Neunter AbschnittWaffenstillstand und Heimkehr
So blieb in Kasama nur die Abteilung Koehl zurück, um mit Tagesmarschabstand zu folgen. Mit dem Gros folgte ich der Abteilung Spangenberg am 13. November früh. Ich war mit dem Fahrrad vorausgefahren, hatte die Lagerplätze ausgesucht und erwartete die Truppe, als Hauptmann Müller gleichfalls mit Fahrrad zu mir kam und meldete, daß Waffenstillstand abgeschlossen sei. Ein englischer Motorfahrer, der die Nachricht zu den britischen Truppen hatte bringen sollen, war versehentlich nach Kasama hineingefahren und dort von der Abteilung Koehl gefangen genommen worden! Vermittelst der englischen Telefonleitung, die wir entlang marschierten, konnten wir uns meist leidlich schnell verständigen, und so haben wir die Nachricht vom Waffenstillstand erhalten.
Das Telegramm des Motorfahrers lautete:
12./11./18. To be fwded via M. B. Cable and despatch rider.
Send following to Colonel Von Lettow Vorbeck under white flag. The Prime Minister of England has announced that an armistice was signed at 5 hours on Nov. 11th and that hostilities on all fronts cease at 11 hours on Nov. 11th. I am ordering my troops to cease hostilities forthwith unless attacked and of course I conclude that you will do the same. Conditions of armistice will be forwarded you immediately I receive them. Meanwhile I suggest that you should remain in your present vicinity in order to facilitate communication. General Van Deventer.
As message is also being sent via Livingstone, it is important Karwunfor receives this same time as enemy; every effort must be made get message to him today.
Unsere Empfindungen waren sehr gemischt; ich persönlich, der ich von den wirklichen Verhältnissen in Deutschland keine Kenntnis hatte, glaubte an einen günstigen oder zum mindesten für Deutschland nicht ungünstigen Abschluß der Feindseligkeiten.
Die vorausgesandte Abteilung Spangenberg mußte schnell benachrichtigt werden, und ich setzte mich sogleich mit einem Begleiter, demLandsturmmann Hauter, aufs Rad und fuhr ihr nach. Auf halbem Wege kam mir die Radfahrpatrouille Reißmann der Abteilung Spangenberg entgegen und meldete, daß Hauptmann Spangenberg bei der Chambezi-Fähre eingetroffen sei. Wenn ich auch die Richtigkeit der englischen Nachricht vom Waffenstillstand nicht bezweifelte, so war unsere Lage doch ziemlich heikel. Wir befanden uns in einem Gebiet mit wenig Verpflegung und waren darauf angewiesen, unseren Standort von Zeit zu Zeit zu wechseln. Schon aus diesem Grunde war es notwendig, Übergänge über den Chambezifluß zu erkunden und für uns zu sichern. Wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen, so mußten wir erst recht einen gesicherten Uferwechsel haben. Diese Frage war brennend, da die Regenzeit und damit das Anschwellen der Flüsse unmittelbar bevorstand. Stärkere Gewitter setzten bereits ein. Es war also vieles mit Hauptmann Spangenberg an Ort und Stelle zu besprechen und mit dem englischen Offizier, der voraussichtlich jenseits des Chambezi stehen würde, zu regeln. Auf alle Fälle mußte der Aufkauf und die Beschaffung von Verpflegung energisch weiter betrieben werden. Zu diesem letzteren Zweck ließ ich meinen Begleiter zurück und radelte selbst mit der Patrouille Reißmann zur Abteilung Spangenberg.
Wir trafen gegen 8 Uhr abends, bei völliger Dunkelheit, ein; Hauptmann Spangenberg war noch unterwegs auf einer Erkundung, aber Unterzahlmeister Dohmen und andere Europäer versorgten mich, sobald sie von meiner Ankunft erfuhren, reichlich. Ich konnte mich überzeugen, daß das Magazin von Kasama auch Haferflocken, Jam und andere gute Dinge enthalten hatte, die mir bis dahin unbekannt geblieben waren.
Hauptmann Spangenberg meldete mir bei seiner Rückkehr, daß auch er inzwischen durch die Engländer Nachricht vom Waffenstillstand erhalten hatte. Als ich mich in seinem Zelt zur Ruhe gelegt hatte, brachte er mir gegen Mitternacht ein durch die Engländer übermitteltes Telegramm des Generals van Deventer, das über Salisbury gekommen war. Nach diesem hatte Deutschland die bedingungslose Übergabe aller in Ostafrika operierenden Truppen unterzeichnet; Deventer fügte hinzu, daß er die sofortige Befreiung der englischen Kriegsgefangenen und unseren Marsch nach Abercorn verlangte. InAbercorn wären alle Waffen und Munition abzuliefern, doch dürften die Europäer zunächst ihre Waffen behalten. Der vollständige Text dieses Telegramms lautete:
13. XI. 18. To Norforce. Karwunfor via Fife.
Send following to Col. Von Lettow Vorbeck under white flag. War office London telegraphes that clause seventeen of the armistice signed by the German Govt. provides for unconditional surrender of all German forces operating in East Africa within one month from Nov. 11th.
My conditions are. First, hand over all allied prisoners in your hands, Europeans and Natives to the nearest body of British troops forthwith. Second, that you bring your force to Abercorn without delay, as Abercorn is the nearest place at which I can supply you with food. Third, that you hand over all arms and ammunition to my representative at Abercorn. I will however allow you and your officers and European ranks to return their personal weapons for the present in consideration of the gallant fight you have made, provided that you bring your force to Abercorn without delay. Arrangements will be made at Abercorn to send all Germans to Morogoro and to repatriate German Askari. Kindly send an early answer giving probable date of arrival at Abercorn and numbers of German officers and men, Askari and followers.
General van Deventer.
Diese eine Nachricht besagte, wenn sie sich bestätigte, genug und zeigte die Notlage des Vaterlandes; niemals würde es sonst eine ehrenvoll und erfolgreich im Felde stehende Truppe preisgeben.
Ohne die Gründe im einzelnen nachprüfen zu können, mußte ich mir sagen, daß die von uns verlangten Bedingungen eben unvermeidlich seien und loyal erfüllt werden müßten. Bei einer mit dem britischen Commissionar, der von Kasama zur Chambezi Rubber Factory übergesiedelt war, am 14. November morgens 8 Uhr am Fluß vereinbarten Zusammenkunft übergab ich diesem ein Telegramm an Seine Majestät, in dem ich das Vorgefallene meldete und hinzufügte, daß ich entsprechend verfahren würde. Der Commissionar teilte mir mit, daß die deutsche Flotte revoltiert habe und auch sonst in Deutschland Revolution sei; nach einer ihm offiziell bisher nicht bestätigten Nachricht habeferner der Kaiser am 10. November abgedankt. Alle diese Nachrichten schienen mir unwahrscheinlich, und ich habe sie nicht geglaubt, bis sie mir nach Monaten auf der Heimreise bestätigt wurden.
Unsere Truppe, Europäer und Farbige, hatten fest daran geglaubt, daß Deutschland in diesem Kriege nicht unterliegen würde, und alle waren entschlossen, bis zum Äußersten zu kämpfen. Gewiß war es fraglich, ob unsere Kraft reichen würde, wenn der Krieg noch mehrere Jahre dauerte, aber auf mindestens ein Jahr sahen wir allen Möglichkeiten mit Ruhe entgegen; die Truppe war gut bewaffnet, ausgerüstet und verpflegt, die augenblickliche Kriegslage so günstig für uns wie seit langem nicht. Zwar sahen die Askari, daß wir weniger und weniger wurden — wir waren noch 155 Europäer, davon 30 Offiziere, Sanitätsoffiziere und obere Beamte, 1168 Askari und rund 3000 andere Farbige stark — aber als ich gelegentlich mit einer meiner Ordonnanzen darüber sprach, da versicherte er mir: „Ich werde bei Euch bleiben und weiter fechten, bis ich falle“. Ähnliche Äußerungen sind von vielen anderen gemacht worden. Ich bin überzeugt, daß es nicht bloße Redensarten waren.
Am 14. November nachmittags traf ich mit dem Fahrrad wieder beim Gros der Truppe ein, teilte den Europäern das an der Chambezi-Fähre Erlebte sowie meine Absicht mit, die mir offiziell bekannt gegebenen Bedingungen, an deren Richtigkeit ich nicht zweifelte, auszuführen.
Bevor die Gefangenen entlassen wurden, suchte mich der älteste derselben, Colonel Dickinson, auf und verabschiedete sich von mir. Nach seiner Angabe hatte die mehr als dreimonatliche Gefangenschaft ihm einen interessanten Einblick in unser Lagerleben, in die Anlage unserer Märsche und die Führung unserer Gefechte gegeben. Über die Einfachheit unserer Anordnungen und das reibungslose Funktionieren war er des Lobes voll; zweifellos hatte er mit offenen Augen gesehen.
Auch unseren Askari wurde die Wendung der Dinge bekannt gegeben. Es war vorauszusehen, daß ihre Abfindung mit den seit Jahren rückständigen Gebührnissen Schwierigkeiten machen würde, und dasselbe galt für die Träger. Und doch war es für uns Ehrensache, diesen Leuten, die mit so großer Hingabe für uns gekämpft und gearbeitet hatten, zu ihrem Recht zu verhelfen. Die erforderliche Summe — eshandelte sich etwa um 1½ Millionen Rupien (im Frieden eine Rupie = 1,33 Mark) war verhältnismäßig gering, und so wurde Leutnant d. Res. Kempner mit Rad vorausgeschickt, um diese Summe von den Engländern oder durch ihre Vermittlung auf dem schnellsten Wege zu beschaffen. Unsere wiederholten Bemühungen sind erfolglos geblieben. Es wurde uns zwar zu verschiedenen Malen mitgeteilt, daß die Frage seitens des War Office in Erwägung (under consideration) gezogen sei, aber dabei blieb es; auch auf meine Telegramme an die deutsche Regierung in Berlin habe ich keine Antwort bekommen. Es blieb schließlich nichts weiter übrig, als Listen über die rückständigen Gebührnisse zusammenzustellen und den einzelnen Trägern und Askari Gutscheine darüber mitzugeben.
Wir marschierten nun in kleinen Märschen über Kasama auf Abercorn zu. Britischerseits wurden uns Einzelheiten über die Waffenstillstandsbedingungen bekannt gegeben. Es stellte sich heraus, daß in diesen nicht „bedingungslose Übergabe“, wie General van Deventer ursprünglich mitgeteilt hatte, verlangt war, sondern „bedingungslose Räumung“ (evacuation). Gegen die Auslegung des englischen Kriegsamtes, daß das Wortevacuationdie Übergabe und Entwaffnung einbegriffe, erhob ich mehrfach Einspruch, habe aber weder von den Regierungen der alliierten Länder und der Vereinigten Staaten noch von der deutschen Regierung Antwort erhalten. Ich habe mir überlegt, ob ich bei dieser zweifellosen Entstellung des Wortesevacuationmich auf nichts Weiteres einlassen und zu den Belgiern oder sonst wo anders hinmarschieren sollte. Aber schließlich war im Vergleich zu der Gesamtheit der Friedensbedingungen die die Schutztruppe betreffende Klausel ein so geringer Punkt, daß ich beschloß, nach Daressalam zu rücken, wie General van Deventer es verlangte, allerdings in der Erwartung, daß die Engländer uns von dort den Bedingungen des Waffenstillstandes entsprechend sogleich weiter in die Heimat transportieren würden. Diese Erwartung wurde, wie sich später herausstellte, nicht erfüllt.
Unweit nördlich von Kasama überholten wir den Gegner, gegen den die letzten Scharmützel stattgefunden hatten, das 1. Bataillon der VI. King’s African Rifles. Die Einladung des Colonel Hawkins, des kaum dreißigjährigen liebenswürdigen Führers, die er mir beim Durchmarschdurch Colonel Dickinson für die deutschen Offiziere für einen Imbiß übermitteln ließ, mußte ich ablehnen, so sehr ich mich auch über die hierdurch zum Ausdruck gebrachte Ritterlichkeit freute. Doch ließ es sich Colonel Hawkins nicht nehmen, an einem der folgenden Tage seinen Besuch zu machen und eine recht angeregte Stunde bei einer Tasse Kaffee bei mir zuzubringen. Es ist anzuerkennen, daß die Offiziere dieses Bataillons in der gewiß etwas schwierigen Lage mit großem Takt und mit der Achtung verfahren sind, auf die ein ehrenhafter Feind Anspruch hat. Hawkins teilte mir übrigens mit, daß er aus Verpflegungsgründen nicht hätte weiter folgen können, und wir mußten ihm mit Vieh aushelfen, das wir ja in ausreichender Zahl besaßen.
Nach Abercorn hatte sich Leutnant d. Res. Kempner mit dem Fahrrad vorausbegeben. Nach seiner Rückkehr fuhr ich selbst mit einem vom General Edwards geschickten Auto dorthin. Die Aufnahme bei General Edwards selbst sowie in der Messe seines Stabes war sehr entgegenkommend. Ich präzisierte meinen Standpunkt dem General Edwards gegenüber dahin, daß ich die Verpflichtung zur Abgabe unserer Waffen nicht anerkannte, aber zur Abgabe bereit wäre, wenn ich hierdurch Vorteile nicht für den einzelnen von uns, sondern für die deutsche Regierung erreichen könne. Es wurde mir zugestanden, daß die von uns abgegebenen Waffen und Munition auf die Bestände in Anrechnung kommen würden, welche Deutschland gemäß der Waffenstillstandsbedingungen an die alliierten Regierungen abzugeben hatte. Die Abgabe unserer Waffen sollte ferner auch äußerlich nicht den Charakter einer Waffenstreckung haben.
Über die Askari und Träger wurde mir mitgeteilt, daß die Engländer sie in Tabora in Internierungslagern unterbringen wollten, bis ihre Abfindung mit Gebührnissen geregelt und ihre Repatriierung durchgeführt sei. Die Europäer sollten bis zur Abfahrt des Schiffes, also voraussichtlich nur wenige Tage, in Daressalam interniert werden. Diese Bedingungen sind feindlicherseits nicht innegehalten worden. Sowohl die Askari in Tabora wie auch die Europäer in Daressalam sind 1½ Monate und länger in Gefangenenlagern hinter Stacheldraht eingeschlossen worden.
Am 25. November traf die Truppe in Abercorn ein. Dort war andem Platze, an dem die Abgabe der Waffen erfolgte, die englische Fahne aufgepflanzt, und es läßt sich nicht leugnen, daß hierdurch der Charakter einer Waffenstreckung nicht ganz vermieden wurde. Es wurden übergeben: ein portugiesisches Geschütz, 37 Maschinengewehre (davon 7 deutsche, 16 schwere und 14 leichte englische), 1071 englische und portugiesische Gewehre, 208000 Patronen, 40 Schuß Artilleriemunition. Die Engländer waren sehr schnell dabei, die abgegebenen Gewehre fortzuräumen. Nicht ein einziges modernes deutsches Gewehr war darunter!!! Die Stärke der Truppe war: der Gouverneur, 20 Offiziere, 5 Sanitätsoffiziere, ein Arzt der freiwilligen Krankenpflege, ein Oberveterinär, ein Oberapotheker, ein Feldtelegraphensekretär, 125 Europäer anderer Dienstgrade, 1156 Askari und 1598 Truppenträger. Das Eintreffen der einzelnen Abteilungen zögerte sich infolge schwerer Regengüsse um Stunden hinaus. Der Lagerplatz für die Askari war mit einem hohen Dornverhau eingefaßt und infolge Ungeschicklichkeit übertrieben eng gewählt. Dies erregte bei vielen unserer Askari heftigen Unwillen, der sich manchmal in Tätlichkeiten gegen die englischen Askari entlud. Aber die Leute fanden sich schließlich mit der unangenehmen Lage ab, und auch General Edwards sah ein, daß hier unnötigerweise ein Anlaß zu Reibungen an den Haaren herbeigezogen worden war. Wir waren ja doch keine Kriegsgefangenen, deren Entlaufen er zu befürchten hatte, sondern wir hatten uns freiwillig in Erfüllung einer unangenehmen Pflicht in seine Hände begeben. Er nahm für den Weitermarsch nach Bismarckburg von ähnlichen Einrichtungen Abstand, und so sind wir mit dem Bataillon Hawkins gemeinsam und ohne die geringste gegenseitige Belästigung nach Bismarckburg marschiert. Am 28. November bezogen wir an dem gewaltigen Wasserfall des Kalamboflusses Lager, 3 Stunden von Bismarckburg entfernt. Hier blieben wir mehrere Tage liegen, da die Abfahrt mit den Dampfern von Bismarckburg aus sich immer wieder verzögerte. Verschiedene Offiziere bestürmten mich, ob wir nicht doch noch weiter fechten wollten. Solche Bestrebungen waren etwas unbequem, da es sowieso schon für mich einer Menge kühler Überlegung bedurfte, um aus unserer doch recht unangenehmen Lage herauszukommen. Aber mehr als diese Unbequemlichkeit empfand ich die Freude über solche Äußerungen gesunden kriegerischen Geistes, der selbst jetzt,nachdem wir alle Waffen abgegeben hatten, nicht davor zurückschreckte, ein feindliches Lager zu stürmen und uns von neuem die Grundlage für weitere Kriegführung zu verschaffen.
Am 3. Dezember empfing ich ein Telegramm des Generals van Deventer, datiert vom 2. Dezember. Es lautete folgendermaßen:
I beg to acknowledge receipt of your telegramm setting forth your formal protest against your troops being treated as prisoners of war. This will duly be forwarded to the War Office. Meanwhile I am sure you will recognise that pending the receipt through the War Office of a communication on the subject of the German Govt. I have had no choice but to act in accordance with the orders of the War Office, and treat your force as prisoners of war.
Am gleichen Tage ging der erste Transport der Truppen auf vier Schiffen an Bord. Auf einem derselben, dem St. George, waren außer der aus englischer Marine bestehenden Besatzung und einem Eskortoffizier nur der Gouverneur und die Offiziere des Kommandos mit ihren schwarzen Dienern untergebracht. An Verpflegung hatten wir Cornedbeef, Datteln und Biskuits von den Engländern erhalten, und OberveterinärDr.Huber sorgte auch hier an Bord, wie vorher schon so viele Jahre im Pori, ausgezeichnet für unser leibliches Wohl. Der britische Commander, der Eskortoffizier und die gesamte Besatzung waren außerordentlich entgegenkommend. Als nach kurzem Aufenthalt am Abend des 3. Dezember in der belgischen Station Vua während der Nacht ein heftiger Sturm ausbrach, der die Sonnensegel zerriß und unter anderem auchDr.Hubers Rock wegführte, da waren die englischen Matrosen aufs sorgfältigste um die ganz durchnäßten Deutschen bemüht.
Am 5. Dezember langten wir in Kigoma an. Der Ort stand unter belgischem Befehl, und weit über alle Erwartungen hinaus haben uns hier die Belgier bewirtet und dabei doch die taktvolle Zurückhaltung bewahrt, die uns gegenüber nun einmal geboten war. Für alle Europäer waren in großen Schuppen gedeckte Tafeln aufgestellt, ein Anblick, dessen wir seit Jahren entwöhnt waren. Sogar etwas Rotwein tauchte auf. Der belgische Gouverneur hatte seinen Ordonnanzoffizier, der fließend Deutsch sprach, zu unserem offiziellen Empfang gesandt, und ich nahm gern Gelegenheit, mich vor Antritt der Eisenbahnfahrtbei dem belgischen Commandant de place für die uns erwiesene Kameradschaftlichkeit, die bei Soldaten ja auch zwischen Feinden bei gegenseitiger Achtung besteht, zu bedanken.
Europäermahlzeit⇒GRÖSSERES BILD
Europäermahlzeit⇒GRÖSSERES BILD
⇒GRÖSSERES BILD
Auch bei den Engländern blieben gelegentliche Ungezogenheiten einzelner Offiziere, deren Kinderstube augenscheinlich nicht nach Süden gelegen hatte, durchaus auf Ausnahmefälle beschränkt. Ältere Herren griffen sogleich in taktvoller Weise ein, wenn einzelne jüngere Kameraden beispielsweise einen deutschen Kranken rücksichtslos aus dem Eisenbahnabteil entfernen wollten. Auf der Eisenbahn waren wir Europäer recht gut untergebracht und konnten uns wie im Frieden in der Nacht durch Ausziehen der Lederpolster und Einhaken der Gestelle gute Schlafgelegenheiten übereinander herstellen. In Tabora waren eine Menge Deutsche auf dem Bahnhof. Sie beklagten sich über viele Räubereien seitens der Belgier und der Engländer. Es ist auch wohl sicher, daß viele Ausschreitungen vorgekommen sind. In Dodoma blieben wir die Nacht über liegen und hatten am nächsten Morgen Gelegenheit, uns Wasser zu holen und gründlich zu reinigen.
Nach Morogoro war über das Eintreffen unseres Transportes Nachricht gegeben worden, und hier fanden wir nachmittags die deutschen Frauen wieder, die in Morogoro und Umgebung vor 2 Jahren zurückgelassen worden waren. Sie hatten Tee und Kaffee gekocht, Bufette mit Brötchen eingerichtet und Kuchen in Massen gebacken. Dazu gab es die schönsten Früchte. Fast ebenso interessiert wie die Deutschen waren die Engländer selbst. Außer einem sehr liebenswürdigen älteren Sanitätsoffizier ist mir besonders ein baumlanger Korporal in Erinnerung, der augenscheinlich schon vor Eintreffen unseres Zuges eine ganze Reihe von Gläsern auf unser Wohl getrunken hatte. Es gelang mir aber doch schließlich auch diesem zu entschlüpfen.
In Daressalam trafen wir am 8. Dezember um 7 Uhr vormittags ein. Die Europäer wurden in einem mit Stacheldraht umgebenen Lager in großen Zelten gut untergebracht. Die Verpflegung war gut und reichlich und in der englischen Kantine gab es Bedarfsartikel aller Art zu billigen Preisen zu kaufen. Gouverneur Schnee und ich wurden durch den Chef des Stabes des britischen Oberbefehlshabers, General Sheppard, empfangen und zu unserem außerhalb des Lagersrecht hübsch gelegenen Hause geleitet. Dorthin hatte General van Deventer freundlicherweise einen Imbiß zur Begrüßung geschickt. Hier wurden Major Kraut, Hauptmann Spangenberg und OberveterinärDr.Huber einquartiert. General Wahle, der vor einigen Monaten in Ubene krank in Feindeshand zurückgelassen war, fanden wir hier recht erholt wieder. Wir machten wiederum gemeinsame Messe und unsere Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses war nur insofern etwas eingeschränkt, als wir stets einen britischen Eskortoffizier bei uns haben mußten. Anfänglich waren diese Herren recht unpünktlich, aber es bildete sich schließlich doch ein erträglicher Zustand heraus, und ich hatte Gelegenheit, in Daressalam die Bekannten aufzusuchen und meine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen. Meist wurde mir hierzu auch ein Auto gestellt. Der Vorstand der Gefangenenlager, Major Hosken, der schon in Tanga für die gefangenen deutschen Frauen und Kinder große menschliche Fürsorge gezeigt hatte, war auch in Daressalam bemüht, unnötige Schikanen von uns fernzuhalten.
Wir waren schon auf der Eisenbahnfahrt überrascht gewesen, fast auf jeder Station mehr englische Europäer anzutreffen, als wir in der ganzen Schutztruppe hatten; hier in Daressalam aber wimmelte es von weißen Truppen. Ich schätzte ihre Zahl auf nicht unter 5000, und zu Hunderten und Aberhunderten standen die reparaturbedürftigen Automobile in den Wagenparks.
Die enge Zusammenhäufung der Menschen zeigte ihre Gefährlichkeit beim Auftreten der spanischen Influenza. Eskortenoffiziere erzählten mir, daß manchmal an einem Tage 5, manchmal 7 englische Offiziere in Daressalam an dieser Krankheit starben, und bald spürten wir sie auch selbst. Die Ansteckung ist wahrscheinlich während des Schiffstransportes auf dem Tanganjikasee und dann auf der Eisenbahnfahrt erfolgt. In den Konzentrationslagern in Daressalam ist sie von Mann zu Mann weitergegangen. Hauptmann Spangenberg begleitete mich kurz nach seiner Ankunft in Daressalam noch in die Stadt, dann fühlte er, dessen eiserne Natur alle Strapazen im Felde so gut überstanden hatte, sich elend und starb im Lazarett am 18. Dezember an Influenza und Lungenentzündung.
Fast alle Europäer unseres Lagers wurden von ihr befallen, und es war schmerzlich, daß außer Hauptmann Spangenberg noch neun weitereEuropäer, im ganzen also fast 10% unserer Kopfzahl ihr erlagen. Auch von den in Tabora internierten Eingeborenen sind 150 Askari und 200 Träger gestorben.
In verschiedenen Gefangenenlagern in Daressalam waren auch mehrere hundert deutsche Askari untergebracht, die zu früheren Zeiten in die Hände der Engländer gefallen waren. Verschiedene von ihnen waren bereits Jahr und Tag in englischer Gefangenschaft und hatten sich standhaft geweigert, bei den Engländern als Askari einzutreten. Dies war ihnen nach ihrer Angabe wiederholt angeboten worden. Unsere Askari hatten das deutsche Kriegsgefangenenlager der weißen Soldaten unmittelbar vor Augen. Es war erfreulich, daß wir Europäer hierdurch in den Augen der Askari nicht im geringsten verloren. Genau wie früher bezeigten sie uns die größte Anhänglichkeit und Disziplin und zweifellos kam hierdurch die große innere Achtung, die sie vor uns Deutschen hatten, zum Ausdruck. Sie waren klug genug, einzusehen, daß die größere militärische Leistung doch auf deutscher Seite war, und sie waren von jeher gewohnt, daß wir auch in schweren Zeiten alle Beschwerlichkeiten redlich mit ihnen teilten und stets ein warmes Herz für ihre vielen kleinen Anliegen hatten.
Auch sonst zeigten uns die Eingeborenen gern ihre Anhänglichkeit und ihr Vertrauen. Die schwarzen Diener hielten ihren rückständigen Lohn in den Händen ihrer deutschen Herren, die im Augenblick kaum über Barmittel verfügten, für vollständig gesichert. Mit den Engländern war manche trübe Erfahrung gemacht worden. Jeder wußte, daß in den Gefangenenlagern die Gelder unserer Leute wiederholt und zwar in erheblichem Umfange durch englische Offiziere unterschlagen worden waren. Frühere Boys und auch andere Eingeborene kamen manchmal von weither angereist, um uns zu begrüßen, und ich habe den Eindruck gewonnen, daß die Eingeborenen im großen und ganzen die deutsche Herrschaft recht gern wiederhaben wollten. Sicherlich waren unter den englischen Europäern eine ganze Menge übler Elemente. Manche ließen sich sogar von Eingeborenen Bestechungsgelder geben, andere waren bei hellichtem Tage in deutsche Europäerhäuser eingedrungen, um dort zu rauben.
Ich hielt es unter diesen Umständen für geboten, das in Daressalam und an der Zentralbahn liegende Privateigentum von Deutschen, dieabwesend waren und sich selbst um das Ihrige nicht kümmern konnten, nach Deutschland mitzunehmen. Ein Verbleiben desselben ohne deutsche Aufsicht in Afrika schien mir zu bedenklich. Es machte ziemlich viel Mühe, dieses Eigentum aufzufinden und zu sammeln. Schließlich ist es aber doch im allgemeinen durchgeführt worden. Beim Durchstöbern der verschiedenen Schuppen hatte ich auch die angenehme Überraschung, mehrere Kisten mit meinen eigenen Sachen, die ich bei Ausbruch des Krieges der Firma Devers in Daressalam zur Aufbewahrung übergeben hatte, wieder vorzufinden. Auch von meinen in Morogoro gelassenen Sachen wurde einiges gerettet. Verschiedene in Morogoro gelassene Stücke habe ich allerdings nicht wieder bekommen, und die Engländer fanden immer wieder einen Vorwand, um mir die erbetene Fahrt nach Morogoro zu verweigern. Ob dieses eine bloße Unhöflichkeit war oder ob irgendein tiefsinniger, mir unbekannter Grund vorlag, darüber habe ich keine Klarheit bekommen können. Nur allgemein war mir die Beobachtung interessant, wie die Gewohnheit, in freundlicher Weise halbe Versprechungen zu geben und nichts zu halten und dadurch eine Sache immer weiter und weiter hinauszuzögern, den Engländern allgemein in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Mein Weg führte mich bei diesen Gelegenheiten auch manchmal zumAdministration Staff(der etwa unserem Chef des Etappenwesens entspricht); nach manchem Hin- und Herfragen fand ich ihn in meiner alten Wohnung vor, die ich vor dem Kriege innegehabt hatte. Bei verständigen Engländern fand ich die Auffassung vertreten, daß Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen und auch für seinen Bevölkerungsüberschuß Kolonialbesitz haben müsse. England habe zu viele Kolonien, und es fehle ihm dafür im Augenblick sogar an ausreichendem geeignetem Personal.
Wenn die Engländer bei Bekanntgabe des Waffenstillstandes betont hatten, daß wir schnell nach Daressalam kommen müßten, um noch rechtzeitig, also bis zum 12. Dezember, abtransportiert werden zu können, so hatten sie es selbst mit der Erfüllung dieser Waffenstillstandsbedingung keinesfalls eilig. Unsere Einschiffung wurde weiter und immer weiter hinausgezögert, fand schließlich aber doch am 17. Januar 1919, also auf den Tag 5 Jahre nach meiner Landung in Daressalam statt.
Die Heimreise im einzelnen zu schildern, würde Stoff für ein ganzes Buch liefern, das in bezug auf tragikomische Ereignisse wohl kaum zu übertreffen wäre. Außer uns 114 deutschen Soldaten waren 18 Zivilisten, 107 Frauen und 87 Kinder an Bord, dazu eine Eskorte von 200 britischen Soldaten. Man wird zugeben, daß Stoff zu endlosen Reibungen bei einer derartig aus Deutschen und Engländern, aus Militär und Zivil, aus Armee und Marine, aus Erwachsenen und Kindern zusammengewürfelten Reisegesellschaft sich auf einem eng belegten Schiff, dem von den Engländern weggenommenen „Feldmarschall“ der Deutsch-Ostafrika-Linie, reichlich einfand. Jedes Stück des Schiffes, vom Klavier bis zur Badewanne, weiß von der Menschen Hassen und Lieben zu berichten. Es ist aber gelungen, alle irgend ernsthaften Zusammenstöße zu vermeiden, und hierzu haben sowohl der menschenfreundliche Kommandant des Schiffes, Captain King, wie auch der junge Colonel Gregg, der Führer der englischen Eskorte, mit musterhaftem Takt das Menschenmögliche beigetragen.
Auf dem Wege über Kapstadt sind wir Ende Februar in Rotterdam eingetroffen. Die zahlreichen bei der Landung dort erschienenen Deutschen zeigten mir zu meiner Überraschung, daß unser Ostafrikanischer Krieg in der Heimat eine so große Beachtung gefunden hatte. Auch viele Holländer bewiesen uns ihre wohlwollende Gesinnung.
Tatsächlich hatte ja unsere kleine Schar, deren Höchstzahl rund 3000 Europäer und rund 11000 Askari betrug, einen gewaltig überlegenen Feind während der ganzen Kriegsdauer gefesselt. Wie ich einleitend (S. 18) bereits bemerkt habe, standen mit Tausenden von Automobilen und vielen Zehntausenden von Reit- und Tragetieren etwa 300000 Mann gegen uns, ausgerüstet mit allem, was die gegen Deutschland vereinigte Welt mit ihren unerschöpflichen Hilfsmitteln gewähren konnte, und trotz dieser für unsere Verhältnisse überwältigenden Zahlen auf feindlicher Seite hat unsere kleine Truppe, die bei Abschluß des Waffenstillstandes nur etwa 1400 Waffentragende betrug, voll kampfbereit und mit größter Unternehmungslust im Felde gestanden. Ich glaube, daß die Klarheit unserer Ziele, die Vaterlandsliebe, das starke Pflichtgefühl und die Opferfreudigkeit, die jeden der wenigen Europäer beseelten und die sich bewußt und unbewußt auch auf unsere braven schwarzen Soldaten übertrug, der kriegerischen Gesamthandlung jenenSchwung verliehen haben, der bis zum Ende durchhielt. Dazu kam ein Soldatenstolz, ein Gefühl des festen gegenseitigen Zusammenhaltens und eine Unternehmungslust, ohne welche kriegerische Erfolge auf die Dauer nicht möglich sind. Wir Ostafrikaner sind uns sicherlich bewußt, daß unsere Leistungen nicht auf gleiche Stufe zu stellen sind mit dem, was die Heimat an Kriegstaten und an Opferfreudigkeit vollbracht hat. Kein Volk hat in der Geschichte jemals Höheres geleistet. Und wenn wir Ostafrikaner in der Heimat einen so erhebenden Empfang gefunden haben, so liegt dies daran, daß bei unserem Eintreffen bei jedermann verwandte Seiten angeschlagen wurden, daß wir ein Stück deutschen Soldatentums bewahrt und unbeschmutzt in die Heimat zurückgeführt haben, und daß die uns Deutschen eigentümliche germanische Mannentreue auch unter den Verhältnissen eines Tropenkrieges aufrecht erhalten worden ist. Sicherlich sind unter dem Drucke der augenblicklichen Not unseres Vaterlandes diese Empfindungen bei manchen unserer Volksgenossen verdunkelt, vorhanden aber sind sie im Grunde der Seele bei jedem, und gerade die begeisterte Aufnahme, die uns von Hunderttausenden bereitet worden ist, stärkt auch in uns Ostafrikanern die Überzeugung, daß trotz der augenblicklichen Verwirrung der Gemüter der gesunde Sinn unseres deutschen Volkes sich emporringen und wieder den Weg finden wird zur Höhe.
Schlussvignette