Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Mühlfels hatte sich nichts weniger als beeilt, die ihm angewiesene Garnison zu erreichen, und langte daselbst erst nach mehren Tagen und in der übelsten Stimmung an. Diese steigerte sich noch mehr, als er von dem Commandanten ziemlich kalt empfangen und fortan zum strengen Dienst angehalten wurde. Es geschah dies auf den geheimen Befehl des Fürsten, und der Commandant war viel zu dienstergeben, um denselben nicht zu respectiren, trotz der von Mühlfels ihm übergebenen Empfehlung des Prinzen.

Der Commandant befand sich schon seit vielen Jahren an diesem Ort und wußte, wie er die ihm zugeschickten Officiere zu behandeln hatte, besonders wenn ein fürstlicher Befehl ihm die Winke dazu gab.

Mühlfels war in Verzweiflung, und das um so mehr, da er sich für die Unannehmlichkeiten des Dienstes durch irgend eine angenehme Zerstreuung nicht zu entschädigen vermochte.

Wie wir erfahren haben, lag die kleine Grenzstadt in der ödesten Gegend und von allem größeren Verkehr abgeschnitten, und bot daher fast gar keine, oder doch nur solche Vergnügungen, an welchen der durch die raffinirtsten Genüsse verwöhnte Baron keinen Geschmack fand, und so däuchten ihm namentlich die ersten Wochen seines Aufenthalts kaum erträglich. Er beeilte sich, den Prinzen mit seiner unglücklichen Lage bekannt zu machen und um eine neue Empfehlung bei dem Commandanten zu bitten. Der Erstere erfüllte gern seinen Wunsch, sprach sein herzliches Bedauern über sein trauriges Leben aus und ermahnte ihn zum geduldigen Ausharren. Des Prinzen wiederholtes Schreiben übte eine gute Wirkung auf den Commandanten aus, und Mühlfels wurde seitdem rücksichtsvoller behandelt.

So angenehm ihm dies auch war, ging sein Verlangen dennoch stets darauf aus, zurückkehren zu dürfen, und er bestürmte den Prinzen mit Bitten, den Fürsten zur Abkürzung seiner übeln Lage zu veranlassen; jedoch vergebens.

Des Prinzen Zerwürfniß mit dem Fürsten war noch nicht ausgeglichen worden, und so wagte der Erstere nicht, sich bei diesem für Mühlfels zu verwenden, da er überdies die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen voraussah.Er vertröstete ihn daher für eine geeignetere Zeit, die, wie er meinte, bald eintreten dürfte. Um jedoch etwas von Belang für seinen Günstling zu thun, veranlaßte er die Baronin, den Fürsten persönlich im Interesse ihres Sohnes anzugehen. Ein solcher Schritt war in jeder Hinsicht gerechtfertigt, und die Baronin zögerte denn auch nicht, denselben zu thun.

Ihre Mühe war jedoch fruchtlos, denn der Fürst entließ die getäuschte Oberhofmeisterin mit dem Bedeuten, daß ihrem Sohn der Aufenthalt in der stillen Garnison sehr gut thue und er ihn deshalb noch einige Zeit daselbst lassen würde.

So sah sich denn der Baron genöthigt, das Unabänderliche mit Geduld zu ertragen; je mehr er jedoch darunter litt, um so mehr steigerte sich auch in ihm das Verlangen, sich an der Urheberin seiner Leiden rächen zu können.

Was ihn zu trösten schien, war der rege Briefwechsel, den er mit dem Prinzen unterhielt.

Weitere Bemühungen um seine Entlassung aus dem Dienstverhältniß fanden fortan nicht statt, und es schien, als ob sich der Baron mit demselben bereits ausgesöhnt hätte.

In dem Benehmen des Prinzen gegen den fürstlichen Oheim trat bald nach Sidoniens Abreise eine wesentliche Aenderung ein, indem der Erstere bei einer geeigneten Gelegenheit diesen wegen seiner Thorheiten und seines aufbrausenden Benehmens nicht nur um Verzeihung bat, sondernihn auch überdies durch eine vermehrte und fast eifrige Theilnahme an den Staatsgeschäften auszusöhnen sich bemühte.

Der Fürst, von dem Glauben erfüllt, daß dies Alles lediglich die Folge seiner strengen Maßregeln wäre, freute sich darüber nicht wenig, indem er daraus die Zweckmäßigkeit derselben entnahm. Nicht minder erfreute es ihn, von Sidonien zu vernehmen, welche gute Wirkungen der Gebrauch des Bades auf sie erzeugt hatte, indem er zugleich hoffte, daß ihm nun auch vielleicht die Aussöhnung des getrennten Paares gelingen würde.

In dieser angenehmen Aussicht war es ihm besonders lieb, daß sich der Prinzessin Charakter trotz der von ihm gebilligten verführerischen Maßnahmen dennoch so trefflich bewährt hatte, indem dem Prinzen dadurch jeder Anhalt zu einer Weigerung, das frühere Verhältniß wieder herzustellen, genommen wurde. Er schrieb der Prinzessin einige freundliche Worte, ohne jedoch seiner geheimen Wünsche und Erwartungen zu gedenken.

Noch freudiger überrascht wurde er durch des Prinzen Antwort auf Sidoniens Mittheilung über die Erkrankung der Tochter, die ihm dieser, vielleicht absichtlich, eingehändigt hatte, um sie mit des Fürsten Brief an Sidonie durch den Courier befördern zu lassen.

Ihm war dieselbe ein Beweis des wiedergewonnenen Interesses, welches der Prinz für seine Gemahlin hegte, und wie sehr die Trennung zur Erzeugung von dergleichen guten Wirkungen geeignet ist.

Auf seinen Wunsch war der Prinz bereits entschlossen, Sidonie zu besuchen; als jedoch in dieser Zeit die Nachricht von dem gefahrlosen Ausgang der Krankheit der Tochter eintraf, gab der Prinz im Hinblick auf die weite Reise sein Vorhaben wieder auf und begnügte sich, der Prinzessin seine Freude über das Vernommene auszudrücken.

Sidonie athmete in der Gewißheit, ihr stilles Glück durch des Prinzen Besuch nicht gestört zu sehen, froh auf. Ihre Freude war um so größer, da mit seinem Besuch die Gefahr für sie herbei geführt worden wäre, daß er sowol Kenntniß von dem Entwenden der Chatoulle als dem Verschwinden des Dieners erhalten hätte, und dadurch veranlaßt worden wäre, Nachforschungen darnach anstellen zu lassen. Waren dieselben jedoch von Erfolg, so hatte sie auch den Verrath des Briefes und Portraits zu fürchten und konnte die Folgen desselben leicht voraussehen.

Trotz alledem durfte sie sich noch nicht beruhigen; denn die Bemühungen des Grafen und der Beamten waren bisher fruchtlos gewesen und somit die sie bedrohenden Gefahren noch nicht beseitigt.

Römer traf nach wenigen Tagen mit der wenig befriedigenden Nachricht bei ihr ein, daß die sorgfältigsten Nachforschungen nicht die geringste Spur von dem Verbleib des Dieners ergeben hätten. Zwar wollte man diesen auf einem bestimmten Punkte der Landstraße gesehen haben; Weiteres jedoch wußte man nicht, da alsdann keine Spur von ihm zu entdecken war.

Es waren zu derselben Zeit an verschiedenen Orten in der Nähe des Bades Einbrüche und Diebstähle vorgekommen, und so lag die Vermuthung nahe, daß man den Diener, dessen Livrée ihn als einen fürstlichen bezeichnete, wahrscheinlich in der Voraussetzung, eine gute Beute zu machen, getödtet und beraubt hatte. Eben so wahrscheinlich war es, daß dieselben Verbrecher auch die Chatoulle entwendet hatten.

Diese Annahme fand um so mehr Glauben bei Sidonien, da der Polizeibeamte dieselbe durch seine Mittheilungen noch wahrscheinlicher machte.

In Folge der angestellten Nachforschungen war man nämlich zu der Entdeckung mehrerer Verbrecher gelangt, die in den nahen Waldungen hausten und sich von dem Raub der Reisenden und allerlei Diebstählen ernährten.

Diese Umstände ließen voraussehen, daß die Briefe, als werthlos, wahrscheinlich vernichtet worden waren. Was die Chatoulle anbelangte, so lag die Voraussetzung nahe, daß die Verbrecher sich nach einer entfernten Stadt begeben haben würden, um die kostbaren Sachen verkaufen zu können. Traf diese Annahme zu, so unterlag es auch keinem Zweifel, daß die geraubten Gegenstände bald zerstreut wurden und wahrscheinlich auch, um nicht erkannt zu werden, eine Umarbeitung erfuhren. Diesem Geschick mußte dann auch das an sich wenig werthvolle Portrait verfallen, das man wol zerstörte, um das Gold der Einfassung zu nutzen.

Lag für Sidonien im Hinblick auf die angeführtenUmstände eine gewisse Beruhigung, so durfte sie dem Prinzen doch das Verschwinden des Dieners nicht verschweigen. Sie theilte ihm dasselbe daher mit, so wie die näheren Umstände, welche dazu geführt hatten. Sie ließ jedoch eine längere Zeit vorüber gehen, ehe sie sich zu dieser Mittheilung bequemte, und nachdem alles Forschen fruchtlos geblieben war.

Der Prinz hatte ihr in Folge dessen erwidert, alles Weitere den Behörden anheim zu stellen und sich deshalb durchaus nicht zu beunruhigen. Er schien auf das Verschwinden des Dieners kein Gewicht zu legen.

Damit hatte diese Angelegenheit für Sidonie ihr Ende erreicht, und sie war erfreut, daß dasselbe in solcher Weise erfolgte.

Durch die allmälig fortschreitende Genesung ihres lieben Kindes und die Besuche des Grafen jetzt doppelt beglückt, durch die Erörterungen des Beamten über das wahrscheinliche Schicksal der Chatoulle beruhigt, und von der Angst befreit, des Prinzen Besuch erwarten zu müssen, genoß sie die sich ihr darbietenden Freuden mit vollem Herzen. Hatte sie auch durch die Krankheit ihrer Tochter schwer gelitten, so führte dieselbe doch auch zugleich eine Verlängerung ihres Aufenthaltes im Bade herbei, und was hätte ihr wol erwünschter sein können.

Doch die Tage eilten schnell dahin, und so nahte endlich auch die gefürchtete Scheidestunde.

Wir übergehen das schmerzliche Lebewohl der Liebenden, das die Hoffnung eines baldigen Wiedersehens milderte.Denn der Graf gedachte, wenn es seine Verhältnisse irgend gestatteten, zum Herbst die Residenz für einige Wochen zu besuchen.

Und so trennte sich Sidonie von ihm und dem liebgewonnenen Ort mit bekümmertem Herzen und trat mit Zagen die Rückreise an. O, wie so sehr bangte ihr vor dem Hofe! Es däuchte ihr fast unmöglich, sich wieder in die alten traurigen Verhältnisse zu finden und dem Zwange der Hofetikette zu unterwerfen. Fühlte sich ihre Seele doch nur wohl in der süßen Freiheit, unbeengt und unberührt von dem gleißnerischen Schein des schaalen Hoflebens. So manche Schmerzensthräne drängte sich in ihr Auge in der Erinnerung des verlorenen Glücks, in der Sorge, ob es ihr gelingen würde, sich dasselbe in der erwünschten Weise zu erringen.

Denn wie wir wissen, kehrte sie mit dem noch mehr befestigten Vorsatz zurück, die Trennung ihrer Ehe zu bewirken. Zu früh für ihre Wünsche erreichte sie die Residenz. Sie wurde zu ihrer nicht geringen Ueberraschung von dem Prinzen empfangen, der ihr seine Freude über ihr gutes Aussehen und die Genesung seiner Tochter mit wenigen Worten zu erkennen gab. Doch war ihr Wiedersehen nur ein förmliches und fern von aller Herzlichkeit; denn weder der Prinz, noch weniger Sidonie vermochten mehr als eben nothwendig war, zu sagen, und ihre gegenseitige Abneigung machte sich in dem Moment des Wiedersehens in vermehrter Weise geltend. Mit dieser Begegnunghatte es vorläufig sein Bewenden, denn seit derselben suchte der Prinz sie nicht wieder auf.

Der Fürst besuchte Sidonie am zweiten Tage nach ihrer Ankunft und begrüßte sie mit großer Freundlichkeit, indem er ihr sein besonderes Wohlgefallen an ihrem gesunderen Aussehen zu erkennen gab und nicht anzudeuten unterließ, wie sehr ihn des Prinzen erneutes Interesse für sie freue und er daran die Hoffnung knüpfe, seine Wünsche erfüllt und die Aussöhnung zwischen ihnen endlich ermöglicht zu sehen.

Seine Worte durchrieselten Sidonie kalt, indem sie dadurch zugleich überrascht wurde. Denn es lag ihr die Ahnung fern, daß der Fürst noch eine solche Hoffnung hegte. Um so mehr erachtete sie es daher für nothwendig, ihm sogleich die Gehaltlosigkeit derselben und ihr bestimmtes Verlangen der Trennung zu erkennen zu geben.

Sie entgegnete:

»Ihre Worte, mein gnädiger Fürst, verrathen mir, daß Sie noch immer an die Möglichkeit einer Aussöhnung zwischen mir und dem Prinzen glauben. Vielleicht hat Sie mein bisheriges Schweigen über diese Angelegenheit dazu verleitet. Um so mehr fühle ich mich daher bewogen, Ihnen schon jetzt zu erklären, daß ich das Verlangen nach einer Trennung von dem Prinzen nicht aufgegeben habe und Ihnen dasselbe binnen kurzer Zeit wiederholt haben würde, hätten mich Ihre Worte nicht schon jetzt dazu veranlaßt.«

»Wie, Prinzessin?« rief der Fürst, unangenehm überrascht, und blickte sie forschend an.

»Es ist so, wie ich sagte,« bemerkte Sidonie ruhig.

»Sie übereilen sich!« fiel der Fürst ein, durch die Erkenntniß der nichts weniger als geahnten Selbsttäuschung.

»Durchaus nicht, vielmehr hat sich mein Entschluß nach reiflichem Erwägen desselben nur noch mehr befestigt,« entgegnete Sidonie.

»Das ist in der That ein übles Wiedersehen, und ich gestehe Ihnen, so etwas nicht erwartet zu haben!«

»Ich bedaure das; doch erinnere ich Sie, daß Sie nichts berechtigte, mein früheres Verlangen für erledigt zu betrachten.«

»Doch, doch!« bemerkte der Fürst und fügte voll Eifer hinzu: »Ich bin bedacht gewesen, Ihnen in jeder Beziehung Genugthuung zu verschaffen, meine Maßnahmen in Ihrem Interesse haben überdies die guten Folgen gehabt, daß der Prinz eine liebevollere Theilnahme für Sie zeigt und sich auch in jeder andern Beziehung sehr lobenswerth geändert hat. Was verlangen Sie also noch mehr? Sie müssen das Alles anerkennen und dürfen daher die sich Ihnen zur Versöhnung darbietende Hand nicht zurückweisen.«

»Ich bezweifle, daß diese wirklich von dem Prinzen gewünscht wird.«

»So gilt Ihnen mein Wort nichts?!« fragte der Fürst.

»Doch, mein Fürst; indessen habe ich Gründe zu der Vermuthung, daß der Prinz selbst einen solchen Wunsch nicht ausgesprochen hat,« entgegnete Sidonie, ohne sich durchdes Fürsten fast strengen Ton einschüchtern zu lassen, und setzte alsdann mit ruhiger Stimme hinzu: »Ihre Worte, mein gnädiger Fürst, verrathen mir überdies, wie sehr Sie sich über die von dem Prinzen für mich gehegten Gefühle täuschen; wären Sie bei dem Empfange anwesend gewesen, womit mich der Prinz überraschte, so würden Sie zu einer andern Ansicht hierüber gelangt sein. Denn der Prinz achtet mich weder, noch liebt er mich, sondern erhaßtmich, und welcher Art meine Empfindungen für ihn sind, darf ich Ihnen kaum sagen. Nichtachtung und Haß erzeugen nur ihres Gleichen, so wie Liebe die Liebe erzeugt. Sie täuschen sich daher nicht nur in dieser Beziehung, sondern scheinen auch nicht erkannt zu haben, daß der Prinz mir den Verlust seiner Geliebten und seines Günstlings nicht vergeben hat, vielmehr erfreut sein würde, sich dafür an mir rächen zu können.«

»Sie gehen zu weit, zu weit!« rief der Fürst erregt und fügte hinzu: »Sie legen dem Prinzen Gesinnungen bei, die ihn erniedrigen.«

»Ich sprach nur meine Ueberzeugung aus und fürchte, die Zukunft wird meine Vermuthungen bestätigen.«

»Nein, nein! Ihre Abneigung gegen den Prinzen läßt Sie in seiner Beurtheilung ungerecht werden! So böse ist er nicht.«

Sidonie schaute den Fürsten einen Augenblick forschend und schweigend an, alsdann bemerkte sie mit Nachdruck:

»Seien Sie aufrichtig, mein Fürst, und sagen Sie mir, glaubenSie, daß ich dem Prinzen mehr gelte, als seine Günstlinge?«

»Wie können Sie eine solche Frage thun, die sich von selbst beantwortet?!« fragte der Fürst.

»Sie haben ganz Recht, mein Fürst; diese Frage beantwortet sich leicht; doch damit Sie erkennen, in welcher Artichmir dieselbe beantworte, so sage ich Ihnen, daß der Prinz mich seinen Günstlingen gern geopfert hätte, würde Ihr Befehl ihn nicht daran gehindert haben.«

»Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?« fragte der Fürst rasch und in scharfem Ton.

»Der Umstand, daß der Prinz sich nur scheinbar von dem Mädchen getrennt hat, sie in Paris ausbilden läßt, um sie wahrscheinlich früher oder später wieder in seine Nähe zu rufen. Sie sehen, mein Fürst, daß ich von Allem unterrichtet bin und welchen Werth ich auf die mir gewährte Genugthuung in dieser Hinsicht lege. Achtete mich der Prinz und wünschte er wirklich eine Aussöhnung, so müßte er vor Allem bedacht sein, den mir angethanen Schimpf für immer zu vertilgen.«

»Sie greifen der Zukunft durch eine solche Voraussetzung vor!« wandte der Fürst ein.

»Ich thue nur das, wozu mich eine langjährige, so schmerzenvolle Erfahrung berechtigt.«

»So sehe ich nicht, wohin das Alles führen soll,« warf der Fürst unmuthig hin.

»Doch, doch, mein gnädiger Fürst! Ihr Scharfblickwird die Verhältnisse leicht durchdringen und Sie zu der Erkenntniß leiten, daß nur die Erfüllung meines Wunsches eine entsprechende Lösung dieser Angelegenheit herbei zu führen vermag. Und damit Sie über meine Gesinnungen nicht länger in irgend einem Zweifel bleiben, erkläre ich Ihnen hiemit mit aller Bestimmtheit, daß ich nie und unter keinen Umständen jemals mehr in eine nähere Beziehung zu dem Prinzen treten werde. Ich achte den Prinzen nicht also, um ihm die Ehre zuzugestehen, mich fernerhin Gemahlin nennen zu dürfen; ich achte mich selbst aber so viel, um die Nothwendigkeit zu erkennen, mich von einem Manne zu trennen, der meine Ehre in so hohem Grade befleckte.«

»Ihre Worte verrathen mir, daß Sie nicht gesonnen sind, von Ihren überspannten Forderungen und Ansichten zu lassen!« rief der Fürst in ungewöhnlicher Aufregung, eine Folge der von Sidonien mit großer Ruhe und Bestimmtheit gesprochenen Erklärungen.

Die Prinzessin bekämpfte den dadurch in ihr erzeugten Unmuth, alsdann entgegnete sie:

»Sie nennen meine Ansichten überspannt; ich glaube, daß dieselben eine solche Bezeichnung nicht verdienen, und frage Sie, warum wir Frauen im Punkt der Ehre nicht gleich den Männern unsere eigenen Ansichten haben dürfen, nach welchen wir unsere Ansprüche bestimmen? Sie mögen durch Ihre Erfahrungen in der Schätzung der Frauen herabgestimmt worden sein und eine scheinbare Berechtigung dazu überdies in der herrschenden leichtfertigenSitte finden; Sie gewinnen dadurch jedoch nicht das Recht, dieses Urtheil über mein ganzes Geschlecht auszudehnen. Hierauf beruht Ihr Irrthum, mein Fürst, hierauf auch Ihr falscher Schluß, daß, weil Sie nur Frauen leichten Charakters kennen lernten, auch nicht an wahre Frauenwürde glauben dürften. Das Geschlecht geht Ihnen über den Menschen. Sie vergessen zu erwägen, daß Sie vor Allem diesem seine Berechtigung einräumen müssen und ihr Urtheil dabei nicht durch sein Geschlecht bestimmen lassen dürfen. Ich selbst glaube Ihnen einen Beweis dafür zu liefern, und weiß sehr wohl, in wie weit ich dabei die von Ihnen gehegten Ansichten über die Frauen umstoße. Es gewährt mir jedoch eine große Genugthuung und ich erachte es für eine Pflicht gegen mich selbst und mein Geschlecht, Sie auf einen solchen Irrthum aufmerksam zu machen, dessen Folgen unter Umständen sehr bedeutungsvoll werden können.« Sidonie schwieg.

Der Fürst hatte ihr mit einem ironischen Lächeln und abwechselnden Aufblitzen seiner scharfen, graublauen Augen ruhig zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Ihre Worte, von deren Wahrheit er sich getroffen fühlte, hatten ihn verletzt. Er sah sich genöthigt, ihr im Geheimen Recht zu geben, ohne jedoch hochherzig genug zu sein, ihr das einzugestehen. Der ihm gemachte Vorwurf gehaltloser Vorurtheile hatte seinen Unmuth erregt; er war daran nicht gewöhnt und daher um so tiefer dadurch betroffen worden. Er räumte Niemand das Recht ein, seine Ansichten vor ihm selbst in solcher Weise zu zerlegen,um ihn einer Schwäche oder eines Irrthums zu zeihen. Er glaubte die Welt und die Menschen genügend zu kennen, um in deren Beurtheilung berichtigt werden zu müssen. Und das hatte nun eine Frau, die einfache Prinzessin gethan und obenein in ziemlich schonungsloser Weise. Es war nicht seine Art, sich mit Frauen in eine ausgedehnte Unterredung einzulassen; er hielt sie für zu wenig befähigt, um sie einer solchen Ehre zu würdigen. Denn trotz der von Sidonien ausgesprochenen Auseinandersetzungen galten ihm die Frauen nur so viel, als sie ihm eben seinen Zwecken dienten. Er hatte jedoch auch aus der Prinzessin bestimmten Worten entnommen, an jenem Punkt mit ihr angelangt zu sein, wo Vorstellungen und Ermahnungen fruchtlos waren und er bedacht sein mußte, sich seine hoheitliche Autorität zu bewahren, um nicht an Einfluß auf sie zu verlieren. Er durfte ihr daher kein Zugeständniß ihrer Ansichten und Ansprüche machen, sondern mußte es ihr überlassen, sein Benehmen und seine Worte nach ihrem Belieben zu deuten. Und so entgegnete er mit einem ironischen Lächeln:

»Ich bin viel zu tolerant, um nicht jedem Menschen seine Ansichten zu lassen, vorausgesetzt, daß ich durch dieselben nicht irgendwie berührt werde. Dies Letztere ist nun bei Ihnen der Fall; doch bin ich weit entfernt, mich darüber in Erörterungen einzulassen. Es handelt sich hier um eine sehr ernste und wichtige Sache, und ich frage Sie daher, ob Sie auf dem Verlangen, Ihre Ehe zu trennen, bestehen?«

»Ja, mein Fürst,« entgegnete Sidonie ruhig und ohne Zögern.

»So werde ich den Prinzen damit bekannt machen und bitte das Weitere zu erwarten.«

Mit diesen in kühlem Ton gesprochenen Worten und einem leichten Neigen des Hauptes entfernte sich der Fürst.

Sidonie athmete hoch auf, indem die sie bisher beherrschende Spannung einem freieren Gefühl wich. Ihr Auge strahlte, und des Geliebten gedenkend, preßte sie die Hände auf die Brust und rief in freudiger Bewegung:

»Es ist geschehen; der erste Schritt zu unserm Glück gethan!«

»So hat mich meine Ahnung nicht getäuscht,« fiel eine ihr bekannte Stimme ein und zwei Arme umschlangen sie. Es war Aurelie, die leise eingetreten war und die Freundin überraschte.

»Sie täuschte Dich nicht und Du erkennst meine Freude, sobald schon durch den Fürsten selbst zu einer bestimmten Erklärung veranlaßt worden zu sein. Wie sehr bangte mir vor diesem Augenblick; Gott sei Dank, daß er vorüber ist und ich die heilige Pflicht gegen den Freund erfüllt habe!« entgegnete Sidonie.

»Der Fürst hat also Deine Erklärung nicht mit Unwillen aufgenommen? Ich fürchtete das.«

»Im Gegentheil, sie hat ihn verletzt, wie ich trotz seiner Zurückhaltung bemerkte. Auch scheinen ihm manche andere Worte von mir nicht gefallen zu haben, da sie ihnauf seinen Irrthum aufmerksam machten,« bemerkte Sidonie gedankenvoll.

»Er schied doch nicht etwa im Zorn?« fragte Aurelie besorgt.

»Wenn ich auch dies nicht fürchte, so bin ich doch gewiß, daß die offene Weise, mit welcher ich ihn auf seinen Irrthum aufmerksam machte, seinen Unmuth erregte.«

»Das wäre übel; denn es däucht mir von hoher Wichtigkeit, Dir des Fürsten Freundschaft zu erhalten. Du weißt, er ist von dem größten Einfluß in Deiner Angelegenheit.«

»Ich weiß es und wünschte von Herzen, seine Worte hätten mich nicht zu mancher Bemerkung herausgefordert, die zu verschweigen in meiner Lage vortheilbringender gewesen wäre. Doch baue ich auf seine Einsicht und sein Gerechtigkeitsgefühl.«

»Möchte Dich Dein Vertrauen nicht täuschen!«

»So zweifelst Du daran?«

»Ich muß aufrichtig sein und dies bekennen. Mich macht die Ueberzeugung besorgt, daß, wenn der Fürst in die Trennung willigt, er auch bedacht sein wird, die Ehre des Prinzen so viel als möglich zu retten, vielleicht auf Deine Kosten. Er wird diese Angelegenheit lediglich als ein Staatsgeschäft behandeln und sich den möglichst größten Vortheil dabei zu sichern bedacht sein. Denn mit der Trennung wird auch sein Interesse für Dich ein Ende finden, da Du seinen Staatszwecken nicht mehr dienst,und so müssen wir auf mancherlei üble Erfahrungen vorbereitet sein.«

»Ich darf Dir nicht widersprechen; doch wenn dies auch sein muß, so glaube ich doch auch auf das Kommende vorbereitet genug zu sein, und die Aussicht, endlich aus diesen erniedrigenden Fesseln erlöst und dem so heiß ersehnten Glück zugeführt zu werden, wird mich kräftigen und meinen Muth erhalten. O schon jetzt, nachdem ich das entscheidende Wort gesprochen habe, fühle ich mich freier, glücklicher, und es ist mir, als hätten sich die Bande bereits gelockert, die meine Seele so lange niederhielten.«

»Ich glaube Dir, meine Gute, und freue mich von Herzen über Deinen Muth, den die Liebe nähren und erhalten wird,« entgegnete Aurelie, Sidonie umarmend.

»O, wenn diese Fesseln endlich fallen, wenn ich wieder frei bin wie einst, dann kehren wir dahin zurück, wo ich die reinsten und süßesten Stunden des Lebens genossen habe, dann darf mein Herz ohne Zwang die Sprache seiner Liebe sprechen, dann darf ich der Welt offen sagen, seht,dieserist der Mann meiner Neigung und Achtung, er, den die Welt verehrt und schätzt, wie er es verdient. O, nun der Schritt gethan ist, frage ich mich, warum ich mich damals zum Zaudern durch den Fürsten bestimmen lassen und es über mich gewinnen konnte, auch nur einen Tag länger die Qual des Bewußtseins zu tragen, diesem verächtlichen Manne zu gehören. Wie tief mag Römer dadurch verletzt worden sein, diese edle, feinfühlende Natur. Doch nun ist jaAlles gut, und mein Handeln wird den Geliebten wieder ganz mit mir aussöhnen; sein Herz ist ja eben so edel als gütig!«

In solcher Weise drückte Sidonie ihre überwallenden Empfindungen aus, wozu ihre Lage sie drängte, alsdann fertigte sie ein Schreiben an ihren Bruder, den Herzog, um ihn mit ihrem Entschluß bekannt zu machen und ihn zugleich zu ersuchen, sie, sobald der Prinz und Fürst in Trennung willigten, bei sich aufzunehmen, um daselbst die Erledigung der betreffenden Verhandlungen abzuwarten. Denn es drängte sie, einen Ort so schnell als möglich zu verlassen, in welchem sie dieselbe Luft mit dem Prinzen athmete und sie Alles an ihre Leiden erinnerte. Lag zwischen ihr und dem Hof erst die Ferne, dann durfte sie auch nicht mehr eine Rückkehr an denselben fürchten, dann ließ sie die entehrenden Fesseln zerbrochen zurück und tauchte mit kräftigen Schwingen in den Aether der Freiheit.

Seit diesem Augenblick erfüllte sie eine erhöhte Lebenskraft. Aus dem Jahre langen Dulden endlich zum entscheidenden Handeln heraus getreten, fühlte sie sich erhoben, wie das stets zu sein pflegt.

Auf ihren Wunsch theilte Aurelie dem Grafen sogleich das Nähere über ihre Rückreise so wie den an den Fürsten gestellten Antrag mit; er sollte sogleich erfahren, daß sie ihm ihr Wort gehalten hatte, und dieses Bewußtsein seine trauernde Seele mit neuer Hoffnung erfüllen.

Es darf kaum erwähnt werden, wie sehr Römer dadurch beglückt wurde, und dies um so mehr, da er trotz Sidoniens Versprechen dennoch fürchtete, sie würde trotzdes sie erfüllenden Muthes dennoch durch die sich ihr entgegen stellenden Hindernisse von diesem Schritt zurück geschreckt werden. Und auch selbst nachdem er die bedeutsamen Worte erhalten hatte, drängte sich mancher beunruhigende Zweifel über das Gelingen ihrer Absicht in seine Seele, und so konnte es nicht ausbleiben, daß sein Wesen die Sorge des Herzens verrieth. Diese wurde überdies noch durch das Bedauern erhöht, Sidonien in dieser so wichtigen Zeit nicht nahe sein zu können. Ihr Alleinsein beängstete ihn; denn er fürchtete, und mit Recht, den großen Einfluß des Fürsten und der Verhältnisse auf sie.

Sein Seelenzustand konnte seiner ihn so innig liebenden Mutter nicht verborgen bleiben, und in der Voraussetzung, daß derselbe durch die Trennung von Sidonien hervor gerufen worden war, entschloß sie sich, ihm die, wie sie wußte, heiß gewünschte Freiheit zum Wiedersehen der Prinzessin zu bieten. Um ihm jedoch ihre Absicht nicht zu verrathen, benutzte sie eine zufällig eintretende Unpäßlichkeit ihrer verheiratheten Tochter als Vorwand zu der Mittheilung, bei dieser eine längere Zeit verweilen zu wollen. So innig Römer seine Mutter auch liebte, kam ihm dieser Umstand doch sehr gelegen, indem dadurch die Befriedigung seines Verlangens ermöglicht werden konnte.

Am Abend vor der Trennung befanden sich Mutter und Sohn wie gewöhnlich allein bei einander und besprachen allerlei die Familie betreffenden Verhältnisse. Nachdem dieselben erledigt worden waren, ergriff die Gräfin nach kurzem Schweigen das Wort und bemerkte:

»Ich glaube mich in der Voraussetzung nicht zu täuschen, mein Sohn, daß Du während meiner Abwesenheit wahrscheinlich die Residenz besuchen wirst.« —

»Ich denke, es wird so sein,« entgegnete Römer zögernd und indem er erröthete.

»Zwischen Mutter und Sohn darf kein Geheimniß obwalten,« fuhr die Gräfin fort, indem sie seine Hand ergriff und ihn mild und freundlich anblickte; »darum wollen wir mit aller Aufrichtigkeit zu einander sprechen. Ich habe längst Deine tiefe Neigung für Prinzessin Sidonie bemerkt und brauche Dir nicht zu sagen, wie schmerzvoll ich im Hinblick auf die obwaltenden Verhältnisse dadurch betroffen worden bin. Du bringst dieser Liebe Dein ganzes schönes Leben zum Opfer. Du hast die Thränen nicht gesehen, welche ich darüber vergossen habe, und es soll auch hier nicht davon die Rede sein. Ich kenne Deinen Charakter zu gut, um nicht zu wissen, daß bei der Tiefe Deiner Neigung ein Uebertragen derselben auf ein anderes weibliches Wesen nicht möglich ist, und Du viel zu edel denkst, um ein Mädchen, ohne Liebe für sie zu fühlen, zu Deiner Gattin zu erwählen. Das Rechte und Gute anzuerkennen, selbst wenn wir auch dadurch betrübt werden, ist eine Pflicht der Vernunft, und ich unterdrücke darum den tiefen Schmerz, den ich im Hinblick auf alle diese traurigen Umstände fühle. Wer, wie ich, das Glück der Liebe in der ungetrübtesten Heiterkeit so viele Jahre genossen hat, fühlt es um so inniger, daß seinem eigenen geliebten Kinde ein so übles Loos zu Theil werden mußte.Warum konntest Du nicht gleich uns glücklich werden! Doch es scheint, daß auch in Bezug auf die Neigungen der Menschen zu einander ein besonderes Geschick obwaltet, dem wir nur selten zu entgehen vermögen, und so habe ich mich in den Gedanken zu finden gesucht, daß es nicht anders sein soll.«

Sie schwieg bewegt und ihr bekümmertes Auge feuchtete sich.

Römer drückte, nicht minder bewegt, seine Lippen auf ihre Hand.

Nach kurzer Pause fuhr die Gräfin fort:

»Du bist noch nicht alt, Bernhard, und dennoch sehe ich schon viele Silberfäden in Deinem Haar, ein Zeichen des tiefen, verschlossenen Kummers, den Du schon seit Jahren in Dir trägst. Denn wie das Glück den Menschen verjüngt, so altert der Kummer ihn rasch und vor der Zeit.« —

Und aus dem feuchten Auge drängte sich jetzt eine volle Thräne und rann langsam auf der blassen, feinen Wange nieder. Römer bemerkte dies nicht, denn er hielt das Haupt vor ihr geneigt.

Die Gräfin bemühte sich, ihre Rührung zu beherrschen, und nahm alsdann ihre Mittheilung wieder auf.

»Doch,« sprach sie, »ich sollte Dich nicht an Dinge erinnern, die Dich betrüben müssen, besonders in der Stunde vor der Trennung für längere Zeit; das Mutterherz hängt jedoch mit zu großer Liebe an dem Kinde, um die Zeichen seines frühen Verblühens in Schmerz undVereinsamung nicht zu beklagen; darum vergieb mir, mein Sohn!«

Des Grafen Bewegung war viel zu tief, um ein Wort hierauf erwidern zu können. Die Lippen seiner Mutter sprachen zum ersten Mal all' das Schmerzliche offen aus, was er bisher ertragen hatte und sich selbst nicht gestehen mochte. Aber ihre Liebe und Milde thaten ihm wohl, ihre Lippen entheiligten sein Geheimniß nicht, sondern verliehen demselben eine wohlthuende Bedeutung. Und mit vermehrtem Dankgefühl neigte sich auch jetzt sein Mund auf ihre Hand.

»Nicht wahr, mein theurer Sohn, ich hatte nicht Unrecht?« fragte sie.

Römer bejahte stumm.

»Sieh, Bernhard,« fuhr sie gesammelter fort, »ich würde Dein Unglück ruhiger ertragen, wenn mich nicht schon lange die Sorge bedrängte, es könnte Dir aus diesem Verhältniß irgend ein Unheil erwachsen. Wie Du mit der Prinzessin stehst, weiß ich nicht; doch bin ich überzeugt, daß Ihr niemals die Schranken übersehen habt, welche Euch trennen. Dazu kenne ich meinen Sohn und die Prinzessin zu wohl. Dennoch sah ich Dich stets nur mit Kummer an den Hof ziehen, vernahm mit vermehrter Unruhe Deinen näheren Umgang mit Sidonien und immer und immer quälte mich jene Besorgniß. Vielleicht gehe ich darin zu weit, vielleicht ist meine Angst durchaus unbegründet; denn was vermöchte man einem Schuldlosen vorzuwerfen? Und dennoch drängt es mich gerade vorunserer Trennung, Dich an das Alles zu erinnern und Dich durch mein Wort zu steter Vorsicht zu veranlassen. Ich weiß, wie es an des Fürsten Hof zugeht, weiß, daß der Glaube an Sittlichkeit daselbst längst keine Stätte mehr hat, und weiß überdies, daß uns weder unsere Unschuld noch unsere sittlichen Vorzüge vor der Verleumdung mit ihren übeln Folgen schützen. Man pflegt meistens nur das zu billigen, was man selbst anerkennt, und hält Andere nicht für besser, als man selbst ist, und diesen Grundsätzen huldigt vor Allem des Fürsten Hof. Habe ich Recht, mein Sohn?«

»O gewiß, gewiß!« fiel Römer ein.

»Da Du dies erkennst, so zweifle ich auch nicht, daß Du nach meinem Rath thun wirst, und das beruhigt mich. Auch weiß ich ja, daß Du besonnen genug bist, das Nahen etwaiger Gefahren zeitig genug zu erkennen, um Dich vor ihnen schützen zu können. Und so möge Dich der Himmel behüten und Dir alle jene Freuden gewähren, die Deine Ehre rechtfertigen kann, wenn sie auch Dein Herz unbefriedigt lassen!« Sie endete und küßte ihn bewegt wiederholt auf die Stirn.

Welches Herz verschlösse sich wol dem heiligsüßen Ton der Mutterliebe! Am wenigsten hätte dies bei Römer der Fall sein können, vielmehr wurde er von derselben so sehr angegriffen, daß er der Gräfin sein ganzes Herz öffnete, ihr seine Freuden, aber auch alle schmerzvollen Kämpfe und Sorgen mittheilte, und seine Worte mit der beglückenden Nachricht schloß, daß nun die Leiden bald ein Endeerreicht und seine Wünsche befriedigt werden würden. Die Gräfin erschrak in Folge dieser Mittheilung heftig. Die Trennung der Ehe, und namentlich fürstlicher Personen, erschien ihr überaus bedeutungsvoll, und um so mehr in diesem Fall, bei welchem ihr Sohn betheiligt war. Denn lag die Vermuthung nicht nahe, daß Sidonie dazu wahrscheinlich nicht nur durch des Prinzen Verhalten, sondern auch durch die Liebe zu ihrem Sohn veranlaßt worden war? — Gewiß. Dieser Umstand steigerte ihre Unruhe, die sie dem Sohn zu erkennen gab, worauf er entgegnete:

»Ich verhehle nicht, meine theure Mutter, daß Ihre Voraussetzung nicht ungegründet ist; doch bitte ich Sie auch, die Verhältnisse zu erwägen, unter welchen Sidonie schon seit Jahren gelitten hat, und versichere Sie, daß bei ihrem Entschluß ihre Ehre eben so maßgebend gewesen ist, als ihre Liebe.«

Und er war bedacht, ihr auseinander zu setzen, daß Sidonie sich nur durch eine Trennung von dem Prinzen zu retten vermochte, wollte sie ihr Leben nicht nutzlos einem übertriebenen Pflichtgefühl opfern. Er sprach mit der ganzen Wärme seiner Liebe und Ueberzeugung, und es konnte nicht ausbleiben, daß die Gräfin Sidoniens Schritt endlich billigte und zugleich mit ihrem Sohn die Freude mit empfand, welche sich an denselben für ihn knüpfte. Es war ihr der Gedanke so beglückend, diese Liebe endlich doch noch durch den ersehnten Verein belohnt und damit ihres geliebten Sohnes Leben verschönt zu sehen.

»So kann ich denn mit einer schönen Hoffnung vonDir scheiden, mein theurer Sohn. Ziehe denn dahin, wohin Dich eine heilige Pflicht ruft. Ich weiß, Du wirst dieser und Deiner Ehre gemäß handeln. Alles Weitere müssen wir vertrauend dem Himmel anheim geben, der Dich und die arme Prinzessin mit der erforderlichen Kraft stärken möge. Hoffentlich wirst Du mich dann bald durch die Nachricht von Deinem künftigen Glück erfreuen; ich werde ihr mit Ungeduld entgegen harren.«

Also sprach die edle Gräfin in freudiger Bewegung und schied dann von dem Sohne. Diese Unterredung war namentlich für sie in einer ganz andern Weise zu Ende geführt worden, als sie erwartet hatte; statt Kummer und Sorge begleitete sie nun Freude und Hoffen auf dem Wege zu ihrer Tochter.

Wenige Tage nach der Abreise seiner Mutter begab sich der Graf zu Sidonien, von der Gewißheit beglückt, ihr nun für längere Zeit nahe sein und mit seinem Rath bei der Erledigung der bekannten Angelegenheit beistehen zu können.


Back to IndexNext