Braungoldener Schatten lag unter dem niederen Dach, das Wasser im Bootshaus hatte den dunklen Schimmer von Rauchtopas. Man sah durch den Bau wie durch einen Tunnel. Seine Öffnung nach dem Wyk zu war voll Sonnenglanz und funkelnder Wellenunruhe.
Er schaute eine Weile zu, wie die Männer in den schaukelnden Booten faltige Formen auseinanderbogen, daß sie zu bunten Ballons wurden.
Aber seine Gedanken waren anderswo als seine Blicke ...
»Was geht es mich an, ob sich diese junge Frau verkauft hat oder nicht?«
Er dachte auch an seine Schwester Martha. Sechs Wochen nach ihrer Hochzeit war er mit ihr und ihrem Manne, dem Hauptmann von Strenglin, zusammengetroffen. Und man hatte wohl gespürt, daß die beiden, die in Armut und Treue lange aufeinander gewartet, kaum ihr seliges Liebesglück vor den Augen anderer recht zu verstecken wußten ...
Von solchem elementar sich verratenden, heimlichen Glück hatte er neulich nichts gespürt, als er mit dem Ehepaar zusammen am Tische des alten Herrn saß ...
Aber freilich: auch nichts von Unfrieden, feindseliger Kälte, gelangweilter Höflichkeit ...
Ihm schien: freundlich und herzlich war die junge Frau gewesen. – Er auch, der junge Ehemann auch.
Nach krassem Unglück sah das nicht aus. Und der alte Herr sprach davon, wie seine letzten Jahre nun gesegnetseien, und nahm zärtlich die Hand der Schwiegertochter ...
Und welche Ergebenheit, welche liebevolle Art hatte sie – wenn sie den alten Herrn bediente ...
»Was geht das alles mich an? ...«
Er stieg langsam wieder hinauf, durch die noch so wenig imposante Anpflanzung.
»Ein junges Stückchen Wald – halbwüchsiges Baumgedränge hat keine Schönheit,« dachte er. »Merkwürdig ... wie bei manchen Menschen und manchen Schicksalen: sie brauchen Reife, um ihre Schönheit zu offenbaren.«
Oben glühte die Nachmittagssonne. Er ging zwischen Wänden von weißen, quadratisch geordneten Holzstäben hin. Sie waren anmutig berankt und durchflochten von allerlei Kletterpflanzen, die er nicht kannte. Wie ein Korridor war dieser Weg, und er endete an der fernsten Seitengrenze des Gartens in einem Rundell.
Dies war umgeben von dicht übersponnenen Gitterwänden; der noch blühende roteCrimson ramblerbedeckte sie ganz. Vor ihnen, in gefälligen Abständen voneinander, bildeten schneeweiße Bänke einen Kreis. In der Mitte trug ein Beet eine gedrängte Fülle von niederen Rosenbüschen; in allen Farben blühten sie jetzt zum zweitenmal.
Stephan setzte sich. Er fühlte sich von einer unbegreiflichen Traurigkeit übernommen. Er dachte: »Was tue ich hier eigentlich?« Und sagte sich dann: »Nun, man muß gesellig sein – das Leben, der Stand bringen das so mit sich – –«
Und woher und warum so niedergeschlagen – fast mutlos und überdrüssig?
Er liebte seinen Beruf mit Inbrunst. Seine schmale Zulage hatte ihn nie bedrückt. Es war sein Stolz, mit ihr sich einzurichten – wie das, gottlob, der Stolz vonTausenden von Offizieren war. Unter Entbehrungen, in der Stille arbeiten, damit alles bereit sei, wenn einmal die ernste, große Stunde käme ...
Heiß war die Luft, sie bebte in Wellen über den Rosen, man sah sie zittern. Und die Rosen atmeten ihren Duft hinein, die Hitze nahm ihm die Keuschheit, mischte ihm etwas Fades und zugleich Berauschendes bei.
Man wurde schläfrig davon – und doch so seltsam erregt ...
Es war dem jungen Manne, als sei ihm die ganze Brust voll von Wünschen – und er hätte dennoch keinen beim Namen nennen können. Eine unklare Begierde kam über ihn, nach irgend einem Glück – einem großen, seligen Glück ...
Die Üppigkeit der Stunde voll Rosenduft, Sonnenglanz und feierlich-froher Stille übernahm ihn ganz. Wie Arme beim Anblick reicher Lebensführung sich in ihrer Zufriedenheit erschüttert fühlen, so wühlte das Prangen dieser Hochsommerschwüle in seiner Seele Sehnsucht auf.
Er erschrak und fuhr aus seinem Hinträumen auf – irgend ein Laut hatte das Gespinst zerrissen. Er horchte: fern der Heulton eines Dampfers, der vielleicht flußauf fuhr ... Nein, das hatte ihn nicht gestört. – Nun wußte er es: Schritte ... Auf lockerem Silberkies von Gartenwegen kann auch der kleinste Frauenfuß nicht unhörbar gehen.
Und da war auch schon die Herrin dieses durchglühten, durchdufteten und weltfernen Gartens.
Er wollte aufspringen – war sehr überrascht.
»Nein, ich setze mich zu Ihnen.«
»Ich dachte, Baronin, Sie wollten ruhen.«
»Will ich auch – aber erst eine Stunde nach Tisch – ich möchte nicht dick werden – lieber kastei’ ich mich.«
»Was Frauen nicht alles für ihre Schönheit opfern können.«
»Na – sie ist immerhin keine ganz nebensächliche Angelegenheit. Obgleich es ja gerade für mich ganz egal ist, ob ich hübsch oder häßlich aussehe,« sagte sie.
Sehr dicht saß sie neben ihm, seitwärts und ihm zugewendet. Sie hatte den Ellbogen auf die Rücklehne der Bank gestützt, und der runde, weiße Arm zeigte sich in seiner ganzen Schönheit.
»Warum gerade für Sie?« fragte er erstaunt.
»Ach,« sprach sie mit einer gewissen gelassenen Bekümmertheit, »wer sieht mich denn wirklich an? Mit Freude oder Interesse, meine ich. Denken Sie denn, daß es von Wert ist, wenn die gute dumme Gerwald sagt: Frau Baronin sehen heute wunderbar aus. Oder wenn Likowski mal schwört, ich hätte meinenbeau jour. Oder wenn sonst einer der Herren mir ’n Kompliment sagt – halb versteckt, damit ihre Frauen nicht eifersüchtig werden. – Ja, man hat eben keinen Menschen, dem man die Hauptperson in der Welt ist ...«
Stephan war ein wenig betroffen, er liebte solche Ergüsse nicht – aber doch, sie hatte im Grunde Recht. Ihr Leben war, trotz allen Reichtums und aller Vergnügungen, eigentlich einsam – vielleicht gar innerlich arm.
Wie schwer, darauf zu antworten.
»Ich habe immer gedacht, das Bewußtsein ihrer Schönheit beglücke eine Frau – denn Schönheit ist immer Ausnahme, Auszeichnung,« sagte er.
»Aber sie braucht Anerkennung – Verständnis – ich sage nicht: Publikum! Das meine ich nicht. Die Anerkennung der Gesellschaft nicht. Ein Wort, ein Blick der Bewunderung von einem geliebten Menschen ... ach,dafür gibt eine Frau alle Triumphe der Welt hin. – Und das hab’ ich nicht – hatt’ ich nie ...«
Das klang aus ihrem Munde nicht geschmacklos – wurde alles mit einer Art von Kindlichkeit oder Natürlichkeit vorgebracht.
Er wurde fast verlegen. Hieraufhin konnte er doch unmöglich, um sie zu trösten, ihre Ohren mit Schmeicheleien füllen.
»Ihr Gatte wird nicht blind gewesen sein,« sprach er.
»Es war ihm angenehm, daß man mich nicht häßlich fand. Das war alles. Sie wissen es doch – warum soll ich ein Hehl daraus machen: man hatte mich in die Ehe mit diesem alten Mann gezwungen. Meine Eltern fühlten sich nicht disponiert, eine erwachsene Tochter zu bewachen. Papa mit seiner rasenden Arbeit – ähnlich wie der Geheimrat, aber in Textilindustrie – und Mama mit ihren zahllosen Vorstandspflichten – Mama ist eine Vereinsdame – Mama hatte auch eine Schwäche für Adel – ein Baron sollte es sein –«
»Ich bitte Sie, Baronin, Sie erwarten Gäste, Sie wollen froh sein – lassen Sie die schweren Lebensumstände heute unbesprochen – es erregt Sie.«
»Sehen Sie, sehen Sie,« sagte sie mit klagendem Ton. »Niemand hat Interesse für mich – nicht einmal meine Freunde – ich dachte, Sie wären mein Freund geworden. Wenn ich einmal von mir sprechen will, ermahnt man mich gleich, zu schweigen.«
Sie hat ja Recht, dachte er. Es war undankbar und ungerecht, sie niemals zur rechten Aussprache kommen zu lassen.
Merkwürdig, wie viel diese volle, weiche, schöne Frau von einem unverantwortlichen Kind hatte – zum Schutz, zum Bevormunden herausforderte.
»Sie sollen mir ein andermal so viel von Ihrem Leben erzählen, als Sie mir nur immer anvertrauen mögen – ich erbitte es als besondere Gunst,« sagte er sehr herzlich.
Durch seine Gedanken huschte die Erinnerung an den Klatsch über ihre Mädchenjahre – wer wußte etwas Sicheres? Sicher war dagegen, daß er selbst viele Züge der Gutherzigkeit, der freundlichsten Gefälligkeit an ihr hatte beobachten können ... Und was pries die Gerwald immer? Ihre Dame sei gar nicht imstande, ihr eine Demütigung zuzufügen. Welche Seltenheit – eine Frau, die eine gebildete Untergebene immer zu schonen versteht – –
Man kann so rasch denken. – Das alles war ihm gegenwärtig, während er sprach, und färbte seinen Ton noch viel herzlicher, als er wußte.
Und sie hörte noch mehr hinein ...
»Ach ja – ja,« flüsterte sie, »ja – ein anderes Mal – aber bald – nicht wahr? Bald?«
Sie griff nach seiner Hand, und das zwang ihn, die ihre zu küssen.
Eine angenehme, träumerische Befangenheit machte ihn still.
Wie diese Frau hineinpaßte in die prangende Hochsommerfülle und Glut – als verkörpere sich die heiße Stunde in ihren weißen, vollen Gliedern.
Er fühlte immer stärker eine Versuchung in sich aufsteigen – sie drängte ihn zu diesem roten Mund. Der war ein wenig verzerrt vor Begehrlichkeit. Und ihre schwimmenden Augen hatten weichen Glanz – schlossen sich halb – zwischen den Lidern hervor brach ein Strahl von Hingegebenheit ... von glühendem Verlangen ... daß sein Herz zu klopfen begann ...
Mit einem Male begriff er: sie wollte ihn! Er fühlte,wenn er jetzt der Versuchung erlag, entschied es über sein Leben. Ein Kuß auf diese lechzenden Lippen, und er war gebunden ...
Er riß sich zusammen – mannhaft und überlegen. – Nicht in Abwehr. Aber in Besonnenheit.
Er küßte noch einmal ihre Hand ... Das ihr angeborene, wunderlich zutreffende Verständnis für die Annäherung und den vorsichtigen Rückzug eines Mannes blitzte in ihr auf ... Dieser Handkuß – das war eine Abschlagszahlung – ein Vertrösten – keine Zurückweisung. – Aber doch: es war quälend, in diesem Augenblick, wo sie ihr Leben darum gegeben hätte, sich satt zu küssen.
Sie stand auf – reckte sich wieder. – Das war immer wie ein Schauspiel und ein unbewußtes Sichdarbieten – lachte ein wenig gezwungen, und doch war zärtliches Gurren in der Stimme.
»Ja – an einem ruhigen Tage – dann kommen Sie – Sie allein – und ich erzähle Ihnen mein Leben. – Und jetzt will ich wirklich ruhen ...«
Sie ging, und zwischen den Gitterwänden, wo grünes Gerank all die zahllosen Quadrate durchflocht, wandte sie sich noch einmal um, winkte mit ihrer weißen Hand, an der die Brillanten blitzten ...
Er blieb ein wenig betäubt zurück. Kein Zweifel mehr: sie war in ihn verliebt, und er konnte sie haben. – Da war also ein Glück! Er hatte sich doch schweren Herzens vorhin nach einem Glück gesehnt. Eine Frau von üppiger Schönheit. – »Sie hat so irgend etwas an sich, als müßte sie in einen Harem passen,« dachte er. – Eine Frau mit großem Vermögen und Erbaussichten auf noch viel mehr. Eine Frau von gutherzigem Wesen. »Sie weinte neulich beinahe, weil ein Landstraßenköter ihren Foxterrier gebissenhatte – – sie ist außerstande, sich etwas Schönes zu kaufen, ohne gleichzeitig die Gerwald zu beschenken, damit der das Zusehen nicht sauer wird.«
Was wollte er, als bescheidener Oberleutnant eines Linieninfanterieregiments, noch mehr erwarten?
Es war sozusagen das große Los.
Er sah wieder den roten Mund, die feuchten Augen, den runden Arm, die weiße Haut ... Sein Blut wallte auf ... Und wenn sie jetzt noch hier gewesen wäre ... Aber nein! Besonnen bleiben! Sie prüfen – nichts überstürzen –
Nachher fand man sich wieder zusammen, war auf der Terrasse, im Salon, der sich mit zwei Türen auf die Terrasse zu öffnete, in der Diele, die wiederum an den Salon stieß, so daß der ganze mittlere Teil des Erdgeschosses für gesellige Zwecke sich wie ein einziger sehr großer Raum benutzen ließ. Likowski stellte fest, daß eine derartige Beweglichkeit und der Hang, alle paar Minuten den Platz zu wechseln, ihm etwas Neues an der allergnädigsten Hausfrau sei. Ferner stellte er fest, daß sie eine andere Toilette trug, die er »unerlaubt« schön nannte, weil die armen Männer schwach wie Adam bei solchem Anblick werden mußten. Und bei sich dachte er: sie hat jawollnochweniger an als vorher ... Aber dies zarte Lila, dieser hauchdünne Chiffon kleideten sie köstlich.
Agathe lachte etwas nervös und meinte, das Erwarten der Gäste, die viel zu spät kämen, spanne ab.
Und ihr Blick – den Likowski sah und höchst vielsagend fand – glitt hinüber zu Stephan Marning. Und – wahrhaftig: erwiderte der Oberleutnant den Blick nicht? Unbefangen sah er nicht aus – das konnte man bei schärferem Beobachten merken. War die Geschichte spruchreif? Hatte sein Oberleutnant begriffen und zugegriffen? Er, Likowski,gab seinen Segen. Von Herzen. Vorausgesetzt, daß Marning nicht den Abschied nähme, um in Wohlleben zu versumpfen. Aber da war ja wohl keine Gefahr. Marning zog des Königs Rock um kein Weib, kein Gold und keine Vorteile aus! Er wußte, was jetzt mehr als je die Pflicht des deutschen Soldaten war: das Schwert blank halten. – Die Stunde kam bald doch mal, wo ... Ja, der Stephan Marning – ein ganzer Kerl – man konnte ihn heiraten lassen ... Es interessierte Likowski fabelhaft ... Er dachte: kein kleines, aber vielleicht auch ein ziemlich anstrengendes Pläsier, der Erlöser Agathens zu sein ...
Und dann kamen die Gäste in rascher Reihenfolge. Etwa fünfundzwanzig an der Zahl. Da war der Großindustrielle Herr Detlev Stuhr mit seiner bemerkenswerten Tochter Edith, die heute zum erstenmal in der Gesellschaft erschien, weil ein Sommerfest, wie ihr Vater sagte, nicht für voll rechne. Fräulein Edith war von der bezauberndsten Häßlichkeit, sehr rothaarig, sommersprossig, mit einem kecken Näschen und hellbraunen Augen, aus denen allerlei lustige und zündende Farben sprühten. Ihr Kopf saß fein auf sehr schlankem Halse, und ihre Gestalt konnte man sich ebensogut in Jünglingskleidung denken wie in diesem blassen Blau dünner Stoffe. Und das zu rote Haar war mit einer so malerischen Berechnung geordnet, daß eine Schauspielerin hätte davon lernen können. Likowski verkehrte im Ton väterlicher Dreistigkeit mit ihr. Der eigene Vater, ein hastiger Mann mit scharfklugen Zügen, kokettierte damit, daß er zu schwach sei gegenüber der Tochter, und klagte über sie in Wendungen, die im Grunde lauter Lob und Preis dieses einzig dastehenden Wesens waren.
Dann sah man das kurzbeinige Ehepaar Herrn und Frau von Pankow. Er setzte sich gleich in einen der Rohrlehnsessel auf der Terrasse, mit auseinandergestellten Knien,wie Männer mit erheblichen Bäuchen tun, sprach den Erfrischungen und den Sandwichs eilig zu und hielt dabei einen kleinen Vortrag, dem der Generaldirektor Thürauf, die Finger um ein Glas Gießhübler geklammert, in kühler Ruhe zuhörte.
»Wär’ ja Selbstmord ... ’ne Verfassung?! Seit 1755 haben wir uns famos bei der bisherigen befunden ... bin meinem Großherzog loyal ergeben – das versteht sich – aber ’ne Verfassung? Da kriegt er die Ritterschaft nich zu – nie! Mecklenburg wäre ja nich mehr Mecklenburg – nein.«
Und sein breiter Dialekt, aus dem die eu- und oi-Laute wuchtig aufklangen, gab seiner obotritisch-ritterschaftlichen Ansicht erst die rechte Färbung. – Sein rundes Gesicht war rot von der Hitze der überstandenen Fahrt. Aber sein bißchen blondes Scheitelhaar befand sich in glänzender Ordnung. Der Alte-Kaiser-Bart hatte noch kein weißes Härchen.
Frau von Pankow, auch kaum mittelgroß und ebenso rundlich, sprach etwas leutselig mit Fräulein von Gerwald, der sie sich immerhin näher als mancher anderen Anwesenden fühlte, weil die Gerwalds eben doch sehr alter Adel waren.
Beide Gatten, in mangelnder Kritik, gefielen sich in Stoffen, wie sie für Körperfülle gar nicht ungeeigneter sein konnten. Seinen Spitzbauch umglänzte eine weiße Weste. Und ihren Busen, ihre Hüften umprallte hellgrauer Atlas.
»Wie viel Glanzlichter auf wie viel Rundungen,« sagte Fräulein Edith zum jungen Leutnant Hornmarck. Und sie lachten.
Likowski warf einen Blick hinüber. Sein kleiner Hornmarck, an dem er wie ein alter Bruder herumerzog, gingihm zu hitzig mit der frechen Krabbe um – alle Woche zweimal spielte man Tennis zusammen – es kamen Freundinnen aus Lübeck – Referendare – allerhand halbwüchsiges Volk, das sich aber natürlich für voll und lebensreif hielt. – Und Hornmarck hatte sich verliebt. – Na, das war ja selbstverständlich. – Aber es hieß aufpassen: tüchtige Entwicklungen nicht durchqueren lassen von zu frühen Gedanken an Verloberei. Likowski kannte das: mit zwanzig denkt man intensiver ans Heiraten als um die dreißig herum. – Und denn diese Edith! Zu amüsant! Amüsante Frauen sind was Zweischneidiges ...
Die blonden, ruhigen Töchter des Generaldirektors Thürauf sprachen vernünftig mit zwei Offizieren und dem Freiherrn von Brelow, der als Administrator eines der großen mecklenburgischen Rittergüter verwaltete, die sich mit fetten Wiesen, weiten Feldern und ruhevollen Wäldern an der Küste hinzogen. Er war nicht mehr ganz jung; ein etwas stiller, stattlicher Mann, mit einem schmerzlichen Zug im Gesicht, den Sorge hineingeschrieben.
»Wissen Sie,« sagte Herr von Pankow vertraulich, »das wär’ der Mann für Ihre Älteste. Er ist tüchtig und hat Charakter. Ich wollt’s ihm gönnen, daß er wieder auf eigene Scholle zu sitzen käme und sich wenigstens das kleine, eigentliche Stammgut der Brelows zurückkaufen könnte – sein Vater war ’ne Jeuratte – der Sohn is nich belastet – rührt keine Karte an – nee, kann ich beschwören – tut er nich.«
»Das dürfte ein zu kostspieliger Schwiegersohn für mich sein, Herr von Pankow. Ich habe drei Töchter – drei!« sagte der Generaldirektor lächelnd.
Pankow stieß mit dem Zeigefinger scherzend ein Loch in die Luft, auf sein Gegenüber zu.
»Soll ich Ihnen zehn Mark vorstrecken?! Seit fünfzehnJahren Generaldirektor mit ’n Ministergehalt und Tantieme auf Severin Lohmann! Wenn das nicht flutscht ...«
»Die Herren Agrarier denken immer, daß wir Großindustriellen uns nur so auf Goldsäcken herumwälzen.«
In einer anderen Gruppe sprach die hübsche, dunkelhaarige Frau Thürauf mit der Baronin Bratt und dem Oberleutnant von Marning.
»Ja, darüber wundern sich immer alle Menschen, wie sehr meine Töchter meinem Mann ähneln. Von mir keinen Zug.«
Die Hausfrau kam hinzu. Es war immer, sowie sie Neuankommende begrüßt hatte, als zöge es sie magnetisch dahin, wo Stephan Marning stand. Und sie ahnte nicht, daß die ganze Gesellschaft es bemerkte. Sie trug eben ihre Verliebtheit vor sich her wie ein Licht – vom Betrachten und Bewachen der Flamme wird der Blick blind für alles ringsum.
»Lohmanns kommen aber sehr spät,« sagte sie. »Und ich bin so gespannt! Als sie bei mir Besuch machen wollten, war ich in Berlin – Papas Geburtstag. – Und als ich bei Lohmanns vorfuhr, waren sie aus.«
»Ich glaube,« sagte die alte Baronin, deren Gesicht von Wind und Wetter braun war wie das eines Mannes, »das junge Paar macht sich nicht viel daraus, zu verkehren. Der Geheimrat hielt ja immer drauf – er sah ja auch in der Geselligkeit so ’ne Art volkswirtschaftliche Pflicht – fand es auch menschlich freundlich, mit den Gütern weit hinaus Beziehungen zu unterhalten. – Neulich, als ich mal zu ihm fuhr – ich verdanke ihm ja manches – als ich Witwe wurde und mein Niehaus allein bewirtschaften mußte. – Na, das gehört nicht hierher. – Neulich hielt er mir einen kleinen Vortrag über diese Sachen. Auf seinen Wunsch haben die Kinder dann Besuch gemacht –bei mir waren sie mal nachmittags, zur Kaffeezeit. Ich hatte auch Vorurteile – wer hat sie nicht! – die Heirat war so überraschend. Für den jungen Lohmann war es wohl das Beste. Ich kann aber nicht anders sagen: die junge Frau hat mir gut gefallen. Mir ist auch des Geheimrats Urteil maßgebend. Und er stellt sie hoch.«
Da fiel ihr ein, daß es taktvoller sei, mit der Gattin des Generaldirektors von Severin Lohmann nicht über die Schwiegertochter des alten Herrn zu sprechen. Aber gerade sagte noch Frau Thürauf: »Wissen Sie, Baronin, es war recht eigen – gerade für mich! Das kann man sich wohl denken. Ich hatte manchmal mit Fräulein Hildebrandt zu tun gehabt – solange keine Frau im Herrenhaus war, kümmerte ich mich, ohne Mandat sozusagen, manchmal um Severinshof – in solcher Arbeiterkolonie kann man immer mal helfend einspringen – auch im Schulhause sprach ich wohl vor – und da Fräulein Hildebrandt doch die Tochter des Vorgängers meines Mannes war, tat mir’s immer extra leid, daß ihr Leben so anders lief, als es wohl einst zu erwarten war. Ich hatte auch ohne das viel Sympathie für sie, die ich sie merken ließ. So was fühlt sich gegenseitig. Und mit einem Male ist sie die Schwiegertochter unseres Chefs ... Aber welch ein Takt! Wissen Sie, ihr erstes war, mir noch zu danken für die Sympathie, die ich ihr früher gezeigt, und die Hoffnung auszusprechen, daß das eine gute Vorbedeutung gewesen sein möge für unser weiteres Verstehen. – Es berührte angenehm. Keine Spur von Auftrumpfen ...«
»Wie alle diese Frau loben!« dachte Stephan. Es reizte ihn. Warum die Nachsicht? Immer wieder sollte man es hart und laut sagen: »Sie hat sich doch verkauft.«
»Da sind sie,« sagte die Baronin Bratt unwillkürlich halblaut, obgleich das Ehepaar Lohmann fern in der Dieleerschien, während sie selbst in der Tür zwischen Salon und Terrasse stand.
Agathe eilte ihnen entgegen. Über die ganze Gesellschaft legte sich plötzlich Schweigen; aber da jeder einzelne das sofort spürte und als taktlos empfand, dauerte es keine zweite Sekunde, bis die Stimmen mit erhöhter Lebhaftigkeit sich erhoben.
Das Wiedersehen enttäuschte Agathe. Damals war der junge Wynfried schön wie ein Apoll gewesen – eine Erscheinung, wie man sie unter der männlichen Jugend der englischen Aristokratie zuweilen trifft. – Er war gealtert – der Jünglingszauber war davon – stattlich sah er zwar aus; aber gar nicht mehr auffallend – so auf der Stelle bezaubernd.
Agathe fand auch die junge Frau nicht schön. Ihr Schönheitsideal waren natürlich blonde, üppige Frauen mit herrlichem Teint. Und diese Klara Lohmann schien ihr zu schlank, die Züge zu streng, die Farben zu matt. Höchstens konnte man gelten lassen, daß die Augen groß und ernst waren und sogleich fesselten.
Nun konnte Fräulein von Gerwald erkennen, daß ihre Voraussetzungen unzutreffend gewesen waren. Die junge Frau Lohmann nahm die Vorstellungen mit einer schlichten Freundlichkeit, gänzlich unbefangen entgegen; die ihr schon Bekannten – und es waren schließlich die meisten – bekamen ein besonders helles Lächeln. Auch der junge Ehemann zeigte eine ruhige Verbindlichkeit.
Likowski betonte sich als alter Freund und Hausgenosse. Der Freiherr Stephan von Marning wechselte mit dem Ehemann einen flüchtigen Händedruck und verneigte sich fremd vor der jungen Frau.
»Wissen Sie,« sagte die rothaarige Edith zu ihrem Ritter, dem Leutnant Hornmarck, »dies Ehepaar interessiertmich fabelhaft. Sie machen so ’n gänzlich unverheirateten Eindruck.«
»Den näher erläutert zu bekommen, wäre interessant,« meinte der kleine Leutnant.
»Ach, wer da so ’reingucken könnte!« sagte Edith mit einer wahrhaft gierigen Teilnahme an dieser vielbesprochenen Ehe.
Der Nachmittag ging rasch hin. Die junge Welt trödelte im Garten umher und war genügsam des Beisammenseins froh, das ja durch mancherlei kleine Schwingungen, verborgene Wünsche und Elektrizitäten vielerlei Reize hatte.
Agathe versäumte oft ihre Hausfrauenpflichten und tröstete sich damit, daß Fräulein von Gerwald beflissen um die älteren Damen besorgt sei. – Es zog sie – es trieb sie – sie mußte,mußteimmer wieder Stephans Nähe haben. Sie beobachtete zweimal, daß Edith Stuhr, dies Mädchen, dem man einfach alles zutrauen konnte, mit ihrem Pierrotlachen ihn ansprach. Ihr Fraueninstinkt wußte: diese eben dem Backfischtum entronnenen Mädchen sind die Todfeindinnen der reifen Frauen – halten eine Achtundzwanzigjährige schon für alt. Eifersucht quälte sie ...
Es war Ende August, und die Dämmerung füllte schon früh den schwülduftenden Garten. Seine hohe Lage gab den Blick frei nicht nur auf die weite Ferne und Wyk und Meer, sondern auch auf einen ungeheuren Himmelsraum, dessen Blau nun langsam erlosch, um sich in eine feine Farblosigkeit zu verwandeln.
Da kam Fräulein von Gerwald eiligst herangerauscht, suchte ihre Herrin und gab die empfangene Meldung weiter, daß man zu Tisch gehen könne. Und da erst fiel es Agathe ein, daß man die junge Frau Lohmann gar nichtim Garten gesehen habe. »Sitzt bei der Baronin Bratt, Hauptmann von Likowski und Frau von Pankow.« Das erinnerte an so viel Würde. – Mein Gott, ja, sie war nun immerhin die Gattin von Wynfried Severin Lohmann. – »Was haben Sie ihr für einen Tischherrn gegeben?« fragte Agathe, als sie mit ihrer Gesellschaftsdame auf die Terrasse zuging.
»Den Freiherrn von Marning.«
Es war Agathe im Grunde sehr, sehr recht. Ungefährlicher konnte der geliebte Mann ja nicht untergebracht sein. – Aber doch: Frau Klara Lohmann würde sicher erwarten, daß Herr von Pankow sie führe. Entschieden – so war es nicht ganz taktvoll ... Eine Änderung aber im letzten Augenblick unmöglich.
Es zeigte sich auch weiterhin, daß Fräulein von Gerwald keine glückliche Hand gehabt hatte. Ihre Gutherzigkeit wollte fördern, wo sie zwei auf dem Wege zueinander witterte. So gesellte sie Edith und den Leutnant Hornmarck, und darüber waren Ediths Vater und Likowski ärgerlich; sie setzte Brelow neben die älteste Thürauf, und das beunruhigte den Generaldirektor und seine Frau und raubte ihnen die Stimmung. Hinwieder ließ sie die Baronin Bratt von Herrn von Pankow führen, der dafür bekannt war, daß er gern was Hübsches, Junges zur Seite hatte und obendrein als Grenznachbar des Brattschen Gutes in vielerlei kleinen Ärgernissen mit der ihm zu autoritativen Baronin lebte.
Aber Agathe merkte nichts davon, daß ein Teil ihrer Gäste nicht sehr munter schien. Sie war ganz und gar beschäftigt. Mit glücklichem Gefühl beobachtete sie, daß Stephan sich mit der jungen Frau Lohmann steif und höflich unterhielt – natürlich mochte er sie nicht leiden – daneben versäumte sie nicht, in Wynfried Lohmann dieErinnerungen an jenen schönen Abend von damals wachzurufen.
Er lächelte.
»Ich bin gewiß sehr unbescheiden gewesen! Was man so als junger Dachs alles wagt! Und nach sechs Jahren darf ich es wohl gestehen: ich war an jenem Abend rasend in Sie verliebt.«
»Ach, wie entzückend, das noch nachträglich zu hören. Ja – jetzt sind Sie nicht mehr so ganz flammender Schwärmer. – Ein würdiger Mann. – Schrecklich ernsthaft verheiratet. – Teilhaber an Severin Lohmann. – Und machen es wie Ihr Vater und arbeiten von früh bis spät?«
»Meinen Vater kann niemand erreichen. Die Natur gab ihm zu seinen Geistesgaben auch noch die Hünenkraft – sie ist ja noch fast ungebrochen. – Wenn die linksseitige Lähmung nicht wäre. – Aber ich versuche mich einzuarbeiten. – Das große Interesse, das meine Frau hat, ist dabei nicht unwichtig. – Teilhaber werde ich offiziell am 1. September.«
»Ich will versuchen, mich mit Ihrer Frau zu befreunden,« sagte Agathe in plötzlichem Entschluß. Der von ihr geliebte Mann verkehrte doch bei den Lohmanns. – Grund genug zum Wunsch, aus der förmlichen Beziehung eine nähere werden zu lassen.
»Es würde mich freuen, wenn Ihnen das gelänge, Baronin. Meine Frau hat eine sehr ernste Jugend gehabt. So ist sie ein verschlossener Mensch geworden. Ein wenig Fröhlichkeit könnte unserem Hause nicht schaden.«
Der arme Mann darbt gewiß an allen Ecken und Enden, dachte Agathe.
Und er dachte, daß es immerhin unterhaltend sein könnte, dieses wundervolle Weib öfter zu sehen. Zuweilen ging es ja wie ein Erwachen durch ihn hin – einleiser, noch nicht bestimmter Wunsch wollte aufwallen, daß ihm das Dasein wieder genießenswerter werden möge.
Und diese Frau, wenn man sich zufällig einmal näher zu ihr neigen mußte, hatte einen Duft an sich – einen ganz bestimmten Duft, süß und zart, den Wynfried kannte. Und dieser feine, eindringliche Wohlgeruch störte Erinnerungen aus dem Schlaf auf.
Er fragte endlich leise: »Was haben Sie für ein Parfüm – verzeihen Sie die Frage, Baronin – aber Sie wissen: was weckt mehr Erinnerung als ein Duft!«
Und sie nannte die Mischung und das Pariser Haus als Bezugsquelle. – Worte, die ihm ins Ohr klangen wie ein Nachhall aus verrauschten Tagen ... Der bittere Zug kam in seinen Mundwinkel. – Er sah zu seiner Frau hinüber. Zufällig trafen sich ihre Blicke.
Da lächelte er freundlich ...
Das war sein redlicher, gütiger Kamerad, an dessen Hand er wieder emporkam ... Und im Trotz gegen diesen Duft nickte er ihr zu.
Klara dachte, daß das Tafeln niemals ein Ende nähme.
Wie förmlich der Freiherr von Marning neben ihr saß. Nein, mehr noch: gezwungen, konnte sie denken. – Und sie wußte nicht, was für Gespräche sie versuchen sollte – jedes starb gleich ab. Auf das qualvollste fühlte sie sich befangen – und es war geradezu lächerlich, wie ihr eine ganz kleine Sache immer auf der Zunge lag und wie sie sich doch nicht zu entschließen vermochte, davon zu sprechen. Sie war nie dazu gekommen, ihm für die arme kleine pastellblaue Wollmütze zu danken, die er damals gefunden und ihr zugesandt hatte. In ihrer kurzen Brautzeit war sie ihm einmal begegnet, mit Likowski, der sie ansprach. Bei dieser Begegnung gratulierte er ihr mit so viel Zurückhaltung, daß es ihr weh tat.
Sie ahnte: er sei einer von denen, die dachten, sie habe sich an einen reichen Mann verkauft.
Das verschloß ihr den Mund.
Auch neulich, als er bei ihnen zu Gast gewesen, fühlte sie sich außerstande, von der kleinen blauen Mütze zu sprechen – als sei das wunder was gewesen, ein Erlebnis, daran man nicht rühren dürfe ... Und nun rang sie mit dem Wunsch, doch davon anzufangen. Es war aber unmöglich.
Einmal fragte sie: »Wo standen Sie früher?«
»In Köln, gnädige Frau. Zuletzt war ich in Berlin – zur Turnanstalt kommandiert.«
»Da ist freilich eine andere Welt gewesen. Wird es Ihnen nicht schwer auf dem Lande, in der kleinen Stadt? Das Leben ist so anders.«
»Wo ein so gewaltiges industrielles Unternehmen wie die Severin Lohmann die Gegend beherrscht, ist weder Kleinstadt noch Landstille. Man hat immer das Gefühl, als wohne man nebenan bei einem Riesen, der von Funken umsprüht dasteht und der Welt zuruft: arbeite!«
»Wie freut es mich, daß Sie es so empfinden,« sagte Klara lebhaft. »Mir ist oft, als sähe ich die ganze wunderbare Arbeit der Natur, die uns sonst geheimnisvoll verborgen bleibt, sich in einem geschlossenen, durchsichtigen Prozeß vor unseren Augen abspielen. In so einem Hüttenwerk mit all seinen Nebenprodukten lernt man in die Wirtschaft unserer Mutter Erde hineinsehen. Die Chemie hat ihr ihre Misch- und Kochkünste abgelauscht und wiederholt sie oben im Licht, auf sicherere und positivere Art.«
»Gnädige Frau haben Verständnis und Interesse für das Lebenswerk Ihres Herrn Schwiegervaters.«
Das war nun wieder eine abschließende Bemerkung. Aber Klara fragte: »Haben Sie das Hüttenwerk schon besucht?«
»Nein; ich fand noch keine Gelegenheit, darum zu bitten.«
»Wir wollen es Ihnen zeigen – Wynfried und ich – oder mein Mann allein,« setzte sie rasch hinzu. »Wenn er mich nicht dabei haben mag ...« dachte sie.
»Ich nehme es mit Dank gelegentlich an,« sagte er unbestimmt.
Sie suchte nach einem anderen Thema.
»Sind Sie aus eigenem Wunsch oder in einer Familientradition Offizier geworden?« fragte sie.
»Aus Wunsch und Tradition, gnädige Frau.«
»Es ist jetzt nicht leicht, Offizier zu sein,« sagte sie, »der lange Friede – und das mehr und mehr entschwindende Verständnis für die Größe Ihres Berufs ...«
Er sah sie überrascht an. Ihre Blicke trafen sich.
»Ganz gewiß, gnädige Frau. Man hat manchmal zu tun, Bitterkeit von sich abzuwehren, daß sie einem den frohen Mut nicht verdirbt. Die Gage ist schmal – die Zulage klein – Offizier sein, heißt von tausend Fällen neunhundertmal: mit stiller Würde entsagen können und auf alle sorglos reichlichen Lebensformen verzichten. Man hat sich dem Vaterlande gelobt und ist mit dem guten Bewußtsein zufrieden, das volle Hingabe immer gibt. Aber wenn man denn so spürt, daß diese Hingabe von breiten Volksschichten gar nicht verstanden und gewürdigt wird – das tut weh. Es ist auch kein erhebendes Gefühl, wenn man todmüde vom Dienst kommt und dann als Erfrischung ein Witzblatt in die Hand kriegt, wo alles, was Uniform trägt, als Troddel dargestellt wird. Naß bis auf die Haut ist man vielleicht, tat in Wind und Kälte seit Morgengrauen Dienst – vielleicht nach halbdurchwachter Nacht bei kriegswissenschaftlicher Arbeit. Und dann liest man, noch nicht mal bloß in sozialdemokratischen Blättern, Urteile,Schilderungen über uns, deren Böswilligkeit oder Unverständnis einfach grotesk ist. Die Hoffnung, endlich einmal zeigen zu können, wozu wir da sind, was wir gearbeitet haben – ja, die wird schon fast Ungeduld. Wenn auch nicht alle so viel davon sprechen wie Likowski. Und doch – während man so ungeduldig ist, muß man zugleich aus tiefstem Herzen wünschen, daß dem Volke das Grauen eines Krieges erspart bleibt. – Ja, er ist nicht ganz einfach, unser Beruf ... Konflikte ... keine leichten ...«
»Es gehört stilles Heldentum dazu,« sprach Klara. »In dieser Zeit, wo gewisse Schichten das Wort ›Vaterland‹ nicht hören können, ohne von Hurrapatriotismus und Sentimentalität zu höhnen.« Und nach einer kleinen Pause sagte sie langsam vor sich hin, was ihr von allen seinen Worten am stärksten gewesen war: »Und man ist mit dem guten Bewußtsein zufrieden, das volle Hingabe immer gibt.«
Er fühlte, daß sie diesen Ausspruch auch für sich annahm – so deutlich fühlte er es, als habe sie es ihm erklärt.
Er versank in Nachdenken. Das seltsame Gefühl der Vorsicht, das ihn zwang, sich fern und feindlich von ihr zu halten, war ihm entglitten. Er dachte: »Wir verstehen einander – sie und ich ...«
Aber sie hatte sich ja doch verkauft – und das war gegen seine Einschätzung von Frauenwürde. Er sagte es sich noch einmal nachdrücklich.
Als man nach Tisch hinauskam, stand die stille, dunkle Hochsommernacht so mächtig da, daß alle Leute sich von etwas rätselvoll Großem wie gebändigt fühlten und alle einfachen Herzen in Andacht schwiegen. Der hinschwindende Mond war nur noch eine schmale, orangenfarbene Sichel ohne Leuchtkraft. Die Sterne schienen ferner alssonst noch – zu kleinen Pünktchen geworden, in unermeßbarer Höhe, kaum erkennbar. Und die eine Seite des Himmels rabenschwarz. Drüben unten blinkerten die Lichter von Travemünde. Daß der Leuchtturm, dessen Lampen man von hier nicht sah, wachsam seine Arbeit tat, erriet man aus dem gespenstigen Schein, der nach regelmäßigen Pausen über die grenzenlose Dunkelheit hinhuschte, von der man wußte: sie ist das Meer ...
Stephan Marning schrak aus verträumtem Hinsinnen auf. Ohne daß er darauf achtgegeben, hatte Agathe sich ihm genähert. Sie flüsterte, als sei schon geheimes Einverständnis zwischen ihnen: »Richten Sie es so ein, daß wir zusammen ins Ruderboot kommen.«
Der heiße Ton der dringlichen Mahnung berührte ihn, als wolle eine Frauenhand ihn streicheln, die er um keine Liebkosung gebeten hatte ... Er nahm sich zusammen. – Sie nicht verletzen – klug sein. – Heute nachmittag, in durchdufteter Sonnenglut hätte er doch beinah die roten Lippen geküßt ... Sie war ihm also doch kein reizloses Weib ...
»Wenn es unauffällig geschehen kann ...« flüsterte er zurück.
Nun zog die Gesellschaft zum Ufer hinab, um die Fahrt in den geschmückten Booten auf dem nächtlichen Wasser des Wyk zu machen. Nur ein paar ältere Herren und die Baronin Bratt blieben zurück.
»Es wetterleuchtet!« schrie Fräulein Edith.
»Keine Spur. Das ist das Blinkfeuer des Leuchtturms,« sagte jemand.
Fräulein von Gerwald hatte auch gesehen, daß es sehr starkes Wetterleuchten gewesen war. Aber sie schwieg. Sie wollte ihrer Herrin nicht das Programm verderben. Und würgte lieber die jäh aufsteigende, schlotternde Angst hinunter.
Dieser Menschentrupp, von einer teils künstlichen, teils echten Lustigkeit wie besessen, hatte für Stephan etwas merkwürdig Törichtes.
Im unsicheren Licht, das die an den abwärtsführenden Wegen aufgehängten bunten Laternen hergaben, sah er dicht vor sich Frau Klara Lohmann. Zuweilen konnte er ganz deutlich den schlanken Hals mit dem feinen Haaransatz erkennen und den braunen Haarknoten. Jetzt erst, in diesem Dämmerlicht fiel ihm auf, wie einfach sie gekleidet war ... Sonderbar. Sie hatte doch reich werden wollen ...
Unten am Bootshaus war ein Gedränge und Gelächter.
Edith tat, als sei sie beständig in Gefahr, ins Wasser zu fallen, und war recht laut. Sie wollte auch durchaus selbst ein Ruder haben, und deshalb stieg sie in das Ruderboot, wo die blonde Hausfrau, ein wenig schwer atmend, schon saß und sich von Wynfried Lohmann einen Schal umlegen ließ. Das Boot füllte sich so rasch, daß es Stephan keine Mühe kostete, sich auszuschließen.
Frau Agathe rief: »Aber Herr von Marning sollte doch mit hier herein ...«
Und andere Stimmen riefen dagegen: »Kein Platz mehr.«
»O Gott, es wetterleuchtet wirklich!« sagte ein Fräulein Thürauf.
»Das kommt nich!« beruhigte der Bootsmann.
Stephan saß dann im Motorboot, vorn auf der kleinen Querbank, neben der jungen Frau Lohmann. Und die Maschine fing an, eilig und mit kleinen, dunklen Tönen zu puckern. Man hörte ein paar aufgestörte wilde Enten mit rauschendem Flügelschlag davonstieben. –
»Wie schade,« sagte Klara.
»Was?«
»Daß wir die Sommernacht entweihen.«
Er hatte dasselbe gefühlt.
Fräulein Thürauf II und III waren musikalisch, hatten hübsche Stimmen und fingen an zu singen. Es klang sentimental. In den Gesang hinein schrie wieder jemand: »Es wetterleuchtet aber fix.«
Wie schwarz das Wasser und die Nacht. Ohne die Laternen an Bord hätte man vielleicht den metallischen Blauglanz der Hochsommernacht erkannt. Die roten, durchleuchteten Papierkugeln töteten den Zauber.
»Zu solchen gewaltsamen Vergnügungen muß man bei frischer Laune sein,« dachte Stephan und konnte selbst nicht begreifen, weshalb ihm dies alles so überflüssig und geschmacklos schien.
Jetzt war es gar kein Zweifel mehr, daß das Wetterleuchten immer rascher trübrot die Gewölkwand am nordöstlichen Himmel zerriß. Es schien aber niemand im Boot ein Gefühl für die wilde Schönheit der zuckenden Scheine zu haben. Vielmehr stritten alle, ob man umkehren oder weiterfahren solle. Aber die behielten noch die Vormacht beim Entscheid, die auftrumpften: »Das Ruderboot denkt nicht an umkehren – seht! Es schießt flott weiter hinaus. – Und da ist doch die Baronin selbst an Bord – und sie ist doch so ängstlich ... Und Likowski ist dabei – bloß keine unnütze Angst, meine Herrschaften.«
Das Wasser gluckerte vorn am Bug, und es klang, als plauderten liebliche Stimmen unbekümmert vor sich hin. Laue Luft wehte den Fahrenden entgegen, wie das Boot so mit raschem Lauf durch die Flut rauschte. Einige Minuten lang schwiegen die Insassen.
Mit einem Male zuckte am westlichen und gleich darauf auch am nördlichen Himmel ein Blitz. – Niemand hatte gemerkt, daß rundherum Wolken heraufgezogen waren. – Eine Frauenstimme stieß einen gellenden Schrei aus.
Und von diesem Augenblick an wurde die Szene grotesk.
Die Blitze sausten zackig von dem schwarzen Himmel nieder, Donner schütterte durch die Luft, das Wasser gärte in Unruhe. Aber man hätte dieses große Schauspiel ohne Angst ansehen können, denn der Mann an der Maschine lenkte, auf einen Zuruf des Oberleutnants von Marning hin, ruhevoll das Steuer uferwärts. In acht, in zehn Minuten konnte man wieder sicher unter das Dach des Bootshauses eingeglitten sein. Höchstens konnte etwa bald einsetzender Regen für die Damen unangenehm werden.
Aber die Frauen wurden von jenem unerklärlichen weiblichen Bedürfnis gefaßt, sich in Gefahr und Angst hineinzusteigern. Die instinktive Begier nach Schrecknissen und die Bereitschaft zum Abenteuerlichen packte sie ... Sie wurden wie Kinder, die im dunklen Zimmer schreien, weil sie den schwarzen Mann und andere unbekannte Bedrohlichkeiten fürchten.
Die Offiziere baten – beschworen – wurden streng. – Umsonst. Das leiseste Schaukeln ließ die Sinnlosen von der einen Seite des Bootes sich auf die andere hinüberstürzen. Es schwankte so sehr, daß es zweimal in Gefahr geriet, umzuschlagen.
Und diese wahnwitzige, überflüssige Angst war so ansteckend wie alle nervösen Anfälle, die aus Zeugen oft genug Miterleidende machen. Selbst die vernünftigen beiden Fräulein Thürauf weinten – und die eine schrie: »Wir wollen an Land schwimmen.« Sie mußte gehalten werden, um sich nicht ins Wasser zu stürzen.
Stephan saß neben der jungen Frau. – Er faßte beruhigend nach ihrer Hand. – Klara saß ganz still. Sie schien sehr bleich zu sein. Mit großen Augen sah sie dem angstzuckenden Gebaren zu – es hörte ja auf, lächerlichzu sein, weil es eine ernste Gefahr für das Boot und alle Insassen war.
Ein nächster Augenblick – ein Ungefähr konnte das Unglück herbeiführen – es brauchte nur ein Blitz greller und näher herabzufahren. Der Donner brauchte nur rascher heranzukrachen, und die Frauen würden völlig den Verstand verlieren.
Klara allein war nicht von dem Taumel der Furcht, von der Besessenheit des Grauens erfaßt worden. Aber sie sah deutlich: diese Tollen beschworen herauf, was ohne Tollheit gar nicht vorhanden gewesen wäre.
Und sie machte sich auf ein furchtbares Ereignis gefaßt ... Da fühlte sie, daß eine starke Hand tröstend die ihre umfaßte. Sie wußte plötzlich: es kann ja nichts geschehen.
Er sah ihre Selbstbeherrschung – wie liebte er gefaßte Haltung, geschmackvolles Betragen an Frauen. Das dieser jungen Frau inmitten all der sinnlos sich Gebärdenden war eine Wohltat. Und er dachte: »Ich habe ihr Unrecht getan!« Diese Frau, in deren Gedanken und Wesen er heute ein wenig, nur ein wenig hatte hineinsehen können – die war keiner niedrigen Handlung fähig.
Warum nicht fortan herzlich und freundlich ihre Freundschaft suchen – warum nicht trachten, sie näher kennen zu lernen?
Ein Schrei zerriß seine Gedanken ... ganz nahe war ein Blitz niedergefahren. – Polternd schien die Luft auseinander zu fallen – als ob ihre Räume zerbarsten, klang es.
Gleichzeitig legte sich, weil die Frauen sich hinüberwarfen, das Boot steuerbord so stark auf die Kante, daß nur das Gegengewicht, das mit Geistesgegenwart von den Offizieren gegeben wurde, es noch einmal rettete. Und im nächsten Augenblick schüttete es jäh vom Himmel nieder– als käme ein Tropenregen herab, so gewaltig und groß prallten die Tropfen auf und in solchen Mengen, als habe einer neben dem anderen keinen Platz.
Und dieser grandiose Regen goß die alberne Angst aus.
Die fürchterliche und prickelnde Aufregung vor Tod in Wasserfluten, die Begierde auf Rettung durch starke Männerarme, die Schwelgerei weiblicher Schutzbedürftigkeit in Gefahr – alles erlosch. Und nur noch der eine Gedanke hatte Leben, stärkstes Leben: »O Gott, mein Kleid!«
Die Papierlaternen waren feuchte erloschene Fetzen. Die Spitzen und Tülle der Kleider nur noch anklebende Lappen.
Stephan begann seinen Überrock aufzuknöpfen, und die junge Frau erriet auf der Stelle, daß er ihn ausziehen und ihr umlegen wolle.
»Lassen Sie, bitte. Wir sind in einer Minute da.«
Auch das Ruderboot kam rasch heran – an seinem Borde schien kein Kampf der Furcht sich abgespielt zu haben.
Im Bootshause, auf den innen umlaufenden Stegen war ein Gedränge halb komischer, halb tragischer Art. Man lachte, weinte, trumpfte auf, schämte sich.
Die schöne Hausfrau ertrug es mit Humor, daß ihr blaßlila Chiffonkleid nur noch ein unzulänglicher Badeanzug war, und sie fing schon gleich an, ihr blondes Haar auseinander zu lösen – alle konnten so seine Fülle sehen – das machte ihr Spaß. –
Am Ufer warteten die zurückgebliebenen Väter und Gatten neben den Blausilbernen, die ihren Glanz in Gummimäntel gehüllt hatten. So viel Regenschirme es im Schloß Lammen nur gab, waren zur Stelle.
Aber was halfen nun noch Schirme.
»Wir sind wie gebadete Katzen,« schrie Fräulein Edith, vor Vergnügen außer sich.
Stephan sah, daß Wynfried Lohmann sich in herzlicher Besorgnis seiner Frau zuwendete.
»Vielleicht,« dachte er, »vielleicht ist das Unwahrscheinliche wahr, und sie lieben sich.«
So endete das Sommerfest auf Lammen, und Agathe hatte wohl Recht, als sie nachher noch sagte: »Diese gräßlich schöne Natur. – Verlaß ist nie darauf.«
Klara dachte über die vergangenen Monate nach.
Der Tag lud sie förmlich dazu ein. Es war ihr Geburtstag, und ihr dreiundzwanzigstes Lebensjahr begann.
Sie saß in ihrem Zimmer. Es nahm die Ecke des Erdgeschosses ein und hatte ein Fenster nach dem Hüttenwerk, eines nach den Anlagen und dem Fluß zu. Aber auch von diesem Fenster, an dem die junge Frau ihren gewohnten Sitzplatz sich hergerichtet, hatte man den schrägen Blick hinüber auf die rauchende, flammende und rumorende Welt der Arbeit.
Die schönen Sachen von Klaras Mutter möblierten das Zimmer. Sie waren völlig unbeschädigt erhalten gewesen, und man hatte nur ihrem Mahagoniglanz nachgeholfen. Das weite, tiefe Sofa mit dem graublauen Seidendamast stand an der Hauptwand. Darüber hing das Bild der Mutter. Das Angesicht, das dem der jungen Frau so sehr glich, leuchtete fein und hell vor dem grünen Hintergrund im dunkelgoldenen Rahmen. Und auf dem halbhohen Teeschrank an der Wand gegenüber ging zwischen den kleinen Alabastersäulen die gelbbronzene Pendelscheibe hin und her; oberhalb des Zifferblattes, auf der alabasternen Brücke, schritt der kleine, fiedelnde Amor. Nichts war hier neu als der Teppich, der zu der Einrichtung passend beschafft worden war, die Spitzenvorhänge an denFenstern und die elektrischen Lampen. Wenn die junge Frau nicht durch häusliche Pflichten oder durch ihren Schwiegervater in Anspruch genommen war, saß sie am liebsten hier, wo sie den weiten Blick hatte über den Fluß, das wellige Gelände, die kleine Stadt, die freundlich und rotbunt mit all den vielen Fischräuchereien drüben sich um den Kirchturm drängte. Sie sah auch die Schornsteine und die Spitzen der wunderlich phantastischen Bauten des Hüttenwerks. An den Hochöfen, die sich nach oben zu in gebrochenen Linien verjüngten, konnte sie all die sie umgebenden Rohrwülste und umlaufenden Galerien erkennen. Sie verfolgte, wie an den Schrägaufzügen die kleinen Erzwagen hochklommen, und wußte, daß die dann oben ihren Inhalt in die Beschickungsöffnungen hineinschütteten.
Der Novemberwind nahm den Schornsteinen den Rauch schon vom Rande weg und zerjagte ihn ostwärts in der Luft. Ein fahler Sonnenschein bekam manchmal die Wege frei, wenn die grauen Wolken nicht gerade an der hellblanken Scheibe im Himmelsraum vorbeisausten. Das Wasser des Flusses und der Bucht, zu der er sich gleich hinterm hohen Ufer des Städtchens erweiterte, wechselte die Farbe mit der unruhigen Belichtung. Bald gleißte es in einem beizenden Spiegelglanz, bald sah es stumpf aus, wie trübes Zinn. Und die Möwen flogen, mit weißem Flügelschlag im Schatten, mit silbrigem Blitzen in der Sonne.
Im Vordergrund, an den Büschen und Bäumen der Anlagen hing hie und da noch rostfarbenes Laub. Von den meisten Ästen und Zweigen aber hatten Nebel, Regen und Sturm es längst fortgerissen.
Zwischen der Front des Hauses und dem hohen Gitter, das die Landstraße von der Besitzung schied, arbeitete derGärtner, um die Rosen niederzulegen und allerlei niedrige Ziersträucher, die den Vorgarten schmückten, für den Winter mit Tannendecken zu schützen.
Aber die junge Frau war keineswegs von Herbstmelancholien niedergedrückt. Voll guten Mutes und in Dankbarkeit dachte sie über den Weg nach, den ihr Leben in den letzten Monaten zurückgelegt.
Auf das allermerkwürdigste war dabei die große Veränderung in allen äußerlichen Daseinsbedingungen kaum ein Gegenstand ihrer Betrachtungen. Eigentlich hatte sie sich von heute auf morgen hineingefunden, in einem reichen Hause zu leben. Vielleicht, weil doch in ihr noch Erinnerungen genug wach waren an die Üppigkeit, die ihre erste Jugend umgab; vielleicht auch, weil sie in diesem Raum eine ganz gewohnte Umgebung behalten hatte; und endlich vielleicht auch, weil sie den Sturz vom Reichtum zur Sorge miterlebt hatte und sich der Tränen ihrer Mutter entsann. Menschen, die den Wechsel irdischen Glanzes an sich erfuhren, tragen als Gewinn all des Jammers Unabhängigkeit davon. Klara wunderte sich selbst oft, wie unabhängig sie von dem Bewußtsein der Millionen dieses Hauses war. Sie sagte auch ganz nüchtern und einfach, wenn etwa ihre Pflegemutter wie trunken und staunend von dem Reichtum sprach: es ist ja gar nicht meiner! – Sie war keinen Augenblick berauscht von dem Wissen, daß ihr nun aller Luxus freistehe. Ganz sicher fühlte sie sich in der neuen Lage und hatte vor allen Dingen die eine bestimmte Erkenntnis, daß es von ihr nicht geschmackvoll sein würde, Aufwand für ihre Person zu verlangen oder zu treiben.
»Darum habe ich Wynfried nicht geheiratet,« sagte sie, wenn die alte Doktorin Lamprecht immer wieder ihre einfache Kleidung besprach und meinte: »An deiner Stellewürde ich ...« Ja, was nicht alles? Sich mit Schmuck behängen? Und von Samt und Gold starren?
Klara wußte, was sie getan hatte. Ihrer Tat treu zu bleiben, war ihr einziger Wunsch, ihre einzige Pflicht.
Was sie auf sich genommen hatte, um eine riesengroße Dankesschuld abzutragen, bestimmte all ihr Tun und Lassen.
Nun saß sie an diesem Novembermorgen, der für sie wie ein Auftakt zu einem festlichen Tage war, und dachte nach, wie weit sie denn eigentlich gekommen sei und ob alles schwer oder leicht gewesen.
Mit dem alten Herrn? Oh, wie leicht, wie beglückend! Von jenem ersten Augenblick an, wo sie als Braut seines Sohnes neben seinem Sessel niederkniete und die Hand küßte, die den Schimpf vom Grabe ihres Vaters und die Not von den Tagen ihrer Mutter fern gehalten ...
Wynfried stand dabei, und der alte Mann und das junge Mädchen konnten nicht von dem sprechen, was sie zumeist bewegte. Er konnte nicht bitten: rette meinen Sohn! Sie konnte nicht schwören: mein Leben für ihn – damit er dir recht leben kann!
Aber sie verstanden sich auch ohne Worte auf das wunderbarste, und wie sie sich damals mit langen, tiefen Blicken alles gesagt, so war es bis auf den heutigen Tag geblieben: ein Lächeln, ein andeutendes Wort, ein rascher Blick – und sie wußten voneinander, was sie dachten. In großen Fragen und in kleinsten Alltagsdingen. Und der alte Herr sagte manchmal: »Kind, ich muß mir’s immer mit Gewalt vergegenwärtigen, daß du nicht von meinem Blute bist.« Und er sprach auch von dem Geheimnis seelischer Übertragungen. »Deine Mutter hat mich geliebt und hat mich verstanden. – Das hat hinübergewirkt auf dein Wesen – vielleicht ohne daß sie es wußte, hat sie aus dir mein Kind geformt.«
Klara fühlte auch, wie der tägliche Umgang mit ihm sie reich machte und wie viel Interesse er in ihr weckte, wie er ihr Wissen erweiterte. Ihr geistiges Leben, so dachte sie oft, begann in der Zeit, als sie den Kranken jeden Sonntag hatte besuchen dürfen.
Jeder Tag brachte ihr in immer neuer Befriedigung das Gefühl: ich habe recht getan. –
Die Gesundheit des alten Herrn besserte sich so sehr, wie kein Arzt es für möglich gehalten; seine Stimmung war so gleichmäßig und milde, wie man es noch nie an ihm beobachtet hatte.
Und der Generaldirektor Thürauf, der ihm mit bewundernder Treue ergeben war, sagte der jungen Frau: »So kommt der große Arbeiter, der nie für sein privates Leben viel Wärme gehabt hat, doch noch zu einem schönen Abend.«
Ja, diese Gedanken waren hell, mit keinerlei Zweifelsfragen behangen.
Und sonst? Die Aufgaben im Hause und die der Stellung?
Da war’s nicht so leicht gewesen und auch zur Stunde noch nicht immer einfach. Die Dienerschaft zwar, das erriet Klara bald, hatte von vornherein die Annahme: Die junge Frau regiert den alten Herrn, also heißt es bei ihr in Gunst und Gnaden stehen. An Beflissenheit fehlte es demnach nicht. Da aber Klara nicht im mindesten auf die Führung eines so großen Hausstandes vorbereitet war, mußte sie all ihre rasche Intelligenz zusammennehmen, um in die Aufgabe hineinzuwachsen. Die gute alte Doktorin Lamprecht konnte ihr, aus dem engen kleinen Rahmen ihres wirtschaftlichen Lebens heraus, auch keinen Rat geben. Aber sie entdeckte in sich überraschenderweise die Begabung für diese Dinge, die vielleichtnur selten einer echten Frau fehlt. Das machte ihr Mut, und sie arbeitete sich freudig in den Betrieb hinein. Als ihr Schwiegervater einmal schalt, daß sie zu viel umherlaufe und sich mit der Organisation der Rechnungsablage, mit der Kontrolle der Wäschevorräte und der Kellerei und anderer Zweige des Haushaltes plage, sagte sie: »Ach, Vater – das meinst du gar nicht wirklich. Es sind doch Werte! Wenn es auch vielleicht für deine Einkünfte gleichgültig ist, ob ein paar Tausend im Jahr mehr verbraucht werden – für deine Leute ist es nicht gleichgültig. Ich denke manchmal, wenn Dienstboten in großen Häusern allzu flott wirtschaften dürfen, können sie nachher keine guten Haushalter werden in ihrer eigenen, oft so sorgenvollen kleinen Selbständigkeit.«
Dazu hatte er dann genickt. Es war ja ganz in seinem Sinne.
Er lebte seit vielen Jahren als großer Herr. Seine unerhörte Arbeitsleistung konnte sich ungehemmter entfalten, wenn viele und rasche Bedienung, jede Erleichterung des Verkehrs, alle Bequemlichkeiten ihm die Mechanik des Alltagslebens unspürbar machten. Außer dieser Notwendigkeit, sich nie durch geringe Umstände und den Ablauf der Nebendinge gestört zu sehen, bestimmte ihn noch ein anderer Grund zu reicher Lebensführung. »Wer in bedeutendem Maße Geld verdient,« sagte er zu Klara, »soll es auch in Umlauf bringen; aber Verschwendung ist mir verhaßt. Sie ist von Grund aus unsittlich. Und du tust recht, nicht nur zur Erziehung der Leute, sondern auch um unsertwillen, Aufsicht zu führen.«
So verstanden sie sich auch hierin. Um Klaras Kleidung kümmerte er sich nicht. Sie merkte wohl: er sah gar nicht, daß sie bei möglichster Einfachheit blieb, und sie lächelte oft gerührt in sich hinein, wenn sie spürte, wie er siebewunderte. – Sie dachte dann immer: es ist ja eigentlich meine Mutter, der er huldigt.
Es gab aber auch eine peinliche Schwierigkeit. Die hatte einen Namen und hieß Leupold. Ein Diener, der sich in fünfundzwanzig Jahren so in die Art seines Herrn eingelebt hat, daß er sie immer versteht und sich ihr immer anpaßt, der in so langer Zeit nie unredlich Vorteile gesucht, der in schweren Nächten treu gewacht und an mühselig-langen Tagen Essen und Trinken vergaß, um nur ja nicht einen Wink des Leidenden zu versäumen – ein solcher Mann verdient alle Rücksichten und alle Hochachtung. Mit der stattlichen Entlohnung und der schönen Ziffer im Testament war es nicht getan.
Leupold hatte der jungen Volksschullehrerin sehr wohl gewollt. Das wußte Klara noch. Er hatte sogar einen ganz leisen Protektor- oder Gönnerton gehabt, wenn sie kam und ging. Denn sie brachte seinem Herrn ein bißchen Zerstreuung. – Von den Betrachtungen, die er früher still bei sich angestellt über seines Herrn Vorliebe für Fräulein Hildebrandt, wußte Klara natürlich nichts.
Sie spürte aber, daß er die Schwiegertochter seines Herrn nicht mit Wohlwollen, sondern durchaus mit Eifersucht ansah. Vielleicht, so dachte sie mit feinem Spürsinn für die Gemütsvorgänge in Halbgebildeten, vielleicht fand Leupold auch die Heirat des jungen Herrn nicht standesgemäß. Und ganz gewiß dachte er, die Pflege der Schwiegertochter sei dem alten Herrn angenehmer als die Handreichungen des Dieners. Sie las ihm förmlich die bitteren Gedanken von der Stirn: »So lange hab’ doch ich’s am besten verstanden ...« Nun mußte sie ihm gewissermaßen den Hof machen, rief ihn oft zur Hilfe, wenn es gar nicht nötig gewesen wäre und wenn der Geheimrat auch sagte: »Wozu erst Leupold rufen?«
Und es war schwer, hier die rechte Grenze zu finden: sich nichts vergeben durch zu große und verkehrte Rücksichtnahme und dennoch immer dem Manne zeigen, daß auch sie dankbar seine Verdienste schätze.
Wie störend. Nur ein Nebenumstand – nicht mehr. Aber doch. – Mit den großen Sachen, die man deutlich sieht und fest fassen kann, wird man immer bald fertig. Aber die Dinge, von denen man sich immer wieder sagt: es ist ja nicht der Mühe wert, darüber so viel nachzudenken – das sind die rechten Störenfriede.
Ihre Wirksamkeit in der Kolonie Severinshof ließ sich auch nicht rasch in die klare Form und zu der segensreichen Ausdehnung bringen, wie sie sich gedacht gehabt.
So manche Mutter, mit der sie früher aus eigenem herzlichen Antrieb oder auf Wunsch ihres damaligen Vorgesetzten, des Herrn Magers, über die Fehler ihrer Kinder gesprochen oder über die Wünschbarkeit besserer Pflege für die schwächliche Gesundheit der Kleinen, kam nun vertraulich mit drängenden und unerfüllbaren Ansprüchen. Es schien gerade, als hätten Mütter und Kinder von der Schicksalswendung der Lehrerin für sich auch goldene Berge erwartet. Jeder und jede, denen Klara früher in besonderer Freundlichkeit Anteilnahme bewiesen, erhob nun Forderungen.
Aber diese Dinge konnte sie mit ihrem Schwiegervater besprechen und von ihm tröstend vernehmen, daß die Ungleichheit und die Bedürftigkeit doch nie aus der Welt zu schaffen sei, und wenn alle Milliardäre und Millionäre ihr Gold zur Verteilung brächten.
Das Neinsagen ist bitter, wenn man am gut besetzten Tisch speist, fand Klara. Und sie erkannte schon sehr rasch, wie das Bitten und Betteln gerade dem Mildherzigen seine sorglose Lage vergällt.
Noch ehe ihr überhaupt auch nur einmal das Gefühl gekommen war, sie sei selbst eine reiche Frau geworden, fing sie schon an, die Lasten und Verantwortungen des Reichtums zu spüren.
Auch eine halb verlegene, halb humoristische kleine Episode hatte es gegeben. Ihr früherer Kollege, dessen glühende Verehrung für sie den vergnügten Spott der Schuljugend gefunden hatte, weil eben der arme Herr Kehl seine seelische Abhängigkeit von Fräulein Hildebrandt nicht zu verbergen vermochte, der kam und brachte ihr seine zum achten Male umgearbeitete Novelle. In zitternder Scheuheit stand er vor ihr, und ihre unveränderte freundliche Güte ergriff ihn und steigerte sichtlich seine Begeisterung. Er erbat von Klara Prüfung seiner Novelle und die Besorgung eines Verlegers oder die Herausgabe auf ihre Kosten und vor allen Dingen ihr Urteil. Klara dachte sich wohl, daß er von ihr ging mit dem Gefühl: nun durch ihre mächtige Hand eins, zwei, drei zu Ruhm und Gold zu kommen. Aber sie hatte ja gar keine mächtige Hand und genau ebenso wenig Beziehungen zu Verlegern oder großen Redaktionen wie Herr Kehl selbst. Und obendrein war die Novelle von überwältigender Komik und spielte in der Gesellschaft des Hochadels, von der er fabelhafte Vorstellungen hatte. Als Klara ihm schrieb, daß er vielleicht besser tue, die Welt, die er kenne, zu schildern, und andeutete, daß sie seine Arbeit nicht für druckreif halte, fürchtete sie schon, daß sie sich einen Feind mache. Als sie ihm dann einmal begegnete, grüßte er kaum und mit gehässigem Blick. Und von Herrn Magers hörte sie dann, daß man den Kehl entlassen müsse. Er spreche bei jeder Gelegenheit in den Stunden davon, daß Reichtum den Charakter verderbe, und Herrn Magers’ kluges Töchterlein hatte gesagt: »Papa, es klingt, alswenn er Fräulein Hildebrandt meint.« – Für die Kinder war sie noch immer »Fräulein Hildebrandt«. –
Auch vielleicht kaum der Mühe wert, über die Episode Kehl nachzudenken! Und doch, wie war es wunderlich, daß das eigene Leben in keine Bewegung kommen kann, ohne, gleichwie in sich fortpflanzenden Wellen, auch anderer Leben in Bewegung zu setzen.
Ihr Schwiegervater überwies ihr bald eine bestimmte Summe, die ihr in monatlichen Raten ausbezahlt wurde. Damit sollte sie dann nach eigener Erkenntnis helfen, wo es ihr gerecht schien. Es würde nicht ohne schmerzende Erfahrungen abgehen, meinte er. Aber auch auf diesem Gebiet heiße es: Lehrgeld bezahlen. Er besprach auch mit ihr die vorhandenen Wohlfahrtseinrichtungen, davon ein Krankenhaus und die Schule die hauptsächlichsten waren. Das beschäftigte sie auf erhebende Art. Sie wollte trachten, sich in diese wichtigen Dinge besonnen einzuarbeiten.
Alles zusammengenommen: ihr Leben war nicht leer.
Und im letzten Grunde reizten ja auch die Schwierigkeiten und machten fühlbar, daß man mit sich und anderen vorwärts kam.
Die wichtigste aller Fragen aber war natürlich diese: Wie weit war sie mit ihrem Mann gekommen?
Beinahe hätte sie sich rasch geantwortet: sehr weit – überraschend weit!
Aber wenn sie es ganz genau bedachte, mußte sie sich sagen: ich weiß es nicht!
Was für ein ganz anders geartetes Menschentum ist doch im Manne, dachte sie.
Davon natürlich hatte sie vorher nichts wissen können. Und sie grübelte dem Rätsel »Mann« nach.
Sie wußte nun schon, daß Mann und Weib zwei verschiedene Welten in sich tragen und daß nur die Liebedie große Kluft überbrücken kann, die zwischen beiden sich dehnt. Überbrücken – nie ganz ausfüllen ...
Welches Wunder: einsam steht der eine hüben, die andere drüben!
Und jeder und jede denkt über den anderen Teil wie über etwas nie ganz Ergründliches nach.
Das hatte ganz gewiß irgend einen geheimnisvollen Zweck und Grund – war keine Laune der Natur. –
Von ganzem Herzen, mit einem gewissen freudigen Eifer war sie in die Ehe gekommen, in der Hoffnung: in ihr lerne ich meinen Mann lieben! Sie wollte, sie mußte ihn lieben lernen. Damit nicht gar eines Tages die klugen Augen des Vaters doch durchschauten, daß sie ein Opfer gebracht hatte – ein Dankopfer ... Und auch aus einem eigenen, kräftigen Lebensgefühl heraus: sie wünschte sich das Glück! Wer wünscht es sich nicht? –
Aber bis zu dieser Stunde war die Liebe – jene, die sie ersehnte – immer noch nicht erwacht. Sie meinte es mit keinem Menschen auf der Welt besser als mit Wynfried. Voll Zartheit, immer nur in Sorge, ihr heimliches Wirken zu umschleiern, suchte sie ihn zu halten, zu fesseln, zu beeinflussen, anzuregen.
Es würde sie erschöpft haben, ihre Nerven hätten überreizt davon werden können, wenn nicht der Erfolg gewesen wäre.
Sie sah es: er kam zum gesunden Dasein zurück – er begann Reiz an der Arbeit, Interesse für das Werk zu gewinnen. Er wurde ein anderer ...
War es nicht genug Glück, das zu sehen?
Gab es nicht sehr wahrscheinlich Tausende von Ehen, wo diese ruhige Freundlichkeit des Gemütes und die große Pflicht zur Arbeit als voller Inhalt genügte?
Daß es solchem Inhalt an Sittlichkeit fehle, konnte man gewiß nicht sagen ...
Allmählich kam dann vielleicht noch die Gewohnheit hinzu – all die tausend kleinen Dinge des Lebens sind ja wie Ringe und bilden zuletzt eine Kette von nicht mehr übersehbaren Gliedern – und die umschlingt dann zwei Menschen und macht ihr Schicksal zu einem ...
Ihr erster Erfolg hatte sie ganz betroffen gemacht – es war nur eine lächerliche Kleinlichkeit gewesen. – Und doch: wie hob es sie gleich.
Am Tage nach ihrer Verlobung achtete sie auf sein linkes Handgelenk – ob da wohl wieder das fatale Armband zum Vorschein käme, das ihr gestern so unangenehm aufgefallen war – sie merkte: es war fort!
Vielleicht war es eine Erinnerung an jene schlimme Frau gewesen, um deretwillen er so viel Jugendjahre vergeudet. – Es tat Klara wohl, daß er es nicht mehr trug.
Wenn man keine heiße Liebe zueinander hat, fühlte sie oft, muß immer wachsame Rücksicht die Zartheiten der Liebe ersetzen.
Mit sich selbst und ihrem ganzen Verhältnis zu ihrem Manne war sie völlig im klaren: wenn sie auch keine Leidenschaft für ihn empfand, wenn auch niemals ihre Wärme für ihn, über die herzliche schwesterliche Teilnahme hinaus, in beseligte Hingabe sich wandeln konnte – so mußte dennoch er und nur er der Mittelpunkt ihres Lebens sein und bleiben. Sie wollte, sie durfte niemals einen anderen lieben! Ihrem Manne irgend etwas zu verweigern, was innerhalb der Ehe sein Recht zu fordern war, durfte ihr nie beikommen. Sie mußte und wollte ihr Dasein daran setzen, damit das seine ihm nützlich und hell werde.
Das war alles sehr ernst, es war mit voller Einsicht übernommen worden, und sehr klar.
Ganz unklar aber war ihr noch sein Verhältnis zu ihr. Da fingen lauter Rätsel an.
Das erste und größte war dies gewesen: ein Mann konnte, ohne von glühender, ausschließlicher, heiliger Liebe für eine Frau erfüllt zu sein, dennoch in gewissen Stunden und Stimmungen von einem Rausch hingerissen werden, der der Liebe gleich sah, der ihre Gebärden, ihre Mienen, ihre bedrängende Hingebung annahm. Und vermochte in solchem Rausch, was nur Liebe können sollte ...
Klara ahnte wohl, da lagen die tiefsten Gründe der Verschiedenheit zwischen Mann und Weib.