ACHTES KAPITEL
REGENWÃœRMER UND ACKERERDE IN MAZEDONIEN
Regenwürmer sind Tiere, welche keine großen Wanderungen ausführen können; auch ihre Eier und Entwicklungsstadien sind nicht zu weiter Verbreitung geeignet. So werden sie auch niemals weithin durch andere Tiere verschleppt, was bei manchen Tierarten eine wichtige Form passiver Wanderungen darstellt. Erst im Zeitalter des Welthandels wurden sie mit Pflanzen auf dem Weg über Baumpflanzungen, Ackerbetrieb, Gärtnereien in einer unnatürlichen Weise verbreitet, indem sie mit den heimatlichen Pflanzen in fremde Gegenden verpflanzt, sich dort weiterentwickelten und einbürgerten. Auf diese Weise wurden wohl schon seit den Zeiten des römischen Weltreiches Regenwürmer weithin verschleppt.Michaelsen, wohl der beste Kenner dieser Tiergruppe und ihrer Verbreitung, ist sogar der Meinung, daß die Verschleppung schon in prähistorischer Zeit begann.
In weniger kultivierten Ländern müssen aber Regenwürmer einen sehr seßhaften Bestandteil der Fauna darstellen. Aus ihrem Vorkommen kann man vielfach wichtige tiergeographische Schlüsse ziehen. So hatte ich mir denn bei der Ausreise nach Mazedonien gleich vorgenommen, dort aufmerksam auf die vorkommenden Regenwurmarten zu achten.
Sogleich bei Beginn meiner Forschungen suchte ich nach Regenwürmern, zunächst in der Nachbarschaft vonKaluckova, dann imWardartal, später auf allen Reisen in den Gebirgen, den fruchtbaren Tälern und Ebenen, kurz überall, wohin ich kam. Bald merkte ich, daß jedenfalls im Sommer Regenwürmer in Mazedonien etwas außerordentlich seltenes sein mußten.
Es dauerte längere Zeit, bis ich die ersten Vertreter dieser bei uns in Deutschland so häufigen Tiere fand. Das lag zunächst sicher an den besonderen Verhältnissen des südlichen Wardartales,in dem ich damals mein Standquartier hatte. Dort in den felsigen Hügeln war es wohl von vornherein vergebliche Mühe nach Regenwürmern zu suchen. Dazu war der Boden, soweit er nicht aus Felsen und grobem Gerölle bestand, im Sommer zu hart und ausgetrocknet, als daß diese Feuchtigkeit liebenden Tiere hier hätten existieren können. Manche Grabungen, die ich zu verschiedenen Zwecken, z. B. bei der Untersuchung von Ameisenbauten in den Hügeln durchführen ließ, zeigten mir, wie hart und trocken der Boden bis tief hinab war. Nur an wenigen Stellen konnte man 1-1½ m in die Tiefe graben, ohne auf gewachsenen Felsen zu stoßen. Meist lag dieser schon unter einer Erdkrume von wenig Zentimetern Dicke. Auch in den Gärten und in den Maulbeerpflanzungen nahe bei Kaluckova wurden mehrfach tiefe Löcher gegraben, ohne daß ich jemals auf einen Regenwurm stieß. Nur in unmittelbarer Nachbarschaft von Wasser gelang es hie und da solche aufzufinden, so an den Nebenflüssen desWardar, in den Schluchten derPlaguša Planinaund vor allem hoch oben in den Bergen.
Eines Tages, im August 1917, entdeckte ich Regenwürmer in großer Zahl unter dem Wasserfaß des Lazaretts, also dicht bei meinem Quartier. In der durchnäßten Erde hatten sich hier die Tiere massenhaft angesammelt. Der Fund war aber nicht allzu interessant, da die Art sich als die kosmopolitische FormHelodrilus (Allobophora) caliginosusSav. herausstellte, welche in ganz Europa sehr gemein ist, aber auch in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika, Australien, also in der ganzen Welt verbreitet ist. Es handelt sich offenbar um eine europäische Form, die allmählich durch den Menschen in die anderen Erdteile verschleppt wurde. Die gleiche Art fand ich dann noch öfter, aber immer an feuchten Stellen, so beiDedeliund in den Rasenpolstern der Schluchten beiKaluckova. Merkwürdiger als diese Funde war das Vorkommen in dem Wasser eines Quellbaches an derKobelizaim Schardakh in der Höhe von etwa 2000 m. Dieses Vorkommen könnte darauf hindeuten, daß die Art doch seit jeher in Mazedonien einheimisch ist. Eine Verschleppung in die Bergeinsamkeit ist kaum anzunehmen.
Andere, wahrscheinlich verschleppte Formen, welche ich in Mazedonien fand, waren die amphibischeEiseniella tetraedra(typica) Sav., welche in der Schlucht beiPlaušin derPlaguša Planina, in derTopolkaschluchtunter Steinen, beiRabrovound schließlich imNikolatalin einem faulenden Baum am Bachufervorkam;Eisenia rosea(Sav.), am Wodno, in der Gipfelregion bei 1000 m Höhe, im Schlamm am Rand eines Gewässers, ist sogar eine der nachweislich verschleppten Arten;Octalasium lacteum(Örley) von derPlaguša Planinaist offenbar auch eine nicht ursprünglich einheimische Form, welche auch sonst in Mitteleuropa vorkommt, in Ungarn, Südrußland und Rumänien schon beobachtet worden ist, aber auch schon in Spanien, auf den Azoren, in Algier, Nord- und Südamerika gefunden wurde.
Eine Form, deren natürliches Verbreitungsgebiet offenbar Mazedonien umfaßt, ist wohlLumbricus rubellusHoffmstr., die weit in Europa verbreitet ist. Sie ist neu für Mazedonien, währendEisenia roseavar.macedonica(Rosa), welche amPepelakseein derGolesniza Planinain 2000 m Meereshöhe gefunden wurde, wahrscheinlich eine typisch mazedonische Form ist. Zum ersten Male in Mazedonien fand ich an verschiedenen StellenHelodrilus (Dendrobaena) byblicus(Rosa), der bisher nur in Syrien und Palästina und in Kreta beobachtet worden war. Ich fand ihn in einem Schluchtbach hinterKaluckovain einem Moospolster, im Bach desNikolatalesund merkwürdigerweise auch in einem Quellbach auf derKobelizain 2000 m Meereshöhe. Schließlich entdeckte ich nochHelodrilus caliginosus trapezoides(Ant. Deg.), in einem austrocknenden Tümpel beiStrumizaund beiDedeli; diese Form war bisher aus dem Mittelmeergebiet und Nordamerika bekannt.
Dazu enthielt meine Sammlung noch drei neue Arten.Criodrilus macedonicusUde, welche demCriodrilus lacuumnahe steht, wurde in Wiesenbächen südlich von Valandova gefunden. Dazu kommenHelodrilus (Allobophora) dofleiniUde aus der Gegend von Üsküb, aus der Gipfelregion des Wodno und von einem Hügel beim Spital undHelodrilus (Eophila) bellicosusUde von einem Nebenfluß des Wardar bei Miletkovo.
Diese 12 Arten sind kein sehr beträchtliches Ergebnis in einem Land wie Mazedonien, wenn man bedenkt, daß in dem Band des Tierreiches, denMichaelsen1900 veröffentlicht, für die ganze Erde mehrere Hundert (870) Arten beschrieben sind. Immerhin sind fast alle genannten Arten neu für Mazedonien. Aus diesem Land sind überhaupt nur ganz wenigOligochätenbekannt. Auch dieLimicolen, die wasserbewohnenden Formen, sind selten. Ich fand vielfach eine Form in den Schluchtbächen, in Bergseen,Gräben und Kanälen. Es war wohl sicher immer der kosmopolitischeTubifex tubifexL.
Unter den Regenwürmern ist sicher eine ganze Anzahl typisch verschleppter Formen; dabei ist aber zu bedenken, daß Mazedonien zu jenem Gebiet endemischer Formen gehört, das sich von Portugal, Spanien und Südfrankreich, die Alpen bis Kleinasien, Persien und ostwärts bis Japan erstreckt.
Daß bisher aus Mazedonien so selten Vertreter dieser Gruppe beschrieben wurden, und daß ich so wenig Regenwürmer gerade in diesem Lande auffinden konnte, obwohl ich auf ihr Vorkommen besonders achtete, konnte kein Zufall sein. Das hing sicher mit dem heißen und trockenen Sommer und mit der Bodenbeschaffenheit zusammen.
Darwinhat ein sehr interessantes Buch über die Regenwürmer verfaßt, welches den Titel führt:Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer. In diesem Buch schildert er die Lebensweise der Regenwürmer und die früher nicht geahnte Wirkung, welche diese Tiere auf die Gestaltung der Erdoberfläche haben. Er zeigte, wie sie den Erdboden bearbeiten, indem sie beim Bau ihrer unterirdischen Gänge Erde durch ihren Darm hindurchgehen lassen und immer wieder Massen aus tiefen Schichten in die Höhe tragen und in ihren Kothaufen an der Oberfläche ablagern. So durchwühlen sie den Boden, verlagern seine Bestandteile und lockern seine Zusammensetzung. Auch in anderer Beziehung wirken sie mechanisch auf seine Bestandteile ein, indem in ihrem Kaumagen Steinchen aneinandergerieben, geglättet und verkleinert werden.
Sogar auf die chemische Zusammensetzung des Bodens haben die Regenwürmer einen starken Einfluß, einmal indem sie Blätter und sonstige Pflanzenteile, welche ihnen zur Nahrung dienen, in ihrem Darm chemisch verändern, dann aber auch indem sie alle möglichen anorganischen und organischen Bestandteile des Bodens verarbeiten. So sind ihre eigenartigen Kothäufchen ein guter Dünger für die oberflächlichen Schichten des Erdbodens, denen so immerfort neue Stoffe zugetragen werden.
Sie bewirken, wo sie in großer Menge vorkommen, eine beständige Umarbeitung des Bodens bis in eine beträchtliche Tiefe. Sie sind die Hauptursache der Bildung der schwarzen Erde, welche besonders feinkörnig und fruchtbar ist, wo sie von vielen Regenwürmern ständig durchwühlt wird.
Tatsächlich sind es in England und in Deutschland, wo fast gleichzeitig mitDarwinHensenähnliche Untersuchungen durchgeführt hat, erstaunliche Mengen von Würmern, welche in Gartenerde, in Ackerboden, in den Wäldern ihre unterirdische Arbeit leisten.Hensenwies nach, daß in einem Hektar Gartenland sich 133000 Regenwürmer fanden, deren Gesamtmasse fast 10 Zentner wiegt. Etwa die Hälfte davon finden sich nachDarwinin Ackerland, auf Heiden und im Wald. Die Erdmasse, welche diese Tiere in einem Jahr an die Oberfläche befördern, erreicht nach den Untersuchungen dieser Forscher und ihrer Mitarbeiter im Jahr auf den Morgen 8-20 Tonnen, so daß in 10 Jahren eine Schicht von 1-5 cm Dicke über die alte Oberfläche geschichtet werden kann.
Das sind gewaltige Leistungen und es ist nicht verwunderlich, wennDarwinnachweisen konnte, daß durch diese Arbeit der Regenwürmer Steine und andere Gegenstände langsam im Boden versinken, indem die Regenwürmer den Boden unter ihnen wegfressen, ihn aber nur an ihren Rändern an der Oberfläche ablagern können. So führteDarwindas Einsinken antiker Straßenpflaster, von Mosaikfußböden und Häuserteilen auf die Tätigkeit der Regenwürmer zurück.
Daß eine solche intensive Arbeit der Regenwürmer in Ländern unserer Breiten tatsächlich eine große Bedeutung hat, ist in Europa und Amerika vielfach beobachtet worden.Darwinselbst betonte, daß bei der weiten Verbreitung der Regenwürmer, welche auf der ganzen Erde, von den polaren Gegenden bis zum Äquator, in den höchsten Gebirgen und auf den einsamsten ozeanischen Inseln vorkommen, sie wohl eine ähnliche Einwirkung auf den Erdboden in allen feuchten, selbst mäßig feuchten Gegenden haben müßten.
Er selbst sammelte Erfahrungen anderer aus den Tropen, von der Riviera und aus anderen Gegenden. Ich konnte früher mich in Italien, Südfrankreich, in Istrien und in den Tropen an vielen Stellen von dem reichlichen Vorkommen von Regenwürmern und von ihrer Arbeit überzeugen.
Darwinselbst muß aber vermutet haben, daß in trockenen Ländern die Verhältnisse ganz anders liegen müssen; denn in seinem Buch äußert er sein Erstaunen darüber, daß ihm aus einem so trockenen Land wieNeu-Südwalesin Australien von massenhaftem Vorkommen von Regenwürmern berichtet wurde.
Er bringt aber keine positiven Angaben über das Vorkommen von Regenwürmern in ganz trockenen Gebieten undauch seither sind darüber keine Beobachtungen gemacht worden, die mir bekannt geworden wären. Sicherlich gibt es in den Wüsten keine Regenwürmer, aber wo Oasen entstehen können, da muß es auch Regenwürmer geben.
Daß es im Sommer schwer war, in Mazedonien Regenwürmer zu beobachten, wird man nach den Schilderungen von sommerlicher Hitze und Dürre, die ich in anderen Kapiteln gegeben habe, verstehen. Der Boden der oberflächlichen Schichten erhitzt sich in Mazedonien während des Tages im Sommer zu Temperaturen, welche nicht nur Regenwürmern, sondern auch anderen Tieren den Aufenthalt in ihm unmöglich machen. Temperaturen von 60-70° C sind in den Monaten Juli bis September im Boden nicht selten zu messen. In der verstaubten und vertrockneten Oberfläche des Landes waren in den Sommermonaten keine Regenwürmer zu erwarten. Diese Tiere sind ja außerordentlich empfindlich gegen trockene Hitze. Ich habe nicht selten in Deutschland Regenwürmer, welche auf eine verstaubte Landstraße geraten waren, elend umkommen gesehen. Immerhin habe ich auch in den Sommermonaten in Mazedonien nach ihnen gesucht, aber niemals im Tiefland fern vom Wasser Spuren von ihnen gefunden. Ich habe viele dichte Gebüsche, deren Boden ziemlich schattig war, manche Wälder, Parkanlagen und Friedhöfe untersucht, aber nie jene Mengen von Kothäufchen der Würmer gefunden, welche man in unserem Lande jederzeit an solchen Orten finden würde.
Dr.Laserphot.Abb. 63. Schafherde bei Kaluckova.
Dr.Laserphot.Abb. 63. Schafherde bei Kaluckova.
Dr.Laserphot.
Abb. 63. Schafherde bei Kaluckova.
Es lag also nahe, anzunehmen, daß die Regenwürmer, wie manche andere Tiere Mazedoniens, von denen in einem anderen Kapitel die Rede ist, eine Sommerruhe halten. SchonDarwingibt an, daß die riesenhaften Exkrementhaufen indischer Würmer, die er beschreibt und abbildet, in jenem Tropenland nur währendder Regenzeit ausgeworfen werden. So mußte ich denn vermuten, daß auch in Mazedonien die Regenwürmer während der großen Hitze in der Tiefe der Erde einem Sommerschlaf verfallen sind.
Daß sie etwa tief unten im Boden ihr normales Leben fortsetzen könnten, ist in einem Land wie Mazedonien an den meisten Orten ausgeschlossen. In Tiefen von mehr als 50 cm finden sie hier keine Nahrung. Eine richtige Humusschicht gibt es in diesem Lande nur in den Flußtälern, in den bewässerten Ebenen, in den Wäldern und auf den Matten der Gebirge. Sonst deckt überall nur eine ganz dünne lockere Erdschicht die felsige Unterlage, welche das Land überzieht. Und dieser dünne Überzug entbehrt vielfach vollkommen oder fast vollkommen der organischen Bestandteile, welche die „schwarze Erde‟ anderer Gebiete zu den Kornkammern der Welt gemacht hat.
Das Grundwasser liegt in den Gebieten, die ich genauer kennen lernte, meist so tief, daß es weit unter dem Boden sich findet, in welchem Regenwürmer leben und sich ernähren könnten.
Ich habe während meines Aufenthaltes in Mazedonien jede Gelegenheit benutzt, welche mich über das Vorkommen der gesuchten Tiere hätte unterrichten können. Wenn im Frühling oder Herbst Äcker gepflügt, wenn die Fundamentgrube für ein Haus ausgegraben, von unseren Soldaten Schützengräben oder Unterstände ausgehoben, Bäume oder Sträucher gepflanzt wurden, untersuchte ich die Löcher und die ausgehobene Erde und fand trotz aller Bemühungen fast niemals Würmer. Nur in direkter Berührung mit Wasser kamen sie vor.
Während diese Fragen mich beschäftigten, wurde inÜskübein großes Experiment durchgeführt, welches meinen Zwecken vorzüglich entgegenkam und in mancher Beziehung so interessant ist, daß es sich lohnt, an dieser Stelle davon zu erzählen.
Während die Bulgaren glaubten, Mazedonien, das Land, das ihre Väter besaßen, durch unsere gemeinsamen kriegerischen Erfolge dauernd in Besitz behalten zu können, arbeiteten sie in Mazedonien in mancher Hinsicht für die Zukunft. So kamen sie auch auf die Idee, die Umgebung der StadtÜskübwieder mit Bäumen zu schmücken, um dieser schön gelegenen Stadt eine sympathische Umgebung, den Bewohnern Erquickung in schattigen Anlagen zu verschaffen. Und so wurde sehr idealistisch für eine Bepflanzung, speziell des Zitadellenhügels, auf dem ich mein Standquartier damals hatte, agitiert. Die Sache fand Anklang, dieStadtverwaltung von Üsküb wandte große Mittel auf, um Tausende von Bäumen als Alleen an den Landstraßen, als Haine auf Hügeln, als Wälder an den Abhängen des Berges anzupflanzen. Und es übernahmen Vereine und Schulklassen die Verpflichtung, einzelne Lose zu bepflanzen und zu pflegen. Die Sache wurde mit großem Schwung und Idealismus unternommen; Schulklassen zogen mit bulgarischen Fähnchen aus, um kleine Bäumchen zu pflanzen, ganze Bataillone von rumänischen Kriegsgefangenen hoben tiefe Gruben aus, um viele Tausende von Bäumen einzusetzen.
Alle diese Gräben und Gruben boten mir Gelegenheit, nach den gesuchten Würmern zu forschen. Aber, obwohl es feuchter Frühling und Frühsommer war, ich bekam bei dieser Gelegenheit keinen einzigen Regenwurm in die Hand. Auch sonst ging die Sache traurig aus. Die ganze große Unternehmung war offenbar ohne fachmännische Beratung unternommen. Man hatte Tannen aus dem Gebirge ins Wardartal gepflanzt und nicht auf Bodenart und Bewässerung weder bei diesen, noch bei den Obstbäumen, Pappeln usw. geachtet, die man wahllos an den Berghang gepflanzt hatte. In den ersten Wochen wurden dann und wann die Bäumchen von opferwilligen Schulkindern begossen. Aber als die große Sommerhitze kam, als Menschen und Pflanzen dursteten, da schmolz auch Wille und Idealismus bei diesen Orientalen, die die Üsküber trotz allem sind, dahin und ein Bäumchen nach dem andern verdorrte. Jetzt ist das Land wieder serbisch; die Zigeunerstadt hat wohl die letzten verdorrten Bäumchen im kalten Winter verheizt und die letzte Spur des aufflackernden Idealismus in Mazedonien ist wohl längst verwischt und verschwunden. So war denn all die große Arbeit nutzlos geschehen und keiner der Beteiligten mag je erfahren, daß einem Naturforscher dadurch ein großer Dienst erwiesen wurde.
Bei dieser Gelegenheit konnte ich an vielen Stellen die geringe Dicke des fruchtbaren Bodens messen, sie erreichte selten mehr als 5-10 cm. Darunter kamen sofort Steine und Detritus von Gestein, welches Würmer nicht ernähren konnte. Löcher und Höhlen gab es zwar genug im Erdboden; sie waren aber meist das Werk vonAmeisen, welche in Mazedonien bei der Umarbeitung des Bodens sicher viel mehr leisten als die Regenwürmer.
Selbst starke Regengüsse in jenen Wochen zauberten keine Würmer aus dem sterilen Boden hervor. So ist denn wohl sicher anzunehmen, daß Mazedonien im Flachland und in den Hügelgebietenein sehrregenwurmarmes Landist. Die Waldarmut des Landes ist sicher die Ursache dieser Erscheinung. Mit dem Wald schwand die Humusbedeckung der Hügel und Täler, wie wir in einem anderen Kapitel besprechen werden.
Nur wo genug Wasser vorhanden ist, um den Boden feucht zu erhalten, gedeihen in diesem Lande Regenwürmer. So fand ich sie nicht selten an Brunnen und Zisternen, auf gut bewässerten Feldern und Wiesen, an Wasserleitungen, an und in Bächen, an Ufern von Seen und Flüssen. Am Wardar bei Hudova z. B. war der Überschwemmungsstrand des Wardar weithin von den Spuren und Löchern einer Wurmart wie mit Zeichnungen bedeckt.
In den hohen Bergen und dort auch in den Wäldern fand ich stets Vertreter dieser im Land sonst so seltenen Tiere.
Daß sie trockene Zeiten im Boden verborgen in einem Zustand herabgesetzten Stoffwechsels verbringen müssen, auch an manchen Stellen, an denen man sie sonst vermißt und nicht einmal durch ihre Spuren nachweisen kann, bewiesen mir mehrere Fälle, in denen ich Würmer — meist in den Bergen — nach kurzen heftigen Regengüssen frei herumkriechen sah, wohl durch das Wasser aus ihrem Versteck vertrieben. Die kurze Zeit, welche seit dem Regenfall vergangen war, verriet in jedem Fall, daß die Verstecke der Würmer nicht tief im Boden gewesen sein konnten.
Auch habe ich nicht selten nach heftigem, oft tagelangem Sommerregen die Erde aufgegraben, um festzustellen, wie tief das Wasser in eine sehr feste, zusammengetrocknete Erde eindringen kann. Ich stieß in den meisten Fällen schon in der Tiefe von 2-3 cm auf vollkommen trockenen Boden.
In einem solchen Land muß der Einfluß der Regenwürmer auf Bodenbeschaffenheit, Pflanzenwuchs und Ackerbau sehr gering sein. Die Ackererde in weiten Gebieten von Mazedonien hat nichts von dem großen Einfluß der Regenwürmer auf ihre Beschaffenheit zu verspüren, den wir seit den Forschungen vonHensenundDarwinfür unsere Gegenden sehr hoch einzuschätzen wissen.
Die von mir beobachteten Verhältnisse haben mich viel beschäftigt und mich veranlaßt, mir Vorstellungen über die Abhängigkeit des Ackerbaues von der Bodenbeschaffenheit in einem Land vom Charakter Mazedoniens zu bilden. Was ist das ein ganz anderer Anblick, wenn bei uns der Pflug dezimetertief in den Ackerboden sich einwühlt, als wenn der mazedonische Bauermit dem kurzen Eisenhaken seines urweltlichen, primitiven Pflugs den Boden nur oberflächlich ankratzt. Was ist das gar für ein Unterschied gegenüber den Ackerböden in Rumänien, wo ich einmal von Bukarest aus einen Ausflug mit einem Agrikulturbotaniker machte, um dort den äußersten Kontrast zu den mazedonischen Verhältnissen kennen zu lernen. In einem Krongut im Gebiet der „schwarzen Erde‟ maßen wir in einem Acker eine Decke von fruchtbarem Boden von einer Dicke von 1,10 m. Was ist das für ein Unterschied gegen die 3-5 cm in Mazedonien. Und wie war dort an Farbe und Geruch der Erde der Gehalt an organischer Materie zu erkennen, wie war der Boden in seiner Feinkörnigkeit und Luftigkeit Zeuge von der Arbeit der Regenwürmer.
Wie ist es aber möglich, daß auf dem scheinbar so sterilen Boden Mazedoniens trotzdem schöne große Ernten zustande kamen, daß im Frühsommer oft die Landschaft dort von Gersten-, Roggen- und Weizenfeldern bedeckt, den Eindruck paradisischer Fruchtbarkeit erweckt?
Offenbar beruht in Mazedonien die Fruchtbarkeit auf einer ganz anderen Grundlage als in feuchteren Gegenden. Auf dem felsigen Boden bildet sich jeweils in einigen Jahren eine Schicht von verwittertem Gestein, an dessen Verarbeitung Sonne und Regen, Eis und Schnee, Wind und Sturm beteiligt sind. Diese Schicht bildet eine Erde, die einige wenige Ernten gestattet, wenn Wasser genug geboten ist, wenn also der Acker in Flußnähe liegt oder sonstwie künstlich bewässert werden kann. Fast wie in einer Nährlösung gedeihen auf solchen Feldern die Pflanzen. Bald sind diese Äcker aber erschöpft und sie müssen wieder Jahre brach liegen, bis wieder neue Verwitterungskrume gebildet ist. Ohne Dünger können solche Äcker nur kurze Zeit tragen. Drum sah man in Mazedonien oft halbkahle, erschöpfte Felder.
Die flache Ackerkrume ist auch die Ursache, welche die Dürre in diesem Land für die Ernte so gefährlich macht. Kann ein Acker nicht bewässert werden, so geht in einem heißen, trockenen Sommer die Ernte mit Sicherheit zugrunde.
Tatsächlich muß es genügen, einen solchen Ackerboden mit dem Pflug nur gerade anzukratzen, damit man den Samen in ihn betten kann. Dazu genügt der Pflug des Altertums. Pflügte man tiefer, so wühlte man nur Steine und sterile Massen auf, welche noch nicht verwittert waren, noch nicht so weit aufgeschlossen waren, daß sie dem Getreide Nährstoffe bieten konnten.
So haben unsere Truppen, auch gute Landwirte und Ansiedler in Mazedonien im Anfang Mißernten erzielt, als sie hochmütig lächelnd die primitive Bearbeitungsweise der mazedonischen Bauern verachteten und tief, oft gar mit Dampfpflügen den Boden aufwühlten. Die fruchtbare, dünne oberste Schicht wurde dabei in die Tiefe versenkt, das Felsengestein und seine Trümmer wurden emporgeholt. Ohne starke Düngung konnte solch ein Feld nichts tragen, ohne einige Jahre den Mächten der Atmosphäre ausgesetzt gewesen zu sein.
Da wäre jahrelange Arbeit des Menschen, oder noch viel längere Tätigkeit der Regenwürmer nötig gewesen, um aus einer Steinwüste fruchtbare Felder hervorzuzaubern.