Babylonisch-Assyrische Ausgrabungen.
In unerwarteter Weise haben wir über die Kultur, der diese Sprache diente, Aufschluss erhalten durch die Ausgrabungen einer ganzen Anzahl von Tempelbibliotheken. Im Jahre 1854 entdecktenRassamundLayardim Trümmerhügel von Kujundschik, einem Dorf gegenüber Mossul, die Bibliothek Assurbanipals, das ist Sardanapal, in dem Nordpalast dieses vielleicht grössten assyrischen Fürsten zu Ninive, dessen Regierung von 668–626 fällt. Über 22000 sorgfältig gebrannte Tontäfelchen oder Stücke solcher Tafeln sind allein im British Museum geborgen. Es sind Tafeln, deren Fläche von 37 × 22 und 2,4 × 2 variiert bei einer mittleren Dicke von 2,4. Vorder- und Rückfläche, ja vielfach auch die Seitenwände sind mit sorgfältiger Schrift beschrieben; die Tafeln enthalten Löcher zur Aufnahme kleiner Holzpflöcke, mit denen die Tafeln zu Büchern aufgereiht wurden. Die Zusammensetzung ist vielfach dadurch ermöglicht, dass, ähnlich wie bei unsern Akten, das letzte, für sich stehende, Wort einer Tafel das Anfangswort der folgenden ist. Eine Anzahl Tafeln ist durch ein mit Adresse versehenes Kuvert, natürlich aus Ton, geschützt; wir haben hier den Ursprung unserer Briefkuverts. Es ist die älteste eigentliche Bibliothek, d. h. absichtliche Sammlung zur Bewahrung der Literatur und zu wissenschaftlichen Zwecken. Sehr vielfach sind sorgfältige Abdrücke älterer Schriften erhalten.
Die Ausgrabungen von Nippur.
1874 fanden Araber in Babylon mehr als 3000 beschriebene Tontafeln geschäftlichen Inhalts, 1881 entdeckteRassamdie Ruinen von Sepharwaim und fand bei Ausgrabungen des Sonnentempels das Archiv, das aus Tonzylindern und über 50000 allerdings sehr schlecht gebrannten Tontafeln bestand. Und die Ausgrabungen der Pennsylvania Universität Philadelphia von 1889 an haben bereits zwei grosse Bibliotheken in Nippur zutage gefördert, wo das älteste grosse Landes-Heiligtum des Bel matâti,des Herrn der Länder,ekur, das Haus des Berges, stand. Die bedeutendere über 3 Jahrtausende v. Chr. alte, ist durch den schon erwähnten Einfall der Elamiten gewaltsam zerstört, während die jüngere auf schlecht gebrannten Tafeln, neubabylonisch, allmählich in Verfall geraten ist. Über 23000 Tafeln sind geborgen und dabei sind erst 80 Zimmer oder etwa1/12der Bibliothek ausgegraben worden. Aus einer Reihe von Anzeichen im Boden schliesstHilprecht, der Leiter der Ausgrabungen, dass in der untersten Schicht der Hügel noch eine ältere vor Sargon, d. h. vor 3000 entstandene Bibliothek verborgen liegt. Hilprecht bezeichnet die Bibliothek geradezu als Universität, die sogar nach Fakultäten gegliedert war; eine Anzahl Säle enthielt die philologische Abteilung, eine andere die astrologisch-astronomische, wieder eine andere die technische etc. Im untersten Grund des Tempelturmes fand Hilprecht vorzüglich erhalten aus dem 5. oder 4. Jahrtausend v. Chr. eine Kanalisations-Einrichtung, die die unseren beschämt. In mächtigenTonnengewölben, die noch den Römern unbekannt waren, eingebettet in eine Art Zement, zwei Tonrohrleitungen mit Knie- und T-Stücken, so dass jedeReparatur ohne Belästigung des Publikums vorgenommen werden konnte.
Turm zu Borsippa.
Turm zu Borsippa.
Tempelanlage, Priesterausbildung.
Eine solche Tempelanlage bestand aus dem in Terrassen gelegentlich auch mit Rampen in 7 Etagen aufgeführten hohen Turme; ich erinnere an den Turm zu Borsippa (vgl. Abbildung), zu Babel, den Esagila, auf dessen Höhe der Gott wohnt, in dessen Mitte die Menschen verkehrten und der unten mit der Unterwelt zusammenhing. Daran schloss sich der Palast der Priesterfürsten und die besonderen Gebäude der Unterrichtsanstalten, das Archiv, die Verwaltungsgebäude. Ein solcher Tempel war nicht nur Kultstätte, nationales Heiligtum, Sitz der Fürsten, sondern Landgut und Fabrik, Bank, Archiv und Handelshaus. Die Tempel waren stets nach den 4 Himmelsgegenden genau ausgerichtet, daher bedeutet das Richtungszeichen (s. o.) auch Tempelfundament und dasgunierteZeichenSymboldie Erde selbst als das grosse Fundament, da nach der Babylonischen Weltschöpfungssage die Erde nach den 4 Kardinalpunkten ausgerichtet ist.
Tonnengewölbe der Kanalisation von Nippur.
Tonnengewölbe der Kanalisation von Nippur.
Wie sorgfältig der Unterricht war, und wie mühsam die Vorbereitung eines jungen Priesters, davon können wir, die über Überbürdung klagen bei unserm bisschen Unterricht, uns kaum eine Vorstellung machen.Schrift und Sprache allein würden kaum von uns heutigen bewältigt; hunderte von Schriftzeichen, die zusammen in mehr denn 12000 verschiedenen Anwendungen gebraucht wurden, die alle den Adepten geläufig sein mussten; das Schreiben selbst schon so viel umständlicher. — Zu den wichtigsten Entdeckungen gehören auch die bei Ägypten besprochenen Funde von Tell Amarna 1888.
Hochrelief Urnina, König von Telloh und seine Familie.
Hochrelief Urnina, König von Telloh und seine Familie.
Babylonisch-Assyrische Kunst.
DieKunstzeigt ganz analoge Entwicklung wie die ägyptische. Von naturalistischen Anfängen wo die Kalamones, das Rohrgeflecht der Euphrat- und Tigrismündung als Vorbild dienten, eine rasche Entwicklung; dann ein Sinken, und wieder ein Emporblühen. Die erste Blütezeit entwickelt sich etwa in 200 Jahren; altsumerisch bezeichnet den Anfang etwa das HochreliefUrnina, König von Telloh etwas vor 3000, und seiner Familie; der verhältnismässig riesengrosse König, links, trägt auf demKopf in einem Korbe Erde zum Bau seines Tempels herbei (vgl. Abb.). Die genauere Erklärung bei E. Meyer l. c. p. 77 ff. Die nächste Stufe wird verdeutlicht durch die berühmteGeierstele(vgl. Abb.), welche den Sieg eines Vorgängers von Gudea, des Eannatum über die feindlichen Nachbarn von Gishu darstellt, vgl. Meyer p. 82. ff. Es wird die Hilfe des Lokalgottes von Telloh, des Ningirsu, verherrlicht, das Relief zeigt grosse Fortschritte, sowohl in der Komposition als in der Technik des Hochrelief. Unter semitischem Einfluss erhebt sich die Kunst zu der Höhe,welche sie unter Sargon und Naramsin erreicht, wofür die herrliche Siegesstele des Naramsin, von den Franzosen unter de Morgan in Susa gefunden, der vollgültige Beweis ist, vgl. Meyer p. 10 ff. Diese Blüte semitischer Kunst beeinflusst auch die sumerische, wofür die Fundstücke aus der Periode Gudeas zeugen. Im Gegensatz zu dem Mangel an Proportionen bei den Sumerern sind die Gestalten schlank und proportional, und die Technikdes Relief steht auf grösster künstlerischer Höhe.
Rückseite der Geierstele.
Rückseite der Geierstele.
Vorderseite der Geierstele.
Vorderseite der Geierstele.
Relief von den Bronzetüren aus Balawat.
Relief von den Bronzetüren aus Balawat.
Diese Blüte hält an bis aufChammurabiund seine nächsten Nachfolger, die Könige von Sumer und Accad. Aber mit dem Sinken der Macht dieses altbabylonischen Reiches sinkt auch die Kunst, um dann unter der Assyrischen Macht neu emporzublühen, etwa von Nebukadnezar I., von 1150 an, sie erreicht unter Sargon II. und Sanherib ihre Höhe, und hält sich auf dieser bis Sardanapal bis etwa 600. Ich führe als Beispiel hier die Bronzetüren Salmanassar II. aus Balawat (vgl. Abb.), ferner den UrkundensteinKudurru, aus dem Berliner Museum, der die Belehnung des Magnaten Bel-ache-irbâ seitens des Königs Mardukbaliddin II. 715 darstellt (vgl. Abbildung). Meyer findet in diesem Stein den semitischen Typus am reinsten ausgeprägt. Dazu die Dämonen (vgl. Abbildung), Engel- und Tierkolosse, die wunderbaren Mosaiken der Fussböden in den Palästen von Khorsabad (vgl. Abb.), und vor allem die herrlichen Tiergestalten in bunter Mosaik aus der Zeit Nebukadnezar II., Sargons etc.
Mosaik aus dem Palaste Sargon II.
Mosaik aus dem Palaste Sargon II.
Babylonisch-Assyrische Wissenschaft.
Wie es mit der Wissenschaft steht, bleibt noch zu untersuchen. Von der Rechtswissenschaft wissen wir, dass sie sich bedeutend entwickelt hatte, insbesondere das Handelsrecht stand auf einer Höhe, die demrömischen nichts nachgibt. Wir kennen die Siegel und Namen grosser Handelsfirmen wie Egibi und Söhne am Euphrat zur Zeit Nebukadnezars und die Firma Maraschi Söhne zu Nippur zur Zeit Ezras und Nehemias. Wir wissen, dass sie Filialen in allen Grossstädten hatten, und dass der Schekverkehr, unsere neueste Errungenschaft, bei den babylonischen Grossfirmen gang und gäbe war.
Belehnung des Belacheirba durch König Mardukbaliddin II.
Belehnung des Belacheirba durch König Mardukbaliddin II.
Medizin, Mathematik.
Aus den Beiträgen zur Kenntnis der assyrisch-babylonischen Medizin vonF. Küchler(Assyrische Bibliothek von Delitzsch und Haupt XVIII 1904) sehen wir, dass die Priesterärzte, abgesehen von den üblichen Beschwörungen, Omina etc. über eine sehr ausgedehnte Pharmazie geboten. Es ist bekannt, dassdie griechische Heilkunst stark von der babylonischen beeinflusst ist, und auf Hippokrates geht unsere Medizin zurück. Unser altes Apothekergewicht Gran, Skrupel geht auf Babylon zurück (vgl. Küchler S. 84 ši'u). Geht doch auch Stab und Ring unserer Bischöfe auf altbabylonische Götterdarstellungen zurück (Winkler, die Gesetze Hammurabis 1904 p. VI).
Eine neue Ausgabe des Theophrast ist in Vorbereitung und hoffentlich wird man auf dem Umweg über die Griechische einigen Aufschluss über die Babylonische Pharmakologie erhalten.
Wenden wir uns nun zur Mathematik der Babylonier, so müssen wir sagen, dass von reiner Mathematik bis jetzt verhältnismässig wenig entziffert ist. Das wichtigste sind die sogenanntenTafeln von Senkereh(Larsa) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., de facto eine in zwei Stücke zerbrochene Tafel; die astronomischen Bücher aus der königlich Sardanapalschen Bibliothek und die 1 × 1 Tabellen von Nippur. Hilprecht sagt: »in geradezu staunenswerter Weise wurde das 1 × 1 geübt.«
Dämon mit Flügeln.
Dämon mit Flügeln.
M. H. In unserer Kulturgeschichte wird es als hohes wissenschaftliches Verdienst des Petrus de Dacia, Rektors der Sorbonne vom Jahre 1328 gerühmt, das 1 × 1 bis zu 50 × 50fortgesetzt zu haben, undHilprechtversichert, dass er in der im 3. Jahrtausend zerstörten Bibliothek Tafeln des 1 × 1 bis 1350 in der Hand gehabt hat. Das kleine 1 × 1 ging bis zur 60 (s. p. 113 ff.).
Bruchstücke der Geierstele, Vorderseite.
Bruchstücke der Geierstele, Vorderseite.
Münz-, Mass- und Gewichtssystem.
Uns sind zwei Zahlsysteme bekannt; das eine ist rein dekadisch, das andere, ältere, ist sexagesimal und hängt auf das genaueste mit dem babylonischen Gewichts-, Münz- und Masssystem zusammen, dessen Einteilung uns in der Tafel von Senkereh und in zahlreichen griechischen, römischen und jüdischen Quellen enthalten ist. Es ist ja die Bibel erst nach der babylonischen Gefangenschaft redigiert und zeigt in allen Namen der Masse und Gewichte babylonischen Einfluss. Seit der grosse PhilologeAugust Boeckhdas Münz- und Gewichtssystem der Römer erschlossen und in der vergleichenden Betrachtung derMasse ein wichtiges Mittel erkannt hat um den Handels- und sonstigen Verkehr der Völker zu erkennen, haben eine Reihe von Forschern, ich nenneBrandis,Ginzel,Lehmannund vor allenBoeckhselbst dargetan, dass die Wiege der Messkunst in Babylon steht, und die Masse der Babylonier in ausgedehntester Weise bis zum Metersystem Gültigkeit hatten, ja, zum Teil heute noch gelten. (cf.C. F. Lehmann, das altbabylonische Mass- und Gewichtssystem als Grundlagen des antiken Gewichts-, Münz- und Masssystem. 8. intern. Orient. Kongress, Bastiansche Zeitschrift für Ethnologie 1889. Verh. der Berl. anthrop. Gesellschaft 1889. Als selbst. Schrift Leiden 1893.)
Gewicht in Löwenform.
Gewicht in Löwenform.
Die Babylonier hatten vor 5000 Jahren ein geschlossenes Masssystem, das in seiner Anlage unserm metrischen System sehr ähnlich war. Wie bei uns das Zehntel des Meters die Kante des Würfels bildet, der einLiterfasst und der mit destilliertem Wasser von 4° C. gefüllt bei der Wägung dasKilogrammgibt, so ist das Zehntel der babylonischen Doppelelle die Basis des Hohlmasses, dessen Wassergewicht die Mine gibt. Es sind uns künstlerisch geformte Gewichte in Eisen- und Bronzearbeit mit Entenform und Eberköpfen und besonders in Löwenform und ausserdem einige justierte Gewichte erhalten.
a) Früher Eigentum des Dr. Blau: Ein sehr harter dunkelgrüner Stein sehr sorgfältig geglättet, oval, der in altbabylonischer Keilschrift und in sumerischer Sprache (die ja auch idiographisch als babylonisch-assyrisch gelesen werden kann) die Inschrift hat:
12ma na gina— gal (mulu)dingirigima naMenschGottAugeMine
d. h.12Mine richtig, der Diener des Gottes, der das Auge auf der Mine hat.
Metrologie.
Die Masse unterstanden göttlichem Schutz; in Athen waren die Normalmasse auf der Akropolis; in Rom auf dem Kapitol und im Tempel der Juno moneta verwahrt (Generalaichamt).
b) In der Vorderasiatischen Abteilung des Berliner Museums aus demselben Material16Mine, Inschrift unentzifferbar.
c) Das Gewicht der amerikanischen Wolfe Expedition 1885 (Americ. Orient. Soc. Proceedings at New York 1885), das die bei den sogenannten Zylindern mit Bau- und Weihinschriften übliche Fässchenform hat, aus gleichem Material, es wiegt fast genau doppelt soviel wie b, ist also13Mine und das bestätigt die Inschrift:
1)13Ṭu gina, 2) e—kalmNabû — sum — esir (?), 3) ablimDa—lat (?), 4) .... pāte—is—si ili Marduk
d. i.13[Mine in] Schekel [n] [ausgedrückt] Palast des Nab., Sohnes des D., Fürstpriester des Marduk (Lehmann, Verh. der Berl. anthrop. Gesellschaft 1891; J. Oppert, L'étalon des mesures assyr., Extrait du journal asiat. Paris 1875).
Die Gewichte in Entenform sind erheblich ungenauer, aber als Durchschnittsgewicht ergibt sich 491,2 Gramm für die leichte Mine, 982,4 für die schwere. Indem man die Kubikwurzel aus 982,4 zieht, ergibt sich für die 10fache Wurzel, das ist die Doppelelle 992,35 mm. Nun ist die Länge des Sekundenpendels für den 31. Breitengrad 992,35 mm, und nach der Hypothese Lehmanns, welche Helmholtz plausibel erschien, hatten die Babylonier zur Zeit Gudeas den Gedanken Huygens,die Länge des Sekundenpendels als natürliches Längenmass zu verwerten, schon vorweggenommen. Als Bestätigung der von Lehmann gegebenen sogenannten »gemeinen Norm« dient dann eine Ende des Jahres 1893 in Babylon zum Vorschein gekommene ganze Mine, die nach ihrer Legende eine Kopie aus der Zeit Nebukadnezar II. 607–561 nach einer Mine aus der Regierungszeit Dungis ist, des ältesten erreichbaren Königs eines grossen Teils von Babylon etwa um 3200; die Mine, welche sich jetzt im British Museum befindet, hat ein Gewicht von 979,2 Gramm.
Die meisten und wichtigsten antiken Gewichte sind direkte Abkömmlinge der babylonischen gemeinen Norm, bezw. der daraus gebildeten Silbermine, welche109der Gewichtsmine ist.
schwerleichtTeilbetrag6060;Gewichtsmine982,4491,2"5060;Goldmine818,6409,3"5045;babyl. Silbermine1091,5545,8"100135;phöniz. Silbermine727,6363,8ägypt. Goldmine409,31babyl. Silbermine = 6 ägypt. Pfund à 10 Lot.
Die römisch-athenische Elle =109der babylonischen gemeinen Elle, der Fuss =23Elle und der Schritt = 5 Fuss = 123Elle = 112babylonischen Elle.
Wir rechnen heute 114 Schritt in der Minute für die deutsche Armee, die Babylonier 120 Schritt = 180 Ellen,also auf die Doppelminute360 Ellen.
J. Brandis: das Münz-, Mass- und Gewichtssystem in Vorderasien bis auf Alexander den Grossen, Berlin 1866. Brandis setzt das Wertverhältnis des Goldes zu Silber bei den Babyloniern wie 40:3 = 360:27 (wie Jahr:Monat).
Die Tafel von Senkereh und das Zahlsystem.
Die Tafel von Senkereh.
Im Jahre 1854 fand der IngenieurW. K. Loftusin den Ruinen von Larsam beim heutigen Senkereh eine leider starkverstümmelte Tafel, die aber doch für die Kenntnis des Zahl- und Masssystems von grösster Wichtigkeit geworden ist.
Die Tafel von Senkereh enthält auf der Rückseite drei Kolonnen: a) die Zahlen von 1–39 mit ihren Quadraten, b) die Zahlen der Quadrate mit ihren Wurzeln 1–39, c) die Kubikzahlen von 1–39. Zu b ist in Kujundschik, der Residenz Salmanassars eine Ergänzung gefunden, welche die Quadrate der Zahlen von 44–60 enthält. — Auf der Vorderseite ist, stark verstümmelt in Kolonne I und II eine Tabelle, die nach Finger, Ellen und deren Vielfachen bis zu 2 Kaspu fortschreitet; Kol. III und IV enthält dann eine Tabelle, die zwei Masssysteme vergleicht, deren erstes die gewöhnlichen Bezeichnungen des Längenmasses trägt, während die zweite nur in unbenannten Zahlen fortschreitet.
Zahlsystem.
Ehe ich auf die Erklärung der Tabelle eingehe, muss ich über das babylonische Zahlsystem sprechen. Es sind zwei Zahlsysteme in Gebrauch, das eine dekadisch, das andere ältere sexagesimal, das bei Massen und in der Astronomie sich erhalten hat. Es ist möglich, dass die dekadisch Zählenden die Semiten, und die Sexagesimalen die Sumerer waren. Nach Lehmanns Angaben über die sumerischen Zahlzeichen, die z. B. 7 als 5 + 2 wiedergeben, kann ein Fünfer-System das ursprüngliche der Sumerer gewesen sein, und das Sexagesimalsystem sich von den grossen wissenschaftlichen Zentren aus als ursprünglich gelehrte Schöpfung zunächst auf die Gebildeten und die Priester verbreitet haben, aus denen sich die Schreiber (Staatsbeamten) und Handelsherren rekrutierten.
Sie hatten nur zwei Ziffern, den einfachen Keil für eins, istan, isten als Zahlwort ist, aus dessen Häufung die Einer gebildet werden, undSymbol10 esru, Plural esrit; dazu kommt später das gemeinsame semitische (auch ägyptische) Zahlwort me 100 geschriebenSymbol.
Symbolist eins und die Einer werden durch den betreffendenHaufen von Keilen gebildet; z. B.Symbolsi-ba sibista, die Zehner durch eben solche Haufen der Zahl 10Symbolesru esertu, eserte esrit, also 11Symbolisten ésrit.
1 isten, 2 sina, 5 hamsu, 100 mêSymbol, 1000 für das wir bislang kein Zahlwort haben als 10 · 100Symbol. Dies ist aber zu einem eignen Zahlzeichen geworden,Symbolist nicht 2000 sondern 10 · 1000 = 10000 undSymbolwürde 100000 sein.
Das zweite System hat zur Einteilungszahl 60 und seine Übereinheiten wie 602, 603, seine Untereinheit ist160, deren Untereinheit1602, die Eins wird, wie sie bei uns als 100, so hier als 600angesehen. Alle diese Zahlen drückt dasselbe Zeichen aus, der einfache Keil, und die Bedeutung ergibt sich wie in unserm sogn. indisch-arabischen System durchPosition.
Die 60 heisst sussu (Schock), σωσσος der Hellenen, soss assyrisch,Symbol, die 602heisst Sar, Saros der HellenenSymbol.
Daneben gibt es Einheiten II. Klasse, wie sieLehmannnennt.
60360260160160236000sar60010161360121600oderner6
für 600 ist ein eignes ZahlwortSymbolner durchaus belegt und volkstümlich gewesen; so ist
Symbol= 672 = 11 · 60 + 12.
Das magische Quadrat.
Als interessantestes Beispiel altchaldäischer Rechnung gebe ich Ihnen die Bildung des Quadrats von 653 nach einer vonJ. Oppertedierten magischen Tafel, welche aus der gleichen Zeit stammt (Zeitschrift für Assyriologie 1903 Bd. 17 pag. 60).Die Zahl 653 ist unter dem Namen Sulbâr = Ewigkeit die magische Zahl κατ' εξοχήν;
5 · 653 = 3265 ist die Phönixperiode; 653 ist gleich 292 + 361 und 5 · 292 = 1460 ist die Sothisperiode; 5 · 361 = 1805 ist die Lunarperiode. Ich bemerke, dass die hohe Wertung der Zahl 653 ein Argument für ein ursprüngliches Fünfersystem (wie bei den Azteken) ist.
Die Rechnung gestaltet sich wie folgt:
1)SymbolSymbol6 Soss 40 idem (4002)44 Sar 26 Soss 40 = 1600002)SymbolSymbol2 Soss 2 · 2 Soss 2 = 12224 Sar 8 Soss 4 = 148843)SymbolSymbol3030/60· 3027/6015 Soss 29 = 9294)SymbolSymbol1 Soss 54 · 14 Soss 2427 Sar 21 Soss 36 = 984965)SymbolSymbol6 Soss 30 idem42 Sar 15 Soss = 1521006)SymbolSymbolSumme 2 Soss minus 2 Sar 2 Ner 6 Soss 49von welcher Zahl ist es das Quadrat.Also: 118 · 602+ 2 · 600 · 6 · 60 + 49 = 426409.7)SymbolSymbol(Von) 6 5 3(ist es das) Quadrat.
Also: 6532= 426409 ist zerlegt in:
4002=1600001222=148843012· 30920=929114 · 864=984963902=152100
Die Tafel von Senkereh.
Ehe ich diese Rechnung weiter bespreche, möchte ich Ihnen die Tafel von Senkereh in 4facher Vergrösserung aus dem grossen und kostbaren Rawlinson'schen Werke vorführen und Sie auf gewisse Eigentümlichkeiten der Tafel aufmerksam machen. Leider steht mir nur die erste Auflage und nicht die wesentlich veränderte zweite Auflage zur Verfügung. Sie sehen in der Tabelle No. 2 die Tafel der Quadrate der Zahlen von 1–60 mit einer Lücke von 25–44, so dass das Quadrat voransteht, d. h. also die Tabelle ist zum Wurzelziehen eingerichtet und daneben zum Quadrieren. Die Tabelle, welche die Überschrift Reverse trägt, ist eine Tafel der Kubikzahlen von 1–32. Die wichtigste Tafel, die (irrtümlich) die Überschrift Obverse trägt, ist die rechte Tabelle, die für die Metrologie von entscheidender Bedeutung geworden.
Nun sehen Sie, bitte, mal hierSymbol(3) und dortSymbol(121) und bedenken Sie die 4fache Vergrösserung, dann werden Sie sehen, welche Übung und Schärfe nötig war um die, wie Sie schon an dem Beispiel 653 gesehen haben und wie bei der Besprechung der Astronomie noch deutlicher hervorgehen wird, recht komplizierten Rechnungen auszuführen mit einem System von 2 Ziffern; es ist klar, dass sehr ausgedehnte Tabellen diesen Rechnern völlig geläufig sein mussten. Kritisch würde die Sache bei 61 sein, aber ich vermute, denn die Zahl ist m. W. nicht gefunden, sie würden ebenso wie sie dortSymbol120 sehen, ganz ruhig geschrieben habenSymbolund es dem Scharfsinn des Lesers überlassen haben darin 60 + 1 oder 1 + 1 zu sehen.
Die magische Rechnung.
Ich komme nun auf unsere magische Tafel und die Rechnung zurück. Berossus und Eusebios von Cäsarea berichten uns, dass die Chaldäer ihre heroische Zeit auf 60 · 653 geschätzt haben, die Bibel gibt von Erschaffung der Welt bis auf Abraham 292 Jahre und von Abraham bis zum Ende der Genesis 361, macht 653 Jahre. Gerade diese beiden Bestandteile der Zahl sind das, was sie zur magischen Zahl gemacht hat. 5 · 292 =1460 ist die Sothisperiode, die Anzahl der Jahre, die vergeht bis der Anfang des bürgerlichen Jahres zu 365 Tagen mit dem heliakischen (heliakisch = Aufgang in der Morgendämmerung) Aufgang des Sirius zusammenfällt und 1805 oder 5 · 361 Jahre ist die Lunarperiode, die Zahl der Jahre, nach welcher der Mond immer wieder die gleiche Stellung einnimmt sowohl im Vergleich zu den Jahreszeiten als auch in seinem Abstand von der Sonne (Phasen), in bezug auf das Eintreten der Finsternisse als auch in seiner Beziehung zu den Sternen.
Nimmt man das tropische Jahr der Babylonier zu 365d2475, so sind:
1805a= 659271dferner:
22325 synod. Monate = 659270d(Neulicht zu Neulicht)24227 draconische Mon. = 659271d(Rückkehr zum Knotenpunkt)24130 Siderische Mon. = 659271 (Rückkehr d. Mondes z. Fixstern).
Ich will auf das Exempel noch weiter eingehen, es ist nachOppertein klassisches Beispiel altchaldäischer Zahlenmystik, die unter dem Namen der Kabbala bis in die neueste Zeit, ja noch heute unter den Juden Galiziens im Schwange ist. Die Zahl und Rechnung spielten im Kulturleben der Babylonier eine enorme Rolle, jeder Gott hat seine eigene Zahl, z. B. Bel das SymbolSymbol, d. h. Gott, dem die 20 zukommt, Marduk als Stier des Tierkreises repräsentiert dieSymbol, die Zahl der Zeichen die er anführt. Sin des Mondes Gott hat dieSymbolvielleicht weil er in ältester Zeit der Hauptgott, wahrscheinlich wegen des Monats von 30 Tagen, die Engel-Brüche etc. Die Horoskope, die ja auch babylonischen Ursprungs sind, sind ein Ausfluss solcher Zahlenmystik, die sich von Babylon aus über die ganze Welt verbreitet hat. Wer unter Ihnen bibelfest ist, wird sich an die Kabbala im Daniel erinnern (s. u. Pythagoräer).
Wir haben bereits eine grosse Anzahl solcher magischer Tafeln und sehen, wie wir auch an unserm Beispiel nachweisenkönnen, darin die Anfänge der wissenschaftlichen Zahlentheorie, man vergleiche Astronomie und Astrologie.
Unter den wenigen aus Khorsabad geretteten Inschriften haben wir glücklicherweise die Angabe des Sargon II. über die von ihm gegründete Stadt Dar Sarkim- (Khorsabad von E. Botta 1842–45). Die Mauer war rechteckig, sie hat 1647 auf 1750m. Keine Halle, kein Zimmer, kein Stadtplan durfte aus religiöser Scheu rein quadratisch sein; dies scheint als eine Verletzung der Ehrfurcht gegen den Gott gegolten zu haben, bei dem Allerheiligsten war eine sehr enge Annäherung an das Quadrat gestattet. In der Inschrift von Khorsabad gibt Sarkin nun an, dass der Umfang der Mauer die Zahl seines Namens sei; dieser Name ist sar Fürst und kin das wir allenfalls mit mächtig wiedergeben können; sar entsprach der Zahl 20 und kin 40; und misst man den Umfang aus, so findet sich, dass er 20 · 3265+40 · 1460 Spannen, d. h. also die Stadt sollte 20 Phönix- und 40 Sothisperioden überdauern.
»In unserer Tafel haben wir es nun mit einem zyklischen Flächenraum zu tun, 6532, und dies ist in Quadrate zerlegt bis auf 99425, das in zwei Rechtecke zerlegt ist, das ist auffallend, da doch
99425 = 3112+ 522; 3052+ 802; 2922+ 1192; 2842+ 1372; 2802+ 1452; 2472+ 1962
und keine dieser Möglichkeiten den Chaldäern unbekannt sein konnte, die mit der Zerlegung von Quadraten vollkommen vertraut waren.« Ich halte es für äusserst wahrscheinlich, dass der Pythagoras bereits den Chaldäern bekannt war und von ihnen nach Indien gekommen ist. Die Ausschliessungen aller der Zerlegungen muss also ihren guten Grund gehabt haben.
Die Zahlenmystik auf Tempel-Grundrisse angewandt.
Es handelt sich um ein schwieriges arithmetisches Problem: »Ein heiliges Quadrat von 653 so zu zerlegen, dass der Umfang der Figur eine Zahl von Phönix- und Sothisperioden und die Tiefe eine ganze Lunarperiode darstellt.« Demgemäss würde der Tempel folgendermassen angelegt (nach Oppert). EinVorhof von 400 Ellen im Geviert, mit einer Öffnung von 16 Ellen, einer Vorhalle desgleichen von 122, eine kleine heilige Stelle von 3012auf 30920, danach ein langer Gang von 869 auf 114, eine quadratische Endhalle von 390. Die Tiefe ergibt 1806, was unmerklich von 1805, der Lunarperiode, abweicht, den Umfang findet Oppert, mittelst der Öffnung zu 5086 = 6 · 653 + 4 · 292. Meine Berechnung ergibt aber nur 5071 und für das gesamte Mauerwerk 5429. Die erste Zahl kann mit 2 Öffnungen hinten und vorn auf die Summe von 5 Phönix- und 6 Sothis-Perioden reduziert werden, wodurch die heilige Zahl des Marduk ihre Ehrung findet, die letztere (unwahrscheinlichere) auf 1 Phönix- und 3 Sothisperioden mit Zusatz von 8 Ellen für einen Eingangsvorbau.
Tempel-Grundriss des Sargon.
Tempel-Grundriss des Sargon.
Als sehr interessantes Beispiel der Zahlenschreibung hebe ich Zeile 6 aus der von J. Oppert 1903 behandelten magischen Quadrattafel hervor, wo sich vorne das von Oppert ergänzte Summenzeichen tabSymbolfindet, die 118 sar geschrieben werden als 120 - 2, mit dem Minuszeichen lal, die beiden ner nichtSymbolsondernSymbolwiedergegeben sind, und das Wortzeichen fürIbdi, Quadrat,Symbol, welches selbst in seiner neuassyrischen Form deutlich die Kombination von Zusammenfassung und Zwei bekundet, wie das Zeichen von Kubus, Badie, sich durch drei innere Striche kennzeichnet.
Über das Vorkommen der 0; Entstehung des Sexagesimalsystems.
Es drängt sich hier die Frage auf nach der 0, denn das ist ja noch das einzige, was für die Inder zu retten wäre, da der Gedanke die Potenzen der Grundzahl durch den Stellenwert der Ziffer zu kennzeichnen, wie Sie gesehen haben, altbabylonisch ist und auf die ältesten Zeiten der Völker von Sumer und Accad zurückgeht. Da geben nun die Tafeln von Senkereh keinen Aufschluss, denn weder unter den Quadratzahlen noch unter denKubikzahlen der Tafel kommt eine Zahl vor, welche die 0 in der Mitte verlangte. Aber in den Stimmen von Maria Laach haben die beiden PatresS. J. StrassmaierundEppingeine sehr schöne Arbeit veröffentlicht »Astronomisches aus Babylon« oder »Das Wissen der Chaldäer über den gestirnten Himmel«; hier kommt der Fall der 0 des öfteren vor, da ist nun meist die 0 aus der Lücke zu erkennen wie auch sonst, aber es kommt auch dafür das ZeichenSymbol, genannt derTrenner, vor. Mit diesem Zeichen für die Null ist die Möglichkeit näher gerückt, dass die 0 babylonisch ist. Es spricht allerdings wieder manches dagegen, so schreibt der Babylonier 2 meistSymbolund nichtSymbolund 61 wird durch (soss) d. h.Symbolwiedergegeben und z. B. 120 kommt bis dato nicht in der FormSymbolvor, stattSymboloderSymbol.
Ursprung des Sexagesimalsystems.
Nun, meine Herren, lassen Sie uns die allerinteressanteste Frage berühren: wie ist das Sexagesimalsystem entstanden?
Da waren nun bis vor kurzem alle Autoritäten, vor allenM. Cantordarin einig, dass es vom Himmel stamme, d. h. nicht bildlich sondern physisch, und dass es auf das Engste mit der Teilung des Kreises in 360 Teile, die als altbabylonisch feststeht, zusammen hänge. Nach dem Vorgang eines ItalienersFormaleonivon 1788 nahm auch M. Cantor 100 Jahre später an, die Quelle der Kreisteilung in 360 sei ein uralter grober Irrtum der Babylonier über das Sonnenjahr gewesen. Diese schärfsten aller Himmelsbeobachter, deren ganzes Leben seit uralter Zeit unter dem Einfluss der himmlischen Konstellationen stand, deren ganzer Kult ein Kult der Sonne, des Mondes und der Sterne, der Naturerscheinungen insgesamt war, die hätten einen Irrtum, der so grob war, dass er in 8 Jahren 42 Tage betrug, nicht eher gemerkt, als bis sie ihr ganzes Mass-, Münz- und Gewichtssystem darauf zugeschnitten. Cantor meint nun, sie seien zur 60 gekommen von der Kreisteilung aus, auf der Suche nach einerpassenden Untereinheit hätten sie den Radius als Sehne in den Kreis getragen und dabei gefunden, dass er1/6des Kreises gleich 60 Grad spanne, und da hätten wir ja glücklich die 60!
WennLetronne, Journal des savants étrangers 1817 diese Hypothese aufstellte, so konnte man diesen Versuch anerkennen.
Bis etwa 1900 nahmen die Assyriologen diese Erklärung gedankenlos hin; sie hatten so viele schwierige Probleme, dass sie das geringe mathematische Material zunächst beiseite liessen. Wurde doch das Sexagesimalsystem erst nach 1854 vonE. Hincksentdeckt. In dem von ihm behandelten Mondtäfelchen (Irish academy) handelt es sich um die in 15 auf den Neumond folgenden Tagen sichtbar werdenden Teile des Mondes.
Es seien, heisst es, an diesen 15 Tagen der Reihe nach sichtbar:
5102040120136152282242402563123283444
Hincks nahm an, dass die Mondscheibe in 240 Teile zerlegt gedacht sei und die weiter nach links stehende Zahl 1.60 2.60 etc. bedeutete und die Beobachtungszahlen in den ersten 5 Tagen einer geometrischen, in den folgenden 10 Tagen einer arithmetischen Reihe folgen. Nebenbei bemerkt ist es nicht unwichtig hier eine Kreisteilung in 4 Quadranten und jeden Quadranten in 60 Teile geteilt zu finden, denn damit ist der astronomische Ursprung des Grades verurteilt. Die Erklärung Hincks wurde dann zuerst 1854 durch die Tafeln von Senkereh und dann immer mehr bestätigt. Um 1900 wendeten sich gleichzeitig drei AssyriologenMahler,Ginzel,Lehmanngegen den Ursprung des Systems aus der Jahresbewegung.Mahlermachte höchst zutreffend darauf aufmerksam, dass das Jahr sich überhaupt nicht zum Massentnehmen eigene, die Babylonier schon so lange die Denkmäler reichen mit der Zahl 365,2(4) der Tage vertraut waren und wie auch die Ägypter ein eigenes Fest der 5 Extratage feierten. Er wies darauf hin, dass die tägliche Bewegungden Lichttag als Hälfte und Vor- und Nachmittag einen Vierteltag ergäbe.
Noch ansprechender war die HypotheseLehmanns, dass die Babylonier beobachtet hätten, dass der Sonnendurchmesser1720der Ekliptik und jedes Tierkreisbild112und damit das Verhältnis160gewonnen sei. Leider stimmt die Sache nicht. Die Wasseruhr war den Babyloniern bekannt und mit ihrer Hilfe wurde der Sonnendurchmesser zu 32′ 6″ bestimmt. Nebenbei bemerkt, ist die genaue Bestimmung eines der diffizilsten astronomischen Probleme, man vgl. die ArbeitenAuwersin den Berliner Sitzungsberichten.
Der Tierkreis ist allerdings unzweifelhaft babylonischen Ursprungs; Sie sehen hier in der schon erwähnten Arbeit Eppings Abbildungen. Die Gleichheit aber der 12 Zeichen ist nicht ursprünglich. Lehmann fand auch in der Festsetzung der Gold- und Silberwährung 40 : 3 etwas Himmlisches, nämlich das Verhältnis der Tage des Jahres 360 und deren des Monats 27. Alles dies wäre sehr schön, wenn es nur richtig wäre. Das Verhältnis des Sonnendurchmessers zum Vollkreis ist ungefähr1673, das des Jahreszum Monat keineswegs 40 : 3. Auch die 12 Monate zu 30 Tagen stimmen nicht, denn nie hat ein Monat volle 30 Tage. Das erlösende Wort hat 1904 wieder ein Lehrer der Mathematik, diesmal ein pensionierter, gesprochen,Kewitschin Freiburg. Er hat den, man sollte meinen, selbstverständlichen Satz ausgesprochen: erst Zählen, dann Messen; 6, 60, 360, 3600 waren runde Zahlen bei den Babyloniern und sind von ihnen an den Himmel versetzt, in die Natur hineingelegt.
Damit ist freilich die Frage wie die 6 und die 60 zu Grundzahlen wurden, nicht gelöst. Kewitsch leitet sie von der Fingerrechnung ab; er gibt zwei Wege an; den ersten hält er selbst für nicht sehr wahrscheinlich; dem zweiten zufolge sollen sie, nachdem alle fünf Finger benutzt, noch einmal die Hand mit weggestrecktem Daumen als 6 gezählt haben und in Verbindung mit den 10 Fingern zu 6 · 10 = 60 als Grundzahl gelangt sein. Kewitsch führt den Umstand, dass das Zeichen für Hand ursprünglich 6 Striche gehabt hat, als Beweis an: Quat-HandSymbol, späterSymbol; andrerseits ist die natürliche Stellung der ausgestreckten Hand doch die, dass der Daumen nicht angedrückt wird. Ausserdem scheint mir Kewitsch einen Umstand nicht beachtet zu haben, nämlich den, dass das Sexagesimalsystem der Sumerer ein durchaus künstliches ist, das mit einer ausserordentlichen Übung im Rechnen mit grossen Zahlen verknüpft ist und dass das Zählen an den Fingern bei Entwicklung dieses Systems ein längst überwundener Standpunkt gewesen ist. Ausserdem ist die älteste Form des Idiogrammes für Hand, (s. o.), ein ganz deutliches Bild der 5 Finger mit der Handwurzel und zugleich Name für fünf.
Ich halte die Frage für nicht geklärt und wage nur Vermutungen wie die, dass es sich um eine ganz bewusste von den Gelehrten, d. h. den Priestern ausgehende Wahl der 6 als teilbar durch 2 und 3 gehandelt haben kann. Diese Teilung war auch technisch leicht durchführbar, man vergleiche die Elle des GudeabeiBorchardt(Berliner Berichte 1888, I); diese Wahl kann sehr wohl astronomisch beeinflusst gewesen sein. Die 60 empfahl sich als Grundzahl, weil sie durch die ersten 6 Zahlen teilbar ist und sich sowohl ins Fünfer- als Zehner- als Zwölfer-System einfügt. In den Mondtafeln von Hincks kommen so ziemlich alle Faktoren von 60, sogar die Mandel vor.
Die Beobachtung der Gestirne durchdrang das ganze Leben des Volkes, denn vom Himmel holten sie die Omina, die Vorbedeutungen, nach denen sie ihre Handlungen einrichteten. Ein Wechsel des Beobachters alle 4 Stunden, später alle 2 Stunden ist durchaus praktisch; (lösen wir doch unsere Posten alle 2 Stunden ab) und wir wissen jetzt, man vergleicheEpping, dass vom Anbeginn an bis in die Seleuciden- und Arsacidenzeit die Chaldäer den vollen Tag in 6 Teile oder Kas. pu geteilt haben, und die eigentliche Bedeutung des Wortes Su-su (Schock) ist16. Die Unterteilung der Doppelstunden in 10 Teile ist dann zu genauer Ortsbestimmung durchaus praktisch, und die Zehnteilung ist am System unserer Finger vorgebildet. Erst später trat die Halbierung der Doppelstunde und damit die Stunde als 24stel des Tages ein. Der Tag, d. h. die Dauer der Rotation ist und bleibt die einzige wirklich in der Natur gegebene Masseinheit, und selbst wenn die Achsendrehung der Erde nicht völlig konstant ist, sind wir ausserstande die kleinen Schwankungen zu konstatieren. Nachdem die 360-Teilung des Tages durchgeführt, lag es nahe zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs dasGeschäftsjahr, wie auch heute auf 360 Tage und den Monat auf 30 Tage abzurunden. Sie wissen ja, dass noch heute unsere Soldaten für den 31. keinen Sold bekommen.