Eine nähere Ausführung zeigt die Analogie mit den Chaldäern noch deutlicher, die Zuordnung von Zahlen an die Planeten und an bestimmte Begriffe. Die Gerechtigkeit z. B. entsprach dem ισακις ισος, dem Gleichmal gleichen, d. h. der 4 oder der 9, als der ersten geraden, bezw. ungeraden Quadratzahl; 5 als Verbindung der ersten männlichen mit der ersten weiblichen Zahl gleich Ehe, die Einheit Vernunft, weil sie unveränderlich, die 2 Meinung, weil sie veränderlich etc.
Das Männliche und Weibliche bezieht sich auf die bekannten 10 Gegensätze desPhilolaos: 1) Grenze und Unbegrenztes. 2) Ungerade und Gerade. 3) Einheit und Vielheit. 4) Rechts und Links. 5) Männliches und Weibliches. 6) Ruhendes und Bewegtes. 7) Gerades und Krummes. 8) Licht und Finsternis. 9) Gutes und Böses. 10) Quadrat und Rechteck.
Aristotelesberichtet uns auch in der Metaphysik über das dekadische System. Die Zahlen über 10 sind nur Wiederholungen der ersten 10. (EineArt arithm. Kongruenzidee.) Die Dekas umfasst alle Zahlen und alle Kräfte der Zahlen; sie heisst daher beiPhilolaosgross, gewaltig, alles vollbringend, Anfang und Führerin des göttlichen wie des irdischen Lebens, sie gilt ihm nach Aristoteles als das Vollkommene, welches das ganze Wesen der Zahl einschliesst. Wir danken es nur ihr, dass uns ein Wissen überhaupt möglich ist.
Eine ähnliche Bedeutung hatte die 4heit nicht als 22, sondern weil 1 + 2 + 3 + 4 = 10, so wird in der Tetractys, dem Schwur der Pythagoräer, die Zehn, d. h. die Zahl selbst als Wurzel und Quelle der ewigen Natur gefeiert.
Auch von den anderen Zahlen hat jede ihre eigene Wesenheit, z. B. 3 ist die erste vollkommene, denn sie hat nur Anfang, Mitte und Ende (||| älteste Zahlenschreibung); 6 die zweite gleich der Summe ihrer Teiler 1 + 2 + 3; 3, 4, 5 sind die Zahlen des vollkommensten rechtwinkligen Dreiecks.
Sie sehen in dieser »Zahlenspielerei« den Ernst der Zahlentheorie, und wenn Aristoteles uns erzählt, dass der Pythagoräer Eurytos die Bedeutung der einzelnen Zahlen dadurch beweisen wollte, dass er die Figuren der Dinge, denen sie äquivalent gesetzt wurden, aus der entsprechenden Zahl von Steinchen (Kinderspiel: Pythagoras) zusammensetzen wollte, so sehen Sie hier die Richtung gewiesen, welche die griechische Arithmetik (nicht die Logistik, die Rechenkunst) während der ganzen klassischen Epoche eingehalten hat; man vergleiche die Kapitel des HauptarithmetikersNikomachos von Gerasaüber die figurierten Zahlen.
Ich komme damit auf die Anwendung der Zahlenlehre auf die geometrischen Figuren.Aristotelessagt, sie haben die Linie durch die Zahl 2 erklärt.Philolaosnennt 4 die Körperzahl,Platonscheint die 3- und 4-Zahl als Flächen- und Körperzahl vonPhilolaosentnommen zu haben. Die Pythagoräer setzten die Einheit den Punkten gleich, weil die μόνας (Leibniz' Monade) unteilbar; die gerade Linie als 2, weil sie durch 2 Punkte bestimmt sei, das Dreieck durch 3 Punkte, der einfachste Körper durch 4 Punkte bestimmt seien.
Der Körperbestehtihm zufolge auf Grund der ihn umschliessenden Linien und Flächen, wie die Linien und Flächen durch Punkte und Linien determiniert werden. Von den 4 Elementen weisen sie nachPhilolaosder Erde den Kubus, dem Feuer das Tetraëder (eine Ableitung von Pyramide), der Luft den Oktaëder, dem Wasser den Ikosaëder zu, dem fünften alles umfassenden Element, dem Äther, den Dodekaëder, d. h. sie nahmen an, dass die kleinsten Teile dieser Elemente die betreffende Form hätten. (Hier haben wir also schon den Grundgedanken der Stereochemie, nur kommt der Tetraëder dem Feuer statt der Kohle zu.) Daher heissen diese Körper oft die kosmischen, und, da sichPlatonim Timäus vonPhilolaosdiese Zueignung angeeignet hat, so heissen sie auch oft die platonischen.
Es scheint nicht unglaubhaft, dass der fünfte Körper, derDodekaëder, eine Entdeckung der Pythagoräer gewesen und im Zusammenhang damit steht die Konstruktion des regelmässigen Fünfecks und damit des goldenen Schnittes.
Boeckh's Interpretation des Philolaos.
In der Geschichte des Erkenntnisproblems, das die eigentliche Geschichte der Kultur ist, bezeichnen die Pythagoräer einen grossen Fortschritt gegenüber den Ioniern, da sie zum ersten Mal nicht in religiöser sondern in philosophischer Form die Erkenntnis haben, dass die sinnliche Erscheinung der Welt nicht das letzte, sondern dass ein geistiges Prinzip dahinterstehe. Sie fanden es in der Mathematik, die ja auch Plato als zwischen den Dingen und den Ideen stehend auffasst; und nicht weil sie sich mit Mathematik beschäftigten, sahen sie in der Zahl die Substanz der Dinge, sondern umgekehrt, weil sie nach einem die Erscheinungswelt beherrschenden Gesetz der Vernunftsuchten,fandensie dies in Mass und Zahl. Das Hauptwerk für die Philosophie der Pythagoräer ist nebenBrandisundZeller, die Geschichte der Phil. vonRitter1828, wozu die Kritik vonErnst Reinhold(Jena) im Jahrb. für wiss. Kritik 1828 p. 358 zu vergleichen ist. Am tiefsten scheint mir der grosse PhilologeAugust Boeckhin den Geist der Pythagoräer eingedrungen zu sein in seiner Schrift:Philolaosdes Pythagoräers Lehren etc., Berlin 1819. Gegenüber Zeller, dem Klassiker der griechischen Philosophie, der aber auch m. E. nach den Pythagoräern nicht gerecht geworden ist, istW. Kinkelin seiner Geschichte der Philosophie als Einleitung in das System der Philosophie Bd. 1, 1906 neben eigenen Auffassungen vielfach aufRitterundBoeckhzurückgegangen. Bei dieser Sachlage sei mir ein näheres Eingehen auf den Kern des Pythagoreismus gestattet.
Auch über den dunkelsten Punkt der Lehre des Philolaos hat Boeckh mit bewunderungswürdig genialem Instinkt Licht verbreitet: Es ist die Stelle Metaphysik I, 5 des Aristoteles: Του δε αριθμού στοιχεια το τ' αρτιον και το περιττόν, τούτων δε το μεν πεπερασμενον το δε άπειρον, το δ' ἑν εξ αμφοτέρων ειναι τουτων [και γαρ αρτιον ειναι καιπεριττον], τον δ' αριθμον εκ του ἑνος. »Grundlegungen der Zahlen sind das Gerade und das Ungerade, das erste begrenzt, das andere unbegrenzt. Die Eins besteht aus beiden. Die Zahl aber stammt aus der Eins.« Was zunächst die Gegensätze begrenzt (bei Philolaos und Platon richtiger begrenzend oder Grenze) und Unbegrenztes, und Gerade und Ungerade, wie überhaupt die 10 Gegensatzpaare der Pythagoräer betrifft, so stimme ich Ritter bei, dass sie den einen Heraklitischen Gedanken verkörpern, der Streit (id est die Polarität) ist der Vater der Dinge. Gerade in der Ausgleichung dieser Gegensätze besteht nach Philolaos die pythagoräischeHarmonie. Dann aber hat Boeckh es hervorgehoben, dass hier in andrer Form in der Bildung der Zahl aus Grenze und Unbegrenztem, auch Unbestimmtem, eigentlich schon von den Pythagoräern genau dasselbe ausgedrückt wird, was ich 1884 chemisch rein von Kenntnis des Pythagoreismus auf S. 1 meiner »Elemente der Arithmetik als Vorbereitung auf die Funktionentheorie«, sub 4, d gesagt habe: »d) wird die erzählte Zahl als Anzahl des abgezählten Komplexes erhalten durch eine eigne Tätigkeit, welche den Zählprozess abschliesst (begrenzt).« Und 1906 fügte ich hinzu: Hierin haben wir die erste Äusserung des so entscheidend wichtigenGrenzbegriffs(Meth. der elem. Arithm. p. 9 u.). Und ganz analog dem was bei Boeckh S. 55 über 1 und die unbestimmte Zweiheit, die erst durch Anwendung der begrenzenden Eins zur zwei wird, gesagt wird, habe ich l. c. gesagt, dass zwei im Grunde die einzige Zahl sei, und die Drei eine neue Zwei. In diesem doppelten Zusammentreffen sehe ich wieder eine Bestätigung meines Lieblingssatzes: Nie hat irgendwer irgendwas gefunden.
Der Grund, weshalb in sekundärer Weise die ungeraden Zahlen dem Begrenzenden zugeordnet werden und die geraden dem Unbegrenzten, scheint mir darin zu liegen, dass aufgelöst in Einheiten die ungeraden Anfang, Mitte und Ende haben, die geraden nur Anfang und Ende, und die Mitte unbestimmt ist. Ausserdem hat Boeckh wohl auch darin recht, dass im Volkeeine Bevorzugung der ungeraden Zahl herrscht: (Aller guten Dinge sind 3, 1001 Nacht etc.).
Auch der Zusammenhang der Zahl mit der Zeit findet sich angedeutet. Zeit und Raum verlegen sie an die Peripherie der Welt, von wo aus sie in die Welt eintreten, und indem sie sich mit der schöpferischen Eins verbinden die Erzeugung des Seienden bewirken. Hier liegt, wenn auch bildlich verschleiert, die Ahnung von Zeit und Raum als Bedingung der Erfahrung vor und zugleich davon, dass die Kategorie Zeit mittelst der Kategorie Zahl die Welt der Erscheinungen realisiert d. h. begreiflich macht.
Kosmogonie und Pantheismus der Pythagoräer.
Die Kosmogonie der Pythagoräer ist vonBoeckhl. c. und in seinen Arbeiten zumTimäos des Platonerschöpfend behandelt, sie ist voll tiefer Gedanken und der des Aristoteles entschieden überlegen. Aber die gewaltige Autorität des Aristoteles, dem sichPoseidoniosanschloss, hat die Entwicklung heliozentrischer Ideen wie sie sich schon bei Philolaos und noch mehr beiHiketasfinden auf Jahrtausende gehemmt, bis infolge der RenaissanceKopernikusauf die Pythagoräer zurückging.
Nur noch ein paar Bemerkungen, welche für die Frage nach der Priorität des Pythagoräischen Satzes wichtig sind. Der bei Philolaos (vgl. Boeckh und Ritter) scharf ausgesprochenePantheismusund dieWeltseeleweisen deutlich auf Indien, wie die Zahlenmystik, das grosse Weltjahr auf Babylon. Wie die Babylonier den einzelnen Göttern einzelne Zahlen zuordnen, so werden hier den einzelnen Göttern, d. h. den Personifikationen von Kräften des Einen einzelne Winkel zugeordnet. Möglicherweise können auch dieOrphikermit ihrer Geheimlehre die Vermittler zwischen dem Orient und den Pythagoräern gewesen sein.
Mathematische Kenntnisse der Pythagoräer.
Nach diesem Exkurs fahre ich in dem Bericht über die rein mathematischen Kenntnisse der Pythagoräer fort.
Es ist sehr glaubhaft, dass ihnen das Sternfünfeck, das Pentalpha oder pentagramma bekannt gewesen und dass sie sichdesselben als Symbol für »sei gesund« bedienten, wofür die bekannte Stelle aus Lukianos (pro lapsu in salut.) angeführt wird (s. Fig.).
Das Θ statt des Diphtonges ει, die Figur als Anfang der Briefe statt des sonst üblichen: »sei gegrüsst«.
In Verbindung damit steht die Kenntnis von den Proportionen, der arithmetischen a - b = c - d, der geometrischen a : b = c : d, und der Spezialfälle a - b = b - c, a : b = b : c, d. h. des arithmetischen und geometrischen Mittels, dem sie als drittes das harmonische Mittel anreihten:a - bb - c=ac; (2b=1a+1c); harmonisch, weil die Seitenlängen des Grundtones c der Quinte g der Oktave C 1,23,12diese Proportion bilden, denn 1 -23:23-12=11/2. Dass sie diese Verhältnisse kannten, bezeugtPhilolaosausdrücklich und ebensoEudemos, und sie fanden sie auch am Würfel anschaulich vor.
In der Geometrie schuldet man ihnen nach dem Zeugnis des Eudemos bei Proklos den Beweis des Satzes von der Winkelsumme im Dreieck durch Ziehen der Parallele und den Satz von den Wechselwinkeln.
Nach der durch Geminos, dem Eudemos vorlag, verbürgten Notiz im Kommentar desEutokioszu den Kegelschnitten des Apollonios bewiesen »die Alten den Satz für jede besondere Form des Dreiecks einzeln, zuerst für das gleichseitige aus der Sechsteilung des Kreises, dann für das gleichschenklige und zuletzt für das ungleichseitige.«
Diese Notiz ist für dieGeschichte des Parallelenaxiomsvon grösster Bedeutung, sie beweist, dass der vielleicht neueste Weg das Axiom zu begründen, von der Sechsteilung des Kreises aus, zugleich der älteste ist.
Wir haben ferner das Zeugnis des Eudemos, Proklos I prop. 44, dafür dass die Pythagoräer sich schon mit den drei Aufgaben beschäftigten, welche die Grundlage der Kegelschnitte enthalten: An eine gegebene Strecke einen gegebenen Flächenraumzu entwerfen (παραβαλειν) bezw. die Aufgabe (Euclid 1, 44 Eucl. 3, 28, 29) so zu verallgemeinern, an eine gegebene Strecke AB einen gegebenen Flächenraum als Rechteck Ay so anzulegen, dass ein Quadrat By übrig bleibt (ελλειψις) oder überschiesst υπερβολή. Man sieht in der Tat (s. Fig.), wir haben: ax = y2; ax - x = y2; ax + x2= y2.
Das Irrationale bei den Pythagoräern.
Nehmen wir dazu noch die Kenntnis der Pythagoräer von derIrrationalität der √2und damit die Entdeckung des Irrationalen, oder, wie es zuerst weit passender genannt wurde, des ἄρρητον, so fehlt uns nur noch der Pythagoräische Lehrsatz selbst.
Von der ungeheueren Revolution, die diese Entdeckung des Irrationalen in den Köpfen der griechischen Mathematiker hervorbrachte, haben wir noch deutliche Spuren. Es wird uns erzählt, dass sie diese Kenntnis als das Hauptgeheimnis behandelten und dass ein Pythagoräer, der es unter die Leute gebracht, zur Strafe ertrunken sei. Man denke sich nur den Eindruck! Die Zahl, die das Mass aller Dinge, die Grundlage aller Ordnung und damit Erfahrung, hier versagte sie, und Grössen, deren Verhältnis in der Potenz, έν δυνάμει, im Quadrat, das denkbar Einfachste, haben in der Linie kein Verhältnis. Die ganze Grundlage des Gebäudes wankte, alle Satze, wie z. B. die Streckenteilung, mussten neu geprüft werden.Aristoteleshat uns den mutmasslich ältesten Beweis erhalten:
»Wenn eine √2existierte, so müsste Gerades gleich Ungeradem sein.«
Wir wissen aus dem Theätet, dass dann geometrische Beweise gegeben sind; der für 2 ist im Euclid erhalten, der für ist vermutlich der, den Bretschneider und ich selbst unabhängig von ihm gegeben, für 5 ist er selbstverständlich. Theätet erzählt bei Plato, dass der Pythagoräer Theodoros von Schritt zu Schritt bis zu 17 solche einzelnen Beweise gegeben und dann den allgemeinen auf arithmetischer Grundlage, indem er die Zahlenin Quadratzahlen und in Rechteckzahlen geteilt, d. h. in solche die nicht in zwei gleiche Faktoren zerlegt werden können. Der Beweis war also arithmetisch:
n = p2q, √n= λ, λ2= p2q, λ = p√q, √q= ν, q = ν2gegen die Voraussetzung.
Resumieren wir, so waren den Pythagoräern im wesentlichen die geometrischen Sätze bekannt, die auf Gleichungen ersten und zweiten Grades führten; das erste und zweite Buch des Euclid, ein grosser Teil des dritten und des zwölften; und ihre Ausläufer insbesondereArchytasundHippokrateshaben schon die Probleme dritten Grades in Angriff genommen.
Der Pythagoräische Lehrsatz.
Ich wende mich nun zu dem Satz, der den Namen des Pythagoras seit über 2 Jahrtausenden trägt.
Über diesen grossen Satz, den magister matheseos, auf den die Flächenrechnung und die Trigonometrie sich stützen, drückt sichProklossehr vorsichtig so aus: »Wenn wir auf die, welche alles erzählen wollen, hören, so finden wir, dass sie diesen Satz auf Pythagoras zurückführen und sagen, bei der Auffindung habe er einen Ochsen geopfert.« Der erste Schriftsteller, welcher ganz bestimmt Pythagoras nennt, ist der römische ArchitektVitruv, und nur in Verbindung mit der Hekatombe wird die Sache erzählt.Hankelsagt: »Doch möchte ich nicht so weit gehen, den Satz dem Pythagoras abzusprechen, obwohl keine einzige nur einigermassen glaubwürdige Nachricht darüber vorhanden ist.«Cantorplädiert für Pythagoras selbst, und er hat darin wohl recht, dass die Schule durch den Meister den Satz kennen gelernt; den Satz selbst aber hat Pythagoras aus Asien und mit ausserordentlicher Wahrscheinlichkeit aus Indien. Auf Babylon weist die Zahlenmystik, die Symbolisierung der Begriffe in Zahlen, und auf Indien der Lehrsatz und die Lehre von der Seelenwanderung.
Die Geometrie der Inder.
M. Cantorhat noch in der 2. Aufl. die indische Geometrie als nicht original erklärt, er hat es wiederholt, dass wir die Geometrie nur auf indischer Grundlage nicht begreifen können,ja, er hat sie von Heron von Alexandria, dessen Blüte zwischen 100 v. Chr. und 100 n. Chr. schwankt, abhängen lassen, und das, obwohl er die Existenz derSulba-sutras, d. i. derSchnurregeln, der Zimmermannsregeln für die Herstellung der Opferstätte ausThibautsschöner Arbeit in der Asiatic society of Bengal von 1875 kannte. Dabei hat 1884 der SanskritistLeopold v. Schröderein Buch geschrieben: »Pythagoras und die Inder,« in welchem er bereits ziemlich entscheidende Beweise für die Beeinflussung der Pythagoräer durch die Inder beigetragen hat.
Ich schiebe hier einiges aus meinem Vortrag im mathem. Kolloquium vom 2. Febr. 1903 ein. — Als ich für die Enzyklopädie den Artikel Pythagoras abschliessen wollte, machte mich unser IndologeLeumannauf die damals gerade erschienene Arbeit vonA. Bürküber das Apastamba Sulba-sutra (Zeitsch. d. Deut. Morgenl. Ges. Bd. 55, 1901, p. 543) aufmerksam.Leumanngab mir auch die SchriftL. v. Schröders»Pythagoras und die Inder« Dorpat 1884. Auf Grund dieser Arbeiten inkl. Thibauts trat ich den Ansichten Schröders und Bürks, dass der Pythagoras bei den Indern weit älter als bei den Hellenen und vermutlich von den Indern her entlehnt sei, bei und machte die Mathematiker auf die ArbeitBürksaufmerksam,Hoffm. Ztsch.33, S. 183, 1902. WieBürklegte auch ich besonderen Wert auf das Auftreten des Satzes vomGnomon, d. i. von der Gleichheit der Ergänzungsparallelogramme, bei den Indern. Etwa ein Jahr später erschien, auf VerlangenCantorsbeschleunigt, im Archiv ein Artikel desselben, in dem er ebenfalls von der Arbeit Bürks Notiz nahm. Aber statt dass nun Cantor die Selbständigkeit oder wenigstens die relative Selbständigkeit der Inder, d. h. die Unabhängigkeit ihrer Geometrie von den Griechen zugegeben, drückt er sich äusserst gewunden aus, ja selbst seine Heron-Hypothese gab er nicht auf, indem er sie hinter der zweifelnden Frage am Schluss versteckt, ob nicht am Ende in den Sulba-sutras verhältnismässig moderneEinschiebsel seien. Das Auftreten von Stammbrüchen bei den erstaunlich genauen Näherungswerten von √2sollte auf Heron und Ägypten hinweisen; aber sieht man näher zu, so liegt gerade hier ein entscheidender Unterschied. Während bei den Ägyptern die gemeinen Brüche als Summe von Stammbrüchen erscheinen, haben wir bei den Indern auch Differenzen oder genauer Aggregate; und die Stammbruchform rechtfertigt sich als Bruchteilung der Massschnur.
Kulturzusammenhänge bezweifle ich so wenig wie jeder der sich nicht bloss mit der Kultur eines einzigen Volkes beschäftigt hat. Angesichts der babylonischen Zahlenzerlegungen und der quadratischen Gleichungen der Ägypter glaube ich persönlich, dass der Pythagoras Babyloniern wie Ägyptern vielleicht schon vor 3000 v. Chr. bekannt war.Aber Glauben ist kein Beweis.
Und was den Einschub in das Sulba-sutra nach Apastamba betrifft, so wäre der gleiche Einschub bei Taittirīya, Baudhāyana, Maitrāyana, Katyāyana und Mānava, und im Satapatha-Brāhmana gemacht worden!
Als ich Heft 9 desBühler'schen Grundrisses der Indo-Arischen Philologie, Astronomie, Astrologie und Mathematik vonG. Thibautlas, wunderte ich mich, wie befangen sich dieser hervorragende Kenner des indischen Wissens auf dem Gebiet der exakten Wissenschaften der AutoritätCantorsgegenüber zeigte. Derselbe Mann, der 1875 so treffend geschrieben hatte: »Was nur immer fest mit altindischer Religion verknüpft ist, muss betrachtet werden, als bei den Indern selbst entsprungen, wenigstens so lange bis das Gegenteil erwiesen«, der liess sich verblüffen durch Argumentationen von solcher Ungeheuerlichkeit, wie die rhetorische Frage: »Kann unmittelbare Anschauung zur Erfindung neuer Satze führen?« Ich sehe vonJakob Steinerganz ab, von dem es ja notorisch ist, wie viele seiner Sätze, gelegentlich auch unrichtigen, er der unmittelbaren Anschauung verdankt, sondern weise nur aufE. E. Kummerhin, gewiss ein reinerMathematiker wie nur einer, und doch der eigentliche Urheber der Modellgeometrie für Flächen. HerrBürkhat sich dann auch nicht geniert, die Schwäche der Cantor'schen Argumente auch bezüglich der Seilspannung beim Tempel vonEdfu— nebenbei bemerkt erst 237 v. Chr. — aufzudecken, und er wies mit Recht aufH. Hankelhin, dessen dünnleibige Fragmente von einem fast prophetischen, wahrhaft genialen Verständnis für die Seele der Völker zeugen. Angesichts einiger Bemerkungen möchte ich hier sagen, dass ich von Bewunderung für die beinahe übermenschliche Arbeitsleistung Cantors erfüllt bin, aber die betreffenden Äusserungen in meiner Entwicklung der Elementargeometrie aufrecht halte. Das Recht zur Kritik, das mirWeierstrasszugestand, lasse ich mir von niemandem und niemand gegenüber rauben, und wenn an irgend einer Stelle, so gilt für die Wertung der indischen Mathematik durch Cantor das Horazische:
Interdum bonus dormitat Homerus,Nec semper arcum tendit Apollo.
Interdum bonus dormitat Homerus,Nec semper arcum tendit Apollo.
Übrigens ist die indische Verwandlung des Rechtecks in ein Quadrat ohne eine schulgerechte Analyse unmöglich, und bei der Ausmessung der Saumiki vedi findet sich derselbe Beweis, den wir heute noch für die Flächenformel des Trapezes geben.
Erklärlich wird das Verhalten Cantors durch sein Dogma, dass die Hellenen speziell für Geometrie, die Inder für Arithmetik, insbesondere für Rechnen begabt waren. Leider ist dies in dem Umfange, wie es Cantor annimmt, falsch. Der leitende Gesichtspunkt der Entwicklung der griechischen Mathematik war ein rein arithmetischer. Sie haben erst die Gleichungen ersten Grades in Form der Proportion gelöst, dann die der zweiten vermöge der Satzgruppe des Pythagoras und dann die Gleichungen dritten Grades angegriffen, wie man absolut deutlich aus den beiden sogenannten Delischen Problemen, der Verdoppelung, bezw. Vervielfachung des Würfels und der Trisektion des Winkels erkennt, an die sie sich unmittelbar nach der im zweiten Buchdes Euclid ausführlich behandelten Lösung der quadratischen Gleichungen machten. Und die Inder, welche im Anfang ihrer Geschichte in der Astronomie und damit in der Rechenkunst durchaus abhängig von Babylon waren, haben höchst wahrscheinlich ihre Geometrie infolge ihres Kultus selbständig entwickelt.
Abhängigkeit der Pythagoräer von den Indern.
Für die Abhängigkeit der Pythagoräer von den Indern hatv. Schröderauf die Lehre von der Seelenwanderung hingewiesen; sie war ein Hauptbestandteil der Pythagoräischen Lehre, unzweifelhaft, schon Xenophanes berührt sie; Philolaos trägt sie vor; Aristoteles bezeichnet sie als pythagoräisch; Plato hat seine poetische Darstellung von dem Zustand nach dem Tode den Pythagoräern nachgebildet. Philolaos sagt, die Seele sei an den Körperzur Strafegefesselt und gleichsam im Körper begraben. Diese Anschauung hatPlatonin dem durch und durch von Philolaos beeinflusstenTimäosangenommen, im Gegensatz zu seiner früher z. B. im Phädon aufgestellten Ansicht.
Herodot, der die Seelenwanderung als durchaus unhellenisch bezeichnet, schreibt sie den Ägyptern zu, aber die Denkmäler der Ägypter, soviel sie sich auch mit dem Tode und dem Leben nach dem Tode beschäftigen, weisen keine Spur der Metempsychose auf. Und was für einen Zweck hätten dann die riesigen Opfer, welche die Ägypter für die Behaglichkeit des Kha brachten, ihre Pyramidenbauten, ihre Einbalsamierung gehabt? Ein einziges ägyptisches Märchen, das von den drei Brüdern, könnte allenfalls herangezogen werden, doch das gehört unzweifelhaft in den Kreis der Osirissage.
Altindischer Kulturzustand.
Aber in Indien da beherrschte und durchdrang gerade um diese Zeit die Lehre von der Seelenwanderung das ganze Volk. Wir wissen mit Bestimmtheit, dass gerade um diese Zeit der Buddhismus hereinbrach, als dessen Ziel einzig und allein die Befreiung von dem Kreislauf der Geburten, von der Wanderung der Seelen durch immer neue Existenzen bezeichnet werden muss. Und nicht Buddha Gautama war der erste (Oldenberg1881, Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde), sondern vorund mit ihm durchzogen schon Asceten, Mönche, Wanderpriester teils einzeln, teils schon Orden und Kongregationen bildend das Land, um in Busse das Ziel der Erlösung zu suchen.
Buddhas Erfolg beruht gerade darauf, dass er den Zug nach Erlösung von der sich immer wiederholenden Qual desSterbensdurch seine Lehre befriedigte.
Der Rigveda und der Yajurveda.
Die Lehre von der Seelenwanderung entwickelte sich in Indien naturgemäss im Zusammenhange mit der Lehre vom All-Einen, deren Wurzeln schon in dem Rigveda, der Sammlung der uralten heiligen Lieder, die die Inder zum Teil beim Einwandern aus Afghanistan mitbrachten, zu finden sind. Wohl sind auch ein paar weltliche Lieder dabei, aber sie finden sich erst im 10. Buch des anerkannten Textes, der Redaktion der Çakalaschule, das erst etwa um 1000 v. Chr. den übrigen 9 Büchern oder mandala zugefügt ist, wenngleich ihr Ursprung natürlich viel älter ist. Wenn wir uns den Kulturzustand der Inder, der Arya zurzeit der Entstehung des Rigveda vergegenwärtigen wollen, so brauchen wir nur die Germania des Tacitus zu lesen, nicht einmal der Spieltrieb fehlt, wie 10, 34 bekundet: »Nach seinem Weibe greifen fremde Hände, indes mit Würfeln er auf Beute ausgeht.« Auch hier ein freies Volk, der König eigentlich nur Herzog, d. h. Heerführer im Kampfe, der Hausvater, der Sippenälteste, Herr und König in seinem Hause und zugleich auch Priester. Eine eigentliche Priesterkaste, ein Bramanentum gab es noch nicht, überhaupt kein Kastenwesen, auch keine Witwenverbrennung. Das alles hat sich erst in der folgenden Periode entwickelt und hängt mit der Ausbildung des Opferrituals eng zusammen. Wohl spielt auch im Rigveda das Opfer, insbesondere das des Agni und noch mehr des Soma eine bedeutende Rolle, aber im Vordergrund steht doch der Hymnus. Übrigens ist die Periode des Rigveda nicht mehr die altindogermanische, wie aus dem Zurücktreten des indogermanischen Lichtgottes Djaus, Zeus, des Tiu der Germanen, angerufen als Djaùs-pitar, Griech. Ζευ πατερ, umbrisch Dispiter, Lat. Jupiter (vgl. A. Kaegi, der RigvedaAnm. 112), des Lichtgottes, des Himmelsvaters, und der Gäa, derMutterErde, Prithivi, hervorgeht.
Auch die Götter des Rigveda müssen in der Brahmanen-Periode dem Dreigestirn Brāhman, Vishnu, Çiva weichen. Der erstere eine priesterliche Abstraktion der Weltseele, die beiden anderen, in den Veden erwähnt, aber doch erst später hervortretend gegenVaruna, den Himmel, undIndra, den Kriegsgott, den eigentlichen Nationalgott des Rigveda. Namentlich der Kult des schrecklichen Zerstörers Çiva entstammt so recht eigentlich dem Grund der einheimischen Volksseele, welche die Gewalt der Naturmächte oder Götter als schwer versöhnliche Feinde der Menschheit empfindet. Im übrigen sei für die altindische Kultur zur Vedenzeit aufH. Zimmersklassisches Werk: Altindisches Leben (1879) verwiesen.
Die Bedeutung des Opfers.
In der auf die Rigvedazeit folgenden Periode, der des Yajurveda, der Lehre vom Opfer, und der Brāhmana-Texte, der Kommentare der einzelnen hervorragenden Weisen, nimmt der Zug nach Erlösung von der Qual des Wiedersterbens seinen Anfang. Und auf der andern Seite in der Flucht der Erscheinungen bildet nur eins den ruhenden Pol, der Kern aller Wesen, der Atman Brahman, der in allem ist, die heilige Weltseele. Seelen, die in der Hölle der Existenz wandern, werden durch Busse erlöst zu einem seligen Sein auf dem Monde, aber die gleiche Vorstellung findet sich bei den Pythagoräern, nur dass an Stelle des Mondes die Sonne tritt, wie im Satapatha Brāhmana die seligen Seelen als Sonnenstäubchen erscheinen.
Gemeinsam ist auch in der Buddha- und Pythagorassage die Erinnerung an den früheren Seelenzustand.
v. Schrödersagt in Pythagoras und die Inder:
»Wer nun mit dieser durch mehrere Jahrhunderte sich erstreckenden Epoche der indischen Kulturgeschichte vertraut ist, der nur eigentlich vermag es ganz zu ermessen, welch eine Rolle zu jener Zeit das Opfer mit seinen unzähligen Details im Geistesleben der Inder spielte. Das gesamte Sinnen und Trachten deshochbegabten Volkes ist in diesem Jahrhundert auf das Opfer, seine Vorbereitung und Ausführung gerichtet. Die umfangreiche Literatur, die als Zeuge jener Zeiten zu uns redet, handelt vom Opfer und immer nur vom Opfer. Dem Opfer in allen seinen Einzelheiten wird die höchste Bedeutung beigelegt, die Kraft Götter und Welten zu zwingen, Natur und Menschen zu beherrschen. Wunderbar übernatürliche Macht wohnt ihm inne und selbst die Kosmogonie geht auf das Opfer zurück. Aus Opfern sind alle Welten und Wesen, alle Götter und Menschen, Tiere und Pflanzen entstanden. Das Zeremoniell des Opfers, wie schon die Yajurveden zeigen, ist ein ungeheuer kompliziertes und die kleinste Äusserlichkeit wird mit einem Nimbus von Wichtigkeit umgeben, der für uns nicht selten das Lächerliche streift. Die Vorbereitung zum Opfer, die Fertigstellung des Opferplatzes etc. spielt hier eine hervorragende Rolle. Dabei ist natürlich dieKonstruktion der Altärevon allerhöchster Bedeutung. Jede Linie, jeder Punkt, jedes Formverhältnis war hier von entscheidender Wichtigkeit und konnte nach dem indischen Glauben jener Zeit, je nachdem es ausgeführt war, Segen oder Unheil bringen. Über dieGestaltundGrössederAltäre, ihr Verhältnis zueinander und zu ihren einzelnen Teilen, zu den mannigfachsten abstrakten Begriffen, ihre symbolische Bedeutung und die richtige, nicht bloss gottgefällige, sondern selbst GötterzwingendeArt ihrer Herstellung haben Generationen eines hochbegabten, für Spekulation und Abstraktion und namentlich für rechnerische Leistung sehr beanlagten Volkes gegrübelt und immer wieder gegrübelt.«
UndBürkundLeumannstimmen dem zu.
Es mussten daher die Inder schon in jener sehr frühen Zeit gezwungen werden, wenigstens auf dem Opferplatze eine Feldmesskunst auszubilden.CantorsAnsicht ist um so unbegreiflicher als er selbst sagt, dass die Sulba-sutras Schriften von geometrisch-theologischem Charakter sind; wie sie abgesehen von einigen ägyptischen Inschriften in keiner Literatur sich wiederfinden.
Konstruktion der Opferstätten und Altäre.
Wenn nunPythagorasin Indien war, so konnte er nicht nur, so musste er von dort den Satz über das Quadrat der Hypotenuse mitbringen. SelbstCantorhat sich dem, wie erwähnt, nicht ganz verschliessen können.
Das Apastamba-Sulbasutra, die Lehre von der Messschnur nach Apastamba, gehört in den Ausgang der Brāhmana-Literatur, der Zeit, die auf die Veden folgt.
Die Veden, von Veda (Lehre, Wissenschaft), enthalten die ältesten religiösen Satzungen: den Rigveda, soweit sie sich in Liedern formulieren, und den (schwarzen und weissen) Yajurveda, der vom Opfer, seiner Zurüstung, den Zeremonien etc. handelt. Die Veden sind kurz und dunkel. Die riesige Brāhmana-Literatur bestand in Kommentaren zu den Veden, die die Veden selbst als bekannt voraussetzen. Gehören die Veden der Zeit von 1200–1000 an, so gehen die Brāhmanas bis etwa 600, der Zeit vor dem Auftreten Buddhas.
Die Sulba-sutras bilden in den verschiedenen Lehrbüchern der Schulen ein Kapitel der Kalpa-Sutras oder Çrauta-Sutras, deren Aufgabe es ist das Opferritual übersichtlich darzustellen, und ihr Sulba-Sutra gibt die Regeln für die genaue Abmessung des Opferplatzes, der verschiedenen Altäre etc.
Diese Schulen entsprechen den Babylonischen Tempelhochschulen, und wie die Fürstpriester Babylons stehen die altindischen Weisen, die rishi, an genialer Begabung für religiöse und philosophische Spekulation keinem Platon und Aristoteles nach.
Die Anfänge des indischen Opferwesens reichen bis in die Zeit des Rigveda zurück; schon in ihm werden die Altar-Stätten (vedi) und der dreifache »tri-schadhastha« Sitz des Agni, des Feuers (= lat. igni-s), des sozusagen irdischen Gottes im Rigveda, die drei geschichteten Altäre erwähnt: der Altar des Hausherrn, der garhapatya — der ahavanīya — Opferaltar — und der daksinagni — Südaltar. Nach den Angaben des Yajurveda handelte es sich bei dieser Dreiteilung um Quadrate, Kreise und Halbkreise, die von gleicher Fläche sein mussten.
Altindische Geometrie.
Das Verfahren wird selbstverständlich in dem Rigveda, den wir auf 1200 v. Chr. setzen, nicht erwähnt, doch heisst es: »kundige Männer massen den Sitz des Agni aus.« Die eigentliche Blütezeit des indischen Opferwesens war die Periode der Brahmanas, welche nachLeumannsich bis ins 7. Jahrhundert vor Chr. erstreckt.L. v. Schrödersagt in »Pythagoras und die Inder«, wasBürkundLeumannakzeptieren: »Auf Grund dieser Sulba-Sutras und unter Berufung auf noch bedeutend ältere Werke wie die Taittirīya-Samhita (Sammlung) und das so hochbedeutende Satapatha-Brāhmana (die hundertpfadige Lehre) lassen sich nun die geometrischen Kenntnisse bestimmen, welche die Konstruktion der Altäre erforderte,« und ich werde hier also Gelegenheit nehmen auf die altindische Geometrie näher einzugehen.
Bei den Altären unterscheidet man die vedi, d. h. das Altarbett, und den Agni, d. h. den beim Agni-Opfer und beim Soma- (dem heiligen Trank-) Opfer aus meist quadratischen Backsteinen geschichteten Feueraltar. Das Somafest wurde zu Ehren Indras, des Kriegsgottes, gefeiert. Der Gott und die Krieger sollten sich berauschen an dem Somatrank, der aus einer stark milchsafthaltigen Pflanze bereitet wurde. Es hatte so hohe Bedeutung, dass der Somatrank selbst zum Gott gemacht wurde.
I.Vedi.Die Inder legten grossen Wert auf genaue rechtwinklige Herstellung ihrer Altäre, und Apastamba lehrt zu diesem Zwecke bei der Vedi für das Somafest mehrereganzzahligrechtwinklige Dreiecke anzuwenden, deren Masse zum Teil schon im Taittirīya- Text und im Satapatha-Brāhmana vorkommen. Und auf diese bei der Saumiki vedi gelehrte Methode der Ausmessung weist er bei einer Reihe andrer Vedis zurück. Unter diesen ist erstens noch die Vedi der Sautramani-Zeremonie hervorzuheben, welche nach einer alten Vorschrift13der Saumiki vedi messen soll (Thibaut). Es handelt sich dabei um das Opfer für Indra Su-trāman (Ζευς σωτηρ). Ihre Konstruktion geschah entweder mit Hilfe der tri-karani oder trtīya-karani (derdrei oder13machenden), d. h. entweder mittelst der geometrischen Konstruktion von √3oder √1/3, und das geht nicht ohne Pythagoras (denn √1/3=1/3√3). Apastamba Kap. II, 2 steht die Figur (s. S. 158), natürlich ohne Buchstaben. Ferner die vedi beim asvamedha (Rossopfer); da diese doppelt so gross als die Saumiki vedi sein soll, wird sie mit der dvi-karani; der √2, ausgemessen.
Grundriss des Normalaltar.
Damit ist auch die trtīya-karani erklärt: das Quadrat über der tri-karani ist in 9 Teile zu teilen (Fig. S. 158).
Nur wenn die Vedi genau den Vorschriften entsprach, war das Opfer Gott wohlgefällig, im andern Fall eine Beleidigung. Die genannten Arten der Vedi und die meisten andern hatten die Form eines Achsentrapez; dies musste zuerst in ein Rechteck verwandelt werden (Ap. V, 7), dessen Berechnung, z. B. Ap. S. V 7 und 9 gelehrt wird.
II.Agni — geschichteter Feueraltar.Alle in den Brāhmanas und Sutras vorkommenden Vorschriften beziehen sich, wenn nicht anders angegeben wird, auf den catur-asra syena-cit, auf den viereckig falkenförmigen. Der atman (Wesen, Seele, Körper) des Altars, der die Gestalt eines Falken in rohen Umrissen nachahmte, bestand aus vier Quadraten über dem purusa (Menschenlänge) und der Schwanz und jeder Flügel aus einem Quadrat-purusa; um der Gestalt des Vogels noch näher zu kommen wird jeder Flügel um 1 aratni (Elle =15purusa) und der Schwanz um 1 pradesa (=110purusa) verlängert (s. Fig.). Gemäss seiner Zusammensetzung heisst dieser Altar auch agni saratni-pradesa saptavidha (z. B. Ap. Sulb. s. XV, 3.).
Altindische Geometrie zur Konstruktion der Altäre.
Bei der Anlage der Grundfläche handelt es sich nun um die Konstruktion von Quadraten, wofür Apastamba zwei Methoden überliefert. Die erste Ap. VIII, 8 bis IX, 2 beschrieben, ist höchst altertümlich und primitiv (Fig. 2), sie ist älter als diebei Thibaut beschriebene von Baudhāyana zum caturasra-karana. Für alle vier Quadrate sieht sie aus wie Fig. 3, aus der sich dann die von Baudhāyana beschriebene Fig. 4 entwickelt hat.
Die zweite jüngere ist die mittelst des visesa, d. h. mit einem Rest, d. h. der Näherungswert17/12(Thibaut) für die √2, also 1,417, Fehler < 0,003; sie setzt den Pythagoras voraus für den Spezialfall. (Ap. Sulba sutra IX, 3), bei Apastamba577408= 1,4142156; der Bruch ist auf 5 Dezimalen richtig
1 +1/3+1/3·4-1/3·4·34; √2= 1,414213; Fehler <3/106.
Wenn der Inder durch das Opfer besondere Wünsche erzielen wollte, so traten an die Stelle der Normalform die Kamyas, d. h. es gibt besondere agnis für solche Zwecke. Dahin gehört der agni in Gestalt eines Falken mit eingebogenen Flügeln und ausgebreitetem Schwanze, der in Form eines gleichschenkligen Dreiecks praüga-cit, vordere ochsenjochförmig, eines Doppeldreiecks, eines Wagenrads, rathacakra-cit, eines Troges etc. Aber so mannigfach die Gestalten der Kamyas waren, so musste die Grundflächegenau so grosssein wie bei der Normalform. Man musste also schon zur Zeit der Taittirīya Samhita verstehen, eine geometrische Figur in eine andere ihr flächengleiche zu verwandeln.
Die Aufgabe zu diesem Zwecke war:
1. Beim kreisförmigen hatte man zunächst ein Quadrat = der 71/2Quadrat-purusa messenden Grundfläche des caturasra syena-cit zu zeichnen, was ohne Pythagoras nicht möglich, unddas Quadrat in einen Kreis zu verwandeln.
2. Beim praüga-cit musste man das Quadrat 71/2verdoppeln,also die dvi-karani konstruieren; die Hälfte des Quadrats über der √2gab dann das gesuchte gleichschenklige Dreieck. Nun kommt das für die Geometrie eigentlich Wesentlichste: Nach Satapatha-Brāhmana, Baudhāyana Sulb. Sutra; Ap. S. und Ap. Sulba S. war der agni, wenn er das zweite Mal konstruiert wurde, um einen Quadrat-purusa grösser als beim ersten Mal, ebenso beim dritten um einen Quadrat-purusa grösser als das zweite Mal und so fort. Also mussten die Inder spätestens schon zur Zeit der Sat. Brāh. verstehen eine Figur zu konstruieren, die einer gegebenen ähnlich ist und zu derselben in bestimmtem Verhältnis steht.
a) War nun der erstmals konstruierte agni der »einfache« (eka-vidha) gleich ein Quadrat-purusa — was Apastamba nebenbei noch zulässt, während Satapatha Brāhmana es verbietet — so hatte man den zweiten ebenfalls quadratischen doppelt so gross herzustellen, den dritten dreimal und Apastamba geht bis zum sechsfachen, d. h. der Reihe nach √2√3bis √6zu konstruieren, d. h. die Summe zweier Quadrate zuaddieren, also Pythagoras.
b) War aber der erste agni der sapta-vidha wie meist, so konnte man bei den folgenden Malen entweder, wie Baudhāyana vorschreibt, alle Teile der Normalform proportional vergrössern und dann das, was hinzukam zunächst in 15 gleiche Teile teilen, oder, wie Apastamba nach älterer Tradition lehrt, nur die 7 purusas, nicht aber auch die beiden aratnis und den pradesa des caturasra syena-cit zunehmen lassen und dann den Zuwachs in 7 gleiche Teile teilen. Ein solches Siebentel musste dann, wenn es zunächst als Rechteck gezeichnet war, in ein Quadrat verwandelt werden (Apast. S. S. II. 7) und hierbei tritt bei Apastamba dieSubtraktionvonQuadratenals Hilfskonstruktion auf, und dieses Quadrat musste dann mit jedem der sieben zu einem neuen Quadrat vereinigt werden.
3. Beim asva-medha musste der sapta-vidha von vornherein mit 3 oder 21 multipliziert werden, und beide Vorschriften sindnach Angabe des Baudhāyana Sulba Sutra durch Brāhmana-Stellen belegt.