IV

IV

Kaum hatte sich Rudin am folgenden Morgen angekleidet, so erschien bei ihm ein Diener von Darja Michailowna mit der Einladung, sich zu ihr ins Kabinett zum Tee zu bemühen. Rudin traf sie allein. Sie bewillkommnete ihn höchst freundlich, erkundigte sich, ob er die Nacht gut verbracht habe und schenkte ihm selbst eine Tasse Tee ein; sie fragte sogar, ob Zucker genug darin sei, bot ihm eine Zigarette an, und äußerte wieder ein paar Male, daß sie sich wundere, wie sie nicht früher mit ihm bekannt geworden sei. Rudin hatte etwas entfernt Platz genommen; Darja Michailowna aber wies auf einen Diwan, der neben ihrem Sessel stand, und begann, sich einwenig nach seiner Seite hinneigend, ihn über seine Verwandten, seine Pläne und seine Aussichten zu befragen. Darja Michailowna sprach leicht hingeworfen und hörte zerstreut zu; Rudin aber merkte sehr wohl, daß sie ihm zu gefallen suche, ja, ihm sogar schmeichele: Nicht umsonst hatte sie also dieses Morgenstelldichein vorbereitet, nicht umsonst ein einfaches aber graziöses Kleidà la madame Récamierangelegt! Übrigens hörte Darja Michailowna bald auf, ihn auszufragen: sie fing an, ihm von sich zu erzählen, von ihren Jugendjahren und den Personen, mit denen sie bekannt gewesen war. Rudin hörte teilnehmend ihrem Gerede zu, doch – sonderbar! – von wem Darja Michailowna auch sprechen mochte, ihre eigene Person stand stets im Vordergrunde und drängte jede andere zurück; dabei erfuhr Rudin umständlich, was Darja Michailowna namentlich zu dieser bekannten, hochgestellten Persönlichkeit geredet, welchen Einfluß sie auf jenen berühmten Dichter ausgeübt hatte. Den Bekenntnissen Darja Michailownas zufolge hätte man glauben können, daß alle Bedeutenden unter ihren Zeitgenossen einzig und allein nur danach getrachtet hätten, mit ihr bekannt zu werden, oder sich ihr Wohlwollen zu erwerben. Sie sprach von ihnen in einfacher Weise, ohne besonderes Entzücken oder Lobeserhebung, wie von ihr nahestehenden Personen; einige nannte sie sonderbare Käuze, immer aber reihten sich ihre Namen, wie bei einem kostbargefaßten Edelstein, in strahlendem Kranze um den einen Namen: Darja Michailowna.

Rudin hörte zu, rauchte seine Zigarette und schwieg; nur hin und wieder unterbrach er durch kurze Bemerkungen den Redeschwall der gnädigen Frau. Er verstand und liebte zu sprechen; eine Unterhaltung im Gange zu halten, war ihm nicht eigen, doch verstand er auch zuzuhören. Jeder, den er nicht gleich anfangs eingeschüchtert hatte, ließ sich in seiner Gegenwart zutraulich aus; so gefällig und ermunternd folgte der dem Faden der Erörterungen anderer. Er besaß viel Gutmütigkeit, viel von jener eigentümlichen Gutmütigkeit, welche Leuten eigen ist, die gewohnt sind, sich über andere erhaben zu fühlen. Im Wortstreit ließ er selten seinem Gegner das letzte Wort, sondern überwältigte ihn mit seiner ungestümen und leidenschaftlichen Dialektik.

Darja Michailowna sprach russisch. Sie prahlte mit der Kenntnis ihrer Muttersprache, obgleich bei ihr oft Gallizismen und französische Worte mit unterliefen. Absichtlich gebrauchte sie einfache, volkstümliche Ausdrucksweisen, doch nicht immer an dem rechten Orte. Rudins Ohr fand sich durch die buntscheckige Sprache in Darja Michailownas Munde nicht unangenehm berührt, wenn überhaupt er ein Ohr dafür hatte.

Diese hatte sich indes bald erschöpft, sie ließ den Kopf auf das Rückenkissen des Lehnstuhlszurücksinken, richtete den Blick auf Rudin und verstummte.

»Jetzt begreife ich,« begann langsam Rudin, »begreife ich es, weshalb Sie jeden Sommer aufs Land reisen. Sie bedürfen dieser Erholung; die ländliche Stille, nach dem Leben in der Hauptstadt, muß Sie erfrischen und stärken. Ich bin überzeugt, Sie müssen ein tiefes Gefühl für die Schönheiten der Natur haben.«

Darja Michailowna blickte Rudin von der Seite an.

»Die Natur … nun ja … ja, freilich … ich liebe sie außerordentlich; wissen Sie aber, Dmitri Nikolajitsch, selbst auf dem Lande lebt sich’s nicht ohne Menschen. Hier herum gibt’s aber keinen. Pigassow gilt hier als der Geistreichste.«

»Der mürrische Graukopf von gestern?« fragte Rudin.

»Nun ja, derselbe. Auf dem Lande übrigens nimmt man ihn schon mit – er heitert zuweilen auf.«

»Er hat Verstand,« erwiderte Rudin, »geht aber einen falschen Weg. Ich weiß nicht, ob Sie mir recht geben werden, Darja Michailowna, es liegt aber wirklich kein Segen in dem unbegrenzten und vollständigen Verneinen. Verneinen Sie alles, und man wird Sie möglicherweise für einen klugen Kopf halten: dieser Kunstgriff ist bekannt. Es werden viele in ihrer Einfalt sogleich bereit sein, den Schluß zu ziehen, Sie ständenhöher als das, was Sie verneinen. Das ist aber oftmals falsch. Erstens lassen sich in allem Flecken finden, zweitens, wenn Sie auch recht hätten, bleiben Sie im Nachteil: Ihr Geist, fortwährend und ausschließlich zur Verneinung gestimmt, verliert seine Kraft, er stumpft ab. Indem Sie Ihre Selbstliebe befriedigen, rauben Sie sich den wirklichen Genuß der Erkenntnis; das Leben – der innere Wert des Lebens – entschlüpft Ihrem kleinlichen und erbitterten Beobachtungsgeiste und Sie sinken zuletzt zu einem Zänker und Spaßmacher herab. Rügen, schelten darf nur, wer liebt.«

»Voilà Mr. Pigassoff enterré,« sagte Darja Michailowna. »Sie verstehen es aber meisterhaft, die Menschen zu schildern! Übrigens würde Pigassow Sie wahrscheinlich nicht einmal begriffen haben. Liebt er ja doch ausschließlich seine eigene Person.«

»Und er schilt dieselbe, um einen Vorwand zu haben, andere schelten zu dürfen,« fiel Rudin ein.

Darja Michailowna lachte.

»Ja, ja, wie das Sprichwort sagt: vom kranken Kopf auf den Gesunden! – A propos – was halten Sie von dem Baron?«

»Vom Baron? Er ist ein vortrefflicher Mensch, mit gutem Herzen und erfahren … aber ohne Charakter … er wird sein ganzes Leben ein halber Gelehrter, halber Weltmann, d. h. Dilettant bleiben, kurz gesagt, ein – Nichts … Es ist aber schade um ihn!«

»Das ist auch meine Ansicht,« erwiderte Darja Michailowna. »Ich habe seinen Aufsatz gelesen …Entre nous … cela a assez peu de fond.«

»Wen haben Sie sonst noch in der Nähe?« fragte nach einigem Schweigen Rudin.

Darja Michailowna strich mit dem kleinen Finger die Asche von ihrer Zigarette.

»Weiter gibt es wohl niemand. Die Lipin, Alexandra Pawlowna, die Sie gestern gesehen haben: sie ist allerliebst, und weiter nichts. Ihr Bruder – ebenfalls ein vortrefflicher Mensch,un parfait honnête homme. Den Fürsten Garin kennen Sie. Das sind sie alle. Es sind da noch zwei, drei Nachbarn, die sind aber ganz und gar unbedeutend. Entweder Wichtigtuer – mit ungeheuren Prätensionen oder menschenscheues, oft am unrichtigen Platze ungeniertes Volk. Mit den Damen gehe ich nicht um, wie Sie wissen. Wir haben wohl noch einen Nachbarn, einen sehr gebildeten, sogar gelehrten Mann, aber einen schrecklichen Sonderling, einen Schwärmer. Alexandrine kennt ihn und, wie es scheint, ist er ihr nicht gleichgültig … Sie sollten ihr wirklich Aufmerksamkeit schenken, Dmitri Nikolaitsch: das ist ein liebes Wesen; sie müßte nur etwas ausgebildet werden, ja sie muß es durchaus werden.«

»Sie ist sehr anziehend,« bemerkte Rudin.

»Ein wahres Kind, Dmitri Nikolaitsch, eine wahre Unschuld. Sie ist verheiratet gewesen,mais c’est tout comme… Wäre ich ein Mann, ich würde mich nur in solche Weiber verlieben.«

»Wirklich?«

»Gewiß! Dergleichen Frauen sind zum mindesten frisch und die Frische läßt sich nicht künstlich nachahmen.«

»Alles andere aber?« fragte Rudin mit Lachen, was selten bei ihm der Fall war. Wenn er lachte, nahm sein Gesicht einen eigentümlichen, fast greisenhaften Ausdruck an, die Augen zogen sich zusammen, er rümpfte die Nase …

»Wer ist denn aber jener Sonderling, wie Sie sagen, der Frau Lipin nicht gleichgültig wäre?« fragte er.

»Ein gewisser Leschnew, Michael Michailitsch, ein Gutsbesitzer aus dieser Gegend.«

Rudin erstaunte und erhob den Kopf.

»Leschnew, Michael Michailitsch?« fragte er, »ist der denn Ihr Nachbar?«

»Ja. Sie kennen ihn also?«

Rudin schwieg.

»Ich habe ihn vormals gekannt … es ist schon lange her. Er ist reich, wie man sagt?« fügte er hinzu, indem er an den Fransen des Lehnstuhles zupfte.

»Ja, reich ist er, kleidet sich jedoch abscheulich und fährt auf einer Reitdroschke gleich einem Dorfverwalter umher. Ich habe den Versuch gemacht, ihn in mein Haus zu ziehen; er soll Verstand haben; dann stehe ich auch gewissermaßenin Geschäftsverbindung mit ihm … Sie wissen doch, daß ich mein Gut selbst verwalte?«

Rudin nickte mit dem Kopfe.

»Ja, selbst,« fuhr Darja Michailowna fort, »ich führe nichts von den fremdländischen Albernheiten bei mir ein, halte mich an dem Meinigen, dem Russischen, und Sie sehen, die Sache geht, denke ich, nicht schlecht,« setzte sie hinzu, indem sie dabei mit der Hand einen Kreis durch die Luft beschrieb.

»Ich bin immer der Überzeugung gewesen,« bemerkte Rudin verbindlich, »daß diejenigen schreiendes Unrecht begehen, die den Frauen praktischen Sinn absprechen.«

Darja Michailowna lächelte.

»Sie sind sehr nachsichtig,« sagte sie, »aber was wollte ich Ihnen doch erzählen? Wovon sprachen wir denn? Ja! von Leschnew. Ich habe mit ihm über Landvermessung zu verhandeln. Mehrmals schon habe ich ihn zu mir eingeladen und erwarte ihn sogar heute; er kommt aber nie … ein wahrer Sonderling.«

Der Vorhang an der Tür wurde behutsam zurückgezogen und der Haushofmeister, ein hochgewachsener, grauer Mann mit einer Glatze, in schwarzem Frack, weißer Halsbinde und weißer Weste, trat ein.

»Was willst du?« fragte Darja Michailowna und setzte mit einer leichten Wendung zu Rudin halblaut hinzu: »n’est ce pas, comme il ressemble à Canning?«

»Michael Michailitsch Leschnew ist angekommen,« meldete der Mann, »befehlen Sie zu empfangen?«

»Ach, mein Gott!« rief Darja Michailowna, »er kommt wie gerufen. Bitte ihn her!«

Der Haushofmeister ging hinaus.

»Der sonderbare Mensch, da wäre er endlich, und doch nicht zur rechten Stunde; er unterbricht unser Gespräch.«

Rudin erhob sich von seinem Platze, Darja Michailowna hielt ihn aber zurück.

»Wohin wollen Sie denn? Das läßt sich auch in Ihrer Gegenwart besprechen, und dann wünsche ich, daß Sie mir sein Bild entwerfen, wie das von Pigassow. Wenn Sie reden,vous gravez comme avec un burin. Bleiben Sie?«

Rudin wollte etwas einwenden, überlegte ein wenig und blieb.

Michael Michailowitsch, dem Leser bereits bekannt, trat ins Kabinett. Er hatte denselben grauen Paletot an und hielt in den gebräunten Händen dieselbe alte Mütze. Er grüßte gelassen Darja Michailowna und trat an den Teetisch heran.

»Endlich sind Sie so gefällig gewesen, sich herzubemühen, Monsieur Leschnew!« sagte Darja Michailowna. »Ich bitte, nehmen Sie Platz. Sie sind miteinander bekannt, habe ich gehört,« fuhr sie fort, auf Rudin deutend.

Leschnew blickte Rudin an und lächelte dabei sonderbar.

»Ich kenne Herrn Rudin,« sagte er mit einer kurzen Verbeugung.

»Wir sind zusammen auf der Universität gewesen,« bemerkte Rudin halblaut und schlug den Blick zu Boden.

»Auch später sind wir miteinander zusammengetroffen,« sagte Leschnew kalt.

Darja Michailowna blickte beide mit einigem Befremden an und bat Leschnew, Platz zu nehmen. Er setzte sich.

»Sie hatten gewünscht, mich zu sehen,« begann er, »es betrifft die Vermessung?«

»Ja, die Vermessung, doch habe ich auch überhaupt Sie zu sehen gewünscht. Sind wir doch noch Nachbarn und auch wohl vielleicht verwandt miteinander.«

»Sehr verbunden,« erwiderte Leschnew, »was nun die Vermessung betrifft, so habe ich diese Angelegenheit bereits mit Ihrem Verwalter vollständig zum Abschluß gebracht: ich gehe auf alle seine Vorschläge ein.«

»Das wußte ich.«

»Nur«, sagt er mir, »könnten ohne vorherige persönliche Zusammenkunft mit Ihnen die Papiere nicht unterzeichnet werden.«

»Ja; so ist es nun einmal bei mir eingeführt. Darf ich wohl fragen, ob die Bauern bei Ihnen zinspflichtig sind?«

»So ist es.«

»Und Sie selbst haben die Vermessung in Anregung gebracht? Das ist lobenswert.«

Leschnew schwieg einen Augenblick.

»Da bin ich denn der persönlichen Zusammenkunft wegen hergekommen,« sagte er.

Darja Michailowna lächelte.

»Ich sehe, daß Sie gekommen sind. Sie sagen das in solch besonderem Tone … Gewiß hatten Sie sehr wenig Lust, zu mir zu kommen.«

»Ich besuche niemand,« erwiderte Leschnew phlegmatisch.

»Niemand? Sie besuchen aber doch Alexandra Pawlowna?«

»Ich bin ein alter Bekannter ihres Bruders.«

»Ihres Bruders! Übrigens, ich lege niemandem Zwang auf … Indessen, Sie werden vergeben, Michael Michailitsch, ich bin älter als Sie an Jahren und darf Sie ein wenig schelten: wie können Sie an einem so zurückgezogenen Leben Vergnügen finden? Oder ist esmeinHaus vielleicht, das Ihnen nicht gefällt? oder vielleicht gefalleichIhnen nicht?«

»Ich kenne Sie nicht, Darja Michailowna, und deshalb können Sie mir auch nicht mißfallen. Ihr Haus ist sehr schön; ich muß Ihnen aber offen gestehen, ich tue mir nicht gern Zwang an. Ich habe nicht einmal einen gehörigen Frack, keine Handschuhe; zudem passe ich auch nicht in Ihren Kreis.«

»Der Geburt, der Erziehung nach gehören Sie demselben an, Michael Michailitsch!vous êtes des nôtres.«

»Wir wollen Geburt und Erziehung beiseitelassen, Darja Michailowna! Nicht darauf kommt es an …«

»Der Mensch soll unter Menschen leben, Michael Michailitsch! Was hat man davon, wie Diogenes in der Tonne zu sitzen?«

»Erstens fühlte sich Diogenes sehr wohl dabei; zweitens, weshalb glauben Sie, daß ich nicht unter Menschen lebe?«

Darja Michailowna biß sich in die Lippen.

»Das ist eine andere Sache! Mir bleibt also nur zu bedauern, daß ich mich zu denen nicht zählen darf, die Sie Ihrer Bekanntschaft würdigen.«

»Monsieur Leschnew«, mischte sich Rudin ein, »treibt zu weit, wie mich dünkt, ein sonst sehr lobenswertes Gefühl – die Liebe zur Freiheit.«

Leschnew erwiderte nichts und blickte Rudin nur an. Ein kurzes Schweigen trat ein.

»Und somit«, sagte Leschnew, sich erhebend, »darf ich unsere Angelegenheit als erledigt betrachten und Ihren Verwalter bedeuten, daß er mir die Papiere zur Unterschrift zustelle?«

»Sie können es … obgleich Sie, ich gestehe es, so wenig liebenswürdig sind … daß ich es Ihnen abschlagen sollte.«

»Aber diese Vermessung bringt Ihnen ja mehr Vorteil als mir.«

Darja Michailowna zuckte die Achseln.

»Und Sie wollen nicht einmal das Frühstück bei mir einnehmen?« fragte sie.

»Danke Ihnen gehorsamst; ich frühstücke niemals, und dann muß ich auch bald nach Hause.«

Darja Michailowna erhob sich.

»Ich will Sie nicht aufhalten,« sagte sie, ans Fenster tretend, »ich darf Sie nicht aufhalten.«

Leschnew verabschiedete sich.

»Adieu, Monsieur Leschnew! Verzeihen Sie, daß ich Sie belästigt habe.«

»Oh, ich bitte, hat nichts zu sagen,« erwiderte Leschnew und ging hinaus.

»Wie gefällt er Ihnen?« fragte Darja Michailowna Rudin. »Ich hatte wohl von ihm gehört, er sei ein sonderbarer Mensch; dies übersteigt aber doch alles!«

»Er leidet an demselben Übel wie Pigassow,« erwiderte Rudin, »dem Verlangen, originell zu erscheinen. Jener spielt den Mephistopheles, dieser den Zyniker. In allem dem steckt viel Egoismus, viel Selbstsucht und wenig Wahrheit, wenig Liebe. Das ist ja auch eine Berechnung in ihrer Art: es bindet sich einer die Larve der Gleichgültigkeit und der Nachlässigkeit vor, da muß denn gleich, denkt er, ein jeder auf den Gedanken kommen, daß der Mensch auf unverantwortliche Weise sein Licht unter den Scheffel stellt! Aber näher betrachtet, ist gar kein Licht vorhanden!«

»Et de deux!« äußerte Darja Michailowna. »Sie sind furchtbar in der Charakterschilderung. Ihnen entgeht man nicht.«

»Glauben Sie?« sagte Rudin … »Übrigens,« fuhr er fort, »ich sollte eigentlich nicht von Leschnew sprechen: ich habe ihn geliebt, geliebt wie einen Freund … nachher aber, infolge verschiedener Mißverständnisse …«

»Haben Sie sich entzweit?«

»Das nicht. Wir haben uns getrennt, und, wie mir scheint, für immer getrennt.«

»Das war es! Darum war Ihnen auch während seines Hierseins, wie mir deuchte, nicht wohl zumute … Ich bin Ihnen aber doch sehr für den heutigen Morgen verbunden. Ich habe die Zeit überaus angenehm verbracht. Aber – alles mit Maß! Ich gebe Ihnen Urlaub bis zum Frühstück, und will jetzt auch selbst an meine Geschäfte gehen. Mein Sekretär, Sie haben ihn gesehen –Constantin, c’est lui qui est mon secrétaire– wartet gewiß schon auf mich. Ich empfehle Ihnen denselben: ein herrlicher, überaus dienstfertiger junger Mann und ganz entzückt von Ihnen. Auf Wiedersehen,cherDmitri Nikolaitsch. Wie bin ich dem Baron zu Dank verpflichtet, daß er mir Ihre Bekanntschaft verschafft hat!«

Und Darja Michailowna reichte Rudin die Hand. Er drückte sie zuerst, führte sie dann an die Lippen und begab sich in den Saal und von da auf die Terrasse, wo er Natalia traf.


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