ihm den Weg, welchen er einzuschlagen hatte, und da auch er die Esplanade entlang ging, so schritten sie zusammen weiter.
„Sie glauben, dass es, wenn ich links gehen würde, ein Umweg wäre,“ fuhr der junge Mann zu fragen fort, „man hatte mir gesagt, die Avenue in schräger Richtung zu verfolgen“ ... seine Stimme klang leise und schüchtern, fast bittend.
Der Herzog betrachtete ihn näher. Er schien aus dem Gymnasium gekommen zu sein, war ärmlich gekleidet, trug eine kurze Jacke aus Cheviot, eine schwarze enge Hose, niedergeschlagenen Kragen und eine lose dunkelblaue Krawatte mit weissen Punkten.
In der Hand hielt er ein Schulbuch und hatte auf dem Kopf einen runden braunen Hut mit glattem Rand.
Sein Gesicht war beunruhigend; blass und müde, doch ziemlich regelmässig und von langem, schwarzem Haar umrahmt; er hatte grosse feuchte Augen mit blauen Rändern, um die Nase herum einige Sommersprossen und einen kleinen Mund mit starken Lippen, die in der Mitte wie eine Kirsche gespalten waren.
Sie sahen sich eine Weile an, gerade ins Gesicht, dann schlug der junge Mensch die Augen nieder und kam näher; sein Arm streifte bald den des Herzogs, der seinen Schritt mässigte und nachdenklich den wiegenden Gang des Jünglings betrachtete.
Und aus dieser zufälligen Begegnung war eine Freundschaft entstanden, die sich Monate lang hinzog.
Der Herzog dachte mit Schaudern an sie zurück, niemals hatte er einen anziehenderen und herrischeren Pakt ertragen, niemals hatte er solche Gefahren gekannt und niemals noch sich so schmerzhaft befriedigt gefühlt.
Unter allen Erinnerungen, die ihn in seiner Einsamkeit bestürmten, beherrschte dieses Liebesverhältnis alle andern. –
Jetzt erwachte er aus seinen Träumereien, gebrochen, vernichtet, sterbend, und schnell alle Lichte und Lampen anzündend, hoffte er in dieser Flut von Licht weniger deutlich das dumpfe, unaufhörliche, unausstehliche Klopfen der Pulsadern zu vernehmen.