Das dritte Capitel.

Fußnoten:[233]gedenken, denken an etwas.[234]im Pfenningwerth zehren, einzelne Gerichte verzehren, wobei der Wirth den Preis angibt, damals gebräuchlich, etwa wie jetztà la carteessen.[235]vor, zuvor.[236]aufreiben, vertilgen.[237]Chili, vielleicht durch die Größe der Einwohner bekannt, wie das angrenzende Patagonien.[238]Chica, vielleicht Chico, Stadt in Mexico.[239]Electuarium, Latwerge.[240]Theriak, Gegenmittel gegen (thierische) Gifte.[241]faeces, Hefen.[242]Kronzer, Grunzer, Schnorrer, Bettler.[243]sich betragen, sich behelfen.[244]freurt, friert (mhd.vriust).[245]ungeheißen(unaufgefordert), dreist, frech.

[233]gedenken, denken an etwas.

[233]gedenken, denken an etwas.

[234]im Pfenningwerth zehren, einzelne Gerichte verzehren, wobei der Wirth den Preis angibt, damals gebräuchlich, etwa wie jetztà la carteessen.

[234]im Pfenningwerth zehren, einzelne Gerichte verzehren, wobei der Wirth den Preis angibt, damals gebräuchlich, etwa wie jetztà la carteessen.

[235]vor, zuvor.

[235]vor, zuvor.

[236]aufreiben, vertilgen.

[236]aufreiben, vertilgen.

[237]Chili, vielleicht durch die Größe der Einwohner bekannt, wie das angrenzende Patagonien.

[237]Chili, vielleicht durch die Größe der Einwohner bekannt, wie das angrenzende Patagonien.

[238]Chica, vielleicht Chico, Stadt in Mexico.

[238]Chica, vielleicht Chico, Stadt in Mexico.

[239]Electuarium, Latwerge.

[239]Electuarium, Latwerge.

[240]Theriak, Gegenmittel gegen (thierische) Gifte.

[240]Theriak, Gegenmittel gegen (thierische) Gifte.

[241]faeces, Hefen.

[241]faeces, Hefen.

[242]Kronzer, Grunzer, Schnorrer, Bettler.

[242]Kronzer, Grunzer, Schnorrer, Bettler.

[243]sich betragen, sich behelfen.

[243]sich betragen, sich behelfen.

[244]freurt, friert (mhd.vriust).

[244]freurt, friert (mhd.vriust).

[245]ungeheißen(unaufgefordert), dreist, frech.

[245]ungeheißen(unaufgefordert), dreist, frech.

Ein lächerlicher Poß, der einem Zechbruder widerfahren.

Ein lächerlicher Poß, der einem Zechbruder widerfahren.

Ich muste mich verwundern und freuete mich, daß ich derjenigen unversehenen Zusammenkunft beiwohnen solte, von welchen ich in Simplicissimi Lebensbeschreibung so viel seltzams Dings gelesen, und von denen ich aus Anstalt der Courage selbst dergleichen geschrieben. Als sich ihre Wortwechslung geendigt und Simplicius ein Glas voll Wein heraus gehoben, das er dem Springinsfeld zum Willkomm zugetrunken hatte, da kam noch ein Gast herein, welchen ich der Kleidung und Jugend nach vor meines gleichen, das ist vor einen Schreiberknecht hielte. Er stellete sich an eben den Ort zum Stubenofen, wo ich zuvor und nach mir auch Springinsfeld gestanden, gleichsam als wann alle ankommende Gäste zuvor dorthin hätten stehen müssen, ehe sie sich hätten niedersetzen dörfen; und gleich hernach folgte ein überrheinischer Baur, der ohn Zweifel ein Rebmann[246]war; dieser ruckte vor jenem die Kappeund sagte: »Herr Schaffner, ich bitte, ihr wollet mir einen Reichsthaler geben, damit ich mein Kärst[247]aus der Schmieden lösen möge, alwo ich sie hab gerben[248]lassen.«

»Ach was zum Schinder ist das?« antwortet jener; »was machstu mit der Gerst in der Schmieden? Ich hab vermeinet, man gerbe sie in der Mühlen.«

»Meine Kärst! meine Kärst!« sagte der Baur.

»Ich hörs wol«, antwortet der Schaffner; »vermeinestu dann, ich sei taub? Mich wundert nur, was du damit in der Schmieden machst, sintemal man die Gersten in der Mühl zu gerben oder zu röllen[249]pflegt.«

»Ei, Herr Schaffner«, sagte der Baur, »ich sagte euch von keiner Gersten, sonder von meinem Kärsten, damit ich hacke.«

»Ja so«, antwortet der Schaffner, »das wäre ein anders«, und zählet damit dem Bäuerlein einen Thaler hin, den er auch gleich in seine Schreibtafel aufnotirte. Ich aber gedachte: Sollestu ein Schaffner über Rebleut sein und weist noch nichts von den Kärsten! Dann er befahl dem Bauren, daß er solche zu ihm bringen solte, um zu sehen, was es vor Creaturen wären, und was der Schmied daran gemacht hätte. Simplicius aber, der diesem Gespräch auch zugehöret, fieng an zu lachen, daß er hotzelte[250], welches auch das erste und letzte Gelächter war, das ich von ihm gehöret und gesehen, dann er verhielte sich sonst gar ernsthaftig und redete, ob zwar mit einer groben und mannlichen Stimme, viel lieblicher und freundlicher, als er aussahe, wiewol er auch mit den Worten gar gesparsam umgieng. Springinsfeld hingegen verlangte die Ursach solches Lachens zu hören, ließe auch nicht ab am Simplicio zu bitten, biß er endlich sagte, die vom Schaffner letztverstandene Wort des Bauren hätten ihn an einen Possen erinnert, den er auch wegen eines misverstandenen Worts in seiner unschuldigen Jugend, zwar wider seinen Willen, angestellet, wessentwegen er gleichwol ziemliche Stöße eingenommen.

»Ach, was war das?« fragte Springinsfeld.

»Es ist unnöthig«, antwortete Simplicius, »daß ich euch zu einer eitelen Thorheit reize, darvor ich das übermäßigeGelächter halte, ohne welches ihr aber die Histori nit anhören könnet, dann ich würde mich auf solchen Fall mit fremder Sünde beladen.«

Ich warf meine Karten mit unter und sagte: »Hat doch mein hochgeehrter Herr selbsten in seiner Lebensbeschreibung so manchen lächerlichen Schwank eingebracht; warum wolte er dann jetzt seinen alten Cameraden zu Gefallen ein einzige lächerliche Geschicht nicht erzählen?«

»Jenes thät ich«, antwortet Simplicius, »weil fast niemand mehr die Wahrheit gern bloß beschauet oder hören will, ihr ein Kleid anzuziehen, dardurch sie bei den Menschen angenehm verbliebe, und dasjenig gutwillig gehöret und angenommen würde, was ich hin und wider an der Menschen Sitten zu corrigiren bedacht war. Und gewißlich, mein Freund, er sei versichert, daß ich mir oft ein Gewissen drum mache, wann ich besorge, ich seie in eben derselben Beschreibung an etlichen Orten all zu frei gangen.«

Ich replicirt hinwider und sagte: »Das Lachen ist den Menschen angeborn, und hat solches nit allein vor allen andern Thieren zum Eigenthum, sonder es ist uns auch nutzlich, wie wir dann lesen, daß der lachende Democritus[251]in guter Gesundheit 109 Jahr alt worden, dahingegen der weinende Heraclitus[252]in frühem Alter eines elenden Tods und zwar in einer Kühhaut, darin er sich wicklen lassen, seine Glieder zu heilen, gestorben; dahero dann auch Seneca[253]in libro de tranquillitate vitæ, alwo er dieser beiden Philosophen gedenkt, vermahnet, daß man mehr dem Democrito als dem Heraclito nachfolgen soll.«

Simplicius antwortet: »Das Weinen gehöret dem Menschen so wol als das Lachen eigentlich zu, aber gleichwol allzeit zu lachen oder allzeit zu weinen, wie diese beide Männer gethan, wäre eine Thorheit; dann alles hat seine Zeit. Gleichwol aber ist das Weinen dem Menschen mehr als das Lachen angeboren, dann nicht allein alle Menschen, wann sie auf die Welt kommen, weinen (man hat nur das einige Exempel desKönigs Zoroastris[254], der, wie er geborn, alsbald gelacht, so zwar von Nerone[255]auch gesagt wird), sonder es hat der Herr Christus unser Seligmacher selbst etlichmal geweinet; aber daß er jemals gelacht, wird in H. Schrift nirgends gefunden, sonder hat vielmehr gesagt: Selig seind, die weinen und Leid tragen, dann sie werden getröst werden! Seneca, als ein Heid, mag das Lachen dem Weinen wol vorziehen; wir Christen aber haben mehr Ursach, über die Bosheit der Menschen zu weinen als über ihre Thorheit zu lachen, weil wir wissen, daß auf die Sünde der Lachenden ein ewiges Heulen und Wehklagen folgen wird.«

»Bei mein Eid«, sagte hierauf Springinsfeld, »wann ich nit glaube, du seiest ein Pfaff worden!«

»Du grober Gesell«, antwortet ihm Simplicius, »wie darfst du das Herz haben, so leichtfertig vor ein Ding zu schwören, wann du mit deinen eignen Augen das Widerspiel sihest? Weist du auch wol, was ein Eid ist?«

Springinsfeld muste sich ein wenig schämen und bat um Verzeihung; dann Simplici Mienen waren so ernsthaft und bedrohenlich, daß er einen jeden damit erschröcken konte. Ich aber sagte zu demselbigen: »Weil meines hochgeehrten Herrn Reden und Schriften voller Sittenlehren stecken, so muß ohne Zweifel diejenige Geschichte, deren er sich mit einem so herzlichem Gelächter erinnert, beides lustig zu hören und etwas Nutzlichs daraus zu lernen sein«, mit Bitte, er wolte sie doch ohnbeschwert erzählen.

»Nichts anders«, antwortet Simplicius, »lernet[256]sie, als daß einer, so jemand etwas Nöthiges fragt, solche Sprach und Wort gebrauchen soll, daß sie der, so gefragt wird, geschwind verstehe und in der Eil einen richtigen Bescheid darüber geben könne; sodann, daß einer, der gefragt worden, die Frag aber nicht eigentlich und gewiß verstanden, nit alsobald antworten, sonder von dem Fragenden, vornehmlich wann er von höherer Qualität ist, noch einmal seine Frag zu vernehmen gebührend begehren soll. Die lächerliche Histori ist diese. Als ich noch Page beim Gouverneur in Hanau war, da hatte er einsmalsansehenliche Officier zu Gaste, darunter sich auch etliche Weimarische befanden, denen er mit dem Trunk trefflich zusprechen ließe. Die Fremde und Heimische waren gleichsam in zwo Parteien unterschieden, einander wie in einer Battalia mit Saufen zu überwinden. Das Frauenzimmer stund auf und verfügte sich in sein Gemach, gleich nachdem man das Confect aufgestellt, weil ihnen mitzugehen die Gewohnheit verbote; die Cavalier aber sprachen einander so scharf zu, sich stehend vollends aufzufüllen, daß sich auch etliche mit dem Rucken an die Stubthür lehneten, damit ja keiner aus dieser Schlacht entrunne, welches mich an diejenige Marter ermahnet, darmit Tiberius[257], der römische Kaiser, viel Leut getödtet; dann wann er solche umbringen lassen wolte, ließe er sie zuvor zu vielem Trinken nöthigen, ihnen hernach dies. h.Harngäng dermaßen vernußbicklen[258], daß sie den Urin nicht lassen könten, sonder endlich mit unaussprechlichen Schmerzen sterben musten. Endlich entwischte einer, der damal kein größer Anliegen und Begierde hatte, als das Wasser zu lassen, und weil es ihn ohn Zweifel gewaltig drängte, liefe er wie ein Hund aus der Kuchen, der mit heißem Wasser gebrühet worden, in welcher Eil er mir zu seinem und meinem Unglück begegnete, fragende: «Kleiner, wo ist das Secret?»

»Ich wuste damal weniger als der Teutsche Michel[259], was ein Secret war, sonder vermeinte, er fragte nach unserer Beschließerin, welche wir Gret nanten, die sonst aber Margaretha hieße und sich eben damals beim Frauenzimmer befand, dahin sie die Jungfer rufen lassen. Ich zeigte ihm hinten am Gang das Gemach und sagte: ›Dort drinnen.‹«

»Darauf rennete er darauf los, wie einer, der mit eingelegter Lanzen in einem Turnier seinem Mann begegnet. Er war so fertig, daß das Thüraufmachen, das Hineintreten und der Anbruch des strengen Wasserflusses in einem Augenblick miteinander geschahe in Ansehung und Gegenwart des ganzen Frauenzimmers. Was nun beide Theil gedacht und wie sie allerseits erschrocken, mag jeder bei sich selbst erachten. Ich kriegte Stöße, weil ich die Ohren nit besser aufgethan; der Officier aber hatte Spott darvon, daß er nicht anders mit mir geredet.«

Fußnoten:[246]Rebmann, Weinbauer.[247]Kärst, zweizinkige Hacke, besonders zum Gebrauch in den Weinbergen.[248]gerben, gar, fertig machen, speciell von Hülsenfrüchten: entkörnen, also doppelsinnig.[249]röllen, durch Rollen enthülsen.[250]hotzeln(schaukeln, wiegen), sich schütteln.[251]Demokritosvon Abdera zwischen 470 und 360 v. Chr. Das Hauptziel der Erkenntniß ist ihm die Gemüthsruhe. Daher die Sage, die ihn den lachenden nennt (γελασῖνος).[252]Heraklitosaus Ephesus, 500 v. Chr., wegen der ernsten Richtung seiner Philosophie dem Demokritos entgegengesetzt.[253]L. Ann. Seneca, de tranquillitateanimi, cap. 15: Democritum potius imitemur quam Heraclitum.[254]Zoroastris, nach Plinius,hist. natur. VII, 15, fin.[255]Nero.Grimmelshausen's Quelle? Plinius weiß nichts davon; er sagt in angeführter Stelle:risisse —unumhominem accepimus.[256]lernen, lehren, wie gewöhnlich bei Grimmelshausen.[257]Tiberius Nero, Suet.,Tiber. cap. 62, hatte diese Marter erfunden,ut larga meri potione oneratos repente veretrisdeligatisfidiculorum simul et urinae tormento distenderet.[258]vernußbicklenheißt demnach: fest unterbinden.[259]Gemeint ist der »T. Michel« in Grimmelshausen's Schrift dieses Namens.

[246]Rebmann, Weinbauer.

[246]Rebmann, Weinbauer.

[247]Kärst, zweizinkige Hacke, besonders zum Gebrauch in den Weinbergen.

[247]Kärst, zweizinkige Hacke, besonders zum Gebrauch in den Weinbergen.

[248]gerben, gar, fertig machen, speciell von Hülsenfrüchten: entkörnen, also doppelsinnig.

[248]gerben, gar, fertig machen, speciell von Hülsenfrüchten: entkörnen, also doppelsinnig.

[249]röllen, durch Rollen enthülsen.

[249]röllen, durch Rollen enthülsen.

[250]hotzeln(schaukeln, wiegen), sich schütteln.

[250]hotzeln(schaukeln, wiegen), sich schütteln.

[251]Demokritosvon Abdera zwischen 470 und 360 v. Chr. Das Hauptziel der Erkenntniß ist ihm die Gemüthsruhe. Daher die Sage, die ihn den lachenden nennt (γελασῖνος).

[251]Demokritosvon Abdera zwischen 470 und 360 v. Chr. Das Hauptziel der Erkenntniß ist ihm die Gemüthsruhe. Daher die Sage, die ihn den lachenden nennt (γελασῖνος).

[252]Heraklitosaus Ephesus, 500 v. Chr., wegen der ernsten Richtung seiner Philosophie dem Demokritos entgegengesetzt.

[252]Heraklitosaus Ephesus, 500 v. Chr., wegen der ernsten Richtung seiner Philosophie dem Demokritos entgegengesetzt.

[253]L. Ann. Seneca, de tranquillitateanimi, cap. 15: Democritum potius imitemur quam Heraclitum.

[253]L. Ann. Seneca, de tranquillitateanimi, cap. 15: Democritum potius imitemur quam Heraclitum.

[254]Zoroastris, nach Plinius,hist. natur. VII, 15, fin.

[254]Zoroastris, nach Plinius,hist. natur. VII, 15, fin.

[255]Nero.Grimmelshausen's Quelle? Plinius weiß nichts davon; er sagt in angeführter Stelle:risisse —unumhominem accepimus.

[255]Nero.Grimmelshausen's Quelle? Plinius weiß nichts davon; er sagt in angeführter Stelle:risisse —unumhominem accepimus.

[256]lernen, lehren, wie gewöhnlich bei Grimmelshausen.

[256]lernen, lehren, wie gewöhnlich bei Grimmelshausen.

[257]Tiberius Nero, Suet.,Tiber. cap. 62, hatte diese Marter erfunden,ut larga meri potione oneratos repente veretrisdeligatisfidiculorum simul et urinae tormento distenderet.

[257]Tiberius Nero, Suet.,Tiber. cap. 62, hatte diese Marter erfunden,ut larga meri potione oneratos repente veretrisdeligatisfidiculorum simul et urinae tormento distenderet.

[258]vernußbicklenheißt demnach: fest unterbinden.

[258]vernußbicklenheißt demnach: fest unterbinden.

[259]Gemeint ist der »T. Michel« in Grimmelshausen's Schrift dieses Namens.

[259]Gemeint ist der »T. Michel« in Grimmelshausen's Schrift dieses Namens.

Der Autor geräth unter einen Haufen Zigeuner und erzählet den Aufzug der Courage.

Der Autor geräth unter einen Haufen Zigeuner und erzählet den Aufzug der Courage.

Ich sagte zum Simplicio, es wäre schad, daß er diese Histori nicht auch in seine Lebensbeschreibung eingebracht hätte; er aber antwortet mir, wann er alle seine so beschaffne Begegnussen hinein bringen hätte sollen, so wäre sein Buch größer worden als des Stumpfen Schweizerchronik[260]; überdas reue ihn, daß er so viel lächerlich Ding hinein gesetzt, weil er sehe, daß es mehr gebraucht werde, anstatt des Eulnspiegels die Zeit dardurch zu verderben, als etwas Guts daraus zu lernen. Darauf fragte er mich, was ich selbst von seinem Buche hielte, und ob ich dardurch geärgert oder gebessert worden wäre. Ich antwortet, mein Judicium wäre viel zu gering, entweder dasselbige zu schelten oder zu loben; und ob ich gleich nit wider das Buch, sonder ihn, Simplicissimum, selbsten schreiben müssen, dabei auch des Springinsfelds nicht zum rühmlichsten gedacht worden, so hätte ich doch das Buch weder gelobt noch getadelt, sonder damals gelernet, daß derjenig, so übermannet sei, sich nach derjenigen Willen und Anmuthung schicken müste, in deren Gewalt er sich befände. Als ich dieses gesagt und meiner Muttersprach nach ziemlich schweizerisch geredet, welche Mundart andere Teutsche vor grob, ja zum Theil gar vor hoffärtig und unhöflich zu halten pflegen, Springinsfeld aber solches mit angehöret, als welcher die Ohren wie ein alter Wolf spitzte, da ich ihn nennete, sagte er: »Potz grütz, du Gölschnabel! hätt ich di dußa, i wottar da garint[261]rüra!«

Aber Simplicius antwortet ihm: »Ich hätte schier gesagt: du alter Geck, es ist nit mehr um die Zeit, die wir zu Soest belebten[262]und unserm Muthwillen nach gleichsam über dasganze Land herrschten. Du must jetzt mit deiner Stelzen nach einer andern Pfeifen tanzen, oder gewärtig sein, wann du es zu grob machst, daß man dir einen steinernen oder wol gar einen spanischen Mantel[263]anlegt. In dieser freien Stadt stehet jedem zwar auch frei, zu reden was er will; wer aber über die Schnur hauet, der muß es auch verantworten oder büßen.«

Mich hingegen fragte Simplicius, wer oder was mich dann gemüßiget hätte, wider seine Person zu schreiben; und sonderlich verwundere ihn, daß auch neben ihm des Springinsfelds gedacht werden müssen, neben welchem er doch die Tage seines Lebens über drei Vierteljahr nicht zugebracht. Ich antwortet: »Wann ihm mein hochgeehrter Herr, wie ich mich dann keines andern versehe, die Wahrheit gefallen lassen und mir, was ich gethan, verzeihen, zumalen auch vor diesem importunen Springinsfeld, dessen Humor und ohngewichtiger Sinn mir vorlängst andictirt worden, versichern will, so will ich ihnen beeden so wunderliche Geschichten von ihnen selbsten erzählen, daß sie sich auch beede selbst darüber verwundern sollen, mit Versicherung, wann ich meinen hochgeehrten Herren von solchen löbl. Qualitäten beschaffen zu sein gewust hätte, als ich jetzunder vor Augen sehe, daß ich seinetwegen keine Feder angesetzt haben wolte, und solten mir gleich die Zigeuner den Hals zerbrochen haben.«

Ob nun gleich Simplicius ein groß Verlangen hatte, zu hören, was ich vorbringen würde, so sagte er doch zuvor: »Mein Freund, es wäre ein dumme Unbesonnenheit, ja wider alle Gerechtigkeit und die Darstellung eines tyrannischen Sinns, wann wir einander[264]strafen wolten um Sachen, die wir selbst begangen. Hat er in seinem Schreiben meine Laster gerüttelt, so übertrage ichs billich mit Geduld, dann ich habe andern die ihrige, doch, daß es ihnen an ihren Ehren nicht nachtheilig sein kan, unter fremden Namen, auch rechtschaffen durchgehechelt. Verdreust es diejenige, so ich getroffen, warum haben sie dann nicht tugendlicher gelebt, oder warum haben sie mir Ursach gegeben, solche Laster und Thorheiten zu tadlen, die mir, ehe ich sie gesehen, in meiner Unschuld ganz unbekant gewesen? Ererzähle nur her; ich versprich und versichere alles, was er von mir begehrt und gebeten.« Ich antwortet: »Ich möchte gleich reden oder schweigen, so würde doch bald weltkündig werden, was ich zu schreiben mich zwingen lassen müssen.«

Darauf wandt ich mich gegen dem Springinsfeld und fragte ihn, ob er in Italia nit eine Matresse gehabt, die Courage genant worden. Er antwortet: »Ach die Bluthex! Schlag sie der Donner! Lebt das Teufelsviehe noch? Es ist kein leichtfertigere Bestia seit Erschaffung der Welt von der lieben Sonnen niemal beschienen worden!« »Ei, ei«, sagte Simplicius zu ihm, »was seind das abermal vor leichtfertige unbesonnene Wort?« Zu mir aber sprach er: »Ich bitte, er fahre doch nur fort, oder er fahe doch vielmehr an zu erzählen, was ich so herzlich zu hören verlange.«

Ich antwortet: »Mein hochgeehrter Herr wird sich bald müd gehört haben, dann dieses ist eben diejenige, deren er im sechsten Capitul des fünften Buchs seiner Lebensbeschreibung selbst gedacht hat.«

»Es gilt gleich«, antwortet Simplicius, »er sage nur, was er von ihr weiß, und schone meiner auch nit!«

Auf solches erzählete ich folgender Gestalt, was Simplicius wissen wolte.

»Gleich auf nächstverstrichnem Herbst, da es, wie bekant, einen ausbündigen Nachsommer setzte, war ich auf dem Weg begriffen, mich aus meinem Vatterland gegen dem Rheinstrom, und zwar auf hieher zu begeben, entweder als ein armer Schüler Präceptorsweis, wie es hier gebräuchlich, meine Studien fortzusetzen, oder auf Recommendation meiner Verwandten, von denen ich zu solchem Ende Schreiben bei mir hatte, einen Schreiberdienst zu bekommen. Da ich nun auf der Höhe des Schwarzwaldes von Krummenschiltach[265]hieherwarts wanderte, sahe ich von weitem einen großen Haufen Lumpengesindel gegen mir avanzirn, welches ich im ersten Anblick vor Zigeuner erkennete, mich auch nicht betrogen fande; und weil ich ihnen nit trauete, verbarg ich mich in eine Hecke, da sie zum allerdicksten war. Aber weil diese Bursch viel Hunde, so wol Stäuber[266]als Winde bei sich hatten, spürten mich dieselbige gleich, umstellten mich und schlugen an, als wann ein StückWildbret vorhanden gewest wäre.« »Das höreten ihre Herren alsobalden und eileten mit ihren Büchsen oder langen Schnaphahnen-Röhren auf mich zu. Einer stellte sich hieher, der ander dorthin, wie auf einem Gejaid[267], da man dem bestäten[268]und aufgetriebenen Wild aufpasset. Als ich nun solche meine Gefahr vor Augen sahe, zumalen die Hunde auch allbereit an mir zu zwacken anfiengen, da fieng ich auch an zu schreien, als wann man mir allbereit das Weidmesser an die Gurgel gesetzt hätte; hierauf liefen beides Männer, Weiber, Knaben und Mägdlein herzu und stellten sich so werklich[269], daß ich nicht schließen konte, ob mich das garstige Volk umbringen oder von den Hunden erretten wolte. Ja ich bildete mir vor Forcht ein, sie ermordeten die Leute, die sie dergestalt wie mich an einsamen Orten betreten, und zehrten sie hernach selbst auf, damit ihre Todtschläge verborgen blieben. Es gab mich auch wie noch[270]Wunder, und ich verfluchte das Zusehen derjenigen, denen das Wild und die jagdbare Gerechtigkeiten zuständig, daß sie ihre Länder mit bei sich habenden Hunden und Gewehr von diesem beschreiten Diebsgesindel also durchstreichen lassen!«

»Da ich mich nun solchermaßen zwischen ihnen befande wie ein armer Sünder, den man jetzt aufknüpfen will, so daß er selbst nicht weiß, ob er noch lebendig oder bereits halb todt seie, sihe, da kam ein prächtige Zigeunerin auf einem Maulesel daher geritten, dergleichen ich mein Tage nicht gesehen, noch von einer solchen gehöret hatte, wessentwegen ich sie dann, wo nicht gar vor die Königin, doch wenigst vor eine vornehme Fürstin aller anderer Zigeunerinnen halten muste. Sie schiene eine Person von ungefähr sechzig Jahren zu sein, aber wie ich seithero nachgerechnet, so ist sie ein Jahr oder sechs älter. Sie hatte nicht so gar wie die andere ein pechschwarzes Haar, sonder etwas falb, und dasselbe mit einer Schnur von Gold und Edelgesteinen wie mit einer Kron zusammen gefaßt, an dessen Statt andere Zigeunerinn nur einen schlechten Bendel oder, wans wol abgehet, einen Flor oder Schleier oder auch wol gar nur eine Weide zu brauchen pflegen. In ihrem annoch frischem Angesicht sahe man, daß sie in ihrer Jugendnicht häßlich gewesen. In den Ohren trug sie ein Paar Gehenk von Gold und geschmelzter Arbeit[271], mit Diamanten besetzt, und um den Hals eine Schnur voll Zahlperlen[272], deren sich keine Fürstin hätte schämen dörfen. Ihre Serge[273]war von keinem groben Teppich, sonder von Scharlach und durchaus mit grünem Plüsch-Samet gefüttert; nebenher aber, wie ihr Rock, der von kostbarem grünem englischen Tuch war, mit silbernen Passamenten verbrämt. Sie hatte weder Brust noch Wams an, aber wol ein Paar lustiger[274]polnischer Stiefel; ihr Hemd war schneeweiß, von reinem Auracher Leinwat[275], überall um die Näthe mit schwarzer Seiden auf die böhmische Manier ausgenähet, woraus sie hervor schiene wie eine Heidelbeer in einer Milch. So trug sie auch ihr langes Zigeunermesser nicht verborgen unterm Rock, sondern offentlich, weil sichs seiner Schöne wegen wol damit prangen ließe; und wann ich die Wahrheit bekennen soll, so bedunkt mich noch, der alten Schachtel seie dieser Habit sonderlich zu Esel (hätte schier: zu Pferd, gesagt) überaus wol angestanden, wie ich sie dann auch noch biß auf diese Stund in meiner Einbildung sehen kann, wann ich will.«

Fußnoten:[260]Johann Stumpf, geb. 1500, gest. 1566 zu Zürich. Seine Schweizer Chronik, 1548, ist ein umfangreicher Foliant.[261]garind, grind, Kopf.[262]belebten, verlebten.[263]spanischer Mantel, ein schwerer Zuber mit einem Loch im Boden, den der Delinquent tragen mußte; mit einemsteinernen Mantelist das Gefängniß gemeint.[264]Die ersten Drucke haben »von andern«.[265]Krumm-Schiltach, Baden, Oberrheinkreis.[266]Stäuber, Stöber, Spürhund;Wind, Windhund.[267]Gejaid, Jagd.[268]bestäten, bestätigen, das Vorhandensein eines Wildes an einem bestimmten Orte, den die Hunde anzeigen, feststellen.[269]werklich, spaßhaft, wunderlich.[270]wie noch, wie jetzt noch.[271]Geschmelzte Arbeit, Schmelz, Email.[272]Zahlperlen, die größten, die nicht nach dem Gewicht, sondern nach der Zahl verkauft werden.[273]Serge, deutsch Sarsche, leichtes Tuch.[274]lustig, reizend, hübsch.[275]Aurach, Urach, Würtemberg, Schwarzwaldkreis, hatte schon damals bedeutende Leinenindustrie.

[260]Johann Stumpf, geb. 1500, gest. 1566 zu Zürich. Seine Schweizer Chronik, 1548, ist ein umfangreicher Foliant.

[260]Johann Stumpf, geb. 1500, gest. 1566 zu Zürich. Seine Schweizer Chronik, 1548, ist ein umfangreicher Foliant.

[261]garind, grind, Kopf.

[261]garind, grind, Kopf.

[262]belebten, verlebten.

[262]belebten, verlebten.

[263]spanischer Mantel, ein schwerer Zuber mit einem Loch im Boden, den der Delinquent tragen mußte; mit einemsteinernen Mantelist das Gefängniß gemeint.

[263]spanischer Mantel, ein schwerer Zuber mit einem Loch im Boden, den der Delinquent tragen mußte; mit einemsteinernen Mantelist das Gefängniß gemeint.

[264]Die ersten Drucke haben »von andern«.

[264]Die ersten Drucke haben »von andern«.

[265]Krumm-Schiltach, Baden, Oberrheinkreis.

[265]Krumm-Schiltach, Baden, Oberrheinkreis.

[266]Stäuber, Stöber, Spürhund;Wind, Windhund.

[266]Stäuber, Stöber, Spürhund;Wind, Windhund.

[267]Gejaid, Jagd.

[267]Gejaid, Jagd.

[268]bestäten, bestätigen, das Vorhandensein eines Wildes an einem bestimmten Orte, den die Hunde anzeigen, feststellen.

[268]bestäten, bestätigen, das Vorhandensein eines Wildes an einem bestimmten Orte, den die Hunde anzeigen, feststellen.

[269]werklich, spaßhaft, wunderlich.

[269]werklich, spaßhaft, wunderlich.

[270]wie noch, wie jetzt noch.

[270]wie noch, wie jetzt noch.

[271]Geschmelzte Arbeit, Schmelz, Email.

[271]Geschmelzte Arbeit, Schmelz, Email.

[272]Zahlperlen, die größten, die nicht nach dem Gewicht, sondern nach der Zahl verkauft werden.

[272]Zahlperlen, die größten, die nicht nach dem Gewicht, sondern nach der Zahl verkauft werden.

[273]Serge, deutsch Sarsche, leichtes Tuch.

[273]Serge, deutsch Sarsche, leichtes Tuch.

[274]lustig, reizend, hübsch.

[274]lustig, reizend, hübsch.

[275]Aurach, Urach, Würtemberg, Schwarzwaldkreis, hatte schon damals bedeutende Leinenindustrie.

[275]Aurach, Urach, Würtemberg, Schwarzwaldkreis, hatte schon damals bedeutende Leinenindustrie.

Wo Courage dem Autor ihre Lebensbeschreibung dictirt.

Wo Courage dem Autor ihre Lebensbeschreibung dictirt.

»Nun diese tolle[276]Zigeunerin, welche von den andern eine gnädige Frau genannt, von mir aber vor ein Ebenbild der Dame von Babylon gehalten wurde, wann sie nur auf einem siebenköpfigen Drachen gesessen und ein wenig schöner gewesen wäre, sagte zu mir: «Ach, mein schöner weißer junger Gesell, was machstu hier so gar allein und so weit von den Leuten?»

»Ich antwortet: ›Mein großmächtige, hochgeehrte Frau, ich komm von Haus aus dem Schweizerlande und bin Willens an den Rheinstrom in eine Stadt zu reisen, entweder daselbst ein mehrers zu studieren, oder einen Dienst zu bekommen, dann ich bin ein armer Schuler.‹«

»›Daß dich Gott behüet, mein Kind», fragte sie, «woltestu mir nicht ein Tag oder vierzehen mit deiner Feder dienen und etwas schreiba? Ich wolte dir alle Tag ein Reichsthaler geben.‹«

»Ich gedachte: Alle Tag ein Thaler wäre nicht zu verachten; wer weiß aber, was du schreiben solst! So großes Anerbieten ist vor suspect zu halten. Und wann sie nicht selbst gesagt hätte, daß mich Gott behüten solte, so hätte ich vermeinet, es wäre ein Teufelsgespenst gewesen, das mich durch solches Geld verblenden und in die leidige Congregation der Hexenzunft hätt einverleiben wollen. Mein Antwort war: Wann es mir nichts schadet, so will ich der Frauen schreiben, was sie begehrt.«

»›Ai wol nai, main Kind», sagte sie hierauf; «es wird dir gar nichts schaden, behüt Gott! Komm nur mit uns; ich will dir darneben auch Essen und Trinken geben, so gut ichs hab, biß du fertig sein wirst.‹«

»Weil dann mein Magen eben so leer von Speisen, als der Beutel öd von Geld, zumalen ich bei diesem Diebsgeschmeiß wie ein Gefangner war, sihe, so schlendert ich mit dahin und zwar in einem dicken Wald, da wir die erste Nacht logirten, allwo sich allbereit etliche Kerl befanden, die einen schönen Hirsch zerlegten. Da gieng es nun an ein Feuermachens, Siedens und Bratens, und soviel ich sahe, auch hernach vollkommen versichert wurde, so hat die Frau Libuschka, dann also nennete sich meine Zigeunerin, alles zu commandirn. Dieser wurde ein Zelt von weißem Barchet aufgeschlagen, welches sie auf ihrem Maulesel unterm Sattel führet; sie aber führte mich etwas beiseits, setzte sich unter einen Baum, hieße mich zu ihr sitzen und zog des Simplicissimi Lebensbeschreibung hervor.«

»›Seht da, mein Freund», sagte sie, «dieser Kerl, von dem diß Buch handelt, hat mir ehemalen den grösten Schabernack angethan, der mir die Tage meines Lebens jemal widerfahren, welches mich dergestalt schmirzt, daß mir unmüglich fällt, ihm seine Buberei ungerochen hingehen zu lassen; dann nachdem er meiner gutwilligen Freundlichkeit genug genossen, hat sich der undankbare Vogel (mein hochgeehrter Herr verzeihe mir, daß ich ihr eigne Wort brauche!) nicht gescheut, nicht allein mich zu verlassen und durch einen zuvor nie erhörten schlimmen Possen abzulassen, sonder er hat sich auch nicht geschämet,alle solche Handlungen, die zwischen mir und ihm vorgangen, beides mir und ihm zu ewiger Schand der ganzen Welt durch den offentlichen Druck zu offenbaren. Zwar hab ich ihm seine erste an mir begangene Leichtfertigkeit bereits stattlich eingetränkt; dann als ich vernommen, daß sich der schlimme Gast verheurathet, hab ich ein Jungferkindchen, welches meine Kammermagd eben damals aufgelesen, als er im Sauerbrunnen mit mir zuhielte, auf ihn taufen und ihm vor die Thür legen lassen, mit Bericht, daß ich solche Frucht von ihm empfangen und geboren hätte, so er auch glauben, das Kind zu seinem großen Spott annehmen und erziehen und sich noch darzu von der Obrigkeit tapfer strafen lassen müssen, vor welchen Betrug, daß er mir so rechtschaffen angangen[277], ich nicht 1000 Reichsthaler nehme, vornehmlich weil ich erst neulich mit Freuden vernommen, daß dieser Bankert des betrognen Betriegers einiger Erb sein werde.‹«

Simplicius, so mir bißher andächtig zugehöret, fiele mir hier in die Red und sagte: »Wann ich noch wie hiebevor in dergleichen Thorheiten meine Freud suchte, so würde mirs keine geringe Ergetzung sein, daß ihr diese Närrin einbildet, sie habe mich hiemit hinters Liecht geführt, da sie mir doch dardurch den allergrößten Dienst gethan und sich noch mit ihrem eitlen Kützlen biß auf diese Stund selbst betreugt; dann damals, als ich sie caressirte, lag ich mehr bei ihrer Kammermagd als bei ihr selbsten, und wird mir viel lieber sein, wann mein Simplicius, dessen ich nicht verläugnen kann, weil er mir sowol im Gemüt nachartet, als im Angesicht und an Leibsproportion gleichet, von derselben Kammermagd als einer losen Zigeunerin geboren sein wird. Aber hierbei hat man ein Exempel, daß oft diejenige, so andere zu betriegen vermeinen, sich selbst betriegen, und daß Gott die große Sünden, wo kein Besserung folgt, mit noch größern Sünden zu strafen pflege, davon endlich die Verdammnus desto größer wird. Aber ich bitte, er fahre in seiner Erzählung fort; was sagte sie ferners?«

Ich gehorchte und redet weiters folgendermaßen: »Sie befahle mir, ich solte mich ein wenig in meines hochgeehrten Herrn Lebensbeschreibung informirn, um mich darnach haben zu richten, dann sie wäre Willens, ihren Lebenslauf auf eben diese Gattung durch mich beschreiben zu lassen, um solchegleichfalls der ganzen weiten Welt zu communiciren, und das zwar dem Simplicissimo zum Trutz, damit jedermann seine begangene Thorheit belache. Ich solte mir, sagte sie, alle andere Gedanken und Sorgen, die ich etwan vor dißmal haben möchte, aus dem Sinn schlagen, damit ich diesem Werk desto besser obliegen möchte; sie wolte indessen Schreibzeug und Papier zur Hand bringen und mich nach vollendter Arbeit dergestalt belohnen, daß ich zufrieden mit ihr sein müste.«

»Also hatte ich die zween erste Täge anderster nichts zu thun, als zu lesen, zu fressen und zu schlafen, in welcher Zeit ich auch meines hochgeehrten Herrn Lebensbeschreibung ganz expedirte. Da es aber den dritten Tag an ein Schreibens gehen solte, wurde es unversehens Alarm, nit daß uns jemand angegriffen oder verfolgt hätte, sondern als ein einzige[278]Zigeunerin in Gestalt eines armen Bettelweibs ankam, die eine reiche Beut von Silbergeschirr, Ringen, Schaupfenningen, Göttelgeld[279]und allerhand Sachen, so man den Kindern zur Zierde um die Hälse zu hängen pflegt, erschnappt hatte. Da war ein seltzam Gewelsch[280]zu hören und ein geschwinder Aufbruch zu sehen. Die Courage (dann also nennet sich diese allervornehmste Zigeunerin selbst in ihrem Trutz-Simplex) stellte die Ordre und theilet das Lumpengesindel in unterschiedliche Troupen aus, mit Befelch, welche Wege diese oder jene brauchen, auch wie, wo und wann sie wieder an einem gewissen Ort, den sie ihnen bestimmte, zusammenkommen solten. Als nun die ganze Compagnie sich in einem Augenblick wie Quecksilber zertheilt und verschwunden, gieng Courage selbst mit den fertigsten und zwar eitel[281]wolbewehrten Zigeunern und Zigeunerinnen den Schwarzwald hinunter, in solcher unsäglichen schnellen Eil, als wann sie die Sach selbst gestohlen und ihro deswegen ein ganzes Heer nachgejagt hätte. Sie höret auch nicht auf zu fliehen, und zwar als[282]auf der obersten Höhe des Schwarzwalds, biß wir das Schutter-, Kinzcher-, Peters-, Noppenauer-, Cappler-, Saßwalder- und Bieler-Thal[283]passirt und die hohe und große Waldungen über der Murg[284]erlangt hatten. Daselbst wurde abermal unser Lager aufgeschlagen.Mir ward auf derselben geschwinden Reise ein Pferd untergegeben[285], darauf mirs nach dem gemeinen Sprichwort ergieng: Wer selten reit &c.[286]«

»Ich merkte wol, daß diese Suite der Courage, die mit mir in 13 Pferden und eitel Männern und Weibern, aber in keinen Kindern bestunde, alles Vermögen der übrigen Zigeuner, so viel sie an Gold, Silber und Kleinodien zusammen gestohlen, mit sich führte und verwahrte. Ueber nichts verwundert ich mich mehr, als daß diese Leute alle Rick[287], Weg und Steg an diesen wilden unbewohnten Orten so wol wusten, und daß bei diesem sonst unordenlichen Gesindel alles so wol bestellt war, ja ordenlicher zugieng als in mancher Haushaltung. Noch dieselbe Nacht, als wir kaum ein wenig gessen und geruhet hatten, wurden zwei Weiber in die Landstracht verkleidet und gegen Horb[288]geschickt, Brod zu holen, unterm Vorwand, als wann sie solches vor einen Dorfwirth einkauften, wie dann ebenfalls ein Kerl gegen Gernsbach[289]ritte, der uns gleich den andern Tag ein paar Lägel Wein brachte, die er seinem Vorgeben nach von einem Rebmann gekauft hatte.«

»An diesem Ort, mein hochgeehrter Herr Simplice, hat die gottlose Courage angefangen mir ihren Trutz-Simplex, wie sie es intitulirt, oder vielmehr ihres leichtfertigen Lebens Beschreibung in die Feder zu dictiren. Sie redete gar nicht zigeunerisch, sonder brauchte eine solche Manier, die ihren klugen Verstand und dann auch dieses genugsam zu verstehen gab, daß sie auch bei Leuten gewesen und sich mit wunderbarer Verwandelung der Glücksfäll weit und breit in der Welt umgesehen und viel darin erfahren und gelernet hätte. Ich fande sie überaus rachgierig, so daß ich glaube, sie sei zu dem Anacharse[290]selbst in die Schul gangen, aus welcher gottlosen Neigung sie dann auch besagtes Tractätel, um den Herrn zu verehren[291], zu ihrer eignen Hand[292]hat schreiben lassen; von welchem ich weiters nichts melden, sonder mich auf dasselbige, weil sie es ohn Zweifel bald drucken lassen wird, bezogen haben will.«


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