Hilde und Leo empfingen in den vorderen Räumlichkeiten die letzten Gäste. Dann geleiteten sie diese in den Musiksalon. »Wenn es Sie interessiert, wir wollen eben über das Wohltätigkeitsfest schlüssig werden.« Leise Verbeugungen, diskretes Lächeln und Händedrücke ließen die Wissenden erkennen.

Lachen und Bravorufe klangen von der Schmalseite, wo sich die Herren drängten. Frau Baronin Wolny stand auf, von neuerlichem Beifall begrüßt. Sie lächelte dankend und sprach geziert:

»Meine Herrschaften!«

Sesselrücken ging der allgemeinen Ruhe voraus, welche knarrende Stiefel unangenehm unterbrachen, die auf dem spiegelnden Parkett hin und her gingen. »Wer ist das?« Ein fragendes Lächeln hinter dem Fächer, leise Antwort:

»Ueberbleibsel aus alter Zeit, man sagt, ein Verwandter.«

Zwei Augenpaare nickten sich zu, über Gerhard Tiedemann hatten zwei Damen der Gesellschaft den Stab gebrochen.

»Meine Herrschaften! Vor allem danke ich Ihnen für ihr Vertrauen«, sprach die Wolny. »Ich weiß nicht, ob ich es verdiene,« die rotblonde Frau lächelte verbindlich, »aber wenn ich tatsächlich die Ehre haben werde, dem Feste zu präsidieren, so können Sie versichert sein, daß ich zu dessen Gelingen alles tun will, was in meinen schwachen Kräften steht.«

T. A. Hansen zog die Unterlippe ein, während ein Beifallssturm den Worten der begehrenswerten Frau folgte; dann klatschte auch er in die Hände: »Bravo!« Seine Stimme hatte sonderbare Färbung.

»... Und noch eines möchte ich bitten, heute zu besprechen. Mit Rücksicht auf den praktischen und humanitären Zweck müssen wir möglichstbilligarbeiten. Wollen die Herrschaften also im Laufe des heutigen Abends, der uns gewiß allen recht angenehm vergehen wird, sich zwanglos über Gruppen, Kostüme usw. besprechen und es dann mich oder Herrn Fred Tiedemann wissen lassen, der die Freundlichkeit hatte, in das engere Komitee einzutreten ...«

Sie setzte sich; Fred beugte sich leicht zu ihr hinüber, daß er den warmen Hauch ihres Körpers atmete: »Bitte Frau Baronin, das Wort für mich.«

»Herr Fred Tiedemann hat das Wort.«

»Ich möchte nur auf eines hinweisen,« der kerzengerade Fred lächelte rundum, »wir brauchen einen gewissen Betriebsfonds, um arbeiten zu können! Die Vorbereitungen hat wohl die gnädige Frau Baronin in selbstlosester Weise gefördert.«

»Siedochauch!« Frau Majas volle Lippen lächelten.

»Es müssen Einladungen besorgt werden, kurz und gut,« er warf den Kopf humoristisch hin und her, »wir brauchen Geld, wie überall auf der Welt!«

»Der Weisheit Schluß!«

»Kollekte veranstalten!«

»Absammeln!«

»Bitte,« Fürst Solt legte eine Riesennote vor Frau Maja Wolny und trat mit einer Verbeugung zurück. Fred Tiedemann sah darauf hin und ärgerte sich: es war mehr, als er hatte zeichnen wollen.

Er sah fragend zu seinem Vater hinüber:

Der hatte die Situation und den Befehl begriffen. Mit hastigen Schritten und vor Erregung rotem Kopf, daß er nun vor so vielen Menschen sprechen müßte, die er alle als über sich stehend ansah, trat er vor und gab die doppelte Summe in Frau Majas Hände: »Von unserem Hause.«

»Meinen herzlichsten Dank, im Namen der Sache.«

Klaus Tiedemann verneigte sich, wie er es bei dem Fürsten gesehen hatte. »Das soll nur der Anfang sein.«

Fürst Solt trat in die Fensternische.

Nun kamen alle anderen, an der Spitze Lecart und Behrens. Klaus Tiedemann sah mit scharfen Augen zu: Behrens mußte viel geben, der zog den armen Leuten die Haut über die Ohren ... Die beiden Männer nickten sich steif zu; sie konnten es noch immernicht vergessen, daß sie in der Jugend Konkurrenten gewesen waren. Und dann — die Behrens hatten wohl auch reichlich Geld erworben, aber ihre Art hatte sich nicht verfeinert und war derb geblieben, wie am Anfang, da Heinz Behrens am Getreideeck als kleiner Makler begonnen hatte! Behrens sagte zu Tiedemann:

»Wie soll der Schwindel heißen?«

»Das wissen wir selbst noch nicht; ursprünglich wollten wir ein orientalisches Fest, aber die Kostüme kommen zu teuer; das drückt den Reingewinn.«

»Mhm,« Heinz Behrens zog den Mund breit, »das ist wahr.«

»Nennen Sie's doch ‚ein Wohltätigkeitsfest auf dem Mond’, meine Herrschaften,« rief Hansens helle Stimme in das Gewisper und Geflüster, das die rotblonde Präsidentin ratend umgab, »da kann man jedes Kostüm brauchen.«

Sie wandten alle die Köpfe; Hildes Augen suchten den Boden.

Klaus Tiedemann wußte nicht recht, ob die Worte im Scherz oder im Ernst gesprochen waren.

»Das ist eine Idee.«

Fred Tiedemann hatte zu Hansens Verständnis, in solchen Dingen, unbedingtes Vertrauen:

»Ausgezeichnet, meine Herrschaften, wenn niemand etwas dagegen hat, so feiern wir ein Fest auf dem Mond?«

»Bravo, famos!«, es hatte niemand etwas dagegen; nur Heinz Behrens schüttelte den struppigen Kopf, erfand sich nicht gleich zurecht in solchen Dingen: was sollte er auf dem Monde machen?

»Ein großartiger Gedanke, gnädiges Fräulein«, sagte Olthoff und zog sich ein Taburett zu Hildes Füßen. »Ist es erlaubt?«

»Bitte.«

Er ließ sich nieder. »Ich hätte eine große Bitte an Sie, gnädiges Fräulein?«

»Die wäre?«

Er seufzte und sah sie lächelnd an: »Eine sehr, sehr große und unverschämte Bitte.«

»Nun?« Nervös blickte sie nach der Stelle, wo Hansen sein mußte. Er folgte der Richtung; fragend sah er sie an:

»Befehlen?«

»Nichts,« sie wendete den Kopf, »Ihre Bitte?«

»Fred und ich wollen eine Gruppe bilden.«

»Und? ...«

»Bitte, machen Sie mit!«

»Wenn Papa dadurch nicht allein ist, gern.«

»Das ist lieb von Ihnen.« Er küßte ihr die Hand und sprach eifrig weiter: »Wir denken uns so eine nette, intime Gruppe, lauter Leute, die sich gegenseitig sympathisch sind.« Sein Blick tauchte fragend in den ihren, ohne daß ihm dieser die gewünschte Antwort gab. »Bis jetzt wäre es Ihre werte Familie, die Wolnys und meine Wenigkeit — viele werden nimmer dazukommen, höchstens noch eine junge Dame für Jan Wolny; für Ihren jüngeren Herrn Bruder haben wir an Fräulein Behrens gedacht.«

Hilde gab einsilbige Antworten.

Hansen ging vorüber, im Gespräch mit Leo; sein Blick streifte sie, flüchtig und zufällig; es tat ihr weh. Abseits stand Fürst Solt und redete mit Jan Wolny. Die schmale Gestalt Wolnys hing vornüber, der kleingestutzte, schwarze Schnurrbart gab dem Gesicht einen älteren Ausdruck.

»Sie wollen sich jedenfalls, wie Ihr seliger Herr Papa, dem öffentlichen Dienste widmen?«

»Vielleicht, Durchlaucht, — einstweilen studiere ich Rechtswissenschaft.«

»Und interessiert Sie Ihr Fach?«

Jan Wolny zog die dunklen Brauen zusammen. Er antwortete langsam:

»Gewiß, Durchlaucht, es hat für mich etwas sehr Ansprechendes, aus erster Quelle das kennenzulernen, nach dem die gesamte Menschheit sich richten muß. Sie fügt sich seit Jahrtausenden, und doch ist es auch nur menschlicher Wille, vor dem sie sich beugt. Man schuf sich eine Richtschnur, weil man sich der eigenen Schwäche bewußt war. Wer heutzutage stärker wäre und nach eigenem Gesetz handelte, er wäre der erste, der nach dem Mittel der Schwäche seiner Vorfahren gerichtet würde. Das ist das Rätselhafte am menschlichen Recht und Gesetz.«

Mit langem Blick sah ihn Fürst Solt an.

Olthoff segelte steuerlos hin und her, um ein Gespräch dauernd im Gange zu halten:

»Sagen Sie, Fräulein Hilde, zu wessen Gunsten wird eigentlich das Reinerträgnis verwendet?«

»Für Angehörige von Säufern und für die Erziehung ihrer Kinder.«

»Da wird Ihr Herr Schwager eifrig beisteuern müssen.«

»Wieso?«

»Jetzt, wo die Spiritus- und Schnapsbrennereien ihm gehören, ist er ja einer, der am meisten mit solchen Leuten zu tun hat.«

Sie lächelte gezwungen: »Ach so ...«

Fred kam auf sie zu und sagte befehlend: »Olthoff führt dich zu Tisch; neben dir ist Fürst Solt mit Clo.«

Sie nickte gehorsam und stand auf. Sie legte ihren Arm in den Olthoffs ...

In scharf überlegter und abgezirkelter Tischordnung saßen sie:

Ganz unten Gerhard und Hansen; auch der alte Behrens hatte es verstanden, sich dahin zu schmuggeln; da aß man ungenierter! Seine Frau und Tochter sollten ruhig oben bleiben. Heinz Behrens erwog in seinem geschäftigen Sinn eine endgültige Versöhnung der Häuser Behrens und Tiedemann, durch Heirat ihrer Kinder. Leo war seiner Tochter Tischherr. Dann konnte man die überseeische Filiale auflassen, die nur Geld kostete, die, der Tiedemanns wegen, einstweilen notwendig war ...

Frauenrecht und Kinderschutz waren das Gesprächsthema. Frau Baronin Wolny hob ihr Glas Liebfrauenmilch und lächelte Fred Tiedemann zu: »Mein treuer Adjutant.« Dann fragte sie nach links, seinen Vater, der sofort mit dem Essen innehielt: »SagenSie, wird nicht stark übertrieben, wenn man immer von der traurigen Lage der Arbeiterschaft spricht?«

»Durchaus nicht, Frau Baronin —« Tiedemann wischte sich mit der Serviette eifrig den Mund. »Durchaus nicht, die Leute sind wirklich gezwungen, ein Leben wie die Hunde zu führen.«

»Also doch, das ist mir interessant zu hören!«

Klaus Tiedemann kam in Hitze:

»Das ist das fürchterliche, daß die meisten gar nicht wissen, wie schlecht es ihren Arbeitern geht!« Lecart hob den Kopf. »Nicht genug daß die Eltern verkommen und sich dem Trunk ergeben, die Kinder, für die sonst jeder alles tut, werden krank und leiden daran ihr Leben lang ...« Er rückte zur Seite, um »Sole d'Ostende à la Joinville« servieren zu lassen, dann fuhr er fort, die eigene Kindheit ward in ihm rege:

»Man muß wissen, wie die Kinder untergebracht sind: mit den Eltern oft zu fünft und noch mehr in einem kleinen, schlecht gelüfteten Raum, der auf einen engen Lichthof mündet, in den nicht mal die elende Großstadtluft dringen kann.« Er nickte aufgeregt mit dem Kopfe. »Was sie da sehen und hören, wenn sie älter werden und der Vater betrunken nach Hause kommt!! Dann wundert man sich über die moralische Verkommenheit. Mein Gott, was man von klein auf gesehen und mitgemacht hat, wird einem zur Gewohnheit. Ich kann darüber sprechen, denn ich ...« Fred Tiedemann sah seinen Vater fest an, dem ging stets das Herz in solchen Dingen über, »... denn ich«,fuhr Tiedemann unsicher fort ... »habe mich stets um meine Arbeiter gekümmert.«

Er schwieg, Lecart sagte zu Brunn-Bennigsen, seiner Nachbarin: »So arg ist's nicht, mein Schwiegerpapa übertreibt gern.«

Jan Wolny, der neben Clo saß, schüttelte den Kopf. »Wenn es wirklich so ist, dann sollten wir uns schämen und, statt ein Fest zu veranstalten, das ganze Geld den Armen geben.«

»Es kommt ohnehin auf eins heraus.« Clo wendete ihm den Kopf zu, daß die Brillanten farbige Pfeile schossen. »Wenn wir eine Unterhaltung geben, so haben wirunddie Armen etwas davon und sonst nur die allein.«

Jan gab keine Antwort.

Das Mahl ging weiter, Gang folgte auf Gang. Beim Champagner, Lecart hatte mit Vergnügen zu seinem Gegenüber »G. H. Mumm extra dry« bemerkt, erhob sich Fred, zu kurzer Rede:

Er sprach auf die Präsidentin und auf das Gelingen des Festes und fand den üblichen Beifall des Gastgebers. »Ein reizender Mensch, Ihr Herr Sohn«, hatte Baronin Wolny zu Klaus Tiedemann gesagt; der nickte vor sich hin. Er konnte das Lächeln des Vaterstolzes nicht verbergen. In solchen Momenten vergaß er alles, aus Freude darüber, daß seinem Sohne gelang, was er Zeit seines Lebens nicht erreicht hatte — das Wohlgefallen der Gesellschaft.

Nach dem »Crème à la Glace« warf Olthoff, derbereits sämtliche Manövergeschichten erschöpft hatte, abermals die Frage auf, was die Gruppe darstellen sollte. Er dachte an Mondkavallerie in exotischem Kostüm, die Frau Luna umschwärmt. Hilde sollte Frau Luna sein!

»Recht verrückte Adjustierung, Löffel und Gabel in Riesendimensionen als Waffen — Hände und Gesicht dunkel gefärbt; das wird ein Hauptspaß.« Er lachte. »Doch die Damen werden mit dem Färben, des Teints wegen, nicht einverstanden sein?«

»Das ist mir gleich, wenn es die anderen tun, mache ich es auch.«

»Sehr liebenswürdig, wenn nur alle Damen so uneigennützig sind.«

Fürst Solt mischte sich ins Gespräch: »Da wüßte ich ein Mittel, das großartig wirkt.« Er legte den Handrücken nachdenklich an die Stirn. »Nun ist mir der Name entfallen. Ich habe seinerzeit in Indien gesehen, wie sich die Eingeborenen bei ihren Festen damit färben.« Wieder hielt er inne. »Daß ich aber auch den Namen vergessen habe! Es war die Frucht einer Akazienart, glaube ich.«

»Es wird Bablah gewesen sein.«

»Ganz richtig, gewiß.« Fürst Solt neigte dankend den Kopf nach dem Tischende. Er schien sich mit Freuden früherer Zeiten zu erinnern. »Sehr richtig, ich meinte Bablah; aber woher kennen Sie den Namen, wenn ich fragen darf?«

Gerhard Tiedemann gab kurz die Antwort: »Ich war einige Jahre im Lande.«

»Das trifft sich herrlich.« Der sonst so schweigsame Fürst wurde lebhaft. »Da müssen wir darüber sprechen, alte Erinnerungen auffrischen; da bitte ich dann um eine Plauderviertelstunde.«

»Bitte.«

Er wendete sich lächelnd zu Klaus Tiedemann: »Nun bin ich Ihnen für Ihre liebenswürdige Einladung noch mehr verbunden. Ich hätte mir nie träumen lassen, bei Ihnen heute über Indien, das Land meiner Sehnsucht, sprechen zu können.«

In Klaus Tiedemann regte sich abermals Vaterstolz; doch seine Umgebung ließ ihn dessen nicht froh werden, etwas wie beleidigte Eitelkeit klang in seiner Antwort: »Auch ich, Durchlaucht, kenne das Land, doch bin ich nur auf kürzere Zeit hingekommen.«

»Köstlich.« Mit leisen Worten wendete sich Fürst Solt an Hilde: »Wer ist der Herr, der mir vorhin zu Hilfe kam?«

Einen Augenblick zögerte sie mit der Antwort; sie schien auch von der allgemeinen Scheu ihrer Familie, Gerhard zu ihnen rechnen zu müssen, ergriffen; dann warf sie den Kopf unwillig zurück: »Es ist mein Stiefbruder, Durchlaucht, meines Vaters Sohn aus erster Ehe«, sagte sie.

»Ihr Herr Vater war zweimal verheiratet? Das wußte ich nicht.« Interessiert sah Solt auf Gerhard. »Es ist große Aehnlichkeit zwischen ihm und seinem Vater, viel mehr, als Sie alle mit ihm haben.«

»Ich weiß.«

Klaus Tiedemann hatte mit scharfen Ohren das leise geführte Gespräch vernommen; er senkte den Kopf. Es kränkte ihn, daß seine Kinder aus zweiter Ehe ihm so wenig ähnlich waren; das Wesenheimsche Blut war stärker gewesen als sein eigenes. Er preßte die Zähne aufeinander; sie hatten ihm seine Art zerbrochen und ihn zu ihrem willfährigen Diener gemacht, der Geld verdiente. Das vergaß er ihnen nicht! Er zwang sich zu anderem Denken: Wozu holte er dies alles wieder aus der Vergessenheit hervor, wo ihn seine Kinder doch liebten und an ihm hingen in Treue? Nun war doch alles gut.

Leo strich an Hilde vorüber und flüsterte:

»Fred läßt dir sagen, du solltest endlich die Tafel aufheben.« Fred Tiedemann taugte das Gespräch nicht; wenn Papa und dieser Plebejer, der sich sein Bruder nennen durfte, zu sprechen anfingen, war es besser, Schluß zu machen; sonst konnten unangenehme Enthüllungen vorkommen. Was ging die Leute die Geschichte Tiedemanns an?

Hilde stand jäh auf.

»Mahlzeit!«

Olthoff wich nicht von ihrer Seite. Ungezwungene Gruppen bildeten sich, Brunn-Bennigsen trat ans Klavier. Wieder legten die Gesichter sich in ernste Falten.

Die ersten Töne erklangen.

In der Stille hallte Gerhards Stimme desto lauter, alle Blicke wendeten sich zu ihm: er störte die Kunst,das war Sakrileg. Fred Tiedemann knirschte mit den Zähnen, das hatte Papa davon! Brunn-Bennigsen tat einen bösen Seitenblick.

»... Bombay ist stark zurückgegangen, durch Cholera und andauernde Mißernten ...«

Elektrische Spannung lag in der Luft und mußte sich über Gerhard entladen. Doch als Fürst Solt nun, von den Erinnerungen seiner Jugend getrieben, ebenfalls laut antwortete, zerfloß alles in Wohlgefallen: dem konnte niemand Taktlosigkeit vorwerfen!

»... Ich glaube, auch die Bevölkerung ist stark dezimiert.«

»Gewiß.«

»Wo hatten Sie eigentlich Ihren Sitz?«

»Auf Old Womans Island; im letzten Jahre gleich daneben, auf Kolaba.«

»Das ist die Halbinsel? Nicht? ...«

Das Fortissimo übertönte die Stimmen.

Reicher Beifall erklang, Fred überreichte ein Rosenbukett. Dann geleitete er die Künstlerin zu ihrem Sitz:

»Ich war machtlos, die beiden Herren müssen sich rein vergessen haben. Fürst Solt war dabei!«

Sie lächelte ihm zu: »Das hat nichts auf sich ...«

Nun durften die Herren rauchen.

Bei den Zigarrenkistchen, in denen die Spezialitäten mit den breiten Bauchbinden lagen, traf man sich.

Lecart wählte mit Kennermiene; sein Blick kreuzte sich mit dem Olthoffs. Sie verstanden sich.

»C'est la guerre«, lächelte Olthoff.

Roller, der Modemaler, nahm gleich von mehreren Sorten; er kam stets, wenn wenig Leute bei den Rauchsachen waren, auf seine Kosten.

Auch Leo holte sich eine schwere Havanna ...

»Wollen wir nicht ein wenig plaudern?« fragte Hilde Tiedemann.

»Wenn ich Ihnen nicht zu langweilig bin? ...« Hilde ließ sich in einer lauschigen Ecke nieder; T. A. Hansen saß ihr gegenüber und sperrte ihr den Ausblick. »Es ist lange, daß wir uns das letztemal sprachen.«

Sie nickte: »Wie geht es Ihrer Mutter?«

»Gut, wie es eben einer alten Frau gehen kann, die mich zum Sohn hat.«

Hilde wurde verlegen:

»Sie machen sich noch immer gern schlecht.«

Er lächelte:

»Ich bin kein Heiliger; fragen Sie nur die da hinten,« er machte eine geringschätzige Kopfbewegung nach der übrigen Gesellschaft, »wofür mich die halten!« Hansens überlegene Ruhe, die er sonst stets zur Schau trug, war einer bitteren Stimmung gewichen.

»Das kann Ihnen doch ganz gleich sein.«

»Ja und nein; auf die Dauer wird es einem ekelhaft. Es gehört eine verflucht gute Laune dazu, stets als das ausgestoßene Schaf herumzulaufen.«

»Das muß Ihnen gleichgültig sein.« Sie sah ihn mit forschenden Augen an. »Sie sagten doch immer: ‚nie hat die Menge recht’.«

Sein Blick wurde wärmer. »Ja, Fräulein Hilde, und doch tut es mir von mancher Seite weh, so behandelt zu werden; ich bin für viele nur der Lump. Ich gelte bei so manchen nur als Spötter, als minderwertiger Charakter, weil ich mein Vergnügen daran finde, den Leuten ihre schlechte Seite vorzuhalten, und doch hat alles andere weniger Wert.« Er senkte den Kopf im Weitersprechen. »Was heißt charakterisieren? Die Züge des Betreffenden sammeln und dieselben wieder vereinigen, zu einem Gesamtbild. Wenn man das tut, so ist's Karikatur, und als solche minderwertig; wenn man's nicht tut, wird es ein Bild ohne Fleisch und Blut, denn nur durch karikaturenhafte Züge unterscheiden sich gegenseitig die Menschen; so seh' ich es eben und bleib' drinnen stecken.« Er lächelte bitter. »Mit der Zeit werden Sie schon auch noch anders von mir denken, und Sie haben recht, wenn Sie's tun.«

»Warum ich?«

»Weil ich nichts leiste, weil ich heute noch immer derselbe bin, als der ich vor fünf Jahren in Ihr Haus kam: der Vielversprechende, der nichts hält.«

»So dürfen Sie nicht sprechen, Hansen, nicht in meiner Gegenwart.« Er sah auf und erschrak. In Hildes Augen standen Tränen. Gewaltsam drängte sie diese zurück.

»Verzeihen Sie nur!«, sagte er und streckte ihr die Hand hin, in die sie ihre eiskalten Finger legte. »Ich habe mich gehen lassen, weil ich mich vorhin über Leo ärgerte.«

»Was war's?«

»Nichts! Eigentlich nicht der Rede wert: er war heute anders mit mir als sonst. Geschraubt und hochmütig, als wäre es eine Auszeichnung, wenn er überhaupt mit mir spricht.«

»Da kann Leo nichts dafür ...« Sie schwieg in heißer Verlegenheit.

»Ich weiß,« er suchte ihr die unangenehme Antwort abzunehmen, »ich weiß, daß er nichts dafür kann, aber trotzdem: er war einer, der an mich glaubte, wenn er auch noch ein Kind war; es tut immer weh, Anhänger zu verlieren, wenn man wenige hat.« Er sah ihr fest in die Augen. »Ueberhaupt, es ist so vieles bei Ihnen anders geworden.«

»Sie dürfen von Papa nicht schlecht denken.«

»Das tue ich nicht, Fräulein Hilde; sonst würde ich nicht darüber sprechen; aber leid ist mir um ihn, daß er sich so beeinflussen läßt und nicht sieht, wohin das führt. Warum zieht er solche Leute ins Haus,« seine Stimme klang aufgeregt, »wie den Olthoff, dem die Spekulation auf Sie ins Gesicht geschrieben steht, die Wolny, die stadtbekannt ist wegen ihres Lebens, und noch viele andere?«

Sie war blutrot geworden: »Was sollen die Leute schaden, wenn nur wir stark bleiben?«

Er sah sie mit forschenden Blicken an: »Wenn! Wir? Wer sagt, daß Sie's bleiben? Ihre Schwester hat Lecart geheiratet, trotzdem ich jemanden kenne, der heute noch für sie stirbt.« Sie lenkte ab.

»Sie verkehren noch mit Gröden?«

»Wir sind jeden Tag beisammen; er hat Karriere gemacht und hat es noch immer nicht vergessen, daß er Klaus Tiedemanns Schwiegersohn nicht werden konnte, weil er ein armer Architekt war.«

Hilde seufzte. »Daran war Mama schuld.«

Sie schwiegen.

Ihre Blicke hingen ineinander.

Dann sagte Hilde: »Was macht Ihre große Arbeit?« Er senkte den Kopf und gab keine Antwort. Sie sprach weiter: »Sie haben mir versprochen, damals, als wir das erstemal uns näher traten: Sie wollten ein Werk schaffen, das zeigen sollte, daß Sie mehr könnten als die anderen.« In herber Enttäuschung schüttelte sie den Kopf. »Ich habe so darauf gewartet, von Tag zu Tag, und nun? ...« Ihre Stimme verhallte.

T. A. Hansen saß regungslos; dann sah er auf. In seinen grauen Augen glimmte ein Funke. »Ich hab' nicht gewußt, daßSiedarauf warten.« Seine Stimme gewann an Festigkeit. »Sie dürfen nicht schlecht von mir denken, Hilde, nur das nicht. Ich kann eben kein Beamter der Kunst sein. Es wird so viel geschaffen, um das sich niemand kümmert, daß es einem um sein Werk leid sein kann. Die Handwerker in meinem Fach sind im Vorteil. Sie malen Porträts von reichen Leuten und leiten davon ihr Selbstvertrauen her; sie werden dadurch »bekannt«. Ich habe durchgekämpfte Stunden künstlerischen Zweifels, die anderen haben Geld und Konnexionen. Was gilt in den Augen der Welt mehr?«

»In meinen Augen — das Ihre.«

Er atmete aus voller Brust und bohrte den Blick in ihr erregtes Gesicht, als müsse er sich dort Mut holen.

Dann sagte er: »So will ich's wagen — aber Sie dürfen mir nichts verschweigen, Hilde, ja, nichts? Sonst ist's Verrat an mir selbst.«

»Ich habe nichts zu verschweigen. Ich habe nur den Willen, daß Sie mit Ihren reichen Mitteln den anderen zeigen, was Sie können, dann bin ich belohnt.«

Seine Hand umspannte krampfhaft die ihre; mit fester Stimme sagte er: »Sie sollen nicht getäuscht werden, aber ich muß voll an Sie glauben und muß von Ihnen das Recht haben, zu jeder Stunde meiner Arbeit an Sie denken zu dürfen. Darf ich das, Hilde?«

Sie nickte mit feuchtem Blick: »Ja, Hansen, das dürfen Sie, und ich will's auch tun.«

»Nun hab' ich Riesenkraft ...«

Er sah sich um: mit unsicherem Schritt kam Roller auf sie zu; er trug auf einer Tablette mehrere gefüllte Kognakgläser.

»Gefällig?«

»Danke.«

»Ich danke«, sagte auch Hilde.

»Bleibt mir mehr!«

Er goß hintereinander den Inhalt mehrerer Gläser hinunter, mit stieren Augen klopfte er wohlwollend Hansen auf die Schulter; er fühlte sich dem Karikaturenzeichnerweit überlegen: »Junger Mann, Sie haben kein Ideal, suchen Sie sich eines, ein Künstler muß ein Ideal haben ...«

»... Und wenig saufen«, es war Hansens unverschämtester Blick, der dem verblüfften Modemaler ins Gesicht lächelte, »sonst wird die Hand unsicher ...«

»... Na Kinders, wie geht's,« Heinz Behrens klopfte sein Töchterchen derb auf die Wange, »macht der junge Herr seine Sache gut?«

Leo Tiedemann war wütend: daß nette Mädchen stets solche Väter haben mußten! Er hustete und sah mißvergnügt gegen das Klavier, wo Lecart eben Frau Brunn-Bennigsen auf den vollen Arm küßte. Klaus Tiedemann saß müde in einer Ecke und lächelte verbindlich, wenn er angesprochen wurde.

Er war schläfrig und sehnte sich nach Ruhe.

Jan Wolny strich an der Nische vorüber, in der sich seine Mutter mit Fred Tiedemann unterhielt:

Er kannte das hungrige Lachen, er hatte es schon einmal gehört, kurz bevor sein Vater in den Tod gegangen war.

Die nächsten Tage eilten vorüber. Fred Tiedemann hatte eine Unmasse zu tun. Wenn die Wohltätigkeitsveranstaltung gelingen sollte, benötigte sie viel Arbeit. Drei Herren im Bureau hatten die beiden letzten Wochen nur für sie zu arbeiten, zum unaussprechlichen Aerger des alten Görnemann. Gerhard zuckte die Achseln und dachte der Worte, die Fürst Solt zu ihm gesprochen hatte:

»Ich glaube, unseren meisten reichen Kaufherrensöhnen fehlt die Erfahrung harter Arbeit. Darum sind sie nur Nutznießer des väterlichen Erbes. Sie gehen in unseren Kreisen auf. Statt in die Welt hinauszuziehen und sich dort ihre eigene Erfahrung zu sammeln ...«

Klaus Tiedemann war schwer verstimmt. Er saß Stunden allein zu Hause und grübelte vor sich hin.

Er hatte Angst um Leo.

Fast täglich kam der Arzt.

Hilde war nach der Gesellschaft, die bis in den frühen Morgen gedauert hatte, hinübergegangen in das Zimmer ihres jüngeren Bruders um ihm, wie es ihre Art war, neue Wäsche für Sonntag herzurichten.

Sie hatte ihn wie leblos auf dem Boden liegend gefunden.

Wohl war er bald wieder zu sich gekommen und hatte sie gebeten, Papa und den anderen nichts zu sagen. Doch Hilde hatte nicht nachgegeben und darauf bestanden, daß der Arzt zu Rate gezogen würde.

Der schüttelte den Kopf und sagte zu Klaus Tiedemann, welcher mit ängstlichem Gesicht neben ihm stand: »Der Bursche ist rasch gewachsen und frühreif. Von Geburt aus ist er auch nicht der Stärkste, also ist Vorsicht am Platze. Vor allem halten Sie ihn zu Hause, und sehen Sie darauf, daß er genug Ruhe hat. Ich glaube, er hat schon zu viel an die Weiber gedacht.«

Klaus Tiedemann tat einen Blick auf die Straße, auf der gerade Gerhard in strotzender Gesundheit daherkam, und ging mit einem leichten Gefühl des Hasses zu Leo hinüber, um ihm seine Entschlüsse mitzuteilen.

Erstens: blieb von jetzt ab die Schlafzimmertür zu ihm offen, damit er alles hörte, was neben ihm vorging; darauf hatte ihn Hilde gebracht! Zweitens durfte Leo heuer nicht mehr abends ausgehen, weder in ein Theater noch in ein Konzert; natürlich war auch das Fest nächsten Sonnabend mit inbegriffen! Drittens: bat er ihn mit innigen Worten, verläßlich zu sein und sich zu schonen, auch nichts hinter seinem Rücken anzufangen, was seiner Gesundheit schaden könnte; dann gab er ihm einen Kuß und ging, um für ihn in der Stadt eine Ueberraschung zu kaufen.

Hilde war nicht so schnell beruhigt, weil sie Leos Art besser kannte und seinen wilden Trotz, der gerade das unternahm, was ihm am meisten widerraten wurde. Vor allem suchte sie zu erfahren, ob Leo schon öfter solche Schwächeanfälle gehabt hatte.

Erst hatte er lebhaft widersprochen; doch als er sah, daß diesmal sein Vater fest blieb und das Fest unwiderruflich für ihn verloren sei, gab er zu, bereits seit Monaten ähnliche Anfälle gehabt zu haben. Er hatte es verschwiegen, um sich seiner Freiheit nicht selbst zu berauben, und anderseits hatte er geglaubt, es würde von selbst vorübergehen. Sein Vater saß Stunden bei ihm, während er im Halbschlummer seiner Nervenschwäche vor sich hin stierte. Dieses Beisammensein erfuhr häßliche Unterbrechung, als das Schulzeugnis kam; es war mehr als schlecht und stellte überhaupt in Frage, ob Leo zur Schulprüfung zugelassen würde. In der kurzen Zeit bis zum Schulschluß ließ sich nicht mehr alles einholen, und jetzt, wo Leo wirklich der Ruhe bedurfte, war überhaupt nicht daran zu denken. Ein Jahr war lang und Klaus Tiedemann war schwer in seinem Sohne getroffen. Auch Fred war nicht glatt durch die Klippen des Mittelschulstudiums gekommen, aber Leo verlor nun schon das zweite Jahr. Was sollte man den Leuten sagen als Entschuldigung?

Die Professoren! Leo griff nach diesem Rettungsanker. Er wußte, daß Vater auf die Schulmeister, wie er sie nannte, nicht gut zu sprechen war; so erzählte er denn von Scheußlichkeiten und Verbrechen, die sie ander Jugend begangen haben sollten. Sogar erschossen hatte sich einer seiner Mitschüler.

Mit starren Augen hörte sein Vater zu, der seinerzeit nur die allernotwendigste Schulbildung genossen hatte; alles andere hatte er sich selbst im Leben angeeignet. So trug er begreifliche Mißachtung gegen zünftiges Lehrertum. Klaus Tiedemann schüttelte den Kopf und gab seinem Sohne recht. Mein Gott, ein Jahr, was war das; wenn ihm der Bursche nur wieder gesund wurde!

Er griff, um sein Kind zu beruhigen, zu dem gefährlichsten Mittel, das er für sich selbst nie und nimmer angewendet hätte: er stellte ihm vor, daß er reich sei, einmal soundso viel Vermögen bekäme, also wirklich keinen Grund hätte, sich zu kränken und zu härmen.

Es war wenige Stunden vor Beginn des Festes. Fred Tiedemann stand in seinem Zimmer und ordnete seine Maskerade. Leo saß rittlings auf einem Sessel und sah mißmutig auf einen Haufen in die Mitte des Zimmers geworfener Kleider. »Zu blöde,« er schüttelte den Kopf, »daß ich nicht mit kann!« Als Fred, der vor dem Spiegel in die Betrachtung seines Selbst versunken war, keine Antwort gab, stieß er ihn unsanft an: »Du, hörst du?«

Aergerlich fuhr Fred, Kamm und Bürste in Händen, herum: »Jetzt schau' meinen Scheitel an; nun kann ich nochmals anfangen.«

»Du hast doch Zeit.«

»Wieso denn?« Fred sah rasch nach der Uhr. »Ich muß auch noch Papa und Hilde antreiben, daß sie fertig werden ...«

»Glaubst du, daß sie Olthoff mag?«

»Einstweilen ist's noch zum Aushalten, aber er wird sie schon kirre machen. Er versteht, mit Weibern umzugehen.«

Nachdenklich sah Leo zur halbdunklen Zimmerecke: »Ob sie nicht zu fest an Hansen hängt?«

»Der wäre der Richtige!« Fred Tiedemann lachte. »Damit wir noch so einen in die Familie bekommen wie den Gerhard! Na,« er zog die Krawatte zu, »das Geld würde dem schon passen, das haben ‚Künstler’ gern.« Er lachte geringschätzig.

Lebhaft widersprach Leo: »Nein, Fred, wenn ich alles von Hansen glaube, darauf gibt er nichts.«

»Na, nichts Gewisses weiß man nicht.« Fred strich den Schnurrbart. »Ich habe gegen solche biederen Gestalten Mißtrauen ...«

Leo schüttelte den Kopf und schwieg. — Nach einer Weile sagte er: »Du, Fred, beinahe hätte ich es vergessen: Gerhard war vor einer Stunde hier, um mit Papa zu sprechen.«

»So? Worüber? Was hat Papa gesagt?« Der andere hielt in seiner Toilette inne und wartete gespannt auf Antwort.

»Er hätte jetzt keine Zeit, er sollte morgen vormittag kommen.«

»Aha,« Fred pfiff das Signal: »das Ganze halt!« vor sich hin, er mußte es ja kennen als Reserveoffizier der Husaren, dann meinte er nachdenklich: »Hoffentlich schmeißt ihn Papa jetzt endlich 'raus.«

»Was hat es denn gegeben?«

»Frech war er wieder: er redet überall hinein, wo es ihn nichts angeht! Lecart nimmt unsere Firma jetzt stark in Anspruch, weil er in größere Unternehmungen verwickelt ist, und das paßt dem Kerl nicht. Immer ist er derjenige, der warnt und lieber fremdenLeuten als unseren eigenen Verwandten borgen möchte. Und es geht ihn doch wirklich nichts an!« Er hielt inne und polierte die Nägel. »Aber ich weiß schon, hinter ihm steckt der Görnemann, das alte Weib, das sich nichts zu unternehmen getraut; der hetzt ihn und schickt ihn ins Vordertreffen.«

»Warum läßt du dir's gefallen?«

»Du hast leicht reden. Ich muß doch jemanden haben, auf den ich mich verlassen kann: ich werde mich doch nicht selbst jeden Tag ins Geschäft setzen, dazu bin ich mir zu gut, und verlassen kann man sich auf die zwei, das ist ja wahr!« Fred ließ die Nagelschere auf die Marmorplatte des Waschtisches fallen. »Ueberdies, ich kenne auch niemanden von den Angestellten, ich bin dazu zu wenig im Bureau, so daß ich den Alten zumindest noch ein Jahr brauche.«

»Wenn er es nicht merkt?«

»Das ist's eben. Auch der andere spürt, daß er der einzige mit überseeischen Erfahrungen ist: denn Görnemann kann man heute darin nicht mehr rechnen. Darum nimmt er sich so viel heraus.«

»Ist er wirklich so unverschämt?« Leo dehnte sich und gähnte. »Was habt ihr denn mitsammen gehabt?«

Freds Stimme klang in der Erinnerung des vormittägigen Auftritts lauter als sonst: »Er will mir vorschreiben, wem ich Pensionen zahlen soll. Da ist so ein Skontist bei uns, seit zirka zehn Jahren; der ist jetzt tuberkulös und soll nach dem Süden. Ja, mein Gott, wenn ich's nicht habe, dann kann ich's halt nichtmachen! Ich habe ihm einen Monat Urlaub geben wollen. Natürlich, wenn er nicht arbeitet, bekommt er auch kein Gehalt, das ist doch klar — das ist überall so; dann könnte er nicht gehen, hat er gesagt, also soll er dableiben. Kommt der Gerhard herein und stellt mich wie ein kleines Kind zur Rede, ob ich wüßte, was ich tue; zählt mir auf, daß der andere Weib und Kind hat, daß er in kurzem tot ist, wenn er sich jetzt nicht schonen kann, redet von Zusammengehörigkeitsgefühl, das Chef und Personal verbinden muß, und so weiter,« Fred ließ die Hand schwer auf den Tisch fallen, »kurz, putzt mich zusammen, als ob ich sein letzter Kommis wäre.«

»Nun, und du? ...«

»Na, ich hab's ihm gegeben,« Fred schüttelte mit befriedigter Miene den Kopf, »so schnell kommt mir der nimmer.« Wieder übermannte ihn der Aerger der letzten Stunden. »Weißt du, was er noch gesagt hat? Ich würfe das Geld im großen hinaus und wolle im kleinen sparen, ich hätte keine Ahnung von modernem Geschäftsgeist; es sei besser, einem Skontisten, der sich für mich geplagt habe, etwas zu schenken, als das Geld für Wohltätigkeitsschwindel auszugeben, von dem so niemand was habe.«

»Das mußt du Papa erzählen.«

»Wird geschehen: es soll ihm nichts erspart werden ...«

Fred Tiedemann machte eine rasche Wendung. »Na, wie bin ich?« Er pflanzte sich breit vorseinem Bruder auf, als Marsritter, der zu Frau Luna werben kam. Baronin Wolny war die Luna!

Leo verschlang ihn mit neidischen Blicken: »Famos, warte,« er richtete ihm eine silberne Schnalle zurecht, »nun bist du fertig.«

»Ist es dir leid, daß du nicht mit kannst?«

»Zu dumm.« Ernster Aerger war in dem bleichen Gesicht des Gefragten. »Was hätte es mir schaden sollen? Papa ist kindisch, aber ich weiß schon,« Leo ballte die Fäuste, »daran ist die Hilde schuld!«

»Es wird heute fesch werden; ich bin sehr gespannt auf die Wolny.«

Leo atmete schwer; er bekam rote Wangen: »Sie ist rassig.«

»Was weißt denn du von ihr? Das kann ein anderer als ich gar nicht beurteilen.«

»Du hast ein Mohrenglück.«

»Stimmt, morgen nach dem Rennen bin ich zu ihr geladen, da soll ich mir ihre Directoire-Toilette ansehen; sie möchte sich darin photographieren lassen, aber ihr Sohn erlaubt es nicht, weil sie zu stark dekolletiert sein soll.«

Leo Tiedemann schluckte: »Das ist ein fader Kerl, der Jan.«

»Uns geniert er nicht viel.« Fred lachte; »er hockt den ganzen Tag über den Büchern.«

»Ich mag ihn nicht.«

»Warum? Er ist ganz unschädlich.«

»Und was tust du, wenn er dich mit seiner Mutter überrascht? Er ist zu allem fähig.«

Fred Tiedemann reckte sich: »Dann schieß' ich den Burschen wie einen Hasen zusammen.« Leo atmete schwer; ein Schauer überlief ihn.

»Als ich das letztemal dort war, um für heute abend abzusagen, hat er mich von oben herab behandelt, als wäre ich ein kleines Kind«, sagte er.

»Das sieht ihm ähnlich.«

»Ich hätte wahrscheinlich immer still sein und mit Hochachtung auf sein Geschwätz hören sollen, weil er um ein paar Jahre älter und nicht mehr im Gymnasium ist wie ich; da kann er lange warten.«

»Hast recht, er wird schon anders denken lernen.«

»Er ist mehr als stolz.«

»Worauf denn? Die Wolnys sind materiell nicht so gestellt, daß er ein Recht hätte, auf dich herunterzuschauen. Er soll froh sein, wenn die Tiedemanns mit ihm verkehren. Das laß ihn das nächstemal fühlen; dann wird er dich anders behandeln.«

»Da irrst du dich, Fred. Er sieht uns als nicht ebenbürtig an. Weißt du, was er zu mir sagte? Er verstünde uns nicht, vor allem dich und mich, daß wir nicht einsähen, daß wir als Söhne unseres Papas ernste Pflichten der Gesamtheit gegenüber hätten. Wir sollten die Kunst, geistige und menschliche Interessen fördern, und nicht in Schichten eindringen wollen, die uns fremd sind. Einen Rennstall halten, er meinte dich damit, sei keine soziale Tat: höchstens trage es dazu bei, sein Geld zu verlieren, mit dem man anders den Armen viel Gutes erweisen könnte. Aber er wüßteschon, warum wir es täten. Es sei die Angst des Proletariers, voll genommen zu werden, darum sei uns kein Opfer zu groß, um zeigen zu können, daß wir dieselben Passionen hätten wie sie ...«

»Hör' auf«, Fred Tiedemann stampfte den Boden, »ich habe keine Lust, das dumme Geschwätz von dem unreifen Laffen, der uns um unser Geld neidisch ist, anzuhören.« In großer Wut warf er die halbgerauchte Zigarette in die Zimmerecke. »Er ist viel zu dumm, um das Leben richtig zu verstehen.« Leo sah mit weit aufgerissenen Augen auf seinen ärgerlichen Bruder und schüttelte nachdenklich den Kopf:

»Es hat doch etwas für sich.«

Fred Tiedemann fuhr schnell herum: »Du bist wohl verrückt? Auf dich macht alles, was du noch nicht gehört hast, einen Eindruck.«

»O nein, aber weißt du, das, was er über den Kaufmannsstand im allgemeinen sagte, ist nicht so dumm. Er meinte, er stellte sich deinen Beruf so schön und edel vor; in seinen Augen gäbe es nichts Größeres, als internationaler Mittler zu sein zwischen Konsumenten und Produzenten.« Leo legte in Sinnen verloren den rechten Zeigefinger an die Unterlippe. Nach einer Weile, die Fred mit Räuspern und Husten gefüllt hatte, fuhr er leise fort:

»Es muß schon schön sein, das Ererbte zu mehren und sich seiner Mission bewußt zu sein, die man in der modernen Kultur zu erfüllen hat. Das habe ich mir oft selber gedacht.«

Fred Tiedemann lachte:

»Du bist ein überspannter Kerl. Ich möchte dir wünschen, dich mit Gerhard herumstreiten zu müssen und auf die Börsenberichte wie auf eine Offenbarung Gottes zu warten, du würdest bald anders von der ‚Kulturmission’ denken, wie du es nennst.«

»Wirklich?« Es schien eine Last von Leo zu fallen. »Glaubst du, ich hab' unrecht?«

»Darüber gibt es doch nichts zu reden.«

Aus Fred Tiedemanns Worten klang starkes Selbstbewußtsein.

»Dann ist der Jan ein dummer Kerl?«

»Da zweifelst du noch?«

Nun lachten beide.

»Was willst du denn den ganzen Abend allein machen?«

Leo sah den Fragenden prüfend an: »Verrätst du mich nicht?«

»Bin ich Hilde?«

»Ich will auch weg.«

Fred Tiedemann lachte von Herzen: »Das habe ich mir gedacht, du wärst sonst nicht mein Bruder.«

»Ja,« Leo dämpfte seine Stimme und sah scheu gegen die Tür, »ich will auch was vom Leben haben: weiße Frauenleiber, die ein Bacchanal feiern, aber Papa darf nichts wissen; er ist so gut mit mir!«

»Ich verrate dich nicht, schau nur, daß du zu Hause bist, wenn wir heimkommen.«

»Wann glaubst du denn, daß das sein wird?«

»Sehr spät, wahrscheinlich erst in der Frühe.«

»Da lieg' ich schon im Bett.« Leo fuhr mit der schmalen Hand über die weiße Stirn. »Vielleicht wird mein Kopfweh besser, wenn ich mich ein wenig zerstreue.« Er stand matt auf und ging zur Tür. »Jetzt müssen wir aber hinuntersehen zu den anderen.«

»Jawohl,« antwortete Fred Tiedemann und folgte mit Sporenklirren seinem Bruder.


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