Siebente Szene

Die Vorigen.Der alte Eichholz

Eichholz

(angezogen wie im ersten Akt)

Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten Gesellschaft.

Göttlingk

So in Jala, Papa Eichholz?

Eichholz

Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen und habe mir angetan im Schmucke sämtlicher Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir mal sehn, ob ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.

Lore(ängstlich)

Was hast du vor, Vater?

Eichholz

Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf Ehr' und Jewissen: Wer is der Kerl? Was is der Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen Zustande mir sollte —(bemerkt Biegler)was — was — was — was is denn das? Is das —?

Lore

Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum Platz gehört. Weißt du das nich?

Göttlingk(halblaut zu Lore)

Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?

Eichholz

Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein eigenes Nest 'reinschmutzen, aber wenn du willst mein Fleisch und Blut sein —(in ausbrechender Wut)Kerl, dir werd' ich platt schmeißen! Dir bind' ich 'n Mühlstein um'n Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du blutiger Hund!

Biegler(gequält)

Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? Ich denk', nu is genug.

Göttlingk(halblaut zu Lore)

Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?

Lore

Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine fang keinen Zank an. Sonst mußt du 'raus.

Lohmann(leise)

Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.

Sprengel

Hat sie ganz recht.

Eichholz

Jawohl. Ich geh' schon. — Ich werde schon in geeignete Erfahrung bringen, wer, wer(mit geballter Faust)und wer Blut vergießt, deß — Blut — muß — — ich geh' schon, ich geh' schon. Guten Abend, die hochgeehrte Gesellschaft.(Ab)

Die VorigenohneEichholz

Göttlingk(leise zu Lore)

Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?

Lore(wendet sich ab)

Göttlingk(verbissen)

Sieh mal an!(Kehrt auf seinen Platz zurück)Na, lassen wir uns nich die Laune verderben.(Ergreift die Mandoline, in neuem Argwohn)Freilich, wissen möchte man doch.

Willig

Halt bloß Ruhe, Eduard.

Die Anderen

(die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)

Göttlingk(an der Mandoline zupfend)

Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne Menge schöne Lieder, die mir die schönen Weiber dort unten in schönen Stunden beigebracht haben ... denn die Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', Kinder! Wenn man da nich feste 'ranjeht!(Beiläufig, herablassend)Ach, bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein Lore.

Lore

(bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)

Göttlingk

Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß mit mir war. Ja, mein geliebter Sohn, Glück bei den Weibsleuten muß der Mensch haben. Das is der Ausschlag beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, danke, danke, danke!(Singt und spielt)»Vè quà una giardiniera, si chiama Luisella, da sovra all'Arenella« —(Abbrechend)Sagt mal, Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung mal so euer Chef würde hier auf diesem Steinmetzplatz?

Willig

Was is das wieder für 'n fauler Witz?

Göttlingk

Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. Wenn ich da Jimm drauf hätte. Die Puckligen sind zwarnich gerade mein Jeschmack, aber wenn so 'n schönes Jeschäft dran hängt, kann man ja auch mal beide Augen zumachen.

Lore

(stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des Entsetzens aus)

Sprengel(halblaut)

Is 'n Mensch wie 'n Vieh.

Willig(leise)

Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?

Göttlingk

(der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch hinüber)

Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?

Lohmann

Wir sind ja ganz still.

Göttlingk

Möcht' ich mir auch ausgebeten haben.(Da Lore, den Kopf in den Händen, noch einmal aufstöhnt)Was ist denn hier los? Was? Was? Was?

Biegler

(ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, zaghaft, als traue er seinen erwachenden Kräften nicht)

Du Schuft! Du Schuft! — Du Schuft!

Göttlingk(fassungslos vor Erstaunen)

Was will das Gewächse da?

Biegler

Du ganz erbärmlicher Schuft!

Göttlingk(Humor heuchelnd)

Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus quetschen? Nehmt mir das nicht übel, aber die Handvoll, das lohnt mir nich. Außerdem bin ich's als Steinmetz mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem — Prost!

Biegler(heiser)

Was du bist, bin ich noch alle Tage.

Göttlingk

Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.

Biegler

Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell is, kann ich's besser.

Göttlingk(aufspringend)

Du warst das selber, du verfluchter —?

Die Anderen(halten ihn fest)

Ruhig, ruhig, ruhig.

Biegler

Aber das is Nebensache.(Auf Lore weisend)Da — da — wer steht da? — Der sagst dudasins Gesicht? — Jeder weiß, daß sie 'n Kind von dir hat. Zum Dank verhunzen tust du sie — schuriegeln tust du sie ... Wirst sie — wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? Du nichtswürdiger Schuft! Du!

Göttlingk(der sich zu befreien sucht)

Nu laßt doch los. — Is bloß 'n Floh, der ganze Kerl, aber das kost't ihm das Leben.(Reißt sich los und zieht den Dolch heraus)Los sag' ich, oder —

Die Anderen(weichen erschrocken zurück)

Biegler

Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, weil alle anderen Angst haben? — Kraft hab' ich keine, Haut und Knochen bin ich vom langen Hungern, aber —(er hat den Klopfstein ergriffen, der auf dem Schanktisch liegen geblieben ist, und hebt ihn hoch)—mit so 'nem Schusterstein hab' ich schon einen erschlagen! Mit so 'nem Schusterstein hab' ich schon— —(große Bewegung)Nu komm mal 'ran, wenn du willst. Komm mal 'ran — komm mal 'ran!(Dringt auf Göttlingk ein)

Göttlingk(erschrocken zurückweichend)

Na, na, na, na.

Biegler

Komm 'ran — oder 'raus da — 'raus da. —

Göttlingk

(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)

Biegler(der ihm gefolgt ist)

'raus da! 'raus da!

Göttlingk

Das werd' ich dir — gedenken. —(Rettet sich durch die rasch geöffnete Tür)

Biegler

(sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er sieht verständnislos noch einmal um sich, sieht Lore, die schluchzend, mit verhülltem Gesicht, abgewandt dasteht, sieht die blassen, entsetzten Gesichter und murmelt, wie wenn er langsam zu sich käme)

Was is denn? Was war denn? Was —?(Sein Gesicht verändert sich, er kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl zusammensinken, rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier aus, setzt seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür zurück; — sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die ihn regungslos Anstarrenden — und geht hinaus)

(Der Vorhang fällt)

Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den Häusern des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, der sich allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem Fenster der Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach vollendeter Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. Beim Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher Biergartenmusik

Marie.Zarncke

Zarncke

(in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre rauchend)

Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.

Marie

Eben sang sie doch noch.

Zarncke

Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben mit ihrem Bumbum.

Marie

Ach, ich hör's gerne.

Zarncke

Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so schön weitab is vom eigenen Leben ... Da sitzen nu dieMenschen in Haufen, stoßen sich, ärgern sich, beneiden sich, begehren sich, und fünf aufgequollene Trompeter machen Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der verfluchten Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber auchgar nichtsvon ihr wissen wollen. ... Was guckste denn immer nach der Lore ihrem Fenster 'rüber?

Marie

Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.

Zarncke

Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?

Marie

Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei ihr gewesen. Seit seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich kommt er — Abends um neune — von da oben — die Treppe 'runter.

Zarncke

Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen gehabt hat. Aber so käseweiß brauchst du darum doch auch nich zu werden, wenn er nu wirklich mal hinter dir auftaucht.

Marie(schweratmend)

Denk doch, was das für die Lore bedeutet.

Zarncke

Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt dich nich so 'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. Nich mitmachen wollen. Das zehrt dann ameigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut — und jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...

Marie

O, das freilich. Aber — gestern muß was passiert sein bei der Lore drin.

Zarncke

So? Was denn?

Marie

Zwischen dem Nachtwächter und — und — Göttlingk.

Zarncke

So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.

Marie(ängstlich)

Wieso?

Zarncke

Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert hat. Deshalb hab' ich gestern schon den Eichholz 'rausgeschmissen. Das alte Vieh war ganz rabiat. Irgendwas bereitet sich vor gegen den Biegler. Und schließlich werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den —(Schnalzt)

Marie

Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. Viel was Schlimmeres.

Zarncke

'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm genug ... Von wem weißt du's denn? Von der Lore?

Marie

Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht mir heut aus dem Wege, wo sie kann ... Und die Homeyermacht immerzu Andeutungen. Aber was Rechtes kriegt man auch ausdernich 'raus.

Zarncke

Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. Da wollen wir doch mal gleich —(Klingelt)

Die Vorigen.Frau Homeyer

Frau Homeyer

(eine Windlampe in der Hand)

Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... Nein, so im Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?

Zarncke

Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln gesessen?

Frau Homeyer

Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann — der nimmt sich dann so leicht was 'raus —

Zarncke

Und mit 'n alten Mann — das lohnt nich.

Frau Homeyer

Aber, Herr —

Zarncke

Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der Lore gewesen?

Frau Homeyer

Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.

Zarncke

Sie haben doch meiner Tochter erzählt —

Frau Homeyer

Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem Fräulein? Und gerade dem Fräulein? I, da müßt' ich —(Nimmt das Tischzeug zusammen)

Marie

Aber Frau Homeyer —

Zarncke(gleichzeitig)

Was heißt das:Geradedem Fräulein?

Frau Homeyer

Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin sein. Und ich bin im Gegenteil immer höchst zurückhaltend ... Da bin ich bekannt für. Da können Sie alle Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse lesen ... Und da soll ich mir geradehierdie Zunge bei verbrennen? ... Das kann Ihnen wer anders erzählen, Fräulein. Und dann müssen sich auch nichts draus machen. ... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg ... Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is immer noch das Beste für 'n ältliches Mädchen.

Marie

Ja, was hab'ichaber mit dem allen zu tun, Frau Homeyer?

Frau Homeyer

Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hatmanchmalmit was nich zu tun, und kommtdochins Gerede ...Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich das freilich nicht gedacht. Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen(verschämt)immer so zutraulich — und, wie gesagt, Kavelier. Aber da könnte ja jeder kommen und — ach, bitte das Sahnentöpfchen — und behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, da könnt' er Herr sein auf diesem Steinmetzplatz. Ja.

Zarncke

Was? Was? Was is das?

Frau Homeyer

Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz unbesorgt sein, Fräulein, das —

Zarncke

Halt! Stopp! 'raus! Weg!

Frau Homeyer

Aber Herr —

Zarncke

Weg, weg, weg, weg!

Frau Homeyer

Ja, ja, Herrgott!

Zarncke

Weg!

Frau Homeyer

(mit dem Tablette ins Innere ab)

Marie.Zarncke

Zarncke

Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, Mariechen. Bittst mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nestaustapezieren ... Und da traut sich der Kerl überhaupt noch hierher? — Da wollen wir mal gleich — —(steht auf)

Marie

(die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)

Nein, Vater, nein!

Zarncke

Was — nein? Und wie siehste denn aus? — Ganz überird'sch!

Marie(in hilflosem Bekennen)

Vaterchen!

Zarncke

(nach einem Schweigen hinter sie tretend)

Miezelchen!(Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise)Haben sie dir 's Geheimfach aufgebrochen?

Marie(aufschluchzend)

Nicht ansehn! Nicht ansehn!(Verbirgt das Gesicht in seinem Rock)

Zarncke(sie streichelnd)

Alsodaswar's? Und was du da drinnen verschlossen hieltst, das wird dir nu da —(weist zur Kantine)Ja, wie geht denn das zu?

Marie(von Schluchzen geschüttelt)

Weiß nicht! Weiß nicht!

Zarncke

Na, nu laß doch mal meinen Rock los!

Marie

(verbirgt das Gesicht um so fester)

Zarncke

Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst mich gar nich ansehn? Möchtst das Tageslicht nich mehr sehn? Möchtst dir womöglich das Leben nehmen noch diese Nacht?

Marie(nickt heftig)

Zarncke(lacht und streichelt sie)

Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen muß, dem 'n Stern vom Himmel 'runterfällt.(Zum Himmel weisend)Kiek mal hoch! ... Kannst noch nich? Da sind schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie stehn da wie für die Ewigkeit.Und sie fallen alle.Aber darum werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, denen sie als Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... Die Jugend verliert sich zuerst, aber unser Blick wird um so heller ... Die Freunde zerkrümeln sich, aber unsere Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, jeder Gedanke — jeder Hund — jeder Stein ... Na — und die Liebe? — Dem einen fällt sie in den Schmutz — wie dir, dem anderen zerreibt sie der Alltag; — rasch oder langsam, es is immer dasselbe, — aber vor der Tür lauern schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, und die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott wird uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere Herzen schlagen kräftiger ... Kindchen, 's wird noch 'n büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham brennt ... Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein Recht war und ist, dich liebzuhaben und dir zu sagen: Halt still ... Die Stillen sind die Klugen ... Und nur wer von der Weltweit, weitab is, der hat sie ganz.

Marie(sich aufrichtend)

Vaterchen, hast du das immer gedacht?

Zarncke

Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die Kranken und die Alten. Aber die, welche die Jungen und die Gesunden sich zurechtmachen, is auch nischt wert ... Na — nu schmunzelst du ja wieder —.

Marie(schluchzt kurz auf)

Zarncke

Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die Tür hat schon 'n paarmal geklappt.(Weist nach der Kantine)Da traut sich einer nich an die frische Luft, eh' wir nich verduftet sind.

Marie

Die arme Lore!

Zarncke

Nja. Na, komm.(Beide ins Haus ab)

Eichholz.Göttlingk.Lore

Eichholz

Scht! Du, Göttlingk! — Sie sind weg!

Göttlingk(heraustretend)

Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt — gewisse Leute in den Weg gerannt wären — — na! Also übers Aufgebot reden wir noch, Lore!

Lore

(die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)

Wie du willst, Eduard.

Göttlingk

Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden Quetsche. Mein Handwerkszeug bringt mir morgen der Vater und — ja, richtig! Die Mandoline gib mir doch noch mit.

Lore(verschwindet)

(Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die Gestalt Zarnckes wird dahinter sichtbar)

Göttlingk(leise)

Is das nich der Alte da oben?

Eichholz

Ja, der schläft da.

Göttlingk

Scht! Na, endlich macht er die Türe zu.(Das Rouleau wird herabgelassen)

Lore(bringt die Mandoline)

Göttlingk

So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.

Lore(ängstlich)

Vater, es wäre wohl besser, du — —

Eichholz(scheltend)

Was heißt das? Was hast du —?

Göttlingk(gleichzeitig)

Nu laß doch Vater! ...(Reicht ihr die Hand)Gute Nacht! —(Da sie in der Türe stehen bleibt)Nu geh nur! Geh nur!

Lore(tonlos)

Gute Nacht.(Ab, die Türe hinter sich schließend)

Eichholz.Göttlingk

Göttlingk

Na — und nu? ... Wir haben drin nich ausreden können, weil uns die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie denkst du nu über 'ne gute Streckschicht für den Kerl?

Eichholz

Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich bin ein zuverlässiger Mann jewesen und ein —

Göttlingk

Ja, ja, ja, ja!

Eichholz

Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, sie haben mir den höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, den haben sie mir —

Göttlingk

Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.

Eichholz

Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund kommt, dann stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen Brust.

Göttlingk

Na und dann?

Eichholz

Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, hab' ich gesagt, es gibt — ein Unglück.

Göttlingk

Ja, mit's Maulwerk.

Eichholz

So? ...(Zögernd)Du, und was is denn mit dem — Block?

Göttlingk(lauernd)

Was für 'n Block?

Eichholz

Wo du vorhin von sprachst.

Göttlingk

Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?

Eichholz

Ja.

Göttlingk

Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er bloß auf der Kippe. Verstehste? Eine Holzsteife — die kann 'n Kind wegschlagen. — Und geht dann einer die Treppe 'rauf —mußer die Treppe 'rauf?

Eichholz

Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr aufgestellt. —

Göttlingk

Daß da man kein Malheur passiert!

Eichholz

(argwöhnisch, will nicht verstehn)

Warum soll — da gleich — 'n Malheur passieren?

Göttlingk

Ach so! ... Scht! Is er das nich?(Man hört rechts das Schließen einer Tür)

Eichholz

Ja.

Göttlingk(leiser)

Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... Kann man da oben irgendwo 'raus?

Eichholz

Durch die kleine Tür. Immerzu.

Göttlingk

(ihn nach dem Hintergrunde ziehend)

Na denn komm!

Eichholz

Warum nich hier durchs Tor?

Göttlingk

Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu stehn. — Komm!(Auf einer mittleren Treppenstufe hält er inne)Scht!

Eichholz

Er schließt noch das Sägewerk.

(Beide verschwinden links oben. — Während rechts eine schwere Tür zugeschlossen wird, hört man oben das leise Klirren der Flaschenzugketten. Dann Stille. Während der folgenden Szene geht der Mond auf)

Biegler.DannStruve

Biegler

(mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre umgehängt, erscheint rechts vorne und geht an dem erleuchteten Kantinenfenster vorbei, dann revidiert er das Schloß des Magazins und will zur Tür des Wohnhauses hinüber)

Struves Stimme(vom Haustor her)

He! Scht! Nachtwächter! Biegler!

Biegler

Wer is da?

Struves Stimme

'n guter Freund!

Biegler

Ich hab' keine guten Freunde.

Struves Stimme

Struve is da.

Biegler

Struve kann bei Tage kommen.

Struves Stimme

Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.

Biegler

Was is denn?(Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich drehen. Dann erscheint er zusammen mit Struve)Na?

Struve

Fsch! Drinne wär' mer ja nu.

Biegler

Also was willst du?

Struve

Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. Ick hab' 'n Amt hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! ... Da muß ick mir iberfihren können bei Tag und bei Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen vor lauter Ehrjefihl. Ja.

Biegler

Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.

Struve

Det sagste so in deinen Jemiete. — Aber wenn du eines Morjens nicht mehr dabist —

Biegler

Wieso?

Struve

Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns haben se doch aus denselben Suppentopp jeangelt.

Biegler(bitter)

Ach so!

Struve

Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hiernu doch!

Biegler

Ja. Das bin ich mir klar.

Struve

Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen noch ne jroße Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheerenderfen. Bloß, daß se morjen früh zum Alten jehn werden, das hab' ich noch —

Biegler(in bitterer Erregung)

Und meinen Austritt fordern?

Struve

Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran abzählen.

Biegler(verbissen, verzweifelt)

Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.

Struve

Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir — nich vorher schon dinne machen wolltst. — Und darum bin ick eben auch 'n bisken dahinter jewesen. Deiwel auch! Wenn man so die Verantwortung hat.

Biegler

Wofür? Für mich?

Struve

Ne — aber —(macht Zeichen nach dem Magazin hin)vor — — Ick kenn' doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen die loofen doch jewissermaßen hinter einen her. Janz von selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann man jar nischt vor.

Biegler

Was denn? Was denn?

Struve

Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen da muß man eben 'n Freind haben. Mann mitEhrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken ins Jewissen redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und — — was? Wie sagste?

Biegler(mit einem kurzen Lachen)

Ich sag' jar nischt.

Struve

Na, nu mal unter uns! — Wenn du — und du jehst hier weg, wo wirschte denn nu hinmachen?

Biegler

Wer kann das wissen?

Struve

Nu, setz dir mal bisken hier dal!(Zieht ihn auf den vordersten Block)Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. Ick bin Verdrauensperson. Und so. — Aberzuviel Ehre kann der Mensch auch nich verdragen. Des drickt aufs Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe — jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n bisken klietrig bist — weißte! — — na? — Wollen wir zusammen uf de Fahrt steigen?

Biegler

Was? Du und ich?

Struve

Nu ja. MitdieAnsichten, wo wir beide vons menschliche Leben haben — diehabenwir nu mal! Die kann uns keiner nehmen. Die einen wälzen sich in'n Jolde, wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. Tagsüber sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen wir uns 'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußteewig 'n krummen Puckel machen und dir sauer anhauchen lassen und wirscht doch nie mehr im Leben, wat die andern sind!

Biegler

Mensch! Da haste recht!

Struve

Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloßeinemJehorsam schuldig, — das is der Meilenzeiger ... Na?

Biegler

(schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)

Gut! Wann willst du — losjehn?

Struve

Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.

Biegler(in Erregung)

Ich muß doch erst — mit ihm — reden ... Muß doch kündigen.

Struve

Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? Und noch eins sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n tück'sches Luder. Der verjeßt dir die Blamasche nich. Da kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, jleich, noch auf'n nichternen Magen.

Biegler(dumpf, entschlossen)

Mir is alles egal.

Struve

Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.

Biegler

Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.

Struve

Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, da stempelt dir 'n jewesener Oberjeheimrat de piksten Flebben noch heite nacht. Und denn — wat willste mit 'n Zeichnisbuch? — Et steht ja woll jeschrieben: »Ehrlich währt am längsten« — aber 'n tichtiger Spitzbube fährt mit vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! Die schabt sich ab wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da droppt dir ewig de Nese von wie bei'n kleinen Swienegel ... Bloß natirlich — 'n jewisses Anlagekapital — det missen wir haben.

Biegler

Wozu? Woher?

Struve

Det brauchste überall. — Ohne 'n Parchentlappen kannste nich uf de Flohjagd. — Willste lernen Jold machen? Kleinigkeit! Aber natirlich — wenn de keinen Dukatenhast, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. Siehste! Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja nich wie bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen — und so — is ja alles da.

Biegler

Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.

Struve

Aber Mensch! — Bejreifst de denn noch immer nich?

Biegler

Was denn? Na was denn?

Struve

Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und frag nich immer so glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. Da kann man doch nischt machen.

Biegler

Was? Was? Was?

Struve(zaudernd, verlegen)

Na — de — de — Diamanten.

Biegler

Die willst du am Ende —?

Struve

Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n janz reelles Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle nich mehr. Sonst blamiert er sich. Na?

Biegler

Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu Hause.

Struve

Du bist wohl 'n Schlamassel?

Biegler

Ich muß jetzt elfe abpfeifen.(Wild)Jeh, oder ich pack' dir ins Jenick.

Struve

Na — denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr in dir entteischt. Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! ... Äh! Is nischt mehr los mit's menschliche Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.

(Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)

Lore.Biegler

Lore

(tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)

Vater, bist du's?

Biegler

Ich bin's, Fräulein.

Lore(freudig aufschreckend)

Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn mit — mit — noch einem?

Biegler

Nein.

Lore

Ach — 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen — ja?

Biegler

Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... das heißt wenn Sie mir danken wollen etwa —

Lore

Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß Gott, Herr Biegler, ich wollt' Ihnen so gerne helfen. Das war meine einzigste Absicht. Statt dessen haben Sie mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß nicht aus, nicht ein.

Biegler

Was is denn nu?

Lore

Er — war — eben da.

Biegler

Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?

Lore(schweigt)

Biegler

Oder will er noch immer nich?

Lore

Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... In Arbeit kommt er nich mehr zurück.

Biegler

So? Ei, ei!

Lore

Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er —

Biegler

Das kann ihm ja nich fehlen.

Lore

Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? — Man hungert, man hungert nach seinem Glück, jahrelang — und wie man's endlich hat —so, zwischen seinen zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, dawillman gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is man. Satt.

Biegler

Wer satt is, soll nich essen.

Lore

Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das is doch Wahnsinn. Da drin schläft doch mein Lenchen.

Biegler(erregt, verbissen)

Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem Schoß zu halten.

Lore(erschrocken)

Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is Sünde.

Biegler

Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins Unglück stürzt.

Lore

Das sagen Sie heute, und gestern — haben Sie Stellung und alles — haben Sie hingegeben — bloß —

Biegler

Gott weiß, wie alles kommt.

Lore

Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts mehr. Ich laure bloß immer: Was für 'n Hintergedanken hat er nu? Mit Vater hat er im Winkel gesessen, weit weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da die Rede von — Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu hebt mich die Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes einredet.

Biegler

Wem kann der alte Mann denn was tun?

Lore

Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, was soll ich? Ich kann ja nich mehr los von ihm. Ich bin jahrelang wie sein Hund zu ihm gewesen. Ich kann ja nich mehr los von ihm.

Biegler

Ja, wenn Sie nichkönnen.

Lore

Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.

Biegler

Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!

Lore

Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie können, was Sie wollen! Sie —

Biegler

Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen Zeit. Ich willnichbald wieder auf 'ner dreckigen Pritsche liegen, Pennbruder rechts, Pennbruder links — wenn nichts Schlimmeres — und mir die Augen aus dem Kopf brennen vor — —und muß doch.

Lore

Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. Zu Ihresgleichen.

Biegler

Dasismeinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich nich. — Dagehör'ich hin ... AusderWelt, wo Sie sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, da is Krätze und Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine ewige Seligkeit um ein gefälschtes Stück Attest.

Lore

Aber noch sind Sie doch hier.

Biegler

Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' ich weg.

Lore

Aber warum denn? Warten Sie doch ab!

Biegler

Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts Böses. — Ich geh' auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem eigenen Munde wissen, was für einer ich bin, nich einen Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner Traum gewesen. Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich schon sehr ... Ja,die Nächte, wenn der Mondschein überall auf den Blöcken liegt ... Da — sehn Sie, da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und hab'einengestreichelt und denanderngestreichelt und hab' gedacht: »Wer wird dich mal behauen — der Glückliche!« ... Und wenn dann erst alles ganz still wird — ringsum auf den Straßen, — dann sitzt man mitten in der Welt wie in einem schönen, warmen Mantel — ganz ruhig und ganz — — ich sagt's Ihnen schon gestern — aber das kommt erst viel später gegen Mor — —(Hält lauschend in ängstlicher Spannung inne)

Lore

Was is?

Biegler

(Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang — scheinbar sich entfernend)

Horchen Sie! Horchen Sie!

Lore

Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was is denn dabei?

Biegler(leise)

Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die ziehen hier in die Runde — von elfe ab — immer ums Straßenkarree 'rum — bis gegen Morgen.(In Angst)Solang ich die lachen hör', da —

Lore

Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?

Biegler(leise, geheimnisvoll)

Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch so 'rum.

Lore

Woher wissen Sie das?

Biegler

Ich hab' — sie — getroffen.

Lore(erschrocken)

Hier draußen?

Biegler

Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... Wenn sie mich gesehn hätt' — ich hab' mich bloß geschämt, weil ich so abgerissen war, sonst — weiß Gott, was ich jetzt schon wär' ...(Er schaudert)Ja, der Hunger kann viel ... Na — werden ja sehn!

Lore(erschüttert)

Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie —

Biegler

Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, Sie und der komische alte Mann da drin. Von jetzt ab hält mir keiner mehr die Stange hin. Aber gedenkenwerd' ich's Ihnen — bis — ... Fräulein Lore, es is mein letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch nich gemacht.

Lore(sich ängstlich umschauend)

Ach — noch — noch — Wenn ich bloß wüßte, wo er Vater hingeschleppt hat ... Ich kann die Angst nich los werden, daß, daß — —

Biegler

Na, was denn?

Lore

Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht — dort — ja?

Biegler

Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...

Lore

Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie nich ins Finstre — nein?

Biegler(kurz auflachend)

Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern grault. Und heut bin ich noch einer ... Heut bin ich noch Mensch ... Morgen munter — wieder 'runter — in den Morast ...(Streckt in tiefer Bewegung die Hand gegen sie aus)Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...

Lore(ohne die Hand zu nehmen)

Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... Schließlich, wenn's Ihnen die andern verzeihen, warummüssenSie denn durchaus weg?

Biegler

Wer wirdmirverzeihen? ... Die Steinmetzen haben ja schon beraten, daß sie morgen zum Alten gehen werden — und —

Lore

Nu ja.

Biegler

— und —

Lore

Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch gar nich ...?

Biegler

Was is da viel zu wissen?

Lore

Herr Biegler, die Steinmetzenwollenmorgen zum Alten gehn — das is richtig, aber nicht darum, wasSieglauben, sondern weil sie ihm sagen wollen, daß sie gerne mit Ihnen zusammenarbeiten werden.

Biegler(verständnislos)

Die Steinmetzen — wollen — dem Al—

Lore

Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach sind, und weil Ihr Auftreten gestern ihnen so gut gefallen hat, darum soll Ihr Privatleben keinen mehr was angehn, haben sie gesagt.

Biegler

Die Steinmetzen wollen — die Steinmetzen wollen — die Steinm— — — Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen wollen — ja, warum haben Sie mir das nich schon früher gesagt?

Lore

Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... Sie gehen auf alle Fälle.

Biegler

Wenn die Steinmetzenwollen, warum sollichdenn —? Wenn ich wieder — ich soll wieder Krönel und Scharriereisen in die Hand nehmen? ... Ich soll wieder die blaue Schürze — umbinden — dürfen? Ich soll — soll — soll — wieder die blaue Schürze ...(Heimlich, leise, in Angst)Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. — Aber —(Legt die Hand auf die Lippen)Ich hab' nämlich manchmal solche Anfälle gehabt(wischt sich über die Stirn)in der Anstalt ... Das find't man dort sehr oft ... Sind Sie ganz sicher, daß Sie das eben gesagt haben, daß die Steinmetzen — morgen — dem Alten —?

Lore

Aber Herr Biegler, ja, ja!

Biegler

Und Sie glauben auch, es kann — nichts mehr — dazwischenkommen — bis morgen?

Lore

Was sollt' denn das sein?

Biegler

Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern — oder daß der Alte sagt: »Nein« — oder daß mir 'n Stein auf'n Kopf fällt — oder, was weiß ich?

Lore

(sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)

Stein auf'n —

Biegler(lachend)

Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich bin immer 'n tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab'schon zwei Preise gekriegt ... Ich bin mal vor der ganzen Innung — bin ich öffentlich belobt worden ... Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon acht Mark fünfzig pro Tag verdient ... Ich versteh' auch gut in Granit zu arbeiten. Profile und Alles ... Granit, das wissen Sie ja, das ist das Härteste ... Dabei scheint es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem geradezu aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... da muß man — da muß man —(vom Glücke überwältigt)Die Steinmetzen — wollen — mit mir — —(sinkt lachend und schluchzend auf die Bank, das Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise)arbeiten — mit mir — arbeiten — —

Lore

(macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)

Ach Gott!(um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich)Herr Biegler! ... Herr Biegler!

Biegler(zu sich kommend)

Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock — meine Pfeife? ... Ich bin ganz, ganz ... die Kontrolluhren hab' ich auch noch nich gestochen! — Heut darf ich nichts versäumen, sonst ... Hahaha — hahahaha! Adieu, Fräulein Lore. Ich komm' bald wieder.

Lore

Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?

Biegler

Runde machen — nach oben — die Treppe 'rauf ...

Lore(leise)

Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!

Biegler

Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst vor dem Block?

Lore(in wachsender Angst)

Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen auf Ihr künftiges Leben — wenn Sie den Krönel wirklich noch mal führen wollen — wenn Sie — ...Mein Kindhat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat Ihnen Glück gebracht — darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie wo anders, aber danicht!

Biegler

Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe haben —

Lore

J, ja, ja, ja.

Biegler

Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was will! Mir tut keiner mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.

Lore(entschlossen)

Dann komm' ich mit.

Biegler

Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!

Lore(ruft hinauf)

Is da einer oben?(Schweigen)

Biegler

Na sehn Sie!

Lore(leise)

Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann fassen Sie mich mal um den Leib. Ganz fest.

Biegler

Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?

Lore

(umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)

So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann wollen wir doch mal sehen.

Eichholzens Stimme(von oben)

Wirste weg da, du —

Göttlingks Stimme

Scht!

Biegler

Nanu! Was is denndas?(Er reißt sich los und springt blitzschnell die Treppenstufen hinan. — In demselben Augenblicke stürzt dicht hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das ängstliche Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)

Lore

(ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, sinnlos vor Angst, in das Dunkel hinauf)

Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an.

Göttlingks Stimme

Schrei nich, du Frauenzimmer!(Man sieht seine Gestalt nach links hin flüchten und verschwinden)


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