Pombegelage.Zehntes Kapitel.Mit und unter den Yao.
Pombegelage.
Pombegelage.
Chingulungulu, 20. August 1906.
Matolas größtes Verdienst ist bisher die Veranstaltung von ein paar Soireen mit den Frauen des Ortes, die er schließlich doch so weit gezähmt hat, daß sie sich in die Höhle des Löwen wagten. Es ist Abend. Knudsen und ich haben unser nicht gerade üppiges Mahl soeben hinter uns; Knudsen unterhält sich wie gewöhnlich mit seinem Freunde, dem schwarzen Prediger Daudi (David); ich sitze an meinem Arbeitstisch und verarbeite in meinen Notiz- und Tagebüchern die wissenschaftliche Ausbeute des wie immer höchst arbeitsreichen Tages. Daudi gehört der englischenUniversities Missionan; er hat seine Ausbildung zum großen Teil in Sansibar erhalten und spricht mit mir mit Vorliebe englisch. Für volkskundliche Aufnahmen ist er leider nicht sehr geeignet, da seine Anschauungen viel zu sehr christianisiert worden sind. Der Ostwind, jener Gruß vom Indischen Ozean, der uns sonst allabendlich trotz aller Schutzmaßregeln die Lampe auszublasen droht, ist heute seltsamerweise ausgeblieben; ruhig brennt der „Tippelskirch“ inmitten unserer fremdartigen Umgebung; die Zigarre schmeckt heute ebenfalls ganz ausgezeichnet, alles atmet Behagen undBefriedigung mit dieser Art des Daseins. Da nahen Schritte, leise und fast unhörbar. Das ist hier immer so; der lockere Sandboden dämpft selbst den Schall unserer derben Europäerstiefel bis fast zur Lautlosigkeit. In seiner raschen Weise ist Matola unter uns und unsere hundert Kisten und Kasten getreten. Schon sitzt er auf seiner gewohnten Kiste. Doch nun quillt es herein, braun, schwarz und weiß; braun und schwarz die Leiber mit den glänzenden Gesichtern, hier und da auch Lippenscheibe, Nasenpflock und Ohrschmuck, weiß bei ganz Vereinzelten das Pelele, das in dieser Variation seinen ersten Gruß vom Makondeplateau herunterschickt. Wohl an 30 Frauen und Mädchen sind es, die Mehrzahl von ihnen mit einem Baby behaftet, das ruhig und friedlich, oder auch schnaufend und ächzend im Tragtuch auf dem Rücken der Mutter der Zukunft entgegenschlummert. Stumm hat sich die ganze Gesellschaft, dicht aneinandergedrängt, zwischen uns niedergekauert. Ich lasse ihnen durch Knudsen, der das Kiyao zwar ungrammatisch, aber sonst fließend spricht, auseinandersetzen, was ich von ihnen will: Erzählungen und Lieder, und harre der Dinge, die da kommen sollen. Lange Zeit kommt aber nichts;nur ein halbwüchsiger Junge, der sich mit eingeschlichen hat, fängt an, eine lange Tierfabel zu erzählen; doch spricht er so rasch, daß ich unmöglich folgen kann. Seine Geschichte mir langsam in die Feder zu diktieren, ist er natürlich nicht fähig. Das ist eine Erfahrung, die ich bereits häufig gemacht habe; die Leute singen und sprechen mit beneidenswerter Virtuosität in den Phonographentrichter hinein; sollen sie dann ihren Text langsam zum Niederschreiben wiederholen, so stehen sie rat- und hilflos da. So etwas ist auch eine zu ungewohnte Arbeit.
Lager in Chingulungulu.
Lager in Chingulungulu.
Wir haben uns den Jungen für eine spätere Gelegenheit aufgespart; alles schweigt. Da erhebt sich, schüchtern zuerst, aber bald stärker und kühner, eine helle weibliche Stimme. Schon fällt auch der Chor ein; Solo und Vorgesang wechseln nun in regelmäßigem Turnus für längere Zeit:
„Chakalakāle, mwāna ya Kundúngu, mwắnya kwa tāti. ‚Anányile litálla kwa tati Kunampūye.‘ Nikwā́ola ku litīmbe, kuwalimāgắ Chenampūye. Newáidje ku mūssi kwa atati wao. Nigómbaga uti nekugawíraga mussi nekutamăgá.“
Zu deutsch heißt das:
„Chakalakale, ein Kind Gottes, reiste zu (seinem) Vater. ‚Zeigen Sie (mir) den Weg zum Vater Kunampuye.‘ Er ging zum Flußbett, wo den Acker bestellte Chenampuye. Er kam zu (seiner) Heimat und zu seinem Vater. Dann wurde geschossen und (ihm) ein Dorf zugeteilt. Und er bleibt zu Haus.“
Soweit ist alles ganz schön und gut gegangen. Das Lied ist verklungen; mit nicht geringer Mühe haben Matola, Daudi, Knudsen und ich schließlich den authentischen Text festgestellt; auch die Übersetzung ist zur Zufriedenheit vor sich gegangen. Leider aber muß ich es mir nunmehr versagen, die nicht üble Melodie des Liedes auf die Walze zu bannen. Nach den letzten Mißerfolgen in Lindi, hervorgerufen durch die infolge der Hitze eingetretene Weichheit der Aufnahmewalzen, habe ich mein Heil später in Massassi versucht; dochauch dort ist bis auf geringe Ausnahmen nicht viel Brauchbares herausgekommen. Für die Aufnahme allein schadet die Weichheit der Walzenmasse nichts, im Gegenteil, sie ermöglicht sogar ein kräftigeres Eindringen des Stiftes; doch wie will man nachher beim Diktat des Textes dessen Fassung kontrollieren, wenn nicht an der Hand einer Wiedergabe der Aufnahme selbst!
Zu dem vorstehenden Liede ist nicht viel zu bemerken; ich zweifelte zunächst den BegriffMwana ya Kundunguan, aber Matola und Daudi bestanden auf ihrer Erklärung, nach der es wirklich „ein Kind Gottes“ heiße. Welchen Sinn das Wort hier hat, kann ich nicht sagen; vielleicht ist gar ein Aufständischer damit gemeint; weiter im Norden, in Usagara, Ukami und am Rufidyi belegen sich die Majimaji-Führer in der Tat mit einem Titel von derselben Bedeutung. Das Präfix „ku“ in dem NamenKunampuyeist gleichbedeutend mit dem Präfix „che“; beide bedeuten Herr oder Frau. —
Endlich sind wir mit Textniederschrift und Übersetzung fertig. Vollkommen stumm haben die Mütter unserem Beginnen zugeschaut; um so lebhafter sind dafür die Geräusche gewesen, die von den Kleinen ausgehen. Man hat in der Afrikaliteratur so unendlich viel von der Glückseligkeit der frühen Kindheit des Negers gesprochen; die Angabe hält jedoch der Probe nicht stand. Kaum ist das kurze Wochenbett vorüber, so wandert das Neugeborene in den Rucksack auf den Rücken der Mutter. Dort hockt es den ganzen Tag; ob die Mutter sich von ihrer Nachbarin die kurzen, krausen Haare zu kunstvoller Frisur aufarbeiten läßt; ob sie am Brunnen ein Schwätzchen macht; ob sie im glühenden Sonnenbrand auf dem Felde hackt, jätet oder erntet; ob sie schließlich in stundenlangem Rhythmus an Reibstein und Mörser das harte Korn zu schneeigem Mehl verarbeitet, oder am abendlichen Herdfeuer kauert, niemals verläßt das junge, rosige Menschenkind diese enge, warme, doch hygienisch durchaus nicht einwandfreie Behausung. Mit der Rosigkeit ist es denn auch bald zu Ende. Die Schärfe des Urins und der Schmutz der Fäkalien, für deren Aufsaugung keineWindel sorgt, beizen tiefe und lange Risse in die Epidermis der Gelenkbeugen; die schrecklichen afrikanischen Fliegen legen wahre Brutherde an den Augenrändern der unglücklichen Kleinen an, ohne daß Vater oder Mutter auch nur eine Hand zum Verjagen der Quälgeister erhöbe — sie sind ja für sich selbst schon, ach! so tolerant gegen jene kleinen Bestien. Triefend und trüb schaut denn auch das Kinderauge, das wir bei unseren europäischen Kleinen mit Recht als das Wunderbarste und Schönste im organischen Leben der Erde bezeichnen dürfen, in die Welt hinaus; Schwämme und Pilze wuchern in dichter, weiß-bläulich schimmernder Masse aus Mund und Nase heraus. Dazu die ewigen Katarrhe. Sie sind die Folge des starken Temperaturwechsels zwischen Tag und Nacht. Vater und Mutter können sich durch ihr nächtliches Feuer und ihre Matten schützen; das Kind benäßt sich, bleibt unberührt und unbeachtet liegen, verliert eine große Menge Wärme und erkältet sich. Daher das allgemeine Gekeuche und Geschnaufe in unserer Barasa.
Zwei Makuamütter.
Zwei Makuamütter.
Die Frauen haben gemerkt, daß wir mit der Programmnummer 1 zu Ende sind; leise, aber wiederum nicht unmelodisch, hebt dieselbe Solostimme wie vorhin an:
Seletu seletu, ssongo katole, tungande ssongo katole.
Seletu seletu, ssongo katole, tungande ssongo katole.
Seletu seletu, ssongo katole, tungande ssongo katole.
Seletu seletu, ssongo katole, tungande ssongo katole.
Auch dieses Lied ist ein Wechselgesang zwischen Solo und Chor wie der vorige. Ich verstehe schon so viel vom Kiyao, um die beiden Wörter: „ssongo katole“ übersetzen zu können; ihre Bedeutung: „bringe sie her, die Schlange Ssongo“, macht mich neugierig auf die Bedeutung des übrigen. Und mit Recht, denn wie man jemand auffordern kann, dieses giftigste Reptil des ganzen Ostens, dessen Biß auf der Stelle tötet, zu sich heranzubringen, ist mir einstweilen noch schleierhaft. Dennoch bin ich liberal genug, erst noch das folgende Lied anzuhören. Man könnte es auch bloß als eine weitere Strophe des Ssongogesanges bezeichnen, denn es besitzt dieselbe Melodie und behandelt lediglich ein anderes Tier, nämlich den Löwen. Hier der Text:
Solo:Seletu seletu, simba katole.Chor:Seletu seletu, simba katole.Solo:Seletu seletu, simba okotu.Chor:Seletu seletu, simba okotu.
Solo:Seletu seletu, simba katole.Chor:Seletu seletu, simba katole.Solo:Seletu seletu, simba okotu.Chor:Seletu seletu, simba okotu.
Solo:Seletu seletu, simba katole.
Solo:Seletu seletu, simba katole.
Chor:Seletu seletu, simba katole.
Chor:Seletu seletu, simba katole.
Solo:Seletu seletu, simba okotu.
Solo:Seletu seletu, simba okotu.
Chor:Seletu seletu, simba okotu.
Chor:Seletu seletu, simba okotu.
Ich habe ein gutes Gehör, bin aber sonst musikalisch leider gänzlich unkultiviert. Niemals habe ich diesen Mangel meiner allgemeinen Bildung so aufrichtig bedauert wie hier im Innern Afrikas und besonders im Hinblick auf meinen kranken Phonographen. Wie nett wäre es gewesen, hätte ich die einfache Tonfolge gleich im Notizbuch festhalten können; so muß ich wohl oder übel auf eine Wiedergabe der Melodie verzichten.
Die Vortragsweise ist auch bei diesen beiden Liedern so, daß jeder von der Solostimme vorgetragenen Strophe die Wiederholung desselben Textes durch den gesamten Chor folgt; dies wiederholt sich unendlich viele Mal, bis zur Ermüdung.
Die Übersetzung ergibt in beiden Fällen einen sehr einfachen Wortlaut:
Das ist alles. Ich kann mir den Ausdruck der Bewunderung, der in beiden Fällen ein den Einwohnern höchst gefährliches Lebewesen betrifft, weniger als einen Ausfluß des Naturgefühls oder der ästhetischen Freude an der schillernden Farbe der Schlange und der kraftvollen Gestalt des Löwen erklären, als ihn vielmehr als eine Artcaptatio benevolentiaeauffassen. Die Ssongo beschäftigt groß und klein mehr als jedes andere Tier; sie soll in klippigem Gelände leben, einen Kamm wie ein Hahn haben und auch über bestimmte Locktöne verfügen. Auf ihre Opfer stürzt sie sich schnell wie der Blitz von den Bäumen herunter, die hart am Negerpfade stehen; sie schlägt den Unglücklichen ins Genick; dieser sinkt um und ist tot. Dutzende von Malen haben mir das die Schwarzen vorgemacht. Erklärlicherweise wird diese Schlange über alles gefürchtet; im Hinblick auf so manchen anderen gleichartigen Vorgang in den übrigen Teilen der menschlichen Kulturentwicklung liegt es auch hier nahe, diesen fürchterlichen Gegner dadurch milde stimmen zu wollen, daß man ihn ansingt und als zum Spielen geeignet preist. Genau so ist es beim Löwen.
Doch nun wird’s lustiger; „Chindāwi“, zu deutsch etwa: „Ich will dir mal was sagen“, ertönt es von der einen Seite, „Ajīse, nur zu (komm)“, von der anderen.
„Adju adji“ macht jetzt die erste Sprecherin und fährt mit der wagerecht ausgestreckten Rechten in raschen, kühnen Kurven durch die Luft. Ich weiß nicht, was ich aus dem ganzen Vorgang machen soll, auch nicht, was die Antwort „Kyuwilīri“ von der Gegenseite bedeutet. Die anfängliche stumme Scheu der Frauen hat längst einer gelinden Heiterkeit Platz gemacht, die durch mein ratloses Gesicht nicht gerade abgeschwächt wird. Endlich kommt die Lösung und damit auch die Erlösung. „Adju adji“ heißt lediglich „dies und das“; das Hin- und Herfahren der Hand über dem Erdboden ist eigentlich als im Schein der senkrecht stehenden Sonne ausgeführt gedacht. Dannhuscht auch der Schatten dieser Hand ebenso rasch und geisterhaft über den Boden Afrikas hin, und „Kyuwiliri, Schatten“, ist denn auch die Lösung dieses urafrikanischen Rätsels.
„Chindawi — Ajise“ geht das Spiel auch schon weiter. „Gojo gojo kakuungwa?“ lautet diesmal die Frage. Hier heimelt mich die Lösung viel mehr an als bei der Einleitung. „Was klappert in seinem Haus?“ bedeuten jene Worte; „Belemende, die Basi-Erbse“, ist die Lösung. Die Erbse ist natürlich noch in der Schale gedacht, an dem unserm Liguster ähnlichen Strauch, auf dem ihre reifen Früchte im frischen Morgenwind tatsächlich ein klapperndes Geräusch hervorbringen.
Aber weiter: „Chindawi — Ajise“ ertönt es zum drittenmal; „Achiwanắngu kulinganá“ lautet diesmal die Aufgabe. Ich bin wieder vollständig hilflos; da springt Matola in seiner gewohnten Lebhaftigkeit mitten in den Kreis, bückt sich rasch und deutet mit beiden ausgestreckten Händen auf seine Knie. Murmelnder Beifall lohnt sein Beginnen: „Meine Kinder sind gleich groß“, ist die Aufgabe gewesen, „Malongo— die Knie“, das ist die unerwartete Lösung. Uns Europäern mit unserm erschrecklich kühl denkenden Verstande ist die beneidenswerte Fähigkeit unserer frühen Kindheit, auch Teile eines Ganzen für dieses Ganze selbst ansehen zu können, längst abhanden gekommen; dem Neger hat ein gütiges Geschick diese Fähigkeit bis ins höchste Alter bewahrt.
Ich wundere mich nun über gar nichts mehr. „Chindawi — Ajise“ ertönt es zum viertenmal. „Ambudje adyigele utandi“ schmettert eine neue frische Frauenstimme in den Kreis. Dieser blickt geschlossen auf den Europäer hin, der sich wiederum nur durch ein der Verlegenheit entsprungenes: „Si jui, ich weiß es nicht“ aus der Affäre ziehen kann. Hier liegt aber auch die Lösung gar zu weit von unserer ganzen Denkweise ab. „Mein Herr bringt Mehl“ hat die Aufgabe geheißen. „Uli, weiße Haare“, wird mir triumphierend als die Lösung zugerufen. Das Rätsel versetzt uns gleichsam in die Rokokozeit; einbejahrter Neger mit weißem Haar erweckt in der Tat den Eindruck, als wenn sein Haupt mit Mehl gepudert sei. Dies mag zur Entstehung der Rätselfrage den Anlaß gebildet haben.
Aber nun die letzte Nummer des selbst für einen verwöhnten Forscher überreichen Programms:
„Chindawi — Ajise“ erschallt es zum letztenmal. „Pitaku pite akuno tusimāne apá.“ Die allgemeine Gespanntheit, mit der diesmal wieder alles auf mich hinschaut, ist womöglich noch größer als bisher; alles hat das sichtliche Gefühl der geistigen Überlegenheit über den weißen Mann, der von alledem nichts versteht. Aber diesmal hat sie alle ihr Übereifer verraten; ihr Gebärdenspiel hat mir dargetan, was ihre Sprache mir verschloß: mit beiden Händen hat alles die Bewegung des Gürtelschließens ausgeführt.Lupundu, das Gürtelband, ist denn auch die Lösung dieses Rätsels, das selbst in dem Tonfall der Übersetzung: „Geht links herum, geht rechts herum und trifft sich in der Mitte“ an den Tonfall deutscher Kinderrätsel gemahnt, wie es z. B. das allbekannte: „Oben spitz und unten breit, durch und durch voll Süßigkeit“ ist.
Nunmehr zum Schluß noch die obligate Zugabe. Es ist kein Geringerer als Matola selbst, dessen Munde das ernste Wort entströmt:
„Chikalakasa goje kunganda, kunganda yekwete umbo“; zu deutsch:
„Schädel spielen nicht; es spielt nur, wer Haare (auf dem Kopfe) hat.“
Mit dem schwierigen Werk des Übersetzens geht hierzulande auch stets das des Kommentierens Hand in Hand, und so weiß auch ich denn schon nach kurzer Zeit, daß der Sinn dieser Sentenz etwa der ist: „Freut euch des Lebens“, oder aber: „Nur der Lebende hat recht.“ „Chikalakasa goje kunganda, kunganda yekwete umbo“, spreche jetzt auch ich feierlich, zu Matola und Daudi gewandt, Moritz aber rufe ich mit starker Stimme zu: „Bilauri nne ya pombe, einen Becher Bier für jeden von uns vieren; nur der Lebende hat recht.“Schon schlägt der graugelbe Trank in unseren Trinkbehältern, zwei Gläsern und zwei Blechtöpfen, Blasen — von perlender Pombe kann man beim afrikanischen Rassentrank mit dem besten Willen nicht reden —, ein „Skål, Herr Knudsen!“, „Prosit, Herr Professor!“, ein stummes Neigen des Hauptes bei den beiden Negern. Mit innigem Behagen lassen wir das kühle Naß in unsere durstigen Kehlen rinnen — „kunganda yekwete umbo“, es spielt nur, wer Haare aus dem Kopfe hat. Still, stumm und fast unmerklich sind die schwarzen Doppelgestalten von Mutter und Kind davongeschlichen; „Kwa heri, Bwana“, tönt es von Matolas Lippen und von denen des schwarzen Pastors. Ein rasches Davonhuschen, und der Norweger und ich sind allein.
Grauslich nimmt sich das Schicksal der Frau bei den Naturvölkern in unseren Büchern über Völkerkunde aus; Lasttier, Sklavin, das sind die Ausdrücke, denen der Leser auf Schritt und Tritt begegnet. Zum Glück für die Betroffenen ist die Sache nur halb so schlimm, ja, wollte man z. B. die Küstenkultur Äquatorial-Ostafrikas als Maßstab für die ganze große Welt der Naturvölker im allgemeinen annehmen, so würde sich das Bild zwar nicht gerade umkehren, wohl aber außerordentlich stark verwischen. Es reißt sich keine ein Bein aus, wie unsere derbe, aber treffende deutsche Redensart lautet; kein Weißer hat jemals eine schwarze Maid eiligen Schrittes laufen sehen; und selbst die unvermeidliche Hausarbeit geht ihnen allen so behaglich und behäbig von der Hand, daß manch eine unserer deutschen Hausfrauen über dieses Ausmaß von Muße schier neidisch werden könnte. Bei den Binnenstämmen ist das Los der Frau freilich etwas härter; der Luxus der Küstenfrau fällt hier mehr oder minder weg, auch der Kinderreichtum ist wohl im allgemeinen größer und schafft mehr Sorge; vor allen Dingen aber fehlen den Negerdörfern die Markthallen und die zahlreichen Inderläden, wo man alles in ganz gleicher Weise kaufen kann wie im weitentfernten Europa. Daher geht es denn wohl nicht gut anders: Frau und Tochter müssen schon früh beim ersten Sonnenstrahl heran an den Mörser, an die Wanne, an den Reibstein.
Es ist 6 Uhr morgens. Unruhig wälzt sich der Europäer im Zelt auf seinem harten Bett; wälzen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck; in dem engen Trog ist eine derartig freie Bewegung nur bei vollem Bewußtsein und auch dann nur bei dem Besitz turnerischer Gewandtheit möglich; die Nacht ist nur wenig erquicklich gewesen. Zunächst hat es am Abend vorher beim Zubettgehen noch eine kleine Feuersbrunst gegeben. Kibwana, der ungeschickte, dumme Kerl aus Pangani, hat meinen letzten Zylinder beim Putzen um die Hälfte seiner ursprünglichen Länge gekürzt. Jetzt ermöglicht der messingene Windschützer zwar das Weiterbrennen der Lampe, aber sie strahlt eine wahnsinnige Hitze aus. Nur so ist es zu erklären, daß ich in dem Moment, wo ich blitzschnell unter dem eben gelüfteten Moskitonetz hindurch auf mein Ruhelager schlüpfe — blitzschnell, um den stets auf der Lauer liegenden Moskitos ein Schnippchen zu schlagen — über und hinter mir einen auffallend hellen Schein bemerke. Umdrehen und mit beiden Händen zuschlagen ist eins. Der Schlag hat Gott sei Dank gesessen; gleichwohl haben die drei Sekunden zwischen dem Aufflammen des leichten Netzstoffes über der wohl etwas zu dicht am Bett stehenden Lampe und meinem instinktiven Zuschlagen genügt, um ein quadratfußgroßes Loch in die vordere Netzwand zu brennen. Kibwana wird es am nächsten Vormittag mit einem Stück Sanda zunähen müssen; es wird nicht schön aussehen, aber vollkommen zweckentsprechend sein; einstweilen tut es auch das Zustecken des großen Loches mit ein paar Nadeln.
Müde und abgespannt bin ich endlich auf mein Lager gesunken und in einen unruhigen Schlaf verfallen. Es mag 2 Uhr nachts sein; verwirrt und dumpf im Kopfe fahre ich empor. Was dringt laut, mit immer gewaltigerem Brausen an mein Ohr? Was rüttelt an meinem Zelt, daß die derben Eschenstangen schier brechen möchten? Ist der Indische Ozean aus seinem Bett getreten, um sein altes Eigentumsrecht an dieser weiten Ebene von neuem geltend zu machen? Ist es ein Taifun, der mit seiner unwiderstehlichen Gewalt alles niederlegen will, Bäume, Häuser und Zelt? Ein ungeheurer Aufruhrdurchtobt die Natur; in das Brausen des Sturmes aber mischen sich jetzt neue Töne; ein vielstimmiges Brüllen von der Rückwand des Zeltes her, Rufen, Schreien und Schelten vom Gefängnis herüber, wo meine Soldaten munter geworden sind und nun direktionslos im schwarzen Dunkel der Nacht auf dem Platz um die Barasa hin und her stolpern. Da, ein furchtbares Gebrüll dicht an der Zeltwand. Ist die Löwenplage, die bei Hatia und um Massassi so viele Menschenleben gefordert hat, auch hierher gedrungen? Rasch wie der Gedanke habe ich mich unter dem Netz hindurch in den freien Zeltraum genestelt; ein Griff nach dem gewohnten Platz der Streichholzschachtel; sie ist nicht da. Auch nirgendwo anders ist sie zu finden. Ich gebe die Suche auf und fahre in meine Khakigewandung hinein, indem ich gleichzeitig aus vollem Halse nach dem Posten unterm Gewehr rufe und den Lärm dadurch noch mehr vergrößere. Doch kein Posten naht. Jetzt trete ich hinaus und sehe die Bescherung, soweit die von den Kriegern geschwungenen Feuerbrände den Schauplatz übersehen lassen. Sie kämpfen gegen eine enggeschlossene Schar schwarzer, großer Tiere, doch keine Löwen sind es, sondern Matolas friedliche Rinder. Man hat einer jungen Mutter unter ihnen vorgestern das Kalb genommen; die ganze vorige Nacht und den ganzen Tag hat sie nicht aufgehört, mit kläglichem „Muh“ nach ihrem Kinde zu rufen; jetzt im Aufruhr der Elemente ist sie aus dem leichten Corral ausgebrochen, und alle anderen Tiere hinter ihr drein. Mit wildrollenden Augen glotzen die beiden Bullen in die zur Abwehr geschwungenen Feuerbrände der Soldaten; ängstlich brüllt das Jungvieh dazwischen. Schließlich gelingt es, die Herde zurückzutreiben und mit unsäglicher Mühe wieder in den Pferch zu sperren.
Der weiße Mann im Zelte träumt; ihm hat sich das Nachtgefecht mit Feuerbränden gegen den vierfüßigen Gegner in ein anderes mit Pulver und Blei gegen die bösen Wangoni von Ssongea gewandelt. In merkwürdig regelmäßigen Zwischenräumen krachen die Schüsse von einem Gegner zum andern. Plötzlich hört dasFeuergefecht auf. Was kann das bedeuten? Plant der kampfgewohnte Gegner eine Umgehung meiner schwachen Truppe, oder schleicht er unhörbar im Busch, im dichten hohen Grase heran? „Sprung auf marsch marsch!“ kommandiere ich und fahre mit einem gewaltigen Satz aus der Schützenlinie nach vorn. Im gleichen Augenblick stoße ich mit der Nase auf Blechkoffer Nr. 3, der gleichzeitig meine Kriegskasse ist und deshalb dem Tippelskirchbett gegenüber im Zelt Aufnahme gefunden hat. Mein Sprung hat mich unbewußt von allen Traumgefahren befreit und in Raum und Wirklichkeit zurückversetzt. Schon hebt auch das Pelotonfeuer von neuem an: bum, bum, bum, bum, bum, bum. Nach der ereignisreichen Nacht ist mir wirr und dumpf im Kopfe; dennoch muß ich laut auflachen. Dieses so regelmäßige Schützenfeuer ist das rhythmische Stampfen zweier Wayaofrauen in Matolas Gehöft gewesen, die für ihren königlichen Herrn und seinen Hof das tägliche Quantum an Hirse- und Maismehl herzustellen im Begriff waren.
Frau am Mörser.Zeichnung von Salim Matola (s.S. 450).
Frau am Mörser.Zeichnung von Salim Matola (s.S. 450).
Ich habe die Frauen und Mädchen bei dieser Arbeit oft gesehen, aber heute ist mir’s, als müsse ich gerade diesen Grazien, weil sie mit mir nun doch schon in geistigen Konnex getreten sind, meine besondere Aufmerksamkeit schenken. Rasch ist Toilette gemacht, ebenso rasch das Riesenquantum Houtenschen Kakaos getrunken und der übliche Bananeneierkuchen vertilgt, dann bin ich auch schon mit meiner engeren Leibgarde: Pesa mbili, Yuma, Mambo sasa, Kasi uleia II. und wie sie alle heißen die Braven, Treuen, von denen auf mein Kommando jeder wie ein Windhund nach seinem Apparat oder dessen Einzelheiten greift, mit Kamera und Kinematograph hinter jener Frauengruppe aufmarschiert.
Vier weibliche Wesen sind es; zwei von ihnen schwingen noch immer und unentwegt ihre schwere, lange Mörserkeule weiter. Diesetönt jetzt nicht mehr dumpf wie Kanonenschlag oder der Schuß aus dem Vorderlader, sondern es ist ein mehr klatschendes Geräusch geworden. Matola erklärt mir, jetzt hätten die Frauen Mais in ihrem Mörser, während sie am frühen Morgen Hirse verarbeitet hätten; bei dieser donnere der Mörser so; die Behandlung der verschiedenen Körner sei nämlich die folgende. Die Hirse werde trocken enthülst und geworfelt, sodann gewaschen und eine halbe bis zu einer Stunde in einem flachen Korbe zum Trocknen in die Sonne gestellt; dann erst könne sie auf dem Steine zu Mehl verrieben werden. Der Mais dagegen werde in einem etwas nassen Mörser enthülst; dann quelle er drei Tage in kaltem Wasser. Erst nach Ablauf dieser Frist werde er gewaschen und dann erst gestampft. Das Mehl könne durch Trocknen konserviert werden.
Nach kurzer Weile hört das Stampfen auf; aufatmend wischen sich die Frauen den Schweiß von Stirn und Brust. Es ist eine harte Arbeit gewesen, und wenn an der sonst so grazilen Gestalt der Negerin nichts mehr auffällt als eine unproportioniert starke Ausbildung der oberen Armmuskulatur, so ist vor allem dieses tägliche Mörserstampfen die Ursache davon.
Mit raschem Griff hat die dritte Frau dem Mörser die Masse entnommen. Diese ruht jetzt in einem weiten, flachen Korbe von wohl 60-70 Zentimeter Durchmesser. Doch nur einen Augenblick, dann beginnt es Schlag um Schlag; 10 Sekunden, 20 Sekunden; Hand und Korb beschreiben einen nach unten offenen Halbkreis, aber nicht gleichmäßig, sondern ruckweise. Jetzt sondert sich die leichte Spreu vom schweren Korn; der Endzweck des Mörsers wird sichtbar. Auch ich bekomme jetzt endlich den richtigen Begriff von seiner Rolle: er hat gar nichts mit dem Zerkleinern des Korns zu tun, sondern dient lediglich zum Enthülsen.
Das Worfeln in dem flachen Korb, der Wanne oder wie wir ihn sonst nennen wollen, ist rasch vonstatten gegangen; mit einem besonders kräftigen Ruck sind die blanken Körner in einen andernKorb geflogen. Nach diesem greift jetzt das vierte Wesen, ein junges Ding mit vollen Formen. Es hat bis dahin untätig an der Universalmühle der Urmenschheit gekauert, dem flachen Reibstein. Jetzt kommt Leben in die Maid: knirschend fährt der harte, flache Läufer über die erste Hand voll Körner dahin; Schub auf Schub; feiner und weißer wird die Masse; der Arbeiterin aber wird sichtlich warm. Schließlich ist das erste Quantum fertig; mit langer, eleganter Bewegung gleitet es, vom Läufer nach vorn geschoben, in die dort hart unter den Stein geschobene, flache Schale. Ein Aufatmen, dann ein rascher Griff nach neuem Korn; die Arbeit hebt von neuem an.
Diese Mehlbereitung ist, genau wie bei den Völkern der frühen Antike oder wie auch bei den Indianern des maisverzehrenden Amerika, die Hauptarbeit des weiblichen Geschlechts. Es ist, wie das in der primitiven Natur des Handwerksgeräts begründet ist, wahrlich keine leichte Arbeit, doch trifft sie das hiesige weibliche Geschlecht noch lange nicht so hart wie bei uns zulande die Feldarbeit die Frau jedes Tagelöhners, jedes ländliche Dienstmädchen oder Frau und Tochter des kleinen Landwirts. Die Negerin möchte ich sehen, die auch nur eine einzige deutsche Ernte durchkosten würde, ohne mit Protest davonzulaufen.
Mehlbereitung in einem Eingeborenengehöft..⇒GRÖSSERES BILD
Mehlbereitung in einem Eingeborenengehöft..⇒GRÖSSERES BILD
⇒GRÖSSERES BILD
Auch die Besorgung des Haushalts drückt nicht überschwer. Die Frau des kleinen Mannes bei uns verfügt gewißlich nicht über eine allzu reichliche Abwechselung in ihrem Speisezettel, doch ist ihre Küche noch immerhin großzügig gegen das ewige Einerlei des schwarzen Küchenrepertoires: Ugali aus Hirse heute, Ugali aus Mais morgen, Ugali aus Maniok übermorgen; dann hebt der Turnus von vorne an. Nun mag die Herstellung dieses afrikanischen Nationalgerichts an und für sich nicht einmal einfach sein — mir ist immer der Vergleich mit dem Thüringer Kloß aufgestiegen, den ja auch nur ganz gottbegnadete Hausfrauen in vollkommen einwandfreier Weise herzurichten vermögen —, aber schließlich muß doch auch das stumpfste Negerweib einmal hinter das Ugaligeheimnis kommen. Knudsen mit seiner Begeisterung füralles echt Afrikanische verspeist das Zeug mit innigem Behagen; mir schmeckt es immer wie ein Stück Wäsche, das eben der Lauge entnommen ist. Im Prinzip ist die Herstellung einfach: man bringt das Wasser in dem großen Topf zum Kochen; dann schüttet man nach und nach und unter stetem Umrühren ganz gleichmäßig das nötige Mehl hinzu. Die richtige Konsistenz ist erreicht, wenn der ganze Topfinhalt zu einer glasigen, durchscheinenden Masse eingedickt ist. Um ein europäisches Gericht zum Vergleich heranzuziehen, braucht man nur auf die norditalienische Polenta zu verweisen, die in ganz ähnlicher Weise hergestellt wird und auch ganz ähnlich schmeckt.
Plauderstündchen.
Plauderstündchen.
Erfreulicherweise gehen die Leistungen meines eigenen Kochs doch weit über die der hiesigen Hausfrauen hinaus, wenngleich auch sein Können, und leider vor allem auch sein Wollen, viel zu wünschen übrigläßt. Omari ist schon äußerlich ein Unikum; auf ein paar winzig kurzen Beinen mit einer Art von Entenfüßen sitzt einunverhältnismäßig langer Oberkörper; auf dem Oberkörper aber ein Haupt, das nach oben überhaupt nicht zu Ende gehen will; der ganze Mensch besteht, hyperbolisch gesprochen, eigentlich nur aus Hinterkopf. Er ist Bondei-Mann aus dem Norden der Kolonie, gibt sich aber natürlich als Suaheli aus. Doch das tun sie ja alle, die Schensi aus dem Hinterland, wenn sie einmal mit der in ihren Augen glänzenden Küstenkultur in Berührung gekommen sind. Omari ist der einzige Verheiratete von meinen drei Dienern; er behauptet, vier Kinder zu haben, und spricht von seiner Frau mit sichtlichem Respekt. Sie hat ihn auch erst losgelassen, nachdem er ausgiebig für sie gesorgt, d. h. mich veranlaßt hat, für sie bei meinem Daressalamer Geschäftshaus ein Konto von monatlich 7 Rupien zu eröffnen. Ich habe meine drei Mohren alle in ganz gleichartige Khakianzüge gesteckt; alle drei haben sich daraufhin kraft eigener Machtvollkommenheit sofort zu Gefreiten der Schutztruppe ernannt, indem sie den Schneider bewogen haben, ihnen je einen schwarz-weiß-roten Winkel auf den linken Ärmel zu nähen. Nun sind sie unsagbar stolz; leider haben aber ihre Tugenden mit diesem Avancement nicht Schritt gehalten. Omaris Tatkraft habe ich zum erstenmal in Massassi durch ein paar furchtbare Ohrfeigen wecken müssen; bei den beiden andern reichen diese nicht aus, da ist nur der Kiboko wirksam. Will man die drei Männer durch je einen Zug charakterisieren, so ist Omari der personifizierte Aberglaube, Moritz die auskristallisierte Verschmitztheit, Kibwana ein Ausbund von Dummheit; allen dreien gemeinsam ist die noch immer nicht ganz geschwundene Manie, in jedem freien Augenblick bei ihrem Herrn um einen Vorschuß einzukommen. Alle drei fliegen natürlich in gleicher Weise hinaus.
Wäre ich bei der Anlage meiner ethnographischen Sammlung auf lauter Leute von der Art meines Kochs angewiesen, ich würde nicht ein Stück bekommen. Kokett trägt der Bursche an seinem linken Oberarm ein Amulett: eine dünne Schnur mit anscheinend eingenähtem Koranspruch. Leichthin sage ich zu dem Besitzer: „Verkaufe mir das“.Aber welch ein Geschrei hat der Brave daraufhin erhoben: das könne er nicht und das wolle er nicht, denn mit dem Augenblick, wo das Ding von seinem Arm käme, da wäre er auch schon tot. Seitdem mache ich mir von Zeit zu Zeit den Spaß, ihn stets von neuem zum Verkauf seines Talismans aufzufordern; jedesmal erhebt er dann dasselbe Geschrei. Und zeichnen kann er erst! Er hat mir in Lindi einmal die Karte seines Heimatlandes gebracht, von ihm selbst entworfen und auf ein Stück fettigen Butterbrotpapiers gezeichnet. Aus ihr kann höchstens der Teufel klug werden, den er am nächsten Tage, auf die andere Hälfte jenes fettigen Papiers gezeichnet, ebenfalls heranbrachte. Omaris Höllenfürst hat nicht weniger als vier Köpfe, dafür aber nur zwei Arme und gar nur ein Bein; d. h. so schildert er nur den Scheitani mit Worten; seine Zeichnung ist, wie die Karte, ein unentwirrbares Chaos von allerlei krausen Linien. Da sind meine Träger doch ganz andere Künstler; welch lebendige Auffassung herrscht z. B. in jener Zeichnung meines sonst so phlegmatischen Yuma, die den Angriff einer Affenherde auf eine Pflanzung — seine eigene Pflanzung ist es — wiedergibt! Doch mit der Zeichenkunst unserer Schwarzen werden wir uns später noch einmal des näheren befassen müssen.
Affenraubzug auf eine Pflanzung. Nach einer Zeichnung des Yuma (s. auchS. 450).
Affenraubzug auf eine Pflanzung. Nach einer Zeichnung des Yuma (s. auchS. 450).
Einen üblen Streich hat mir der Bursche mit meinem Kaffeevorrat gespielt. Ich habe von Daressalam aus zwei große Büchsen besten Usambarakaffees mitgenommen, die eine mit sechs bis acht Pfund gerösteten Bohnen, die andere mit ebensoviel Rohkaffee. Nach menschlichem Ermessen hätte schon die erste Büchse selbst bei stärkstem Einbrauen meines mittäglichen Mokkas auf Monate reichen müssen; um so verblüffter war ich, als mir mein Küchenchef bereits nach3½wöchiger Reisedauer lakonisch meldete: „Kahawa a me kwisha, der Kaffee ist zu Ende“. Strenge Untersuchung natürlich; Omari behauptet, pro Tag zwei Löffel für mich verbraucht zu haben; ich lasse durch Moritz die zweite Büchse öffnen und messe ihm mit dem bewußten Löffel das Quantum vor, welches er auf Grund seiner Aussage im schlimmsten Fall verbraucht haben kann. In dem Riesenbehälter zeigt sich danach kaum ein Manko. Jetzt sage ich dem Burschen auf den Kopf zu: zu einem Teil hast du ihn selbst gefressen, zum andern an deine Freunde, die Herren Soldaten, verkauft. „Hapana“ ist die ganze Antwort. Retten kann man sich gegen dieses Ausbeutungssystem nur dadurch, daß man dem Mann die benötigte Dosis täglich höchst eigenhändig zumißt; die kostbare Forschungszeit wird dadurch jedoch noch mehr eingeschränkt.
Diese Notwendigkeit der unausgesetzten Kontrolle hat mir auch ein anderer Vorfall klar erwiesen. Kibwana und Moritz sind entweder abwechselnd oder zuweilen auch gleichzeitig krank; beide leiden in der Tat sehr oft an Fieber. Moritz wollte vor einigen Tagen gar sterben, aber nicht hier in Chingulungulu, sondern in Lindi; da stürbe es sich besser. Nils Knudsen mit seinem weichen Wikingergemüt bemitleidete den armen Mohrenknaben so herzerweichend, daß ich mich endlich bewogen fühlte, mein Fieberthermometer — meine Musterapotheke enthält nur eins dieser nützlichen Instrumente — auch einmal außerhalb der gewohnten Ordinationszeit einzulegen. 36,8° hatte der „Sterbende“! Moritz ist diesmal sehr schnell gesund geworden. Doch ein anderes Mal war er wirklich krank. Da habe ich ihm gestattet, sich am Morgen einen großen Topf von meinem Kakao zuzubereiten. Ahnungsvoll gehe ich um Moritzens Frühstückszeit zur Küche hinüber. Was sehe ich? Freilich, zunächst den behaglich schlemmenden Moritz, aber außer dem Patienten auch noch ungefähr meine ganze Mannschaft, die von dem Koch in freigebigster Weise mit dem gesamten Inhalt einer meiner acht Büchsen regaliert wurde. Und da soll man nicht zornig zur Nilpferdpeitsche greifen?
Erfreulicher für mich sind, schon weil ich dabei nicht der leidende Teil bin, die Vergnügungen der eingesessenen Männerwelt. Im Gegensatz zu Massassi mit seinen solennen Frühschoppen herrscht hier in Chingulungulu die Dauersitzung in den Nachmittagsstunden vor. Moritz muß eine feine Nase für derartige Festsitzungen haben, denn jedesmal, wenn er die Führung bei meinem alltäglichen Nachmittags-Studienbummel übernommen hat, sind wir auf eine gewaltige Schar bechernder Männer, Frauen und Kinder gestoßen. Die Lust am Trunk scheint also auch hier ziemlich entwickelt zu sein, trotzdem hier bei Matola in diesem Jahre eigentlich keine rechte Veranlassung dazu vorliegt. Die gegebenecausa bibendiist und bleibt für den Süden denn doch das Unyago, das Mannbarkeitsfest, von dem ich immer und immer wieder hören muß, von dem die Männer erzählen und auch die Jünglinge, ohne daß ich bisher von dieser Einrichtung auch nur das Geringste zu Gesicht bekommen hätte. Einstweilen sehe ich sogar nicht einmal die Möglichkeit vor mir, die allem Gehörten nach recht komplizierten Vorgänge mit eigenen Augen zu schauen. Aber ich will und muß es erzwingen.
Daß in diesem Jahr des Heils 1906 hier in Chingulungulu kein Unyago stattfindet, beruht auf der Einrichtung, daß dieses Fest im Turnus wandert; es geht reihum von einem Dorfhäuptling zum andern; wie ich wohl mit Recht annehmen darf, der nicht geringen Kosten wegen. Zu den ungeheuren Mengen von Pombe, die anläßlich der vielen Tanzfeste getrunken werden, treten auch noch große Mengen von Speisevorräten, deren Vertilgung die von weit und breit herzugeströmte Festgesellschaft sich mit gutem Appetit und bedeutender Ausdauer hingibt. Dazu kommen schließlich auch noch erhebliche Mengen neuer bunter Kattunstoffe von der Küste, mit denen die für mannbar Erklärten neu eingekleidet, ihre Lehrer und Lehrerinnen aber zum Entgelt für treugeleistete Erzieherdienste honoriert werden sollen. Ich wünsche nichts sehnlicher, als gerade in diese Vorgänge einen guten Einblick zu gewinnen, denn soweit ich die Afrikaliteraturübersehe, ist gerade dieser Teil des ethnologischen Forschungsfeldes hier im Osten bisher nur wenig oder gar nicht beackert worden.
Einstweilen vergnügen die Männer sich und mich in anderer Weise. Schon in Massassi war eines Tags ein Auflauf entstanden. „Sulila a me kuja, Sulila ist gekommen“, hat es von allen Seiten gerufen und geschrien, und ein großer Haufen Volks hat sich um einen fremden Mann zusammengeballt. Dieser war schon dadurch recht merkwürdig, daß er, obwohl stockblind, den weiten Süden Ostafrikas gewohnheitsmäßig mit vollkommener Sicherheit durchzog. Zwar hatte er einen Begleiter, aber dieser führte Sulila nicht, sondern ging hinter ihm her, dem Barden die berufliche Ausrüstung nachtragend. Sulila, dem Stamm der Yao angehörig, ist in der Tat Berufssänger; er erbot sich ganz von selbst, mir seine Leistungen vorzuführen, und war im Handumdrehen mit seinen Vorbereitungen fertig. Sein Handwerkszeug ist einfach genug. Er hat seine Leibkapelle, die er aber von Fall zu Fall rasch zusammenstellt: sechs, acht Männer treten heran, kauern sich im Viereck nieder, legen vor sich eine ihrer Rinde beraubte, armdicke Holzstange, nehmen in jede Hand einen ebensolchen Schlegel und harren des Zeichens zum Beginn der Vorstellung durch ihren Meister. Dieser hat sich inzwischen herrlich ausstaffiert; um Fußknöchel und Knie hat er ganze Rasselsysteme gebunden, Dutzende von Hohlfrüchten von der Größe mittelstarker Äpfel, die mittels Lederriemen unter sich und mit dem betreffenden Körperteil verbunden sind. Um die Hüften trägt der Sänger ganze Felle und Fellstreifen von wilden Tieren, Wildkatzen, Affen, Leoparden; einer barbarischen Krone gleich prangt schließlich auf seinem Haupte, das Gesicht weit überschattend, ein breiter Haarreif aus der Mähne des Zebras oder einer großen Antilopenart.
Barde Sulila an der Boma von Massassi.
Barde Sulila an der Boma von Massassi.
Sulila ist in das Ouadrat seiner Kapelle getreten; in der Linken trägt er sein Saiteninstrument, in der Rechten den Bogen. Das Instrument ist ein Monochord; der Resonanzboden ein aus dem Vollen geschnitzter Holzzylinder, der Saitenträger ein rundgeschnitzter Stab;die Saite ein Büschel Haare aus dem Schweif irgendeines der großen Säuger des Landes. In Ermangelung von Kolophonium fährt der Barde mit seiner feuchten Zunge über die Strichseite des Bogens. Den hebt er jetzt und setzt ihn auf die Saite; ein klagender Ton; im selben Moment ein furchtbares Gebrüll aus Sulilas Munde und ein ohrenbetäubender Spektakel von der „Kapelle“ auf ihrem „Xylophon“. Im Grunde genommen sollte man es bedauern, als Forscher hinausgezogen zu sein; es gewährt einen unendlichen Reiz, diesen seltsamen Künstler arbeiten zu sehen, und jede Ablenkung durch die Bedienung der Apparate bedeutet einen Genußverlust. Und Sulila arbeitet wirklich; unausgesetzt entlockt er seinem primitiven Instrument die wenigen Töne, über die es verfügt; sie sind tief und ganz ansprechend. Ebenso unausgesetzt ertönt dazu sein Gesang. Dieser ist weniger ansprechend, wenigstens für den Europäer; dem schwarzen Auditorium scheint er alsdieMusik schlechthin zu gelten, denn es ist einfach „weg“ vor Begeisterung. Sulilas Organ ist rauh, aber stark; diese Stärke mag zueinem Teil auf seiner Blindheit beruhen; genau wie ein Tauber kann auch er nicht den Umfang seiner Schallwellen abschätzen. Zudem ist sein Tempo förmlich rasend; mein Ohr ist an das Kiyao schon etwas gewöhnt, aber trotzdem vermag es kaum Einzelworte zu unterscheiden.
Doch das Reizvollste ist die dritte seiner Betätigungen: Sulila spielt und singt nicht nur, er tanzt auch. Und wie tanzt er! Mit rhythmischem Wippen der Knie, bedingt durch das Streichen der Geige, hebt es an; mit der typischen Unsicherheit des Blinden zittert dabei das Gesicht von einer Seite zur andern. Nach und nach wird das Wippen tiefer, auch schneller; der Tänzer beginnt sich zu drehen; erst langsam, dann schneller; schließlich rast er um seine Längsachse. Auch sein Bogen rast, seine Stimme läßt das nahe Pori erzittern, die Kapelle hämmert mit wahnsinniger Hast auf ihre Holzstangen. Es ist ein Höllenspektakel. Das Publikum ist hingerissen.
Ich habe es, wie gesagt, heimlich immer von neuem bedauert, mich nicht rückhaltlos dem Eindruck dieser Vorführungen hingeben zu können, aber die Forscherpflicht waltet schließlich doch vor; so verlebt man am Kinematographen, am Phonographen und an der Kamera eigentlich mehr anstrengende als unterhaltende Stunden. Daran ist nichts zu ändern; hat man schließlich wie ich das Glück, seine Bemühungen von einigem Erfolge gekrönt zu sehen, so ist dieser Umstand sehr wohl geeignet, alle jene Mühseligkeiten vergessen zu machen; um so mehr, als vor allem der Kinematograph die Szene mit verblüffender Lebenswahrheit wiederzugeben aufs beste geeignet ist.
Phonographische Aufnahmen sind schon bei sehenden Negern nicht leicht. Man hat den Sänger vor den aufgebauten Apparat gestellt, hat ihm klargemacht, wie er den Kopf halten muß, und daß er stets genau in die Trichterachse hineinzusingen hat. „Hast du es begriffen?“ fragt man nach diesem Privatissimum den Barden. „Ndio, jawohl“, ertönt es ganz selbstverständlich zurück. Vorsichtig, wie man einmal in Afrika sein muß, läßt man erst Probe singen, ohne den Apparat anzustellen. Der Mann ist noch zu schüchtern und singt zu leise.„Quimba sana, sing doch lauter“, ermuntert man ihn. Eine zweite Wiederholung; unter Umständen sogar eine dritte und vierte. Jetzt geht es; der Sänger ist im Bilde. Ich stelle den Apparat an, gebe das verabredete Zeichen, Sänger und Maschine arbeiten zusammen. Eine Zeitlang geht das gut; wie eine Säule steht der Sänger. Dann muß ihn irgend etwas in seinem Gleichgewicht stören; unruhig wendet er den Kopf hin und her; man kann gerade noch den Apparat abstellen und die Belehrung von vorn anfangen. Dies ist das normale Bild; in vielen Fällen war es ganz zweifellos die liebe Eitelkeit, die den Sänger veranlaßte, sich während seines Auftretens kokett nach links und rechts zu wenden. Seht, welch ein Kerl ich bin! hieß das auf deutsch.
Viel schlimmer ist es mit Sulila; seine verflixte Gewohnheit des ständigen Kopfdrehens kann er auch vor dem Trichter nicht lassen; die ersten Aufnahmen von seinen Leistungen wimmeln denn auch von den fürchterlichsten Blechtönen. Mit der raschen Impulsivität, die mich vor so vielen Menschen auszeichnet und die ich an mir schon sooft zu bedauern Veranlassung gefunden habe, die mir aber hier über alle Schwierigkeiten glatt hinweghilft, fasse ich neuerdings den blinden Sänger einfach am Kragen, sobald er seine Löwenstimme erschallen läßt. Dann halte ich das wollige Haupt wie in einem Schraubstock fest, bis der Barde sein Heldenlied zu Ende gebrüllt hat. Ob er zuckt und zerrt und den Kopf noch so energisch zu wenden versucht — ich halte ihn.
Und Heldenlieder sind es zumeist, was die Yaosänger mir bisher aufgetischt haben. Hier eine solche Rhapsodie Sulilas, die er mir am 24. Juli in Massassi in den Trichter gesungen hat:
„Tulīmbe, achakalungwa! Wausiyaga ngondo, nichichi? Watigi: Kunsulila kanapogwe. Yaiche ya Massito; uti toakuquimi. Ya yaoide. Nambo yandachi payaiche, kogoya kuona: msitu watiniche; bamba siatiniche; busi siatiniche; nguku siatiniche; kumala wantu putepute; nokodi papopu; kupeleka mbiasiakalume. Gakuūnda. Mtimma wassupŭiche: Ngauile pessipo Luja. Kunsulila ngomba sim yaule kwa Bwana kubwa: Nam(u)no anduwedye atayeye mapesa gao. Sambano yo nonembesile.“
Zu deutsch heißt das:
„Laßt uns aushalten, uns Alten! Was ist ein Krieg, was? Sie sagten: Herr Sulila ist noch nicht geboren. Dann kommt (der Krieg) der Masitu; Gewehre werden geschossen (sehr mächtig). Dann sind sie weggelaufen. Aber die Deutschen sind gekommen, gefährlich sah es aus. (Alles) Holz ist abgebrannt; Ameisen wurden aufgebrannt; Ziegen wurden aufgebrannt; Hühner wurden aufgebrannt; alle Leute wurden getötet; Steuer kam herauf; sie mußten bringen Rupien zu Hunderten. War noch nicht zufrieden. Herz wurde ängstlich: Wir wollen lieber sterben auf der andern Seite des Luja. Herr Sulila telegraphierte an den Herrn Bezirksamtmann: er kann mir das Fell über die Ohren ziehen und einen Sack für seine Pesa daraus machen lassen. Jetzt bin ich müde.“
Musikalisch stehen die Völker des Südostens von Deutsch-Ostafrika auf keiner hohen Stufe; sie haben keine eigentliche Melodie, und auch ihre Vortragskunst geht nicht über ein rasendes Parlando hinaus. In beiden Richtungen stehen sie alle, die Yao, Makua und Wanyassa, weit hinter meinen Wanyamwesi zurück, die in beidem Meister sind. Nur einen Vorzug wird man den Südvölkern nicht absprechen können: der Text ihrer Lieder hat Sinn und Verstand, ist folgerichtig aufgebaut und entbehrt hier und da selbst nicht einer dramatischen Steigerung. Diese tritt in Sulilas Liede ja in geradezu großartiger Form zutage.
Die Masitu haben einen ihrer gewohnten Überfälle auf die ahnungslosen Bewohner des mittleren Rovumagebietes gemacht. Welcher der vielen blutigen Raubzüge es ist, läßt sich aus Sulilas Worten nicht entnehmen; es kann ebensogut einer aus den 1880er oder 90er Jahren sein, oder auch der letzte Aufstand. Wahrscheinlich ist es sogarder letztere, denn soweit ich die Geschichte des Südens beurteilen kann, ist bei früheren Aufständen niemals von einer Steuer die Rede gewesen. Es handelt sich auch in diesem Fall weniger um eine Kriegssteuer, als um die Erlegung der seit einer Reihe von Jahren eingeführten Hüttensteuer, die gerade in den letztverflossenen Monaten als eine direkte Folge des von uns siegreich niedergeschlagenen Aufstandes von den Unzuverlässigen und aufständisch Gewesenen in überraschender Höhe an die Bezirkskasse in Lindi abgeliefert worden ist.
Einen Wendepunkt in dem üblichen Geschieße der Neger unter sich bedeutet das Eingreifen der Deutschen; die Eingeborenen haben das Gefühl: Donnerwetter, jetzt wird’s ernst. Dies spiegelt sich in ihrem Ideenkreise wider durch eine Vernichtung der verschiedensten Kulturgüter. Zuerst brennt das Pori nieder; dabei gehen alle Ameisen zugrunde. Dann kommen die Ziegen heran; sie sind hier im Süden nicht zahlreich, wohl aber die Hühner, denen es jetzt an den Kragen geht. Schließlich werden auch viele Menschen getötet; Sulila spricht in seiner Ekstase gleich von allen. Nun kommen die Friedensbedingungen der siegreichen Deutschen: eine schwere Steuer in glänzenden Rupien, die wohl oder übel aufgebracht werden muß. In den Augen der Betroffenen wächst die Summe ins Riesengroße; sie werden ängstlich und planendenSchritt, der hier im Süden stets in der Luft liegt: sie wollen sich durch eine Massenauswanderung den Folgen des Krieges entziehen. Da aber naht der Retter und Held. Es ist Sulila selbst. Im Vollbewußtsein seines hohen Wertes nennt er, der bedauernswerte arme Blinde, sich stolzkun, Herr. Er sieht sein Land schon überzogen mit einem der höchsten Kulturmittel der weißen Fremdlinge, mit dem Telegraphendraht. Eiligst telegraphiert er an den Bwana kubwa, daß seine Landsleute sich in alles ergeben; sie denken nicht mehr an Widerstand, aber sie haben auch kein Geld mehr. Und sie sind so verzagt, daß der Große Herr ihnen selbst das Fell über die Ohren ziehen und einen Beutel für alle die schweren Rupien daraus machen lassen könnte, ohne daß sie noch anweiteren Widerstand dächten. Damit ist das eigentliche Lied zu Ende; der Schlußsatz: Jetzt bin ich müde, bezieht sich auf den Sänger selbst, den die ungewohnte geistige Arbeit des Diktierens stark mitgenommen hat.
Hier in Chingulungulu gibt es von diesen Barden mehrere; der berühmteste von ihnen ist Chelikṓsŏe, zu deutsch Herr Ratte, der bei jedem Auftreten mit allgemeinem Beifallsgemurmel begrüßt wird. Stimmgewaltiger noch als er ist Salanga; dafür ist dieser so dumm, daß es ihm bisher noch nicht gelungen ist, mir einen seiner Liedertexte authentisch in die Feder zu diktieren. Wenn ich es wagen dürfte, die Aufnahmen zu reproduzieren, so hätte ich ohne weiteres ein Mittel, mit Hilfe der Intelligenteren aus der Zuhörerschar den Text genau festzulegen, doch darf ich das bei den 31° Normaltemperatur, die wir jetzt haben, gar nicht wagen. Ich will wenigstens zwei Liedertexte des Likosoe bringen; der eine ist kurz und erbaulich und bewegt sich ganz im Gedankenkreise der Negerrasse im allgemeinen, d. h. der Text enthält nur einen einzigen Gedanken, den Likosoe in regelmäßigem Wechsel zwischen Solo und Chor unendlich oft wiederholt. Das Lied heißt: