XXI. Die Nutztiere unter den Wirbellosen.

XXI. Die Nutztiere unter den Wirbellosen.

Gegenüber der großen Menge von Fischen spielen die an Arten und Individuen sehr viel spärlicheren Krebse als Speise des Menschen eine sehr unbedeutende Rolle. Unter den Krabben ist eine ArtBogenkrabbe(Carcinus maenas) die weitaus die gemeinste der europäischen Meere. Große Mengen davon im Wert von1⁄2Million Lire werden von Venedig aus, wo sie als Leckerbissen gelten, in Fäßchen verpackt, nach dem Festlande ausgeführt. Ebenfalls zu vielen Tausenden wird meist in großen, locker geflochtenen Körben diegroße Meerspinne(Maja squinado) auf die Fischmärkte der Küstenstädte am Mittelmeer zum Verkauf gebracht. Sie wird besonders in den Garküchen für das niedere Volk zubereitet und bildet, in ihrer eigenen Schale geröstet, eine schmackhafte Zukost zu Brot und Wein. Von ihr wußte man im Altertum allerlei wunderbare Dinge zu erzählen. Sie sollte außerordentlich klug und eine Musikfreundin sein. Auf verschiedenen Münzen findet sie sich verewigt und prangte als Halsschmuck der Diana von Ephesus.

Weniger häufig im Adriatischen und Mittelmeer, dafür aber um so bekannter an den Nordseeküsten ist dergroße Taschenkrebs(Cancer pagurus). Er zieht felsigen Grund dem sandigen Strande vor und wird seines Wohlgeschmacks wegen namentlich in England viel gefangen und verzehrt. Ebenfalls auf felsigem Grund lebt diegemeine Languste(Palinurus vulgaris). Dieser in einzelnen Riesenexemplaren 6–8kgschwere Panzerkrebs ist im Mittelmeer viel häufiger als derHummer(Homarus vulgaris), welch letzterer in der Nordsee seine eigentliche Heimat hat. Dort findet er sich mit den Schollen und vielen anderen Meerestieren überall auf der sandigen Doggerbank und der weiterhin Britannien mit Norwegen verbindenden Untiefe, von welcher dann weiter nördlich ein jäher Absturz in den Ozean erfolgt. Von den rund 6 Millionen Hummern, die Nordeuropa jährlich verbraucht, werden weitaus die meisten in England konsumiert. Vermittelst kleiner, schnellsegelnder Schiffe mit doppeltem, als Hummerbehälter dienendem Boden werden von den drei Millionen Stück, die jährlich an der Südwestküste Norwegens gefangen werden, eine Million nach London geliefert. Bei Helgoland fängt man jährlich 20–30000 Stück. Der Wert der jährlichen Ausbeute an der Ostküste Schottlands stellt sich ungefähr auf 6 Millionen Mark. Wie in London ist auch in Paris Hummer ein sehr beliebtes Gericht, das in allen feineren Restaurants zu haben ist. Der weibliche Hummer legt über 12000 Eier und trägt dieselben bis unmittelbar vor dem Auskriechen der Jungen am Hinterleib und seinen Anhängen angeheftet mit sich herum. Auch späterhin flüchtet sich wenigstens ein Teil der Jungen unter den Schwanz der Mutter, während die große Mehrzahl ausschwärmt und von zahllosen Feinden dezimiert wird, so daß nur ein kleiner Bruchteil derselben das fortpflanzungsfähige Alter erreicht.

Sein nächster Verwandter, derFlußkrebs(Astacus fluviatilis), wird nur 20, in seltenen Fällen 25cmlang und pflanzt sich im Herbst fort, wobei die befruchteten Eier an die Haare der mütterlichen Schwimmfüße festgeklebt werden. Erst im folgenden Frühjahr oder zu Beginn des Sommers schlüpfen die Jungen aus, die dann rasch heranwachsen, so daß sie am Ende des ersten Jahres schon 4,5cmlang sind. Nach der ersten Häutung beginnen sie zwar ein selbständiges Leben, kehren aber doch öfter schutzsuchend unter den Schwanz der Mutter zurück. Erst nach der zweiten Häutung — etwa am 28. Tage nach dem Ausschlüpfen — machen sie sich völlig selbständig und zerstreuen sich nach und nach. Die Flußkrebse sind Allesfresser, sie fressen auch frisches totes Fleisch, aber kein eigentliches Aas. Was sie zu bewältigen vermögen, dient ihnen als willkommene Beute. Neben tierischer Kost sind ihnen auch Wasserpflanzen, namentlich saftige Wurzeln und Armleuchter, letztere wohl ihres Kalkgehaltes wegen, ein Bedürfnis. In der Gefangenschaft lassen sie sich gern mit Mohrrüben und Kürbisschnitzen füttern. Man unterscheidet unter ihnen den ruhiges Wasser bevorzugenden Edelkrebs als eine Form der Niederungen und den raschströmendes Wasser bevorzugenden Steinkrebs als Bewohner der Berggegenden. Letzterer ist die einzige Art für die Iberische Halbinsel und Britannien. Beide Arten können an geeigneten Orten nebeneinander vorkommen. Eine dritte schmächtigere Form (Astacus leptodactylus) bewohnt das Einzugsgebiet der in das Schwarze und Kaspische Meer mündenden Ströme. Durch Kanalverbindungen mitder Wolga und andern Flüssen ist er neuerdings in das Stromgebiet des Finnischen und Weißen Meeres gelangt und beginnt dort den Edelkrebs zu verdrängen. In Nordamerika befindet sich östlich vom Felsengebirge eine verwandte Form, die ebenfalls gern gegessen wird. Bei uns ist heute der Edelkrebs viel seltener als früher, da er in großer Menge alle Gewässer bevölkerte und in großen Mengen gefangen und verspeist wurde. Seit aber vor 35 Jahren die Krebspest von Frankreich her nach Deutschland kam und im Laufe von 10 Jahren bis nach Rußland vordrang, wurde an vielen Orten der gesamte Krebsbestand vernichtet, so daß viele Gewässer, die früher reich an Krebsen waren, nunmehr völlig daran verödet sind. Statt seiner wurde mehrfach der allerdings in bezug auf Wohlgeschmack des Fleisches minderwertige, schmächtige galizische Krebs mit bedeutend dünneren Scheren zur Wiederbevölkerung der Gewässer mit Krustentieren in Deutschland eingeführt.

Die artenreichste Familie unter den langschwänzigen Zehnfüßlern sind dieGarneelen, von denen die beim Kochen farblos werdende gewöhnliche, bräunlicheSandgarneele(Crangon vulgaris) — diecrevetteder Franzosen undshrimpder Engländer — und die beim Kochen rotwerdendenGranaten(Palaemon serratusundP. squilla) — die sogenannten Krabben der Ostseefischer — zum Verspeisen die beliebtesten sind. Sie werden an den Küsten in oft von Pferden gezogenen feinmaschigen Schleifnetzen mit länglichem Rahmen aus Eisen gefangen und korbweise auf den Markt gebracht. Die meisten der so erbeuteten 8cmund mehr langen Garneelen sind Weibchen, die ihre Eier zwischen den Afterfüßen des Hinterleibs tragen. Sie liegen ganz in Sand eingegraben vor Feinden sicher und geraten ins Netz, indem die untere eiserne Lippe des Schleppnetzes den Sand aufwühlt, in welchem sie ruhig liegen und auf Beute lauern. In den Küstenstädten des Mittelmeers wird auch der bis 18cmlange gemeineHeuschreckenkrebs(Squilla mantis) viel gefangen und verzehrt. Hier überall geben auch dieKopffüßleroderTintenfischealsfrutti di mareeine geschätzte Speise für das gemeine Volk. Besonders beliebt sind die gemeineSepia(Sepia officinalis) und derKalmar(Loligo vulgaris), von denen die mittelgroßen Exemplare, weil wohlschmeckender, den größeren vorgezogen werden. Sie wandern vielfach mit den kleinen Fischen, von denen sie sich ernähren, und werden in besonderen Fallen und Netzen gefangen.

An den Küsten des Mittelmeers werden auch allerleiMeerschneckenwie auch alle Sorten vonLandschneckengern verzehrt. Die Mitteleuropäer dagegen essen von den 1600 Arten der auf dem europäischen Festlande lebenden Gattung Helix, den Schnirkelschnecken, fast ausschließlich dieWeinbergschnecke(Helix pomatia). Sie ist die größte aller einheimischen Landschnecken und ihr hellrötliches bis gelblichbraunes Gehäuse erreicht eine Höhe bis zu 5cm. Diese Tiere sind Zwitter und befruchten sich gegenseitig. Ihre 60–80 johannisbeergroßen Eier legen sie im Frühjahr haufenweise in Löcher, die sie in lockere, feuchte Erde gewühlt haben und nach der Eiablage wieder zudecken, so daß das Eiernest kaum gefunden werden kann. Die Entwicklung nimmt etwa 26 Tage in Anspruch; dann kriechen die jungen Schnecken aus dem Boden hervor, um sich vorzugsweise von weicher Pflanzenspeise zu ernähren. Doch fressen sie gelegentlich auch tierische Kost, so das Fleisch etwa von einem Wagen überfahrener oder von Menschen zertretener Genossinnen. Dabei wachsen sie verhältnismäßig rasch heran und graben sich im Herbst am liebsten unter einer Moosdecke 20–30cmtief in die lockere Erde ein und verschließen ihr Gehäuse mit einem soliden Kalkdeckel. Letzterer ist porös und läßt die Luft für die übrigens während des Winterschlafes stark herabgesetzte Atmung ungehindert hindurchtreten. Wenn im April und Mai die zunehmende Bodenwärme die Lebenstätigkeit des etwa 6 Monate im Winterschlaf verharrenden Tieres aufs neue weckt, so wird der Deckel mit dem Fuß leicht abgestoßen. Nur in diesem gedeckelten Winterzustande gilt die Weinbergschnecke als ein tafelfähiger Leckerbissen. Da sie zum Aufbau ihres Kalkgehäuses viel Kalk benötigt, findet sie sich nur in Gegenden, wo der Erdboden genügend von diesem Stoff enthält. Sie lebt außer in Weinbergen auch in Gärten, Hainen und lichten Laubwäldern mit viel Unterholz. Von alters her wird sie zur Sommer- und Herbstzeit gesammelt, um in besonderen Gehegen aus Brettern oder aus engem Drahtgeflecht mit Salat, Mohrrüben und Fallobst mit Beigabe von Kalk gefüttert zu werden. Bei solchem Futter wird sie besonders zart und fett. Berühmt in ganz Frankreich und Süddeutschland sind wegen ihres Wohlgeschmacks die aus Burgund bezogenen Schnecken. Hier ist die Zubereitung derselben in der Schaleà la bourgignonnesehr beliebt, so daß diese Tiere ein eigentliches Volksgericht geworden sind.

Schon die reichen Römer zu Ende der Republik und zur Kaiserzeit, jene Erzschlemmer, wußten die gemästeten Weinbergschnecken als leckere Speise zu würdigen und zogen sie in besonderen Schneckengärten. Der gelehrte Varro beschreibt uns um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts die Anlage und den Betrieb eines solchen Cocleariums. Es sollte unter freiem Himmel liegen und von Wasser umgeben sein, weder zu sonnig, noch zu stark dem Tau ausgesetzt sein. Hier wurden die gesammelten Schnecken mit Kleie und mit Honig eingekochtem Weinmost gemästet. Von besonderen Verkäufern wurden sie dann in den Straßen ausgeboten und vom Volke gern gekauft. Nach Plinius legte Fulvius Lupinus auf dem Gebiete von Tarquinii kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges, den Cäsar 49 v. Chr. mit Pompejus zu führen begann, die ersten Coclearien an. Er trennte die verschiedenen Schneckensorten und erfand die Mästung derselben mit Mehl und mit Honig eingekochtem Traubenmost. Nach Varro wurden in den verschiedenen Gebieten des römischen Reichs verschiedene Schneckenarten gemästet. Er sagt, daß die kleinen weißlichen aus der Umgebung von Reate im Sabinerlande (dem heutigen Perugia), die großen aus Illyrien, die mittelgroßen aber aus Afrika nach Rom gebracht und an vielen Orten auf großen, künstlich zu einer Insel gemachten Strecken gezüchtet würden. Man mäste sie auch in Töpfen, in die durch Löcher Luft eintreten gelassen werde; inwendig seien diese mit Honigmost und Mehl ausgestrichen.

Von den Römern übernahmen im Mittelalter die Klöster die Zucht von Weinbergschnecken als beliebte Fastenspeise und führten sie nördlich von den Alpen ein. Aus den Klostergärten übernahmen später auch Laien diese Zucht. So gab es später an verschiedenen Orten Frankreichs, Süddeutschlands, der Schweiz und Österreichs größere Schneckenzüchtereien, die die benachbarten Städte mit ihren Produkten versorgten. Schneckenbauern in der Gegend von Ulm führten einst jährlich über 4 Millionen gedeckelte Schnecken zu je 10000 Stück im Winter auf der Donau hinunter bis jenseits Wien aus. Sie werden meist in der Weise zubereitet, daß man sie in einem Salzsud kocht, dabei quellen die Tiere stark auf, so daß das sie abschließende Kalkdeckelchen von selbst abfällt. Die fast gargekochten Leiber lassen sich dann leicht mit einer Gabel aus dem Gehäuse ziehen, werden geputzt und zwei bis dreimal in warmem Wasser gewaschen, um allen Schleim daraus zu entfernen. Mit Fleischbrühe und Wein weichgekocht, werden sie fein gehackt, mit Petersilie und Sardellenbutter vermischt und schließlich in die sauber geputzten Gehäuse gefüllt. Die auf solche Weise zubereiteten Schnecken sollen wie Krebspastetchen eine wirkliche Delikatesse sein. Von Paris aus werden sie in solcher Zubereitung weithin exportiertund haben sich sogar in Norddeutschland, das sich bisher gegen solche Leckerbissen ablehnend verhielt, viel Freunde erworben. Während in NordfrankreichHelix pomatiagezogen wird, züchtet man in Südfrankreich vorzugsweiseHelix apertaundH. nemoralis, außer letzterer in Italien auchHelix pisana. In Spanien dagegen ißt manHelix alonensisundlactea, in GriechenlandH. parnassea. Sie, wie auch die rotbraunen bis schwarzenroten Wegschnecken(Limax rufus) ohne Gehäuse werden zur Gewinnung einer sehr wohlschmeckenden Fleischbrühe gekocht, die früher besonders Lungenleidenden als Heilmittel gegeben wurde.

Von den Schnecken haben sonst nur diePurpurschneckenkulturgeschichtlich eine größere Bedeutung erlangt, indem sie im Altertum zur Gewinnung der überaus geschätzten Purpurfarbe eine sehr wichtige Rolle spielten. Es sind dies Vertreter der GattungenMurexundPurpura, die an den Küsten des Mittelmeers auf felsigem Grunde sehr häufig vorkommen und an den Orten der Purpurfabrikation, die in Phönikien ihren Ausgang nahm, in großen Mengen gesammelt und verarbeitet wurden, so daß aus ihren weggeworfenen Schalen mächtige Ablagerungen hervorgingen. Wie an der syrischen Küste ließen sich auch an manchen Orten Griechenlands und Italiens einstige Purpurfabriken an solchen Schalenhaufen nachweisen.

Die den Purpurfarbstoff liefernde kleine Drüse mündet in eine Umschlagsfalte des Mantels und liefert ein anfänglich farbloses Produkt, das an der Sonne zuerst gelb, dann grünlich und zuletzt violett wird und um so dunkler, bis schwärzlich erscheint, je mehr davon auf dem betreffenden Stoff aufgetragen und je länger er nachher den Sonnenstrahlen ausgesetzt wurde. So hatte der geschickte Färber alle Grade von einem matten bis dunkeln Violett in der Hand. Zur Gewinnung von 1,5gPurpursaft sind die Drüsen von nicht weniger als 12000 Purpurschnecken nötig; so läßt es sich begreifen, daß damit gefärbte Gewänder außerordentlich hoch zu stehen kamen und nur den Fürsten und Reichen zugänglich waren. Noch zur Zeit des Kaisers Diokletian im Jahre 301 n. Chr. kostete das Pfund der besten Purpurwolle 950 Mark unseres Geldes. Und doch war die Farbe ein ziemlich unreines, rotstichiges Violett, das sich in keiner Weise weder an Glanz, noch an Echtheit der Färbung mit den modernen, synthetisch gewonnenen Teerfarbstoffen vergleichen läßt. Übrigens dienten nach dem römischen Dichter Martial die Purpurschnecken außer zum Färben auch zum Essen. Sie wurden nach den antiken Autoren in mit Miesmuscheln beköderten kleinen Reusen gefangen, die kleinen Arten samt den Schalen, die größeren dagegen ohne diese zerstampft, mit Wasser ausgelaugt und auf mäßigem Feuer in bleiernen Gefäßen eingekocht. Je nach der Mischung der verschiedenen Purpurschneckenextrakte wurden verschiedene Nuancen erzielt. So schreibt Plinius in seiner Naturgeschichte: „Die Purpurschnecke (buccinum) ist allein nicht brauchbar, weil ihre Farbe nicht hält, wird sie aber mit dem Saft der Murexschnecke (purpura) vermischt, so wird sie dauerhaft und gibt jener dunkeln Farbe eine Beimischung, welche ein schönes Scharlachrot hervorbringt. Je nach der Mischung beider wird die Farbe bald heller bald dunkler. Um eine herrliche Amethystfarbe zu haben, nimmt man auf 50 Pfund Wolle 200 Pfund Purpurschnecke (buccinum) und 110 Pfund Murexschnecke (purpura). In Tyrus taucht man die Wolle erst in Murex- und dann in Purpuraschneckensaft. Am beliebtesten ist der tyrische Purpur, wenn er die Farbe geronnenen Blutes hat, von vorn gesehen schwärzlich aussieht und von der Seite gesehen schimmert. Auch Homer nennt das Blut purpurfarbig. — Färbt man bloß mit Murexschnecken oder Purpuraschnecken, so setzt man Wasser und Menschenurin zu und erlangt dadurch die beliebte blasse Farbe, welche desto schwächer ist, je weniger durstig die Wolle war.“

Weiter sagt Plinius: „Das Kleid der römischen Konsuln und freigeborenen Knaben wird mit einem Purpursaum geschmückt. Purpur unterscheidet den Senator vom Ritter, versöhnt die Götter, gibt den Kleidern seinen Glanz und mischt sich beim Triumphzuge unter das Gold.“ Von Anfang an war der Purpur in Rom gebräuchlich; Romulus trug ihn an dertrabea, Tullus Hostilius an derpraetexta(verschieden gestalteten Röcken). Nepos Cornelius, der unter der Regierung des Augustus starb, sagte: „Als ich noch jung war, schätzte man den veilchenfarbenen Purpur am höchsten, wovon das Pfund 100 Denare (60–70 Mark) kostete, bald darauf zog man den roten tarentinischen vor und später den doppelgefärbten tyrischen, wovon man das Pfund nicht unter 1000 Denaren (600–700 Mark) kaufen konnte. Der Ädil Publius Lenthulus Spinther, der diesen tyrischen Purpur zuerst trug, wurde darob getadelt; jetzt aber hat jedermann bei Schmausereien mit tyrischem Purpur gefärbtes Tischzeug. Spinther war im Jahre 691 der Stadt (62 v. Chr.) Ädil, (d. h. Hilfsbeamter der beiden Volkstribunen und als solcher mit der Straßen- und Baupolizei, wie auch mit der Überwachung des Marktverkehrs betraut), da Cicero Konsul war, und damals nannte man den tyrischen Purpur doppelt gefärbt(dibapha) und betrachtete ihn als eine sehr kostspielige Sache; jetzt aber ist jeder gute Purpur doppelt gefärbt.“ Und Plutarch schreibt in seiner Biographie Alexanders des Großen: „Als Alexander die Stadt Susa in Persien erobert hatte, fand er daselbst Geld und Kostbarkeiten in unsäglicher Menge; dabei sollen auch 5000 Talente (= 301000kg) hermionischen Purpurs (Hermione war eine Stadt in Argolis) gewesen sein, den man 190 Jahre lang aufbewahrt hatte und der noch so glänzend aussah, als ob er neu wäre.“

Jedenfalls hat die Wertschätzung des Purpurs von der syrischen Küste aus schon im hohen Altertum ganz Vorderasien erobert, lange bevor die Griechen durch die phönikischen Kaufleute mit ihm bekannt wurden und die Bekanntschaft damit den Römern übermittelten. In Babylonien und Assyrien war der purpurgefärbte Mantel das Abzeichen des Königs und wurde als besondere Auszeichnung auch an Private verliehen, wie dies Nebukadnezar (Nabûkuduriussur), der von 604–561 über Babylon herrschte, nach Daniel 5, 16 dem Juden Daniel tun wollte. Wie im alten Rom diepurpuratidie höchste Adelsklasse darstellten, haben, durch sie beeinflußt, auch die Nachbarvölker von ihnen eingehandelte Purpurgewänder als königliches Abzeichen benutzt. Erst mit dem Untergang der antiken Kultur verlor sich im Abendlande mehr und mehr die Kenntnis von der Bereitung des Purpurs. Nur im byzantinischen Reiche blieb sie das ganze Mittelalter hindurch erhalten. Auch dort durfte nur der Herrscher sich mit Purpurstoffen bekleiden, so daß der Ausdruck den Purpur nehmen, wie bei den Römern der Kaiserzeit, so viel als sich der Herrschaft bemächtigen bedeutete und der BeinamePorphyrogenetos, d. h. der in Purpur Geborene, den bei der Geburt schon mit der Kaiserwürde Bekleideten bezeichnete. Die letzte Erwähnung von Purpurgewändern als Galatracht desbasileusin Byzanz datiert vom Jahre 1440, 13 Jahre vor der Eroberung durch die Osmanen. Mit der Invasion der Türken ging auch im byzantinischen Reiche die Kenntnis der Gewinnung des Purpurs verloren, bis in der Neuzeit der französische Zoologe Lacaze-Duthiers durch Zufall sie wieder entdeckte. Als er nämlich im Sommer 1858 im Hafen von Mahon auf der spanischen Insel Menorca mit Hilfe eines Fischers allerlei Seetiere aufsuchte, bemerkte er, daß sein Schiffer sein Hemd mit der schleimigen Absonderung einer Meerschnecke, die sich alsbald alsPurpura haemastomaentpuppte, zeichnete. Die mit einem Stückchen Holz aufgetragenen Buchstaben und Figuren erschienen bald gelblich und der Fischer sagte,sie würden rot werden, sobald die Sonne eine Zeitlang darauf geschienen habe. Der Zoologe ließ auch sein Hemd mit diesem schleimigen Safte zeichnen und machte alsbald die Entdeckung, daß bei der Einwirkung der Sonnenstrahlen sich ein höchst unangenehmer durchdringender Geruch entwickelte und eine immer intensiver werdende Violettfärbung auftrat. Dies war die Veranlassung zur Wiederentdeckung der Herstellung des Purpurfarbstoffs, von dem wir heute wissen, daß er aus Dibromindigo besteht, d. h. aus Indigo, in welchem zwei Wasserstoffatome durch zwei Bromatome ersetzt sind. AußerPurpura haemastomaermittelte Lacaze-Duthier auch die im Mittelmeer sehr gemeinenMurex brandarisundMurex trunculusals Träger des Purpurfarbstoffs. Übrigens haben die nordamerikanischen Indianer von sich aus, unabhängig von den Europäern, den Saft der einheimischen Purpurschnecken zum Rotfärben benutzt. So färbten sie einst, wie heute noch die Indianer von Tehuantepec, mit dem Safte vonPurpura patulaihre Frauenröcke purpurrot.

Bild 54. Der Tuchfärber.(Nach einem Holzschnitt von Jost Ammann 1539–1591.)

Bild 54. Der Tuchfärber.(Nach einem Holzschnitt von Jost Ammann 1539–1591.)

Von den großen Meeresschnecken des Mittelmeers hat wahrscheinlich die großeTonnenschnecke(Dolium galea) das Vorbild für das Spiralornament der jonischen Säule gegeben. Als Prof. Troschel bei seinen zoologischen Studien in Messina sie lebend zur Untersuchung erhielt, ließ sie, gereizt, aus ihrem einen halben Fuß weit ausgestülpten Rüssel einen Strahl einer wasserklaren Flüssigkeit einen Fuß weit hervorspritzen. Zu seinem höchsten Erstaunen nahm Troschel wahr, daß der Kalkstein des Fußbodens von der Flüssigkeit stark aufbrauste, der vermeintliche Speichel also eine scharfe Säure war. Die genaue chemische Untersuchung des von einer dicht neben der Speicheldrüsegelegenen besonderen Drüse abgesonderten Saftes ergab darin die Anwesenheit von 3–4 Prozent freier Schwefelsäure und 0,3 Prozent freier Salzsäure. Sie dient dem Tiere dazu, die Kalkgehäuse der Schnecken und Muscheln, von denen sie sich ernährt, im Bereiche des Mundes aufzulösen, damit sie dann mit der Zunge ins Innere eindringen kann, um die Weichteile aufzufressen.

Die großenTritonshörnerdagegen, besonders dasTritonium nodiferumdes Mittelmeers, diebuccinader alten Römer, diente mit einer künstlich gemachten Öffnung an der Spitze der gewundenen Schale, in welcher das Tier einst seinen Eingeweidesack trug, als Kriegstrompete. Deshalb sagt der Dichter Vergil: „Diebuccinazwang schon die alten Quiriten zu den Waffen.“ Teilweise schon im Altertum, mehr aber noch in der Rokokozeit, wurden ihre Schalen nicht nur als Signaltrompete, sondern auch mit dem Delphin als eigentliches dekorativ ausgestaltetes Attribut der Meeresgötter immer wieder auf Statuen und Reliefs angebracht. Man gab ihnen später bei den Deutschen, die sie zur Zierde als Nippsache in ihren besseren Stuben aufstellten, den Namen Kinkhörner, weil sie kinken, d. h. klingen oder sausen, wenn man ihre Mündung an die Ohren hält. Man wollte darin das Brausen des Meeres hören. Dies ist natürlich unrichtig. Alle Muschelschalen sind vielmehr natürliche Resonanzböden für bestimmte schwache Geräusche, die sie so verstärken, daß sie uns hörbar werden. Bei absoluter Stille lassen sie kein Brausen hören. Diese und andere große Schneckenschalen dienen auch zum Einschneiden von allerlei bildlichen Darstellungen oder zur Herstellung von Kameen, wobei durch Benutzung verschieden gefärbter Schichten die Figuren eine andere Farbe als der Grund erhalten. Mit prächtig perlmutterartig glänzenden Stücken von Kreiselschnecken der GattungTurbostellen die Chinesen allerlei Einlegearbeiten in ihre lackierten Möbel und Schränke her, während bei uns die durch Interferenz schön irisierenden inneren Schichten auch anderer Schneckenschalen und Muscheln, vor allem der alsbald zu besprechenden Perlmuschel dazu benutzt werden, wie auch zur Herstellung von Knöpfen, Zahlmarken usw. Die zum Schutze gegen das Weggeschwemmtwerden von seiten der Brandung außerordentlich fest an der felsigen Unterlage haftendenNapfschneckender GattungPatellasind, wie auch manche der größeren Meeresschnecken, ein nicht besonders wohlschmeckendes, aber von den ärmeren Klassen der europäischen Küstenbewohner viel gesuchtes und gern gegessenes Nahrungsmittel.

Außerordentliche volkswirtschaftliche Bedeutung besitzen unter allenMeerschnecken heute nur diePorzellanschneckenin ihrem wichtigsten Vertreter, derKaurischnecke(Cypraea moneta). Diese Schnecke mit 1,5–2cmlanger, breiteiförmiger, weißlicher oder gelblicher Schale kommt in großen Mengen auf den Malediven im Indischen Ozeane vor, wo sie, nach älteren Angaben, zweimal im Monat, drei Tage nach Voll- und Neumond, eingesammelt wird, um nach dem Ablaufenlassen der Weichteile die Gehäuse teils nach Bengalen und Siam, vorzugsweise aber nach Afrika zu verschiffen, wo sie als Schmuck und Münze zugleich dienen. In Indien, wo sie als Verkehrsmittel seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. nachweisbar sind, gelten etwa 24–36, in Afrika etwa 6 Stück gleich einem deutschen Pfennig, früher überall mehr wegen der größeren Transportkosten. Der Hauptstapelplatz für den ausgedehnten afrikanischen Kaurihandel ist Sansibar. Von dort und anderen Orten der Ostküste Afrikas gehen seit vielen Jahrhunderten große Karawanen mit diesem Artikel, der zugleich Geld und Ware ist, nach dem Innern des Kontinentes ab. Ganze Schiffsladungen wiederum werden von europäischen Schiffen von dort, besonders von Sansibar, abgeholt und an der Westküste gegen die dortigen Produkte: Goldstaub, Elfenbein, Palmöl und neuerdings auch Gummi eingetauscht, soweit die Stämme noch nicht den Gebrauch der europäischen Münzen angenommen haben. In Gure hatten einst 700000 Stück den Wert von 990 Mark, also etwa 2120 denjenigen von 3 Mark, und es beliefen sich die Einkünfte des Herrschers auf 30 Millionen Kaurischneckenschalen. Ihr Wert ist natürlich dem Kurs unterworfen und hängt von der Zufuhr und der Entfernung ab. Gewöhnlich sind sie zu Hunderten auf Schnüre gereiht, um das Zahlgeschäft zu erleichtern. An manchen Orten ist dies aber nicht Sitte und müssen die Tausende einzeln abgezählt werden. Solange die Holländer Ceylon besaßen, war diese Insel der wichtigste Stapelplatz für die Kauris, von wo sie in Körben oder Ballen von je 12000 Stück oder für Guinea in Fässern versandt wurden. Eine Zeitlang wurde vermittelst der Kauris der ganze afrikanische Sklavenhandel betrieben, indem für 12000 Pfund 500–600 Sklaven eingekauft werden konnten. Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich der Preis bereits verdoppelt. Als dann aber die Küstendistrikte Westafrikas mit dem Kaurigelde überschwemmt waren, traten andere Tauschobjekte an dessen Stelle, und heute wird überall in den Kolonialgebieten mit der betreffenden Münze bezahlt. Noch Henry Stanley bestritt auf seiner berühmten ersten Reise quer durch Afrika auf der Suche nach dem verschollenen David Livingstone mit 6 Kauris die Tageskost eines Trägers und erhielt von den kein anderes Tauschmittel kennenden Eingeborenen für 3 ein Huhn und für 2 zehn Maiskolben. In Angola werden kleine, scheibenförmig geschnittene Stückchen einer großen Landschnecke (Achatina monetaria) als Geld verwendet, in Neuguinea die kleineNassa camelusundglobosa, an der Nordwestküste Nordamerikas noch vor kurzem einDentalium, das deshalbpretiosumheißt, und die großeHaliotis splendens; es gab eine Zeit, da man für ein einziges Stück der letzteren im Binnenland ein Pferd bekommen konnte.

Keine andere Konchyliengattung genießt so alte und allgemeine Beliebtheit als Schmuck des Menschen als die größeren Arten von marinen Porzellanschnecken. In allen Erdgegenden, selbst bei unkultivierten Völkern, trifft man sie vermöge ihres glänzenden, buntgefärbten Äußern als Zierat der Wohnungen oder der Personen.

Als menschliche Speise übertreffen aber dieMuschelnan Bedeutung weit die Schneckenarten. Schon dem vorgeschichtlichen Menschen Europas wie Südamerikas und anderer Küsten waren die am Strande oder in wenig tiefen Meeresbuchten gesammelten Muscheln eine willkommene Speise, die sie gern verzehrten. So treffen wir zu Beginn der neolithischen Zeit an den Küsten Dänemarks eine vorzugsweise von Muscheln lebende Bevölkerung, die uns ganze Hügel von weggeworfenen Schalen mit ihren Herdstellen dazwischen hinterließ. Unter Knochenresten der verschiedensten Landtiere und Hochseefische finden sich darin besonders Schalen der Auster, Miesmuschel, Herzmuschel, Gehäuse von allerlei Strandschnecken und anderen Weichtieren. Auch späterhin haben die Küstenbewohner gern solche Muschelspeise gegessen, wenn sie auch nicht die Schalen dieser Weichtiere zu derartigen Haufen aufstapelten wie sie uns in den Kjökkenmöddings Dänemarks und den Sambaquis Brasiliens entgegentreten.

Unter allen Muscheltieren ist heute noch die gemeineAuster(Ostrea edulis) die geschätzteste zum Verspeisen. Sie kommt an allen ihr zusagenden Küstengebieten, wo grober Sand oder Steine liegen und kein Schlick sie zu überdecken und so zum Ersticken zu bringen vermag, gesellig in sogenannten Austernbänken vor. Wie alle Muscheln ist sie ein ausgesprochener Küstenbewohner, der im Flachwasser von Diatomeen, Infusorien und kleinen Krebschen lebt, welche ihm die Wimperströmung zuträgt. Trotz ihrer ausgiebigen Fortpflanzung vermehrt sich die Auster nur schwach, weil die Jungen viel Feinden ausgesetzt sind. Sie ist zwar zwitterig, doch reifen die Eier und Samen nicht gleichzeitig, so daß gleichwohl keine Selbstbefruchtung eintreten kann. Höchstens 30 Prozent, oft aber nur 10 Prozent der Austern sind trächtig und ältere Exemplare liefern über 1 Million Eier. Die Zeit der Fortpflanzung fällt in den Sommer. Die Jungen entwickeln sich zunächst in der Mantelhöhle der Mutter und schwärmen später aus, um sich rasch irgendwo festzusetzen. Am Ende des ersten Jahres messen sie etwa 3cm, sind aber erst mit 4 bis 6 Jahren so groß, daß sie auf den Markt gebracht werden können.

Nach Plinius hat zuerst der Römer Sergius Orata zur Zeit des Lucius Crassus vor dem Marsischen Krieg (91–88 v. Chr.) im Gebiet von Bajae Austernparks (ostrearum vivarium) errichtet. „Er zog aus ihnen große Gewinne und behauptete, die lukrinischen Austern von der kampanischen Küste seien die besten. Damals dienten freilich die Küsten Britanniens den Römern noch nicht mit ihren Austern. Man holt jetzt auch welche von Brundisium (dem heutigen Brindisi am Adriatischen Meer) in die Austernteiche am Lukrinersee und mästet sie in letzterem nach der langen Seereise. — Die Austern genießen bei reichen Leuten den Vorzug vor anderen Speisen. Sie lieben das süße Wasser der sich ins Meer ergießenden Ströme und sind in Farbe verschieden: rot in Spanien, braun in Illyrien, schwarz an Fleisch und Schale zu Circeji. Für die besten gelten allerwärts die derben, nicht durch ihren eigenen Schleim schlüpfrigen; auch verlangt man, daß sie sich durch Dicke, nicht durch Breite auszeichnen. Man liebt die auf festem Boden, nicht auf Schlamm oder Sand gefundenen. Sie lassen sich auch leicht in fremde Gewässer versetzen. Als Arznei sind die Austern sehr wichtig. Für den Magen sind sie wahrhaft erquickend. Schwelger bedecken sie auch mit Schnee, um sie kühler zu erhalten, und vermischen so gleichsam die Bergspitzen mit der Meerestiefe. In ihrer Schale, geschlossen wie sie angekommen, gekocht, wirken sie kräftig gegen den Schnupfen. Asche von Austerschalen dient mit Honig gegen Geschwulst des Zäpfchens und der Mandeln.“

Außer den lukrinischen Austern aus der Umgebung von Neapel liebten die Römer besonders auch diejenigen vom Golf von Tarent und von Kyzikos in Mysien. Heute gelten in Italien außer den noch jetzt sehr geschätzten tarentinischen die Triester Pfahl- und die venezianischen Arsenalaustern als die besten Sorten. In Frankreich sind diejenigen von Marennes und La Tremblade, in Belgien die von Ostende, in Holland die seeländischen von Vlissingen und Middelburg besonders berühmt. In England gelten außer den Austern aus den Zuchtteichenvon Whitstable diejenigen von Essex und die von Colchester kommenden sogenannten Grünbärte (d. h. solche mit durch Einlagerung von winzigen Algen grünen Kiemen) als die vorzüglichsten. In Norddeutschland werden meist holsteinische oder Flensburger Austern von der Westküste, der Strecke von Husum bis Tondern, verzehrt. Weniger schmackhaft als sie sind die dickschaligen Austern von Helgoland, Friesland, Schottland und Skandinavien. Außerdem werden sehr viele amerikanische eingeführt. In der Ostsee gedeihen die Austern heute nicht mehr, da ihnen das Meerwasser dort zu süß ist. Das Minimum von Salzgehalt, das sie zu ihrer Existenz bedürfen, ist etwa 17 pro Mille. Am fettesten und schmackhaftesten werden sie bei 20 bis 30 pro Mille, daher man, abgesehen von denen des Mittelmeers, auch an den Küsten des Atlantischen Ozeans und der Nordsee die beliebtesten Austern an Stellen findet, wo der Salzgehalt des Meeres durch in die Buchten einmündende Flüsse gemildert wird.

Seit der römischen Kaiserzeit scheint die Austernzucht nie ganz verloren gegangen zu sein. Sie erhielt sich besonders bei den Byzantinern am Hellespont und um Konstantinopel, aber auch im Abendland, obschon uns aus dem Mittelalter nur wenige Nachrichten darüber erhalten sind. Daß die Austernzucht auch im Westen Europas nie ganz aufgehört hat, geht aus einem im Jahre 1375 erlassenen Gesetze hervor, das verbot, Austernbrut zu einer anderen Zeit als im Mai zu sammeln und zu versetzen. Besonders scheint die Hegung und Aufzucht dieser Schaltiere in Teichen an der Themsemündung geübt worden zu sein, da es sich fand, daß bei Milderung des Meerwassers durch mäßigen Zutritt von Flußwasser die Austern den Kennern noch besser mundeten. Diese Austernparks erfüllen einen doppelten Zweck, indem sie Mastställe und Magazine zugleich sind. Man gibt darin der Brut Gelegenheit, sich vor Feinden geschützt ruhig zu entwickeln. Es sind gewaltige, durch Schleusen mit dem Meere verbundene gemauerte Bassins, in denen das Wasser monatlich zweimal erneuert wird. Die Parks von Marennes und La Tremblade werden nur zur Zeit der Springfluten, bei Neu- und Vollmond, mit frischem Wasser versehen. Dreijährig kommen dann die Austern zum Verkauf. So liefern die drei Parks von Ostende jährlich etwa 15 Millionen Austern. In den großen Städten werden sie mit Vorliebe von den Reichen konsumiert, da sie immerhin kein billiges Essen sind. Paris verbraucht deren jährlich etwa 75 Millionen und London gar 1 Milliarde. In den Städten der Vereinigten Staaten werden jährlich über 5 Milliarden gegessenund außerdem noch 120 Millionen nach Europa abgegeben. In der Chesapeakebay, wo sich die größten Austernparks finden, werden ganze Wagenladungen verdorbener Pfirsiche, mit denen man sonst nichts anzufangen weiß, zu ihrer Fütterung ins Meer geworfen. In Virginien gibt es zahlreiche Austernkonservenfabriken, die die Vereinigten Staaten mit ihren Produkten versorgen.

Auch die mit der Auster nahe verwandteKammmuschel(Pecten) wird gern gegessen und besonders zu feinen Ragouts verwendet, während sich mit ihren Schalen die aus dem Morgenlande heimkehrenden Pilger Hut und Kleid zu schmücken pflegten. Ebenso beliebt als Speise ist dieeßbare Miesmuschel(Mytilus edulis), die am besten in der Nordsee und den nordeuropäischen Meeren gedeiht. Sie gehört zu den wenigen Meerestieren, die aus den Meeren mit normalem Salzgehalt, wie aus der Nordsee, in die ziemlich stark ausgesüßten Binnenmeere, wie die Ostsee, eindringt und hier ganz gut gedeiht. Hier wird sie in manchen Gegenden ähnlich der Auster gezüchtet. Hierzu benutzen die Fischer von Ellerbeck bei Kiel abgehauene Bäume, mit Vorliebe Erlen, denen die feineren Zweige abgeschnitten wurden. Sie spitzen sie unten zu und versenken sie mit Hilfe eines Taues und einer Gabel in die Region des lebenden oder toten Seegrases in 3,6–5,5mTiefe fest in den Grund. Das „Setzen“ der Muschelbäume geschieht zu jeder Jahreszeit, herausgezogen werden sie aber nur im Winter, am häufigsten auf dem Eise, da dann die Muscheln am besten schmecken und ungefährlich sind, welch letzteres in wärmeren Jahreszeiten nicht immer der Fall ist. Den Stand ihrer „Muschelpfähle“, wie sie diese Bäume nennen, wissen die Fischer durch Merkzeichen am Lande, die sie aus der Ferne fixieren, aufzufinden. Wenn sie über einem Baum angekommen sind, treiben sie eine Stange in den Grund, um den Kahn daran festzubinden; dann schlingen sie ein Tau um einen Haken, führen dieses unter Wasser um den Stamm des Muschelbaums herum und winden denselben damit in die Höhe. In ganzen Klumpen hängen dann nebst anderen Meerestieren die Miesmuscheln daran, die sich mit vom Fuß ausgeschiedenen Fäden, dem Byssus, an ihnen fest verankert haben, damit sie nicht von der Strömung weggerissen werden. In der Kieler Bucht werden jährlich wenigstens 1000 Muschelpfähle gesetzt und ebensoviel gezogen, nachdem sie 3 bis 5 Jahre gestanden haben. Auf den Kieler Markt kommen den Winter hindurch über 4 Millionen Stück solchermaßen geernteter Miesmuscheln und finden willig Abnehmer, da sie recht gut schmecken.

Während die haarähnlichen Fäden, mit denen sich die Miesmuscheln am Boden verankern, grob und steif sind, sind sie bei manchen Arten, wie bei der langgestrecktenSteckmuschel(Pinna) fein, geschmeidig und seidenglänzend, so daß sie hier und da, allerdings mehr als Kuriosität für die Fremden und nicht zum täglichen Gebrauch, zu Geweben versponnen werden. So werden in Unteritalien, besonders in Tarent und Reggio, fein anzufühlende goldbraune Handschuhe aus solchen Byssusfäden gewoben. Eine solche Verwendung geht mindestens bis in die späteren Zeiten des Römerreiches zurück, da schon der 220 n. Chr. verstorbene Kirchenvater Tertullian sie erwähnt. Zu diesem Zwecke werden die in ruhigen Meerbusen mit Schlammgrund wenige Meter tief in großen Mengen aufrecht beieinander sitzenden Steckmuscheln mit einem eigenen Instrument gefischt. Es besteht aus zwei gebogenen, an beiden Enden miteinander verbundenen dünnen Eisenstangen und wird so an der Muschel herabgelassen, daß es an beiden Seiten des breiteren Teiles derselben hinabgleitet und dann durch Drehung um einen rechten Winkel dieselbe festhält und herauszieht. Früher wurde dieseMuschelseidebesonders im Neapolitanischen hergestellt. Außer zur Gewinnung des Byssus werden die Steckmuscheln, von denenPinna squamosades Mittelmeers 56cmlang wird, auch ihres zwar weniger guten Fleisches wegen erbeutet. Schon die Alten hatten beobachtet, daß die Steckmuschel in ihrer Mantelhöhle einen rundlichen Krebs beherbergt, den sie — wie uns Plinius und Älian berichten —PinnotheresoderPinnophylax, d. h. Wächter der Steckmuschel (pinna) nannten. Dieser sollte in der Weise für die Ernährung der blinden Muschel sorgen, daß er letztere, die ihre Schalen öffnet, um ihren Fuß als Köder für Fische auszustrecken, kneift, wenn sich einige Fischchen in sie hineinbegeben haben. Die Muschel schließe dann ihre Schalen und verzehre gemeinsam mit ihrem Genossen, dem Krebschen, die so gemachte Beute. Selbstverständlich ist dies ein, wenn auch recht anmutig erdachtes, Märchen.

Die größte aller Muscheln ist die in den Korallenriffen des Indischen Ozeans lebendeRiesengienmuschel(Tridacna gigas), die ein Gewicht von 100–200kgerreicht, ohne die Schale allerdings nur bis zu 10kgschwer wird. Ihr Fleisch wird zum Essen benutzt, ihre ungemein massiven Schalen mit gewulsteten Rippen aber nicht selten in katholischen Kirchen als Weihwasserbecken aufgestellt oder zu Wasch- oder Springbrunnenschalen benutzt. Jedenfalls fehlen sie als imposante Schaustücke keinem größeren Museum mariner Tiere. Weniger auffallend aber kulturgeschichtlich unvergleichlich wichtiger als sie ist die ebenfalls dem Indischen Ozean angehörendeechte Perlmuschel(Avicula margaritifera), deren bis 30cmlange, rauhe, äußerlich meist von Moostierchen und Kalkalgen überzogene, flache Schalen auf grünbraunem Grunde weiße Strahlen und nach außen zu immer stärker werdende Schuppen tragen und mit einem grünlichen grob-faserigen Byssus fest an der steinigen Unterlage befestigt sind. Wie sie inwendig von einer unverhältnismäßig dicken Perlmutterschicht bedeckt sind, so scheidet der dieselbe ausscheidende Mantel auch um alle unter ihn gedrungene Fremdkörper, vornehmlich Parasiten der verschiedensten Art, dieselbe Perlmuttermasse ab, wodurch die in Sage und Geschichte so berühmtenPerlenentstehen. Sie liegen nicht immer frei zwischen Mantel und Schale, sondern sind häufig mit letzterer verwachsen, haben auch oft statt der kugeligen eine unregelmäßige Form. Außer der Gestalt bestimmen Größe, Farbe, Glanz und die sogenannte Klarheit oder das Wasser ihren Wert. Wegen ihrer Größe sind die sehr unregelmäßigen, eckigen Beulen- oder Brockenperlen, wegen ihrer gleichmäßigen, schönen Rundung die Stückperlen teuer. Was die Färbung betrifft, werden in Europa die weißen, auf Ceylon die rosenfarbigen, im Orient die ins Gelbliche spielenden Perlen am meisten geschätzt. Sind schöne Perlen auch noch groß, wie die größte in Europa bekannt gewordene, die taubeneigroße Perle König Philipps II. von Spanien, des Sohnes Kaiser Karls V. und Isabellas von Portugal (1527–1598), so haben sie einen ungeheuren Wert. An Papst Leo X., den zweiten Sohn Lorenzo il Magnificos von Medici, der 1513 Papst wurde und, um seinen Finanzen aufzuhelfen, den bekannten, schließlich zur Reformation der Kirche führenden Ablaßhandel besonders schamlos in Szene setzte, verkaufte ein Venezianer eine Perle für 264000 Mark unseres Geldes. Den Wert der großen Perle, die Kleopatra in Essig aufgelöst trank, um dem Antonius zu imponieren, schätzte man auf 11⁄2Millionen Mark. Außer den schön runden Stück- und den eckigen Brockenperlen unterscheidet man noch die auf einer Seite flachen Kartenperlen und die nicht gut anbohrbaren, nur zur Einfassung von Schmuckgegenständen dienenden Staubperlen. Man spricht auch von Zahl-, Unzen- und Lotperlen und sortiert sie für den Handel durch 5–10 verschiedene Siebe mit engeren und weiteren Löchern. Außer den Perlen werden auch die alsPerlmutterin ganzen Schiffsladungen nach Europa kommenden Schalen der Perlmuscheln vielfach zur Anfertigung von Knöpfen, Messergriffschalen und dergleichen verwendet.1kgderselben repräsentiert einen Wert von 3 Mark. Die schlechteren Stücke werden in manchen Gegenden Südasiens gelegentlich auch als Dachziegel verwendet. Aus dem Schloßband der Perlmuschel schneidet man den wie Labradorstein schillerndenPfauenstein, der zur Herstellung von allerlei Schmuck dient.

Die echte Perlmuschel ist an den Küsten des Indischen und Stillen Ozeans weit verbreitet und lebt gesellig in Tiefen von 6–45m, am meisten zwischen 8 und 16m, und wird, wo sie häufig ist und erfahrungsgemäß öfters Perlen birgt, von Tauchern auf gut Glück heraufgeholt. Diese können, durch lange Übung dazu befähigt, 2–3 Minuten unter Wasser bleiben. Sie tauchen, den Fuß durch eine Schlinge mit einem schweren Stein gesteckt und mit einem Messer zur Abwehr der Haie bewaffnet, wie auch von den Mantras — den Zaubersprüchen — des mit hinausfahrenden Priesters begleitet, vom Boot aus ins Meer, reißen oder schneiden die mit einem Byssus an den Grund gehefteten Perlmuscheln ab, stecken deren etwa 50 in ein von ihnen über den Nacken getragenes Netz, geben dann den Leuten im Taucherboot durch Rütteln des an ihnen befestigten Strickes ein Zeichen, werden von diesen heraufgezogen und beginnen die Arbeit nach kurzer Pause von neuem. Etwa 40 bis 50mal können sie an einem Tage nacheinander auf den Meeresgrund tauchen, dann aber sind sie so erschöpft, daß sie einer längeren Ruhe zu ihrer Erholung bedürfen. Nicht selten werden sie bei ihrem nicht ungefährlichen Berufe die Beute der gefürchteten Haifische oder von den Sägehaien verletzt. Weit häufiger aber werden sie ein Opfer ihrer ungesunden Lebensweise; denn nicht selten stürzt ihnen, nachdem sie einige Male getaucht sind, ein Blutstrom aus Nase und Mund. Sie leben während der Fischzeit von Datteln, Fischen und Reis, den ihnen die Engländer liefern, und setzen sich während des Tauchens nach Perlmuscheln ein Stück elastisches Horn über die Nasenöffnung, welche dadurch fest zusammengehalten wird. Die gefischten Muscheln läßt man, damit sie ihre Klappen öffnen und die Perlen herausgesucht werden können, eine Zeitlang am Ufer faulen, was im Sommer bei einer Hitze von oft 50°C.einen furchtbaren Gestank verursacht, so daß der Aufenthalt an diesen sonst paradiesischen Gestaden nichts weniger als ein Genuß ist. Oft findet man in 20 Muscheln nicht eine einzige Perle, ausnahmsweise aber auch wohl 20 Perlen in einer einzigen Muschel. Neuerdings hat man vorgeschlagen, die Röntgenstrahlen zur Prüfung der frischgefischten Perlmuscheln auf Perlen zu verwenden und alle perlenfreien ins Meer zu werfen,um sie gelegentlich später wieder auf etwaige Bildung von Perlen zu untersuchen. Es ist dies natürlich eine sehr rationelle und humane Neuerung, so daß die unzähligen Stücke, die bisher nutzlos ihr Leben lassen mußten, geschont werden könnten.

Die Zeit der Perlenfischerei sind an den Küsten des Indischen Ozeans die Monate März-April und August-September, weil alsdann in der Zeit zwischen dem Ost- und Westmonsun Windstille zu herrschen pflegt, was sowohl für die Sicherheit der die Taucher begleitenden Fahrzeuge, als für das bessere Sehen unter Wasser von Wichtigkeit ist. In dieser Zeit belebt sich der sonst so öde Strand der Perlmuschelgegenden nicht nur durch die Perlenfischer selbst, sondern durch die Lebensmittelverkäufer, Unterhändler und allerlei Gesindel, die in der Regel noch einen sichereren Gewinn machen als die Perlenfischer selbst, die miserabel bezahlt sind, nämlich außer einem kleinen Anteil an den erbeuteten Muscheln nur 30 Cent (= 41 Pfennige) Lohn im Tag erhalten. Die Taucher stehen im Dienst größerer Unternehmer, die an die Regierung des Landes, an deren Küste sie fischen, entweder eine feste Pachtsumme oder einen bestimmten Teil des Ertrages bezahlen. Dieser ist sehr verschieden in den einzelnen Jahren. In der Regel wird dieselbe Perlmuschelbank erst nach 5 bis 7 Jahren wieder befischt, um sie nicht so sehr zu erschöpfen. Zuweilen werden vor Beginn der eigentlichen Fischerei Proben genommen und da, wo 1000 Muscheln nicht Perlen im Werte von 11⁄2–3 Mark ergeben, die Fischerei ganz unterlassen. Ein anderthalbfach größerer Ertrag gilt schon für recht günstig.

Die wichtigsten Perlmuschelbänke liegen um die Dahlakinseln im Roten Meer, um die Bahreininseln und die Insel Ormus im Persischen Meerbusen. Von der letzteren sagt ein persisches Sprichwort: Wäre die Erde ein Ring, so wäre Ormus der Edelstein darin. Gegen 30000 Menschen sollen den Sommer hindurch im Persischen Meerbusen mit der Perlfischerei beschäftigt sein und dabei einen Gesamtgewinn von jährlich etwa 80 Millionen Mark erzielen. Andere wichtige Perlmuschelbänke liegen an der Westküste Ceylons, im Golf von Manaar in der Bai von Kondatschi und in der Meerenge zwischen Ceylon und der Küste von Madura, an der sogenannten Perlküste, wo die englische Regierung das Recht zur Perlfischerei besitzt und regelmäßig ausübt. Dabei läßt sie jedes Jahr nur bestimmte Perlbänke und diese erst wieder nach 6–7 Jahren absuchen und erzielt einen jährlichen Gewinn von1⁄2–4 Millionen Mark. Hier sind diePerlbänke an dieCeylon Company of Pearl Fishersvermietet, die die Tagesernte von Muscheln in Säcken von 1000 Stück gleich an Ort und Stelle öffentlich versteigern lassen, während die Taucher ihren Anteil in Partien von ungefähr 6 Muscheln auf dem Fischmarkt von Colombo verhökern lassen. Bei den Auktionen erzielt der Sack von 1000 Austern durchschnittlich 30 Rupies (= 58 Mark). Sowie aber in einem von diesen eine besonders kostbare Perle gefunden wurde, schnellen die Preise der nächsten Säcke plötzlich in die Höhe und erzielen zwischen 100 und 200 Rupies (= 192 und 386 Mark), bis der Eifer der aus der ganzen Welt zusammengeströmten Perlenhändler verrauscht ist. Die Muscheln der ersteigerten Säcke werden von den mehr oder weniger glücklichen Besitzern sofort geöffnet und auf etwaige Perlen untersucht. Diejenigen, die keine Perle enthalten, werden einfach fortgeworfen.

Außer bei Ceylon wird auch bei den Suluinseln zwischen Borneo und den Philippinen schon seit langem Perlfischerei getrieben, ebenso neuerdings bei Japan, an einigen Stellen der Nordküste Australiens und in Polynesien. In Amerika und an seinen tropischen Küsten, wo die echte Perlmuschel des Indischen Ozeans durch eine ihr sehr nahe verwandte Art vertreten ist, betreibt man im Meerbusen von Kalifornien, im Meerbusen von Mexiko und an den Küsten Westindiens Perlfischerei, namentlich aber bei den Perlasinseln im Meerbusen von Panama und bei der Karaibeninsel Margarita, die Kolumbus so, d. h. Perleninsel benannte. Hier wurden sie von den Indianern schon vor der ersten Ankunft der Europäer geschätzt und gesammelt. So traf Kolumbus auf seiner dritten Reise 1498 in der Nähe der Orinokomündungen Indianerinnen, welche Perlschnüre als Arm- und Halsbänder trugen und gab der in der Nähe befindlichen Insel, an deren Küste die Eingeborenen nach Perlen fischten, eben den Namen Margarita. Ebenso erhielt Vasco Nuñez de Balboa 1513, da er als erster Europäer am Golf von Darien die Landenge von Mittelamerika überstiegen und den Stillen Ozean erreicht hatte, von einem dortigen Häuptling an der Küste 240 Perlen als Geschenk. Später wurden die Halbinseln Guajiro und San Marta, an der Mündung des Magdalenenstroms, sowie La Paz am Meerbusen von Kalifornien berühmte Stellen für Perlfischerei. Die „okzidentalischen“ Perlen sollen durchschnittlich größer, aber weniger glänzend als die orientalischen sein.

Der Gebrauch der letzteren als Schmuck ging offenbar von Indien aus, von wo bis in die späte römische Kaiserzeit nach dem Bericht dergriechischen und römischen Autoren die meisten Perlen in die Mittelmeerländer gelangten. Im Heldengedichte Ramajána werden sie als etwas Bekanntes mehrfach erwähnt. Von der Sanskritbezeichnung dafür,mangara, dürfte sich die griechisch-lateinische Bezeichnungmargaros, spätermargarita, ableiten. Auch das romanische Wort für Perlmutter, französischnacre, stammt von einem orientalischen Worte ab. Das hochdeutsche „Perle“ dagegen ist wahrscheinlich ursprünglich nur eine vergleichende Bezeichnung, vom lateinischenpirula, d. h. kleine Birne. Homer kannte die Perlen und deren Verwendung als Schmuck noch nicht. In der griechischen Literatur werden sie zuerst von Theophrast, einem Schüler des Aristoteles, erwähnt, nachdem durch Alexanders des Großen Eroberungen die Griechen mit dem Orient in engere und mit Indien zuerst in direkte Verbindung gekommen waren. Nach Athenaios sagt Theophrast in seinem Buche über die Steine folgendes über die Perle: „Unter den bewunderten Steinen gehört auch die Perle; sie ist von Natur durchscheinend und dient zu verschiedenartigen Halsbändern. Sie kommt aus Muscheln, welche der Steckmuschel ähnlich, jedoch kleiner sind, und hat die Größe großer Fischaugen.“

Androsthenes sagt in der Beschreibung seiner Schiffahrt entlang der Küste Indiens: „Es gibt dort eine eigentümliche Muschel, welche die Eingeborenenberberinennen und aus welcher der Perlstein (margarítis líthos) kommt. In Asien werden sie hoch geschätzt und nach Persien und weiter hinauf verhandelt. Die Muschel sieht der Kammuschel ähnlich, ist aber nicht gefurcht, sondern glatt und rauh; sie hat auch die zwei ohrförmigen Hervorragungen nicht, welche die Kammuschel hat, sondern nur eine. Die Perle entsteht im Fleische des Tieres und ist entweder so goldfarbig, daß man sie vom Gold kaum unterscheiden kann, oder silberfarbig, oder vollkommen weiß wie (gekochte) Fischaugen.“

Chares von Mitylene schreibt im siebenten Buche der Geschichte Alexanders: „Im Indischen Meere werden Muscheln gefangen, aus denen man weiße Knöchelchen nimmt, die Perlen genannt und, an Schnüren aufgereiht, zu Schmuck für Hals, Hände und Füße verwendet werden. Sie werden in Persien, Medien und (Klein-) Asien höher geschätzt als aus Gold gemachte.“ Isidoros von Charax in Susiana sagt in seiner Beschreibung Parthiens: „Im Persischen Meere liegt eine Insel, woselbst es sehr viele Perlen gibt. Deswegen befinden sich bei der Insel viele aus Rohr geflochtene Kähne, aus welchen Taucher ins Meer springen, bis zur Tiefe von 20 Ellen hinabsteigen und dieMuscheln heraufbringen. Die meisten und besten Perlen sollen in den Muscheln entstehen, wenn Donnerschläge und Platzregen fallen. Im Winter verstecken sich die Muscheln im Abgrund, im Sommer aber öffnen sie sich bei Nacht, schwimmen hin und her, schließen aber bei Tag die Schalen. Diejenigen aber, die an Klippen festwurzeln, erzeugen daselbst die Perlen. Die im Abgrunde wohnenden Muscheln erzeugen die glänzendsten, reinsten und größten Perlen; bei den herumschwimmenden und in der Höhe lebenden sind sie dagegen an Größe und Farbe geringer.“

Sehr eingehend behandelt Plinius in seiner Naturgeschichte die Perlen. Er sagt dort von ihr: „Unter allen Kostbarkeiten sind die Perlen (margarita) das Kostbarste. Man bezieht sie vornehmlich aus dem Indischen Meere, wo sie mitten unter den schrecklichen Seeungeheuern gedeihen, von wo man sie aus jenem glühenden Himmelsstriche, mitten durch so viel Länder und Meere, bis zu uns schafft. Die meisten werden bei der Insel Taprobane (Ceylon) und Stoidis, sowie beim indischen Vorgebirge Perimula (Kap Komorin) gefunden. Vorzüglich gelobt werden diejenigen aus dem bei Arabien liegenden Persischen Meerbusen. Die Entstehung und Fortpflanzung der Perlmuschel unterscheidet sich von der der Auster nicht sehr bedeutend. Im Frühjahr öffnen sich die Perlmuscheln, saugen den Tau ein, werden dadurch befruchtet, und Perlen sind die daraus hervorgehende Frucht, deren Reinheit sich nach der Reinheit des empfangenen Taues richtet. Geschah die Befruchtung bei stürmischem Himmel, so werden die Perlen bleich; denn sie stammen vom Himmel und nicht vom Meere, werden daher wolkig oder rein, je nachdem der Himmel es war. Sättigen sich die Muscheln frühzeitig am Tau, so werden die Perlen groß; blitzt es, so schließen sich die Muscheln, und je länger sie dann fasten, um so kleiner werden die Perlen. Donnert es aber noch dazu, so schließen sie sich im Schrecken ganz fest und bringen nur eine hohle Blase statt einer Perle hervor. Vollkommene Perlen bestehen aus vielfachen, gleichsam häutigen Lagen und bilden sozusagen eine Schwiele, weshalb sie auch von Sachverständigen erst gereinigt werden. Da sie den Himmel so sehr lieben, wunderts mich, daß sie nicht auch mit der Sonne in freundschaftlicher Verbindung stehen; denn von letzterer werden sie rot gefärbt und verlieren ihre weiße Farbe gleich der menschlichen Haut. Das reinste Weiß zeigen daher diejenigen, welche so tief im Meere stecken, daß die Sonnenstrahlen sie nicht erreichen. Doch auch diese werden im Alter gelb und runzlich und glänzen nur solange sie rund sind.Im Alter werden sie auch dick und hängen so fest an der Muschelschale, daß man sie nur mit der Feile trennen kann. Übrigens sind die Perlen im Wasser weich, werden aber augenblicklich hart, wenn man sie herausnimmt.

Wenn die Perlmuschel die Hand des Menschen bemerkt, so schließt sie sich und versteckt ihren Schatz, weil sie weiß, daß man danach strebt. Packt sie die Hand zwischen ihren Schalen, so schneidet sie sie zur gerechten Strafe ab; jedoch ist dies nicht die einzige Gefahr, welche den Fischer bedroht; denn sie wohnt meist zwischen Klippen, und im hohen Meere ist sie von Haifischen umgeben. Aber das alles kümmert die Damen nicht, deren Ohren Perlen zieren. Manche Leute erzählen, die Perlmuscheln haben gleich den Bienen einen König, der sich durch Alter und Größe auszeichne und Nachstellungen äußerst schlau zu entgehen wisse. Diesen König suchen die Taucher vor allem zu erhaschen, die übrigen würden dann leicht in Netzen gefangen. Man tut sie dann in irdene Gefäße, bestreut sie tüchtig mit Salz. Wenn dann das Fleisch verfault ist, fallen die Perlen zu Boden.

Es ist gewiß, daß die Perlen durch den Gebrauch abgenutzt werden und die Farben verlieren, wenn man sie nicht sorgfältig behandelt (Tatsache ist, daß sie in häufiger Berührung mit der menschlichen Haut sich besser halten als in den Schmuckkästchen aufbewahrt). Ihr Wert richtet sich nach der hellen Farbe, nach Größe, Rundung, Glätte und Gewicht, Dingen, die so selten vereinigt sind, daß man nie zwei ganz gleiche Perlen findet. Auch in der Farbe zeigt sich ein großer Unterschied. Im Roten Meere haben sie ein helleres Weiß, die indischen dagegen sehen aus wie Marienglas, sind aber vorzüglich groß. Das größte Lob für eine Perle ist, wenn man sie alaunfarbig nennen kann. Auch die länglichen Perlen sind beliebt. Die Damen halten es für einen großen Ruhm, an Fingern und Ohren Perlen zu tragen, welche die Gestalt einer langen, unten dicken Birne haben. An jedes Ohr hängen sie deren sogar zwei bis drei. Verschwendungssucht und üble Sitten haben auch für dergleichen Schmuck eigene Namen erfunden; denn man nennt solche Ohrgehänge Klappern (crotalia), weil sie ein für die Eitelkeit ganz liebliches Geklapper hervorbringen. Selbst die Ärmeren wollen jetzt solchen Schmuck, und ihre Frauen möchten auch auf der Straße ihre Anwesenheit durch Perlengeklapper anzeigen. Ja sie zieren sogar ihre Füße damit, und zwar nicht bloß die Schuhbänder, sondern die ganzen Schuhe. Es ist ihnen nicht genug, Perlen zu tragen; sie wollen sogar auf Perlen gehen und sie mit Füßen treten.

Daß die Perlen eine dichte Masse bilden, sieht man daraus, daß sie beim Fallen nicht zerbrechen. Nicht immer findet man sie mitten im Fleische der Muschel, sondern bald hier, bald dort; ja, ich habe welche schon ganz am Rande gesehen, als ob sie herausfallen wollten, und in manchen Muscheln 4–5. Bis jetzt hat man nur sehr wenige gefunden, die um ein Skrupel schwerer gewesen wären als zwei Lot (=35g). Auch in Britannien müssen Perlen, jedoch kleine und nicht sonderlich schöngefärbte, wachsen, weil Julius Cäsar den Brustharnisch, den er der Venus weihte, für eine aus britannischen Perlen gemachte Seltenheit ausgab. (Es sind dies, wie wir alsbald sehen werden, von der europäischen Flußperlmuschel gewonnene Perlen.)

Ich habe die Gemahlin des Kaisers Gajus (Caligula, dritter römischer Kaiser 37–41 n. Chr.), Lollia Paulina, gesehen, wie sie bei einem ganz gewöhnlichen Verlobungsschmause, wobei keineswegs ein großer Aufwand an Pracht verlangt wurde, mit Smaragden und Perlen bedeckt war, die in wechselnden Reihen schimmerten. Am ganzen Kopfe, auf den Haaren, der Kopfbinde, den Ohren, dem Halse, dem Halsbande, den Fingern befanden sich so viel, daß sich der Wert derselben auf 40 Millionen Sesterzien (= 6 Millionen Mark) belief, was sie selbst aus ihren Quittungen zu beweisen bereit war. Diese Herrlichkeiten waren nicht einmal Geschenke des verschwenderischen Kaisers, sondern ererbte, durch Plünderung der Provinzen zusammengescharrte Reichtümer. Das ist der Erfolg von Räubereien und Geschenken, die Marcus Lollius schändlicherweise im ganzen Orient von den Königen erpreßte, weswegen ihm Gajus Cäsar, der Sohn des Augustus, die Freundschaft aufsagte, so daß er sich in der Verzweiflung vergiftete. Das also hat er durch sein Leben und durch seinen Tod erlangt, daß seine Enkelin mit einem 40 Millionen kostenden Schmucke beim Scheine der Lichter glänzen konnte.

Nun wollen wir einmal den Schmuck des Curius und Fabricius (sehr einfach lebender Römer der guten, alten Zeit) bei Triumphzügen und ihre (sehr bescheidenen) Mahlzeiten einerseits und die schmausende Lollia andererseits vergleichen. Wäre es nicht besser gewesen, sie wären von ihren Triumphwagen hinuntergeworfen worden, als daß sie für solche Nachkommen gesiegt hätten? — Doch das ist nicht einmal das ärgste Beispiel der Verschwendung. Die zwei größten Perlen, die man seit Menschengedenken gefunden hat, besaß Kleopatra, die letzte ägyptische Königin; sie hatte sie von orientalischen Königen geerbt. Als sie nun täglich von Antonius mit den ausgesuchtesten Leckerbissen gemästet wurde, spottete sie doch stolz, frech und übermütig über alle seine Herrlichkeiten, und als er fragte, wie er denn noch kostbarere Sachen herbeischaffen könne, gab sie die Antwort, sie wolle bei einer einzigen Mahlzeit 10 Millionen Sesterzien (= 11⁄2Millionen Mark) vertun. Antonius hielt die Sache für unmöglich, war aber doch begierig, zu erfahren, was sie tun würde. Es kam zur Wette. Am folgenden Tag, dem Tage der Entscheidung, gab Kleopatra, um den Tag nicht ungenossen vorübergehen zu lassen, ein glänzendes, übrigens ganz alltägliches Mahl, und Antonius machte sich darüber lustig und fragte nach der Rechnung. Das ist nur eine kleine Zugabe, antwortete Kleopatra; die Mahlzeit wird den bestimmten Preis kosten, und ich selbst will allein die 10 Millionen verschlucken. Sie befahl nun, den Nachtisch zu bringen. Auf Befehl stellten die Diener nichts vor sie hin als eine Schale mit Essig, dessen Säure die Perlen auflöst. Sie trug jenes herrliche und wahrhaft einzige Geschenk der Natur als Ohrschmuck. Während nun Antonius voller Erwartung dasaß, nahm sie die eine Perle vom Ohr, warf sie in den Essig, und trank sie, nachdem sie sich aufgelöst hatte (was allerdings nur sehr langsam vor sich gegangen sein wird). Eben war sie im Begriff, mit der andern Perle (dem Ohrgehäng der andern Seite) ebenso zu verfahren, als Lucius Plancus, der Schiedsrichter bei dieser Wette, ihre Hand zurückhielt und den Antonius für besiegt erklärte. Die damals gerettete Perle hat sich später ebenfalls einen Namen gemacht; denn sie wurde nach der Gefangennahme der Kleopatra in zwei Teile zerschnitten, deren jeder ein Ohr der Venus (der angeblichen Ahnfrau des julischen Geschlechtes) im Pantheon zu Rom geziert.

Doch Antonius und Kleopatra brauchen mit ihrer Verschwendung nicht so gar groß zu tun; denn sie können sich darin kaum mit einem Schauspieler messen. Dieser war Clodius, der Sohn des Tragikers Äsop und Erbe seiner unermeßlichen Reichtümer. Dieser Clodius nahm noch vor der Zeit des Antonius Perlen von großem Werte, löste sie auf und trank sie, nicht, um in einer Wette zu siegen, sondern nur um zu wissen, wie sie schmecken. Und wie sie ihm nun herrlich mundeten, gab er auch jedem seiner Gäste eine zu verschlucken.“

Diese Sucht nach Perlengeschmeide, die Plinius an den Römerinnen seiner Zeit (nach der Mitte des 1. Jahrh. n. Chr.) rügt, so daß sie diese Zier nicht nur in den Ohren, sondern auch als Halsschmuck in 1–3 Reihen und danach in Anlehnung an die betreffenden griechischen Bezeichnungen als Mono-, Di- und Trilinum bezeichnet, dann sogaran den Schuhen trugen, war durch Beeinflussung der Orientalen zuerst bei den alexandrinischen Griechen aufgekommen und wurde bei den reichen Römern erst nach den asiatischen Feldzügen des Pompejus Mode. Erst in der späteren Kaiserzeit, wie auch bei den Byzantinern, wurde ein übermäßiger Luxus damit getrieben, wie dies die morgenländischen Herrscher, speziell die persischen und indischen, das ganze Mittelalter hindurch bis in die Gegenwart taten, indem sie nicht nur die Kopfbedeckung und die ganze Gewandung, sondern auch ihre Waffen und übrigen Gebrauchsgegenstände mit Perlen wie auch Edelsteinen überzogen. Manche römische Kaiser suchten allerdings dem Perlenluxus entgegenzutreten. So der sittenstrenge Alexander Severus, von dem uns sein Biograph Älius Lampridius folgende Geschichte berichtet: „Dem Kaiser Alexander Severus brachte einstmals ein Gesandter für seine Gemahlin zwei ausgezeichnet große und schwere Perlen zum Geschenk. Der Kaiser bot sie zum Verkauf aus, und da sich kein Käufer dafür fand, so ließ er sie in die Ohren der Venus (auf dem Kapitol) hängen und sagte: ‚Trüge die Kaiserin solche Perlen, so würde sie andern Damen ein böses Beispiel geben, indem sie Schmuck von so hohem Werte trüge, daß niemand ihn bezahlen könnte.‘“

Der um 180 n. Chr. lebende griechische Sophist Claudius Älianus aus Präneste erzählt uns mancherlei von der, wie er sich ausdrückt, „von unverständigen Männern gepriesenen und von den Weibern bewunderten Perle“ und fügt hinzu, daß durch den Perlenhandel gar manche Leute reich geworden seien. Er nennt als Herkunftsort der besten Perlen das Rote Meer und die Küste zwischen Ceylon und Indien. Dort würden die Perlmuscheln, in denen die Perlen dadurch entstehen sollten, daß ein Blitz in die geöffneten Muscheln leuchte, an heitern Tagen bei ruhigem Meere mit großen Netzen gefischt. Sie schwämmen herdenweise umher und hätten Führer, wie die Bienen ihre Könige haben. „Diese Führer sollen sich durch Farbe und Größe auszeichnen. Ist nun ein solcher gefangen, so fällt die ganze verwaiste Herde in die Hände des Tauchers; deswegen sind letztere auf den Fang des Führers sehr erpicht. Solange der Führer noch lebt, weiß er die Herde mit klugen Schwenkungen zu lenken und zu retten; ist er aber verloren, so rührt sich die Herde nicht vom Fleck, wie eine Schafherde, die ihren Hirten verloren hat. Die gefangenen Muscheln werden, wie man sagt, in Fässern eingesalzen; wenn dann das Fleisch verzehrt ist, bleiben die Perlen zurück. Man kann in den größten Muscheln kleine Perlen finden und in den kleinen große. Manche Muschel hat garkeine, manche nur eine; in vielen aber sind sie zahlreich. Ja, man sagt, es können in einer Muschel 20 Perlen sein. Die Perle wächst im Fleische der Muschel wie ein Dorn; öffnet also jemand die Muschel, ehe sich Perlen in ihr erzeugt haben, so findet er keine. Es ist auch bekannt, daß Perlmuscheln, denen man die Perlen genommen hatte und die man wieder freiließ, neue erzeugten, als wüßten sie, daß sie sich mit diesem Schatze loskaufen könnten. Die Perle gleicht einem Steine und enthält in sich nicht die geringste Feuchtigkeit. Sie ist von Natur glatt und rund. Will jemand eine Perle, deren Gestalt ihm mißfällt, durch Kunst abändern, so gelingt dies nicht; sie wird rauh und verrät dadurch den Betrug. Die ganz weißen und großen gelten für die vollkommensten.“

Bis auf den heutigen Tag hat sich die Perle in der ganzen Kulturwelt ihre Schätzung als Schmuckstein erhalten. Besonders Halsgeschmeide von großen, gleichmäßig runden Stücken sind auch zu unserer Zeit sehr beliebt. Berühmt ist der Perlenschmuck verschiedener europäischer Höfe, auch derjenige der deutschen Kaiserin, die eine besondere Vorliebe für Perlen hat. Manche dieser Geschmeide sind berühmt und haben ihre Geschichte wie einzelne hervorragende Diamanten.

Das zunehmende Seltnerwerden der wertvollen Perlmuschel gab Veranlassung, sie künstlich in abgeschlossenen Meeresbecken zu züchten und ihr Fremdkörper unter den Mantelraum zu schieben, damit sie Perlen daraus bilde. Die Erfolge sind nun auch ganz günstig. Schon lange vor den Europäern haben die Chinesen sich mit der künstlichen Erzeugung von Perlen und dem Überziehen von allerlei kleinen Figürchen mit einem Perlmutterüberzug durch Schieben von Vorlagen zwischen Schale und Mantel der bei ihnen heimischen Flußperlmuschel erfolgreich bemüht. Auch bei uns stammt ein Teil der Perlen von der durch dicke Schalen ausgezeichnetenFlußperlmuschel(Margaritana margaritifera). Sie lebt auf sandigem bis steinigem Boden klarer Gebirgsbäche der nördlichen Hälfte Europas vom Böhmerwald, Fichtel- und Erzgebirge an bis ans Eismeer, von den Flüssen des Ural bis zur Westküste Irlands, und in den reißenden Bächen der Pyrenäen. Von solchen Muscheln Britanniens brachte Julius Cäsar, wie wir hörten, einen Perlenschmuck mit nach Rom, also muß die Ausbeutung der Perlen in denselben von den Kelten schon vor Ankunft der Römer praktiziert worden sein. Die deutschen Perlen werden in der Literatur zuerst 1514 erwähnt. Gegenwärtig werden diese Flußperlen hauptsächlich im sächsischen Vogtland und im Amtsbezirk Vilshofen in Niederbayern von Unternehmern, die das Regal von der Regierung in Pacht genommen haben, ausgebeutet, noch mehr aber in der Moldau zwischen Rosenberg und Moldautein. Hier werden jährlich für 8000 bis 12000 Gulden Perlen gefischt, die als böhmische Perlen in den Handel gelangen. Bei diesem Perlenfang werden die lebenden Muscheln sorgfältig geöffnet und, wenn sie keine Perlen enthalten, wieder möglichst unverletzt ins Wasser zurückversetzt. Stellenweise rechnet man auf 100 Muscheln eine Perle, zuweilen findet man auch bedeutend mehr, doch meist nur kleine von geringem Wert. Äußere Unebenheiten und Unregelmäßigkeiten an der Schale geben einige Hoffnung, eine Perle zu finden. Im allgemeinen ist der Ertrag nur ein geringer, da die Flußperlen in der Regel weniger schönen Glanz haben als die orientalischen, doch gibt es einzelne glänzende Ausnahmen; solche findet man z. B. im Grünen Gewölbe in Dresden.

Auch in der Mandschurei und in China gibt es Flußmuscheln, welche glänzende Perlen liefern. Die chinesischen werden schon in der Geschichte eines der frühesten Kaiser, namens Yü, angeblich aus dem 22. Jahrhundert v. Chr., erwähnt. Schon seit vielen Jahrhunderten sind in verschiedenen Gegenden der Provinz Tschekiang hunderte von Familien damit beschäftigt, systematisch Perlen und perlartigen Schmuck von den dort einheimischen Flußperlmuscheln zu gewinnen. Diese, dieAnodonta plicata, werden in großen Mengen gesammelt und die größten Exemplare davon ausgesucht, um ihnen Körner oder Matrizen aus der Schale der echten Meerperlmuschel oder aus Blei — letztere stellen meist kleine Figürchen von Buddha in sitzender Stellung dar — reihenweise unter den Mantelüberzug beider Schalen zu schieben. Durch diese Fremdkörper gepeinigt, drückt sich das Tier krampfhaft an die Schalen, und dadurch bleiben die Formen auf ihrem Platze. Hierauf legt man die Muscheln eine nach der andern in 10–15cmAbstand in Kanäle oder Teiche in einer Tiefe von 0,7–1,7munter Wasser, zuweilen 50000 Stück. Nach 10 Monaten bis 3 Jahren werden sie wieder aufgefischt und die betreffenden Gegenstände, die sich inzwischen mit einer ausgiebigen Perlmutterschicht überdeckt haben, herausgenommen, um sie zu einem billigen Preise in den Handel zu bringen. Sie werden von den Juwelieren zu Schmuck der verschiedensten Art verarbeitet und sind durch ganz China sehr verbreitet.

Auch in den Flüssen Nordamerikas gibt es Perlmuscheln, deren Perlen von den Eingeborenen lange vor der ersten Ankunft der Europäer gesammelt und als Schmuck getragen wurden. Solche fand Fernando Soto 1539 bei seinen Zügen durch das heutige Florida, Georgia und Alabama im Besitze der Eingeborenen und an ihren Kultstätten angehäuft. Weiße Perlen liefern die FlußmuschelnUnio rectusundU. complanatus, gelbe dagegenU. dromas. Außerdem gibt es auch fleischfarbene, rote, purpurne und schwarze Flußperlen; himmelblaue aber sind seltene Ausnahmen. Eine solche brachte in London 13200 Mark ein. Bereits im vorigen Abschnitte wurde erwähnt, daß künstliche Perlen, die wie die Nachahmungen von Edelsteinen sehr häufig getragen werden, aus hohlen Glaskugeln gemacht werden, deren Innenwand mit einer aus den Schuppen desUklei(Alburnus lucidus), eines unseres gemeinsten Süßwasserfisches aus der Sippe der Weißfische, bereiteten Masse ausgekleidet wird.

Übrigens sei hier bemerkt, daß es auch Perlen pflanzlicher Abstammung gibt, die von den Malaien, die sie alsmesticabezeichnen, von alters her als wertvolle Amulette an einer Halsschnur oder am Waffengehänge getragen werden. Sie kommen im Holz der Kokospalme und der Kasuarinenbäume, ferner in den Früchten der Brotfrucht und Arekapalme vor. Die betreffenden, im Zellgewebe entstandenen Perlen sind rund bis länglich und erreichen in seltenen Fällen die Größe eines kleinen Taubeneies. Die meisten von ihnen sind weiß gefärbt, ohne jedoch den Glanz der echten Perlen aus der Perlmuschel zu besitzen. An einer Seite besitzen sehr viele derselben eine kleine leuchtende Zone, ein „Sönnchen“, wie es der deutsche Gelehrte in holländischen Diensten, Rumphius, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Tier- und Pflanzenwelt Indonesiens erforschte, sinnig nennt. Manche Pflanzenperlen sind mehr gelblich oder bräunlich, ja bis schwärzlich. Alle Mesticas funkeln im Dunkeln, wenn man sie, wie beim bekannten Feuerschlagen, mit einem harten Steine zusammenschlägt. Es sind dies Konkrementbildungen aus fast reiner Kieselsäure.


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