MeinErwachen war schreckartig.

Kaltes Wasser schlug mir über dem Kopfe zusammen, drang in Mund und Nase und ließ meinen sich öffnenden Augen nichts als blaugrün-gläserne Undurchdringlichkeit.

Ich breitete die Arme aus, um nicht tiefer zu sinken, und fühlte, daß ich wieder stieg. Meine Glieder begannen zu arbeiten.

Ich sah deutlich den Wasserspiegel über mir, und ehe mir der Atem ausging, tauchte ich aus der Flut auf.

Als meine Augen frei wurden, sah ich, daß ich in einem klaren See von mäßiger Größe schwamm.

Um die nahen Ufer standen mächtige dunkle Laubbäume. Unweit der Stelle aber, an der ich auftauchte, war das Walddunkel gelichtet. Eine hellgrüne Wiese breitete sich ansteigend aus. In deren Mitte, in einiger Entfernung vom Wasser, stand ein kleines weißes Hausvon kubischer Form mit einem lichtblauen Dache.

Dieser Wiese strebte ich zu. Die Arme zum Schwimmen breitend und die Beine von mir stoßend fühlte ich eine überraschende Kraft. Ein Gefühl von Jugend und Stärke war in mir, als sei eine Erneuerung des Fleisches vorgegangen.

Mein Geist aber widersetzte sich der körperlichen Umwelt. Ich fühlte nicht die Möglichkeit, über meine Lage und meinen Zustand nachzudenken. Den kleinen Ausschnitt des Weltbildes, das mich umgab, vermochte ich nicht mit meinem Denkvermögen in Einklang zu bringen.

Über der Wiese, unweit des weißen Häuschens, ging, strahlend im Frühglanze, die Sonne auf.

Als ich dem Ufer nahe kam, gewahrte ich, was mir die Blendung der morgendlichen Lichtflut bisher verborgen hatte, ein Bild von tiefer Einprägsamkeit.

Am Wasser stand hochaufgerichtet ein Weib. Die Sonne wob aus lichtblondemHaar eine Gloriole um sein Antlitz, und ließ durch das leichte Gewand die Silhouette des schlanken, edelgeformten Körpers erscheinen.

Das Weib breitete wie ekstatisch die Arme aus. Gleich einem lichtumflossenen Kreuz stand die Gestalt vor der Sonne.

Meine Füße fühlten jetzt Grund. In wenigen Augenblicken war ich am Strande, zitternd vor Kälte und Erregung.

Da ließ das Weib die Arme sinken, kniete nieder und senkte tief das Haupt.

Die seltsame Schönheit des Augenblicks ergriff mich tief. Ich kniete neben dem Weibe und nahm seine Hände in die meinen. Da hob es den Kopf, und es war schöner, als ich je ein Weib gesehen hatte.

Wie ich aber fühlte, daß sein Blick an mir emporglitt, sah ich, daß ich nackt war, und ich schämte mich.

Ich wandte mich ab, gab die Hände meiner Gefangenen frei und trat aufstehend hinterihren Rücken, eine Möglichkeit suchend, mich zu verbergen.

Aber auch sie erhob sich, wandte sich zu mir und sah wortlos lange und tief in meine Augen.

Die ihrigen waren blau und dunkel zugleich, und mich deuchte, es gäbe nichts Köstlicheres auf der Welt als diese Augen.

Ich fühlte körperlich, wie ihr Blick fragend in mein Inneres drang, und empfand einen starken unbequemen Zwang.

Die tiefe Ruhe des Weibes, das dringende, wortlose Fragen und die peinliche Hilflosigkeit meiner Lage irritierten mich ungemein, und in einem aufkommenden Gefühl von Trotz stellte ich meine oft erprobte Suggestivkraft auf die Fremde ein.

Die Wirkung erhöhte meine Verlegenheit nur: Eine Weile hielt sie, meinem Blicke begegnend, stand, dann aber begann sie hell und fröhlich zu lachen und schüttelte mit einer bestimmten Gebärde nachdrücklich den Kopf.

Ich hatte keine Macht über sie. Dasie sah, daß ich hilflos und, ein zweiter Odysseus, mich körperlich schämend, abgewendet vor ihr stand, entledigte sie sich eines leichten Obergewandes, gab es mir lächelnd und half mir mit ruhigen Händen und ohne Scheu es um meine Hüften zu befestigen.

Welch ein hohes Maß von innerer Sicherheit muß dies Weib haben, dachte ich, und schickte mich an, woran mich die süße Fremdartigkeit der Lage bisher gehindert hatte, mit einigen gestammelten Worten um Vergebung zu bitten und zu fragen, was ich beginnen solle.

Das junge Weib sah mir einen Augenblick merkwürdig erschrocken in die Augen, wieder mit jenem tiefen, durchdringenden Blicke, dann legte sie ihre Fingerspitzen auf meine Lippen und deutete auf das weiße Häuschen. Schweigend schritten wir nebeneinander den sanften Abhang hinauf.

Ich wagte nicht, den Kopf zu heben, so sehr verschüchterte mich die Verlegenheit meiner Lage. Ich sah die Gräser undBlumen der Wiese im Morgentau, von meiner Begleiterin aber sah ich nur die Füße. Sie waren bloß, gleich den meinen, und so schön, als habe Praxiteles sie geformt.


Back to IndexNext