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»Kunststück – erlebt man was anderes als Enttäuschungen? ... Die sind mein tägliches Brot ... Haben Sie die Morgenblätter schon gelesen? Hab’ ich nich gleich gesagt – damals im Februar – dieser auffallende Besuch von Haldane – und dann die Pressekampagne hinterher – passen Sie auf, wir werden wieder eingeseift – na – uns, grad’ uns kommt’s ja zu, zu schweigen – warten – aufrecht bleiben –«

»Ich denke,« sagte Stephan Marning, um nur keinenfalls des Freundes Gedanken zu der jungen Frau und ihrer Ehe zurückkehren zu lassen, »wir haben noch Zeit – lassen Sie uns einen Rundgang durch das Werk machen – ich habe mir von Thürauf vor einiger Zeit die Erlaubnis erwirkt, nach Belieben hinein zu dürfen, und bin oft da – es regt mich unersättlich an ...«

»Fabelhaft – Ihr Interesse! ... Thürauf und der alte Herr sagen schon: der kommt noch zu uns herüber ...Marning, das tun Sie mir nich an – nee – daß Sie um schnöden Mammon unseren Rock ausziehen ...«

»Darum? Nie!« sprach Marning ernst. »Aber denken Sie denn, daß all die Herren, die bei Krupp und sonst da und dort in die Industrie oder die Schiffahrtsgesellschaften eintraten, das immer um des Mammons willen taten? Haben Sie damals, als wir – wissen Sie noch, es war am Geburtstag der jungen Frau – als wir zuerst auf dem Werk waren – mir eine neue Welt – ja, da haben Sie selbst gesagt: wir stehen doch Schulter an Schulter ... Sie können ruhig sein, Likowski, mich wird schon kein Krupp, kein Erhardt, kein Thyssen berufen und mich vom Regiment weglocken. Ich bin ein gänzlich unbekannter armer Oberleutnant ohne großmächtige Beziehungen. Aber das ist wahr: wär’ ich nicht Offizier, möcht’ ich auf solchem Werk mitarbeiten – sei’s gegen noch so bescheidenen Lohn ...«

»Gottlob,« sagte Likowski zufrieden, »daß Krupp und Konsorten keinen Schimmer von Ihrer Nebenliebe haben ...«

Unterdessen kehrte bei dem alten Herrn eine Art von körperlicher Mattigkeit ein, die, weil durch seelische Beruhigung hervorgerufen, sehr wohltätig war. Früh schon wagte Leupold den Vorschlag, ob Herr Geheimrat nicht zu Bett gehen und seine Abendmahlzeit in bequemster Lage nehmen wolle.

Es schien auch, als wirke die feierliche Ruhe, die unten im Hause herrschte, durch Balken und Decken bis oben hinauf und besänftige alle Nerven.

Viel eher schon als sonst wohl erloschen alle Lichter im Herrenhaus. Leupold, der seit dem Schlaganfall des Geheimrats vor fünfviertel Jahren neben dessen Schlafzimmer seine Stube hatte, zog gerade seinen dunkelblauenRock aus, als die elektrische Glocke noch einmal schrillte.

Dieser grelle, durchdringende Ton bedeutete zu unerwarteter Zeit immer Schreck. Heute aber begann ihm das Herz vollends rasend zu klopfen.

Denn eben hatte er mit einem abergläubischen Gedanken an die bevorstehende Nacht gedacht. Was konnte sich in ihr ereignen! Man hatte es manchmal erfahren, daß Leben und Tod am gleichen Tage in einem Hause einkehrten ... Und die unsäglichen Aufregungen, die der alte Herr durchlitten ...

Mit einem Schritt war Leupold an der Tür und öffnete.

Dunkelheit? ... Kein Laut? ... Angst befiel ihn ... seine Hand tastete nach dem kleinen Knebel neben der Tür – das Licht an der großen Lampe, die grün umhangen vom Plafond herabkam, blitzte auf.

Er sah gleich: ganz ruhig lag der Geheimrat, wie immer fast sitzend, so viel Kissen stützten ihm den Kopf. Nur die Augen sahen in heller Wachsamkeit groß und blitzend ihm entgegen.

Er neigte sich ein wenig herab – doch noch in Besorgnis, wollte fragen ...

Da packte die große Hand ihn um das Gelenk seiner Rechten. Und der alte Herr sprach: »Leupold – du weißt es seit damals – ich muß immer gerüstet sein. – Ich wollte dir nur sagen: Die junge Frau und das kleine Kind – das ist nun das Heiligste, was das Haus Lohmann hat ... Und versprich mir: so lange du hier deine Gerechtigkeit findest – überhaupt noch dienen magst – verlaß sie nicht! Das mußt du einsehen: Deine Treue für mich ist keine ganze Treue, wenn du sie nicht auch der jungen Frau und meinem Enkel gibst ...«

»Hat die gnädige Frau über mich geklagt?« fragte Leupold mit blassen Lippen.

»Nie!« sagte der Geheimrat stark. »Aber ich hab’ so allerlei ’rausgefühlt ...«

Leupold stand beschämt, daß sein Herr ihn durchschaut habe. Und er sah wieder die junge Mutter auf dem weißen Kissen und das Bündelchen in ihrem Arm. Er war ja immer Zeuge vom Leben seines Herrn, und so schnell er sich auch heute morgen zurückgezogen hatte – den von Glück bebenden Ton vernahm er doch noch, mit welchem die junge Mutter sprach: »Der kleine Severin Lohmann.« – Da war doch auch über sein etwas vertrocknetes Junggesellenherz eine weiche Welle hingegangen – fast wie Rührung.

Er sprach in einer wunderlichen Mischung von Verstocktheit und Ergriffenheit: »Die gnädige Frau und der kleine gnädige Herr sollen sich auf mich verlassen ...«

Der Geheimrat war von einem beklemmenden Aberglauben befallen gewesen. – Man hat es zuweilen erfahren, daß Leben und Tod ein Haus am gleichen Tage suchen ... Deshalb konnte er sich nicht der Dunkelheit und der Nacht geduldig und vertrauensvoll ergeben. – Er mußte der geliebten Tochter und dem Kinde noch einen Treuen werben.

Nun aber löste sich alles in einem frohen Auflachen.

»Der kleine gnädige Herr! Schafskopf – wir sind keine Fürsten. Denkst so ungefähr: Seine Hoheit der Erbprinz haben geruht, seine Windeln voll zu – – – na ... Wie ich meine Tochter taxier’, lehrt sie den Jungen feste erst mal gehorchen – auch dir! ... Der kleine ›gnädige Herr‹ ...«

Er hatte einen großen Spaß und sah im Geist das dunkle Stück Fell in den Kissen.

So trennten sich Herr und Diener mit einem glücklichen, humorvollen Lächeln. –

Am zwanzigsten kam Wynfried von Köln zurück. Einige Minuten nach sechs Uhr abends traf der Zug in Lübeck ein; das Auto war am Bahnhof; um sieben raste es auf das Hüttenwerk zu und hielt vor dem Herrenhause.

Klara hörte den Ruf der Hupe – hohl und dunkel.

Sie wartete sehr auf ihren Mann. In einer Art von Neugier – in Angst – in Enttäuschung. – Niemals hätte sie genau sagen können, in was für Empfindungen. Bald sprach die eine stark und bald die andere.

Von der Mutterschaft hatte sie eine ganze Umwandlung ihres seelischen Daseins erwartet.

»Über gar nichts im menschlichen Leben werden so viel überspannte, hochgeschraubte Phrasen geschrieben wie über das Wunder der Mutterschaft,« dachte Klara. »Das tun wohl Männer, die sich nur konstruieren können, was wir innerlich erleben – und Frauen tun es, die selber niemals ein Kind hatten.«

Sie war ganz dieselbe geblieben, die sie vorher gewesen. Nur eine verzehrende unendliche Liebe zu dem winzigen Geschöpfchen war in ihrem Herzen und erweiterte es gleichsam – als sei ihm ein Stück hinzugewachsen ...

Sonst hatte sich nichts verändert ...

Und sie war so getragen gewesen von dem Glauben, daß das Kind in ihr eine heiße Dankbarkeit für den Vater, eine neue, nun wirklich leidenschaftliche Neigung zu dem Vater mitbringen werde – wie ein Geschenk aus den dunklen Untergründen des Daseins.

Nichts davon ... Alles war wie bisher. – Eine kleine Neugier war hinzugekommen, was Wynfried sage, wie er sich in die neue Würde schicken könne – die ihm vielleicht – Klara ahnte es – nicht so ganz zusagte ...

Aber wenn sie ihn nur erst sähe! An dieser Schwelle eines neuen Lebensabschnittes voller Pflichten mußten sie sich von Auge zu Auge verstehen – ein Blick war mehr als alles Begrübeln ...

Nun schrie die Hupe zweimal auf –

Klara wurde erregt. Das sah die Wärterin und mahnte mit der bevormundenden Familiarität solcher Frauen in solcher Lage. »Sie wissen so viel mehr als die jungen Mütter, die ihre Schülerinnen werden, und das neue kleine Leben ist ihnen anbefohlen – da werden sie naiv überheblich,« dachte Klara oft.

Die alte Doktorin Lamprecht, die sich dem Wahn hingab, sie pflege Klara mit, und sich nur wichtig in allen Räumen des Hauses zeigte, kam herein. Wynfried meine, nach sieben Uhr werde er hier wohl nicht vorgelassen ... Die gute Alte trug das in einem neckischen, zärtlichen Ton vor, der Klara wehtat, als sei er voll verborgener Taktlosigkeiten. – Klara sah an ihr: greise Menschen haben, wohl aus Bedürfnis zum Frieden, so leicht rosige Phantasien und ein so kurzes Gedächtnis ... Und die alte Frau tat längst schäker- und schäferhaft, wenn sie von Klaras Ehe sprach – deren Grund sie doch kannte ...

Die geraden Brauen über den dunklen Augen rückten näher zusammen – Klara sah nervös aus – als schmerze sie etwas –

»Ich möchte meinen Mann sofort sehen,« sprach sie etwas kurz.

Und dann trat er ein. Niemand war zugegen. Die Vorhänge hatte man zurückgezogen, da die Sonne schon zu tief im Westen stand und ihre Strahlen diese Fenster nicht mehr erreichten. Es war hell.

Und wie durch eine Eingebung erriet die junge Frau,daß der Mann mehr unsicher, mehr verlegen war als gerührt und erhoben ...

Er kam mit raschen Schritten auf das Bett zu – neigte sich herab und küßte Klara –

Sie sah ihn an – tief – tief. – Er lächelte dem Blick zu, der ihm doch fast unbehaglich war ...

Er fragte alles, was sich nur bei diesem Wiedersehen aus dem Ereignis ergeben konnte. Und er küßte Klara zwischendurch wohl viermal die Hand und streichelte leise ihre Wangen –

Seine Herzlichkeit, seine Freundlichkeit war voller Rücksicht – wie sie es immer gewesen war, und nicht anders ...

Nein – nicht anders ...

Auch in ihm hatten sich keinerlei Wunder begeben –

»Willst du ihn nicht sehen?«

Gehorsam stand Wynfried auf und ging an das Bettchen, nahm mit vorsichtigen Fingern ein wenig den blauen Seidenstoff und die Spitzenüberhänge auseinander, atmete einen Dunst von neuem Flanell und lauer Wärme ein, der ihm gräßlich war, sah ein Stückchen Schädel mit dunklem Haar, schloß die Falten wieder zusammen und sprach: »Entzückend – hoffentlich sieht er dir ähnlich – ja – so’n Baby – das ist nun mehr was für Frauen –«

Und dann: »Aber ich darf nur fünf Minuten hier bleiben – die Lamprächtige hat es so befohlen ...«

Er küßte ihr die Stirn.

»Ich bin rasend stolz, daß es ein Junge ist – und Vater ist ja wohl außer sich ...«

»Ja,« sagte Klara, »Vater freut sich ...«

Ganz einfach sprach sie das – jedes große Wort, jede Aufwallung und Erschütterung blieb aus. –

Es war sehr alltäglich ...

Und die junge Frau war wieder allein. Sie schloß die Augen und drehte den Kopf zur Seite – sie heuchelte Schlummer, um nachzudenken.

Und sie konnte doch eigentlich gar nichts denken.

Wenn auf Monate abergläubischen Hoffens fünf nüchtern-nette Minuten kommen ...

Das macht das Herz still –

Alles war dasselbe geblieben –

Klara wußte nun, daß sie ihre Tat der Dankbarkeit unter Verzicht auf jedes wahre Herzensglück durchführen mußte ...

Nun ging das Leben bald wieder in den Alltag hinein, und nach einigen Wochen war man es schon gewohnt, daß eine neue Hauptperson vorhanden war, die meist schlief und zuweilen überaus kräftig schrie. Auch eine pompöse Amme in Mecklenburg-Strelitzer Tracht, in schwarzem Mieder mit buntem Brusttuch und weißen Hemdärmeln, mit rotbuntem Rande um den schwarzen Rock, sowie einer goldenen Haube, daraus weiße Tüllteile sich künstlich gesichtswärts bogen, hatte die Zahl der Hausbewohner vermehrt.

Denn Wynfried bestand sogleich darauf, daß man ein solches Wesen suche. Er erklärte dem Doktor Sylvester und seiner Frau, daß es ihm einfach gegen sein ästhetisches Gefühl gehe, wenn Klara den Jungen selbst nähren wolle. Er kümmerte sich sonst um nichts. Aber in diesem Punkte war er fest. Doktor Sylvester stritt energisch für das Natürliche. Aber über Klara kam auf der Stelle eine ihrem Wesen sonst fremde Mattigkeit. Sie konnte nicht kämpfen.

Sie hatte nur ein dumpfes Gefühl von einer unüberbrückbaren Verschiedenheit in großen Dingen. –

Sie mußte den stillen Mut haben, ein Opfer zu bringen.Über Wynfrieds Wünsche durfte man nicht hinweggehen – sie nicht, deren Aufgabe es war, einenMannaus ihm zu machen – und sie spürte: hier war es ihm ein Bedürfnis, sich als Gebieter zu fühlen.

Er kümmerte sich sowieso wenig um das Kind. Ärgerlichkeiten sollten in ihm nicht aufkommen.

Bald bemerkte Klara, daß ihr Mann entweder die Veränderung im Familienleben als einen Abschnitt ansah, der ihm mehr Freiheit zurückgebe, oder daß er die letzten Nervositäten abschüttelte, die ihm noch angehaftet.

Er zeigte allerlei neue Interessen und eine frischere Stimmung von der erfreulichsten Ausgeglichenheit.

Unfern der Anlegebrücke, zu der die von Hainbuchenhecken geleitete Sandsteintreppe hinabführte, ankerten nun ein Motorboot und eine seegehende Schonerjacht. Hart an der Brücke schaukelte an seiner eisernen Kette das kleine Beiboot, mit dem man in ein paar Ruderschlägen zu den beiden Fahrzeugen kommen konnte.

Das Motorboot war viel größer und eleganter als das der Baronin Agathe Hegemeister. Es hatte in der Mitte eine Salonkajüte, aus deren rotgrauen Samtsofas man leicht Bettstatten schaffen konnte. Eine Kombüse und ein kleiner Toilettenraum schlossen sich an. Größere Ausflüge, mit Übernachten an Bord, ließen sich nötigenfalls im Motorboot ausführen. Es hieß dem Kinde zu Ehren »Severin«, während die Jacht den Namen »Klara« trug.

Die war schneeweiß und wirkte neben dem von Benzin getriebenen Mahagonigefährten südlich-kokett. Ihr Deck, von schmalen Pitschpinebohlen, strahlte von Glätte und Sauberkeit. Sie besaß im Raum eine Hauptkajüte, eine Damenkajüte, wo drei Damen es nicht allzu eng haben würden, Kombüse und große Mannschaftskojen, war also zu größeren Küstenreisen durchaus eingerichtetund seetüchtig, auch in den Sunden und Belten der holsteinischen und dänischen Gewässer zu kreuzen.

Ihre Mannschaft trug krebsrote Sweater zu weißen Hosen und krebsrote Zipfelmützen. In dieser munteren Tracht sah man sie wie Spring- und Kletterwesen an den Masten und mit den bleichgelblichen Seidensegeln flink hantieren. Sie wurden von einem »Schiffer« kommandiert, der einen marineblauen Jackenanzug mit Goldknöpfen trug und um seine Schirmmütze ein goldenes Band hatte.

Daß Wynfried plötzlich auf diesen Sport verfallen war, sagte dem Geheimrat in mancher Hinsicht wohl zu. Er sah es: nach einem Jahr des gesunden Lebens neben einer Frau, die ihm Achtung abforderte, in immer regelmäßiger werdender Arbeit, war seinem Sohne ganz einfach das zurückgekommen, was er in tollen Jahren verloren gehabt hatte: die gesunde Jugendkraft.

Und wenn sie sich im Sport betätigen wollte, konnte ihr hier, in der Nähe von Travemünde und dem berühmten Segelwasser der Lübecker Bucht, keiner verlockender scheinen als dieser.

Er freilich hatte dergleichen nie gebraucht, um sich zu erholen.

Diese seine Randbemerkung fand Klara etwas ungerecht und zu sehr: einst gegen jetzt.

»Solche Arbeitsgenies wie du sind auch selten. Außerdem: alles liegt anders jetzt. Der Mann von heute wird ja durch seine Arbeitsstunden so gepeitscht, daß er Ausgleich für seine Nerven haben muß, wenn er sich nicht zu früh verbrauchen soll. Du, Vater, und all die deiner Generation – ihr seid so nach und nach in das Hetzen hineingewachsen. Heut fängt’s ja schon für die Kinder mit dem Telephon an. Ich meine: Gottlob, daß Wynfried die Erholung im Sport sucht.«

»Ja – gottlob,« dachte der Geheimrat. »Wenn er alle Augenblick nach Berlin oder Hamburg führe, um sich zu erholen ...«

Sicherlich, das hätte sein Vaterherz geängstigt – obgleich – Nein! Nein – solche Frau – und einen Sohn in der Wiege – da war wohl keine Gefahr mehr.

Klara fuhr fort: »Du hast mir einmal erzählt, daß seine Mutter sehr vergnügungssüchtig gewesen sei, und es hier nie lange aushielt. Sieh – es rumort doch gewiß auch etwas vom Blut seiner Mutter in ihm und will durch Abwechslung und Freude beruhigt werden. Wollen wir nicht dankbar sein, daß er sie in der Natur sucht?«

»Nimm ihn nur in Schutz,« sagte der alte Herr weich. Lieberes konnte er gar nicht hören. – –

Die Taufe wurde mit einem großen Mittagessen gefeiert, zu dem von allen Seiten her, aus dem Mecklenburgischen und Lübeckischen, die Freunde des Hauses gefahren kamen.

Tags zuvor sprach Agathe Hegemeister endlich wieder vor. Sie war solange fortgewesen. Nun kam wie eine Erlösung diese Tauffestlichkeit. Agathe hatte ihren Eltern klar machen können, daß sie dabei nicht fehlen dürfe, ohne ihre intimste Freundin Klara schwer zu kränken. Und Agathe war beinahe schon umgekommen in dem Berliner Vorort. Man hatte den Eindruck, daß die Eltern der blonden Baronin sehr darauf bestanden, ihre Tochter jeden Frühling acht Wochen bei sich zu haben, weil sie wünschten, der Welt ein inniges Verhältnis mit ihr vorzuführen. Agathe konnte mit ihrer treuen Gerwald so oft nach Berlin hineinfahren, wie sie wollte, und dort nach Gefallen einkaufen und Geld vertun. Aber es sei dennoch immer eine versteckte Gefangenschaft, klagte sie der Freundin vor.

Ganz abgesehen von der beständigen Sehnsucht nach dem Einen, Bewußten, wegen dessen Kälte sie noch vor Gram sterbe. Klara werde es nicht glauben: keinmal, kein einziges Mal habe er geschrieben – sie habe keine Hoffnung mehr.

»Aber der Gram und die Hoffnungslosigkeit sind dir glänzend bekommen,« meinte Klara.

»Ich bin eine von den unglücklichen Konstitutionen, denen man ihren geheimen Jammer nie glaubt,« sagte Agathe bekümmert.

Aber dann raffte sie sich wieder auf und schwor, den Undankbaren mit Kälte zu strafen.

Als sie wieder fort war, dachte Klara sehr verwundert, daß ihre »intimste Freundin« nicht einmal nach dem Kind gefragt habe – nicht einmal verlangt, es zu sehen – merkwürdig!

Aber Klara nahm es nicht übel. Ebenso gut hätte man einer Rose Vorwurf daraus machen können, daß sie nur Schönheit und Duft habe und sonst zu gar nichts nötig sei.

Am anderen Tag freilich – es mochte diese Unterlassungssünde Agathen selbst schwer auf die Seele gefallen sein – fand sie den Täufling süß und reizend und kokettierte auf das unschuldigste und stärkste über das festliche Steckbett in den Armen der Amme hinweg mit dem Vater, ihm zuschwörend, daß Severin der Vierte ihm fabelhaft ähnlich sehe.

Wynfried verbat es sich lachend und meinte: etwas jünger und hübscher glaube er denn doch auszusehen als sein acht Wochen alter Sohn, und mehr Haar habe er denn doch auch noch.

Das dunkle Fellchen war schon verschwunden, und ein kahler, unverhältnismäßig großer Kinderschädel ist nie schön.

Aber Klara, die gerade dabei stand, dachte doch, etwas peinlich berührt, ja beleidigt: »Sehen sie denn nicht die Augen – nicht diese Wundertiefen darin? ...«

Niemand blieb bei der Taufhandlung ungerührt, als Klara selbst ihr kleines Kind auf die Knie des Großvaters legte, der es mit scheuen Händen festhielt.

Durch manches Herz zog eine Ahnung von dem, was der gebändigte alte Riese wohl in diesem Augenblick empfinden möge.

Feierliches Schweigen aller Anwesenden trug die pastorale Stimme des einen, der hier zu sprechen hatte.

Die Sonne schien herein, über eine ganze Wand von Grün und Blumen kamen die goldenen Strahlen und umglänzten den Pastor und den Alten im Fahrstuhl mit dem kleinen Kind auf dem Schoß, von dem feine Stoff- und Spitzenfalten gleich einer Schleppe niederhingen.

Auch auf die braunen Haare des geneigten jungen Frauenkopfes fiel noch der leuchtende Schein.

Stephan Marning stand irgendwo in den gedrängten Reihen der Taufgäste. Er hatte aber den Blick frei auf diese umstrahlte Gruppe vor dem improvisierten Altar.

Sein Herz klopfte – er wurde selbst davon überrascht, so jäh begann dies schnelle Schlagen.

Dies junge Weib! Wie es ihn bezwang, wenn er sie sah ...

»Warum hatte sie ihn geheiratet?« fragte er sich zum unendlichsten Mal.

Er wußte: Der Geheimrat hatte sie unterstützt nach dem Tode ihrer Eltern. Für einen so reichen Mann gegen die Waise eines einstigen Beamten eine brave, aber keine so große Tat, daß die Empfängerin der Wohltat sich dafür hinopferte ...

Sein Blick ließ nicht von diesem braunen Haar, nichtvon diesem edlen Gesicht mit den dunklen Augen, über denen die geraden Brauen etwas zusammengerückt waren wie in einem geheimen, unendlichen Schmerz.

Und die Kraft seines Blickes drang in die Seele der jungen Frau. Sie hob, als rufe sie wer, ein wenig das Haupt, sah auf – und sah in das große, sprechende Auge des Mannes.

Sie erblaßten beide.

Klara senkte die Lider – ein leises Schwanken schien durch ihre Gestalt zu gehen.

Ihn überfiel ein seltsamer Zustand. Es war eigentlich kein Entsetzen, kein Sturm fassungsloser Aufregung.

Nichts war deutliches Denken oder eingestandene Erkenntnis.

Endlich klärte sich die dumpfe Verwirrtheit zu dem Gefühl: »Ich muß fort ...«

Ja, fort – sich versetzen lassen – an die russische oder französische Grenze – wo man fern von allen Erinnerungen, aller Kultur ist, wo man nichts hat als das wachsame und lauernde Warten auf den Krieg ...

Nachher, bei Tisch, fand er Agathe neben sich, die der Hausherr in einer Art von spöttischer Gelegenheitsmacherei an seine linke Seite gesetzt hatte. Und Agathe blühte in ihrer üppigen Schönheit lockender als je. Aber sie mußte einsehen, daß ihre Liebe verschwendet sei. Heute lösten sich auch die letzten Illusionen in einen trüben Nebel auf – und der hieß: Entsagung.

Ihr ganzes Gemüt war voll von Tränen, die sich hier nur nicht laut herausschluchzen ließen.

Aber Zorn war nicht in ihr. Sie dachte, voll Rührung über sich und ihre weiche Natur: »Hassen kann ich ihn nicht ...«

Nein – das lag ihr nicht.

Und ihr war gewissermaßen so zumut, als könne sie ihn, abschiednehmend, segnen. Wobei vielleicht im Unterbewußtsein doch noch ein unsterbliches Fünkchen Hoffnung glomm, daß ihre demütige Weiblichkeit ihn dennoch bezaubern werde.

Nach Tisch war man im Garten, der hinterm Hause schon mehr Park genannt werden konnte mit seinen weiten Rasenflächen und seinen großen Baum- und Gebüschgruppen.

Es war die Zeit der langen Tage, an die sich helle, kurze Nächte schlossen. Von dämmerigem Frühlingsabendzauber konnte man deshalb nicht sprechen, und zur Sentimentalität lud das blaue Licht nicht ein. Zwischen den Wipfeln und über den Büschen sah man die Schornsteine und die Burgen der Hochöfen herüberragen, und vor dem Abendhimmel stand der Dunst, der die Welt des Feuers und des Eisens immer überschwebte. Glühender Schein glänzte geheimnisvoll auf.

Vom Fluß herauf schrie die Sirene eines Dampfers, man sah auch eine Schlange von Rauch in der Luft liegen, die langsam weiter und meerwärts gezogen wurde.

Das alles sprach zu der jungen Frau und tat ihr wohl und schien ihr beruhigend zu sagen: Dein Bereich ist nicht von einem Erdbeben zerstört, und du selbst stehst fest noch mitten darin.

Nur nicht wieder diesen großen, sprechenden Blick sehen. Nie wieder – darin war etwas gewesen – was? Großer Gott – was denn?

Entsetzte sie sich nicht vor einem Phantom?

Und als sie einmal sah, daß ihr Mann mit Agathe, Likowski, Marning und der rothaarigen, nicht mehr so völlig entzückend häßlichen Edith Stuhr zusammenstand, ging sie mit sicheren Schritten auf die Gruppe zu. Wynfriedverabredete gerade Segelpartien, zur Vorbereitung auf die Travemünder Woche. Denn wenn auch die »Klara« sich mit den Jachten ihrer Klasse, des Kaisers »Meteor« und der Kruppschen »Germania«, noch nicht in einen Wettkampf einlassen konnte, weil Schiffer, Mannschaft und Besitzer sie noch zu wenig kannten, so wollte man doch bemerkt werden und als neue Erscheinung einen sehr guten Eindruck machen. In allen Sportzeitungen war es schon in freundlichen Notizen begrüßt worden, daß Herr Wynfried Severin Lohmann die auf der Germaniawerft erbaute Jacht erworben habe.

Fräulein Edith, deren Häßlichkeit schärfere Linien bekommen hatte, tanzte vor Begeisterung. Sie war zu allem bereit – wollte eine Art freiwilliger Schiffsjunge werden, und weder Sturm noch Gefahr sollten sie erschrecken. Papa würde einfach nicht gefragt, damit ihm nicht etwa beikäme, es zu verbieten. Auch Agathe klatschte in die Hände: Ja, ja! Das konnte sehr lustig werden.

»Was? Die gräßliche Natur! Das langweilige Meer! Plötzliche Geschmacksänderung?« spottete Likowski.

»Ach – Sie! So ’n rauher Kriegsmann versteht nichts von den Wandlungen einer Frauenseele.«

»Na, es freut mich immerhin. Natur – das ist doch wenigstens kein schlechter Geschmack!«

»Das sagt er mir! Als hätte ich je solchen!« rief Agathe empört.

Likowski lehnte für seine Person ab, an den Fahrten teilzunehmen, und sagte auch gleich – weil er wußte, er half damit dem Kameraden – daß es Marning wohl ebenso ergehe. Denn wie lagen die Dinge? Sie lagen so, daß es noch in diesem Sommer zu etwas kommen werde! Sein Vetter, der Kapitänleutnant, war der gleichen Ansicht. Vor dem Herbst! Denn im Spätherbst lassen sich dieEngländer auf nichts mehr ein. Wir sind ihnen mit unseren Torpedobooten überlegen, und deren erfolgreichstes Feld ist: dunkle Herbstnächte. Das wissen sie da überm Kanal. Nein, in solchen Zeiten und wo alle Nerven vor gespannter Erwartung bebten, da hatte er keinen Sinn für Sport.

»Ach Unsinn, es geht nie los,« sagte Edith, zog höchst vertraulich Wynfried am Arm etwas beiseite und flüsterte: »Laden Sie nicht Hornmarck ein, lieber Lohmann. Nein – nicht? Ich will auch schrecklich nett gegen Sie sein sein – aber lassen Sie Hornmarck weg. Ich bin so bange, daß er anhält ... Das wär’ zu peinlich – wo man sich hier doch immer gegenseitig auf der Pelle sitzt. Er will ja woll nich begreifen: Das war doch bloß so ’n Backfischstadium.«

Alle hörten es.

»Nee,« sprach Likowski. »Keine Bange nich, Fräulein Edith. Hornmarck hat mir noch gestern gesagt, er heirat’ bloß, wenn er ’ne sehr gediegene, weibliche, schöne Frau kriegt – –«

»Na,« lachte Edith, »also grad’ so ’n Mädchen, wie ich bin.«

Und alle lachten mit.

Klara hatte ein Gefühl: wie tut das wohl, all diese Banalitäten – es schien so zu beweisen, daß nichts aus den Fugen sei. Und sie sagte, daß sie gelegentlich auch mitsegeln werde, in der Regel freilich sei sie durch ihr Kind und ihren Schwiegervater gebunden. Und sie horchte dem Klang ihrer Stimme nach, und er war ihr wie ein fremder Ton.

Sie fühlte: das große, sprechende Auge sah an ihr vorbei. Und sie hätte nicht gewagt, seinen Blick zu suchen.

Welche qualvolle Unerklärlichkeit – was stand dennzwischen ihr und ihm? Sprach sie nicht oft heiteren Gemütes mit ihrem Schwiegervater von diesem Mann – gerade ihn vor allen preisend und glücklich dem Lobe horchend, das der alte Herr für ihn hatte?

Und wenn sie dann mit ihm zusammen war, brannte in ihrer Brust diese nervöse Angst? Der Entschluß wallte in ihr auf: ihn nicht mehr sehen ...

Und ihr war, als müsse sie schon jetzt auf der Stelle fliehen.

Sie sprach etwas undeutlich davon, daß es die Zeit sei, wo sie dem Schwiegervater Gute Nacht sagen müsse ... er zog sich ja immer früh zurück ... Sie lief, als peitsche sie wer. Und kam atemlos im Hause an und fuhr hinauf.

Der alte Herr war still. Nicht müde – aber als sei er satt vom Tage. Er mochte gern noch einsam bedenken, wie reich er nun geworden.

Da kam die junge Frau.

»Kind,« schalt er, »so außer Atem ... Und so elend siehst du aus – was ist denn das? Ich dachte schon immer bei Tische: was hat denn Klara?«

Sie legte ihre Wange sacht auf seinen Scheitel und ihren Arm um seine Schulter.

»Es war wohl ein bißchen viel,« sagte sie leise, »ich hätt’ die Feier lieber im kleinen Kreis gehabt.«

»Ich auch, aber das ist Wynfried. Man muß ihm zu Willen sein.«

»O ja – immer – immer,« sprach Klara.

Ganz unbeweglich, auf das Haupt des Alten geneigt, stand sie – lange – lange.

Wie tat das wohl – gab solchen Frieden.

An diesem Abend verlobte sich das älteste Fräulein Thürauf doch noch mit Herrn von Brelow. Er bat denGeneraldirektor und seine Gattin um ein Gespräch. Und auf einem etwas melancholisch von einer Traueresche überhangenen Sitzplatz, im nüchternen Schatten, wurde die Angelegenheit verhandelt. Der Freier in seiner schönen, aristokratischen Erscheinung, mit den schon angegrauten Schläfen und dem sorgenvollen Ausdruck, sprach: »Ihre Luise, meine gnädige Frau, und ich, wir haben uns lieb. Ich weiß, daß Luise auf keine Mitgift zu rechnen hat. Sie sprachen es so oft aus, Herr Generaldirektor, und auch Luise hat es mir so ausdrücklich bestätigt, daß wir von vorneherein wissen: wir müssen mit dem bescheidenen Los zufrieden sein, das ich ihr bieten kann. Und da Ihre Tochter in ihrer prachtvollen Charakterfestigkeit und anspruchslosen Art mir gesagt hat, sie könne ohne Luxus leben und bewerte eine herzlich-friedliche Ehe höher als Glanz, so hoffe ich, daß Sie, Herr Generaldirektor, und Sie, gnädige Frau, uns Ihre Einwilligung nicht vorenthalten werden.«

Die wunderhübsche Frau drückte sogleich gerührt mit der Linken ihr Spitzentüchlein gegen die Augen, während sie mit ausdrucksvoller Geste ihre Rechte Herrn von Brelow entgegenstreckte, die er verehrungsvoll küßte.

Der Generaldirektor besah seine Hände, schien zwei Sekunden nachzudenken, schlug plötzlich die kühlen Augen auf und hatte ein leises, ironisches Lächeln.

»Darf ich als Vater ein wenig präzisere Angaben über dies bescheidene Los erbitten?«

Herr von Brelow errötete. Er war aus stolzem Hause. Sein Vater hatte es herabgewirtschaftet. Dies war kein kleiner Augenblick für ihn. Als Mann von Herz und Ritterlichkeit hätte er lieber erklärt: »Ich biete Ihrer Tochter eine große Stellung.«

Und er mußte sagen: »Der junge Graf Prank ist erstdreiundzwanzig Jahre alt, von robuster Gesundheit, unheilbarer Idiot. Das wissen Sie. Ich darf hinzusetzen: Vormünder und Agnaten sind mit meiner Administration so zufrieden, daß ich meine Stellung als lebenslänglich ansehen darf. Sie wissen auch, daß Schloß Prankenhorst verschlossen dasteht und daß ich das Kavalierhaus als Wohnung habe. Es ist geräumig und würde, völlig eingerichtet, meiner Familie eine durchaus standesgemäße Häuslichkeit bieten. Ich habe frei: ein Reitpferd und zwei Wagenpferde. Ferner alle Erträgnisse des sehr großen Gemüsegartens und für die Hauswirtschaft ein natürlich abgegrenztes Quantum von allem, was der Stall, die Meierei und die Scholle tragen und die Jagd bringt. Was ich dazu an barem Gehalt habe, ist freilich so bescheiden, daß ich die Ziffer vor einem Mann, wie Sie es sind, nicht aussprechen mag. Aber Luise kennt sie und meint, wir würden uns durchaus damit einrichten – sie will gern sparen.«

Das ironische Lächeln auf dem klugen Gesicht des Zuhörers war noch deutlicher geworden. Aber es war nicht von jener Art Ironie, die verletzt – Frau Thürauf kannte dies Lächeln. Und es weckte auf ihrem Gesicht den Reflex strahlender Vorfreude.

»Sie sind Idealist, Herr von Brelow,« begann er. »Aber glauben Sie nicht, daß wir Männer der Großindustrie und der Naturwissenschaft dafür kein Verständnis hätten – wir brauchen selbst einen starken Posten Idealismus – ohne den kann kein Sterblicher schaffen. Aber immerhin! An Ihrer Stelle würde ich doch eine große Mitgift, eine wohlhabende Heirat gesucht haben. Natürlich, ich bin kein armer Mann – aber Luise hat zu viel Herz, und Sie, taxier’ ich, zu viel Vornehmheit, um auf eine Erbschaft zu rechnen, die noch zwanzig Jahre und länger ausbleiben kann.«

»Ich sagte schon: wir haben uns lieb, Luise und ich,« antwortete Brelow kurz, ja schroff.

»Also denn ja – und von ganzem Herzen. Und ich sehe: meine Frau brauche ich nicht zu fragen, ob sie auch einverstanden ist!«

Er stand auf. Denn er sah zwischen dem Gebüsch, das den Weg zu diesem tristen Winkel geleitete, die Gestalt seiner Ältesten herankommen. Brelow erhob sich auf der Stelle auch.

»Da kommt Luise. Und noch etwas, Herr von Brelow – halten Sie mich nicht für ’n Schauspieler oder Poseur. Meine Frau und ich waren eins darin: die Kinder bescheiden erziehen! – Zu große Gewohnheiten haben noch keinem Menschen das Leben erleichtert – und die Gefahr lag zu nah: daß mal Mitgiftjäger sich ’ranmachen könnten. Meine Mädels taugen was! Das darf ich sagen! Sie sollen ausLiebegeheiratet werden – nicht als Eisenprinzessinnen auf ’n Heiratsmarkt kommen. – Na – und ich seh’ ja nun – Sie und Luise – Sie wollen zufrieden sein mit den Früchten des Feldes ... Schön, sehr schön! – Aber ich möchte denn doch, daß es die Früchte dereigenenFelder meines Schwiegersohnes wären. Ich denke, wir lassen mal durch ’n geschickten Mittelsmann anklopfen, ob der Herr Kommerzienrat Silberling, der jetzt Ihr Stammgut hat, mit sich reden läßt ...«

Da war auch schon Luise und hing an ihres Vaters Hals, und Brelow stand bleich vor freudigem Schreck.

»Bitte, bitte,« wehrte der Generaldirektor lächelnd ab, »es ist keine Mitgift! – Ich bin und bleibe ein Mann von Wort – schon allein, um dem dicken Pankow nicht den Triumph zu gönnen – durchaus: keine Mitgift! – Bloß Hochzeitsgeschenk.«

Aber als nachher das Brautpaar etwas steif und von der neuen Lage innerlich sehr glücklich bedrängt, jedoch äußerlich verlegen die Glückwünsche der Gesellschaft empfing, hatte Herr von Pankow doch sein Pläsier.

Er stieß mit dem Zeigefinger mehrere Löcher in die Luft, in der Richtung auf des Generaldirektors Weste zu, und lachte: »Was diese Eisenbarone kokett sind! – Ich wollte unserem Freunde Thürauf schon ’n Platz im Pankower Männerarmenhaus reservieren ... Na und nu hat es sich doch so zusammengeläppert, daß Fräulein Luise ’n kleines Rittergut zur Hochzeit kriegt. Hören Se mal, Thürauf: nehmen Se mir Pankow ab und geben Se mir Ihren Posten.«

Und still bei sich dachte der dicke, joviale Mann: »Brelow hat’s natürlich gewußt, daß es Schwindel war mit dem Gerede von: keine Mitgift und so ...«

Klara umarmte die vor Glück ganz unsichere Braut. Und dachte immerfort: »Sie lieben sich – sie lieben sich! ...«

Und es schien ihr ein Wunder, daß zwei aus Liebe sich zusammenfinden durften. – –

Von nun an sah man jeden Nachmittag die weiße Jacht mit den gelbbleichen Seidensegeln und der flinken Mannschaft in den krebsroten Sweatern die Trave hinabkreuzen, durchs Wyk, an Travemünde vorbei, hinaus in die freie Bucht, wo am Horizont sich Himmel und Meer trafen. Bei Flaute schleppte das Motorboot seinen koketten Bojennachbarn weit hinaus.

Der Geheimrat sah es mit Staunen, daß der Juniorchef Wynfried Severin Lohmann jeden Nachmittag die Zeit dazu hatte ... Und er sah auch, daß sein Sohn in der frischen Seeluft, dem köstlichen Sport, geradezu in erneuter Mannesschönheit aufblühte.

Er sprach mit Thürauf. Und der Generaldirektor gestand, daß Wynfried mit einer genialen Leichtigkeit und Raschheit arbeite, die denn doch das väterliche Erbe sei. Ja, es gehe ihm alles noch flotter von der Hand – als schüttle er es nur so aus dem Ärmel. Bei Beratungen traf er rasch den Kern der Dinge, auf die es ankam.

Was konnte sein Vaterherz mehr erfreuen! Und dennoch – ihm schien, als halte Thürauf irgend etwas zurück – das war sonst nicht seine Art.

Er sprach auch mit Wynfried selbst.

Der lachte.

»Vater, du bist doch kein Programmensch. Auch die Art des Arbeitens ist was Individuelles. Weißt du, mir hat immer der große Gelehrte imponiert – Robert Koch soll’s gewesen sein – der sich sein Leben so einteilte: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Vergnügen. Kann man seine vierundzwanzig Stunden klüger einteilen?«

»Gewiß nicht,« gab der Geheimrat zu; und mahnte sich in Gedanken: »Gerecht bleiben!«

Weil sein eigenes Leben das eines Stiers im Joche gewesen war, brauchte seines Sohnes Dasein nicht ein ebenso brutales, unaufhörliches Ringen mit der Arbeit zu sein. Und sein Sohn hatte ja auch eine liebe, holde Frau – ein Glück in der Ehe – das hatte er doch?

Dem alten Mann war seit einiger Zeit der Ausdruck in den strengen Zügen dieser jungen Frau so rätselhaft.

Was am Tauftage ihm zuerst so bänglich aufgefallen, dieser Zug von Abspannung, der fast nach verborgenem Leid aussah, der schien so tief eingezeichnet, daß er nie mehr wich.

So sieht das Glück nicht aus ...

Er nahm sich zusammen, hörte zu, was sein Sohn in fröhlich flottem Ton weitersprach.

»Ich kann wohl sagen, es macht Spaß, wenn man da so auf dem Werk sich abhetzt – rasche Entschlüsse fassen muß – das prickelt – – Spannung und Wagnis ist dabei – grad’ wie beim Segeln – man sieht die Böe kommen – es heißt Umlegen – ja, da kommt es auf die Sekunde an – Geistesgegenwart ist alles. In den Fingerspitzen muß man’s haben, wann das Tau locker zu geben ist – und hart an der Gefahr des Kenterns vorbei – dann hat man so recht ein Gefühl von Lebensfülle.«

Plötzlich wußte der Geheimrat, was Thürauf in seinen Äußerungen nicht mit vorgebracht hatte.

DasSportgefühl, mit dem Wynfried der Arbeit gegenüberstand! ... Sie war ihm keine heilige Sache. War nebensächlich.

»Nun,« sagte er, vorsichtig die Worte suchend, »es ist doch wohl ein Unterschied. Arbeit ist kein Sport.«

»Ich meine doch beinah – wenigstens für uns, die wir’s eigentlich nicht nötig haben.«

»Eines Sports kann man überdrüssig werden. Der großen Aufgabe nicht.«

»Keine Angst, Vater,« sagte er leichthin; »ich hoffe doch, sie bleibt mir immer interessant. Nur – ich will daneben noch was vom Leben haben.«

»Ich bin der letzte, dir das zu mißgönnen,« versicherte der Vater.

Wynfried streichelte Klara das Haar.

Und in einem jähen Gefühl fand der alte Herr: auch nebensächlich ...

»Ja, das Interesse an Severin Lohmann hat meine famose, großartige Frau in mir geweckt.«

Klara lächelte freundlich.

Im Ohr des alten Herrn weckte dies Lob einen Nachhall. Hatte er es nicht schon oft und oft gehört? Immer dies Rühmen der »famosen, großartigen« Frau? Hatte seines Sohnes Empfindung keine Auswahl an Worten?

Fort – fort – Gespenster – Grübeleien – fort ...

Klara war sacht hinausgegangen und kam nun mit dem Kinde zurück.

»Na, du kleines Kerlchen,« sagte Wynfried und sah, auch aus Gefälligkeit gegen Klara, das Kind an. Es entwickelte sich so kräftig, es war so wundervoll gepflegt, daß man sich daran freuen mußte. Und es gewährte Wynfried auch Genugtuung, daß alle Menschen, die es sahen, es bewunderten.

Der alte Mann fuhr beinahe zusammen – da war wieder ein Nachhall – aber er kam von weit her – aus Zeitfernen.

War das nicht eben die Stimme oder doch der Tonfall seiner Frau gewesen? Sagte sie nicht geradeso »na, du kleines Kerlchen«, wenn die Wärterin ihr einmal den kleinen Wynfried zeigte?

O, dieser Tonfall – durch den alles zur oberflächlichsten Nichtigkeit zu werden schien – in dem kein Klang von tiefem Gefühl mitschwang.

In seinem Gemüt gärten die neu erwachenden Sorgen so schwer, daß er sie nicht ganz vor seinem Kinde verhehlen konnte. »Sein Kind« – das war ja die junge Frau. –

Es war gegen Abend, und er saß schon wieder oben in seinem mächtigen Stuhl, als er sagte: »Ich muß dich fragen ...«

Klara kniete sogleich neben ihm hin – denn das war ja die Stellung, in der sie ihm am besten in die Augenund zu ihm empor sehen konnte. Er legte seine schwere Hand auf ihr Haar, und seine Augen blitzten sie an.

»Hast du Kummer?«

»Nein, Vater.«

»Du bist verändert.«

Sie erblaßte.

»Wie sollte ich es sein?«

»Hast du über Wynfried zu klagen?«

»Nicht. Gar nicht. Er ist immer sehr herzlich und rücksichtsvoll.«

Er wollte weiter fragen: bist du glücklich? Er wagte es nicht.

Er hörte die beruhigenden Antworten. Aber er hatte auch gesehen, wie sie erblaßte.

Und was unbestimmt in seinem Gemüt gärte, verdichtete sich zu dem Angstgefühl, daß seinem Hause Unheil nahe ...

»Klara,« sagte er, »hab Geduld mit ihm.«

»Das brauch’ ich ja gar nicht. Ich habe ja über nichts zu klagen,« sprach sie matt.

»Aber wenn ... je ...«

Da raffte sie sich auf.

»Vater!« sprach sie fest. »Was ich vor Gott geschworen habe, halt’ ich! Sonst wär’ ich nicht wert, dein Kind zu sein.«

Klara stand mit Wynfried auf der Brücke, und sie sahen dem Fährboot entgegen, das vom jenseitigen Ufer Fräulein Edith heranbrachte. Schlank, im engen schneeweißen Sportkostüm, einen langen hellblauen Mantel überm Arm, stand sie und winkte schon von weitem.

Es war ein herrlicher Tag. Alles glänzte fröhlich: der wolkenlose Himmel, die besonnte Welt der Felder und Wiesen, die leuchtendrote kleine Stadt drüben auf der sandigen Höhe, der sich im Winde schuppende Fluß. Und die schwarzen Bauten, die düsteren Eisengerippe des Hüttenwerks standen in all der Helle bedrohlich und fremd. Aus den ragenden Schornsteinen quoll der Rauch schwarz und eilig – das wirkte beinahe wie Hochmut, der allen Sommersonnenschein ablehnt und ausdrücklich betonen will, daß die wichtige und finstere Arbeit der Kohle und des Feuers sich nicht an so etwas Veränderliches wie das schöne Wetter kehre. –

Die Jacht war klar. Sie sollte hinausgeschleppt werden. Im Wyk wollte man die Baronin Hegemeister mit ihrem Schatten, dem Fräulein von Gerwald, aufnehmen und dann in der Lübecker Bucht den von Kiel kommenden Jachten entgegenkreuzen. Die Kieler Woche war zu Ende, sie schloß wie immer mit einer Wettfahrt nach Travemünde, wo dann noch unter Gegenwart und Teilnahme des Kaisersdie beiden rauschenden und glanzvollen Tage mit Wettsegeln, Frühstücken, Diners und Tänzen abgehalten wurden.

Nun war Edith angekommen und sprang aus dem Fährboot. Klara erschrak beinah. Was hatte das Mädchen denn nur mit sich gemacht? Die dicken, brandroten Haare in zwei Zöpfen als Schnecken über die Ohren gelegt! Und das Gesicht mit der kecken Nase, dem großen Mund und den bernsteinfarbenen Augen unter roten Brauen wirkte dazwischen noch häßlicher.

»Ich bin wütend,« sagte sie gleich, »ich kann nur bis Travemünde mit! Da muß ich meine Tante Aline erwarten. Sie kommt mit dem Abendzug von Hannover und will drei Tage in Travemünde bleiben. Ich muß ihr Gesellschaft leisten. Gegen Tante Aline kämpfen Götter selbst vergebens. Sogar Papa hat aufgetrumpft: daß du dich nicht unterstehst – – na – und so weiter. Wie Väter auftrumpfen, die man sonst um ’n Finger wickelt. Er hat ja ihr Vermögen im Geschäft, und ich soll es mal erben – ich bitt’ um stilles Beileid ...«

»Aber mein Mann hat wirklich Pech heute,« sagte Klara, »ich kann ihn auch nicht begleiten.«

»Sie sind leidend,« sprach Edith, mehr feststellend als fragend.

»Meine Frau? Leidend?« fragte aber Wynfried erstaunt. »Keine Spur. Der Kleine hat, glaub’ ich, einmal gehustet – da bringt niemand und nichts meine Frau von ihm weg.«

Edith lachte.

»O Gott ja – diese fanatischen jungen Mütter ...«

Klara mochte es nicht haben, wenn man sie mit ihrer Liebe zu ihrem Kinde neckte. War’s nicht, als würde man sie necken, weil sie atme?

»Fanatisch – das ist das Wort,« stimmte Wynfried wohlgelaunt zu. »Als ich neulich mit meiner Frau acht Tage in Berlin war, merkte ich bald: sie kam beinah um vor Heimweh nach unserem Jungen und vor Sorge um ihn – als wenn nicht, meinen Vater an der Spitze, ein Heer von Aufsehern da sei.«

Klaras Augen wurden dunkler ... Sie dachte an die schweren Tage in Berlin. Sie hatte es sich gelobt, so viel, als sie es irgend einrichten konnte, in ihres Mannes Gesellschaft zu sein – mit ganzer Inbrunst täglich von neuem zu versuchen, sich an ihn heranzufühlen – ihm Herzlichkeit und Ergebenheit zu zeigen. Abend für Abend ging sie mit in die Theater. Wynfried wählte immer das, wo man sich am meisten Augenweide und Lustigkeit versprechen konnte. Und diese Tage im rauschenden, rollenden Lärm und der benzindurchhauchten Staubluft – dem nie abreißenden Hintereinander der Gefährte – wie waren sie mühsam gewesen. Gewiß, auch durch das quälende Heimweh nach ihrem Kinde. – Das Kind war doch der Zweck ihres Daseins – dies Kind gab in einem besonderen Sinn ihrer Ehe und ihrem Dankesopfer Recht. Aber sie spürte wohl, sie würde ihre Sehnsucht bezwungen haben – sie war ja nicht nur Mutter und mit der Mutterschaft nicht aller anderen Aufgaben ledig. Sie hatte auch die, sich selbst noch weiterzubilden. Aber aus ihres Mannes Geist und Art kam kein Ton zu ihr herüber, der sie belebt und beschäftigt hätte – sie hörte auch kaum ein Wort, das ihre Gedanken auf neue Wege geleitet hätte. Und dann – diese Unruhe in ihr, dies unbestimmte und doch furchtbare Gefühl, wie von etwas Vernichtendem bedroht zu sein – das war nur still, wenn sie bei ihrem Kinde sein konnte.

Und deshalb drang die grandiose Sprache der Weltstadtnicht zu ihr – deshalb spürte sie nichts von der Wucht der Eindrücke.

»Aber nun fix!« mahnte Wynfried.

Edith verabschiedete sich von der jungen Frau und sah ihr dreist ins Gesicht.

»Sie sehen aber wirklich noch immer ’n bißchen matt aus – ich fand es schon damals auf der Taufe. – Da sollten Sie grad’ mitsegeln.«

»Ich tue es oft,« sagte Klara, »nur heute ... Der Kleine ist wirklich etwas unruhig, und dann ist Vater fast noch besorgter als ich.«

»Schad’,« meinte Wynfried, »es ist so großartiges Wetter. Likowski und Marning haben auch abgesagt.«

»Was – die auch?« rief Edith. Für sie konnten es, bei solcher Gelegenheit, nie genug Herren sein, denn dann war sie doch einer ununterbrochenen, plänkelnden Unterhaltung sicherer.

»Ja. Obschon ich noch an Marning extra telephonierte, daß Sie, Baronin Agathe und meine Frau mitsegeln würden.«

»Ach Marning! – Ich glaub’, der retiriert vor Baronin Agathe,« meinte das rothaarige Mädchen.

»Wie ist sie unzart ...« dachte Klara.

»Na – nu los. Und ängstige dich nicht – wenn gegen Abend Flaute kommt – es kann spät werden ...«

Er und Edith saßen im Beiboot, und er trieb es mit ein paar sicheren Ruderschlägen bordseit der »Klara«. Die hatte schon ihr Fallreep mit den drei Stufen herabgelassen, und eins, zwei, drei waren die beiden an Deck der Jacht, wo die flinken Kerls in den krebsroten Sweatern und den weißen Hosen in Reih und Glied standen und ihren Herrn militärisch salutierten.

Das Motorboot stieß einen grellen Pfiff aus, und seineMaschine begann zu stoßen und zu klopfen. Der leichte, braune Mahagonileib glitt stromab. Die Trossen strafften sich, und wie ein großer Sohn der kleinen Mutter, so folgte die weiße Jacht der Führung. Großsegel und Schunersegel waren noch gerefft.

Wynfried und Edith standen am Großmast und winkten Grüße hinüber, bis Klara langsam wieder treppan und zum Hause emporstieg.

»Ihre Frau hat sich aber wirklich verändert,« sagte Edith.

»Kann ich nicht finden. Höchstens vielleicht, daß sie oft ermüdet aussieht – sowie der Junge nachts sich rührt, steht sie ja auf – die Amme sei nicht verläßlich.«

»O Gott – und der Schlummer Ihrer Nächte!« sagte Edith mit komischem Pathos.

»Hab’ mich einstweilen aus diesem Bereich zurückgezogen und mein altes Quartier oben genommen – bin sehr stolz auf meinen Sohn – auf sein nächtliches Geschrei leg’ ich aber keinen Wert.«

Sie machten es sich nun gemütlich. Hinter dem Eingang zur Kajüte, der in üblicher Weise schräg überdacht war, hatte das Deck eine bassinartige, ovale kleine Vertiefung, in die man über zwei Stufen hineintrat. Ein breites Sitzbrett lief rund um und war mit Kissen belegt. Sie waren von Leder. Aber Klara hatte noch eine ganze Menge lose liegender, rotseidener gearbeitet, die man sich in den Rücken stopfen konnte oder unter den Kopf legen. Hier blieb man auch von der Mannschaft, solange glatte Fahrt war, ungesehen und ungehört, und nur bei irgend welchen Segelmanövern tauchten die weißroten Matrosen auf.

Wynfried und das rothaarige Mädchen saßen in träger Stellung einander gegenüber. Er hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet und schaute aufmerksam in EdithsGesicht. Tausend Teufel funkelten allezeit in ihren dreisten Augen. Und was ihren großen Mund betraf, dessen schön geschwungene, volle Lippen sich über sehr blendenden Zähnen leise öffneten, so dachte Wynfried: »Derart lüstern, daß es einen Mann irritieren könnte –«

»Nun, was sehen Sie mich so an?« fragte er.

»Ach – ich denk’ so: Sie haben ja viel zu früh geheiratet ...«

»Ich?«

»Na ja – wenn man so von nächtlichem Kindergeschrei hört ...«

»Meine Frau ist eine famose, großartige Frau. Jeder Mann hat Ursache, mich zu beneiden,« bemerkte er etwas ablehnend.

»Will nichts gegen sie sagen – nicht von fern – ich verehre Ihre Frau kolossal,« versicherte Edith sofort. Sie hatte irgend eine unbestimmte Empfindung gehabt, daß man über seine Ehe so mit ihm sprechen könne – aber sie spürte: das schien doch nicht geraten ...

Seit einiger Zeit fand sie, daß Wynfried Lohmann der schönste Mann sei, den sie je gesehen. Ziemlich groß, wundervoll gewachsen – die Augen blau und manchmal so rätselvoll im Ausdruck. – Die Züge vornehm – und das lockere Sporthemd ließ zuweilen, wenn er seine Jacke abwarf und selbst zugriff, weiße Arme und einen herrlichen Nacken sehen.

Und Edith hatte Stunden, wo sie wütend war – ja, dieser Mann wäre in jeder Hinsicht für sie gewesen. – Geld, Stellung – und seine Schönheit lud noch dazu ein, sich rasend in ihn zu verlieben ... Und wasderMann wohl von Frauen alles wußte und verstand! Hunderttausende sollte ihn ihr Studium gekostet haben. – Ach ja, er war weit und breit der einzige interessante Mann ... Undgerade dieser hatte sich mit einer so langweiligen Person verheiraten müssen.

»Daß man meine Frau kolossal verehrt, will ich mir auch von jedermann ausgebeten haben,« sagte Wynfried würdevoll.

Aber es war eben ein bißchen mehr Würde, als der Augenblick gerade erfordert hätte. Und mit ihrer Intelligenz und ihrem sechsten Sinn, der überraschend scharf war, fühlte sie das gleich.

Ihre Augen funkelten ihn wieder lustiger an ...

Aber sie sprach sehr vernünftig-nüchterne Dinge.

»Ist es wahr, daß Thürauf Teilhaber wird?«

»Ja. Die Kontrakte sind unterzeichnet.«

»Papa zerbricht sich den Kopf, ob Sie oder Ihr Vater das gewollt haben.«

»Vater regte es an; ich war durchaus einverstanden. Denken Sie mal: wie wäre ich gebunden gewesen, wenn Vater mal davonginge, denn von seinem Krankheitsthron aus spricht er ja völlig geistesfrisch noch immer das gewichtigste Wort. Und wenn vielleicht Thürauf uns verlassen hätte, um anderswo als Kompagnon einzutreten. – Nun bin ich nach Wunsch freier Mann – denn Thürauf hat ja bloß eine Leidenschaft: arbeiten.«

»Papa sagt: Thürauf kann lachen. Und die Bedingungen seien fabelhaft.«

»Sie sind durchaus normal.«

»Papa sagt, es würden Thürauf nur vier Prozent abgerechnet für all das Lohmannsche Kapital. – Es wären acht Millionen sagt Papa, was Ihr Vater ins Werk gesteckt hat. – Bei der Teilung des verbleibenden Gewinstes stehe sich Thürauf immer noch auf mehr als zweimalhunderttausend Mark Einkünfte. O Gott – und wenn man bedenkt, daß Ihrem Vater auch noch die Kreyser-Werke zuzwei Drittel gehören ... Ja, Papa sagt, wenn’s mit den Unternehmungen erst über einen gewissen Umfang hinaus ist, arbeiten sie sozusagen von selbst weiter.«

»Wie genau Ihr Papa Bescheid weiß,« sagte Wynfried mokant; »und wie Sie das alles behalten haben! So viel Zahlen im Munde eines so jungen Mädchens.«

Edith zuckte die Achseln.

»Das ist so wie mit Malerskindern, die von klein an von Farben sprechen hören, oder wie mit Kunstreiterkindern, die alles von Pferden verstehen. So ’n Industrieprinzeßchen wie ich wächst von selbst ins Verständnis für Geld und Geschäfte hinein. – Papa wundert sich aber doch. Wo alle Welt weiß, daß Ihr Vater den rasenden Stolz auf sein Werk hat und diese große Liebe! – ›Severin Lohmann‹ sollte rein Lohmannsch bleiben, hat man immer gedacht.«

»Soll es auch. Wenn Thürauf Söhne hätte, würde Vater es nicht getan haben. – Es steht auch ausdrücklich im Kontrakt, daß die Teilhaberschaft nicht auf Thüraufsche Schwiegersöhne oder Enkel übertragbar sein soll.«

Was ihr Papa sonst noch gesagt hatte, verschwieg Edith. Er hatte gemeint: der Geheimrat traue seinem Sohn doch wohl noch nicht ganz ... und wolle dem Werk den bedeutenden Mitarbeiter sichern. – Und bis der zähe Thürauf mal alt und arbeitsunfähig werde, sei Wynfried auch ein alternder und ganz eingearbeiteter Mann. –

»Na, wenn Hornmarck denn das gute Finchen Thürauf erobert, macht er ja ’n blendendes Geschäft,« sagte Edith voll Verachtung. »Seit Luisens Verlobung mit Brelow weiß man doch, was die Thüraufs mitkriegen. Seitdem ist Hornmarck wie hypnotisiert von Finchens häuslichen Tugenden.«

»So?« fragte Wynfried ungläubig.

»Was ich Ihnen sage! Als Papa und ich Sonntag früh unseren Ritt machten – Sie wissen ja, Papa ist in jedem Sinne Sonntagsreiter, und ich genier’ mich immer, wenn uns sachverständige Herren begegnen – na, wen treffen wir am Waldesrand bei den Wiesen? Die zwei unverlobten Thüraufs, nebst Hornmarck in Zivil mit noch zwei Jüngelingen. Die Räder lehnten an dem berasten Erdwall, etwas weiterhin saß man und ließ die Beine hängen und aß im Schatten Butterbrote. Seien Sie sicher, die waren mit Wurst belegt – das wäre so in der Situation gewesen. – Und was tat Hornmarck? Er band Vergißmeinnicht zusammen. Ich schwöre Ihnen: Vergißmeinnicht!«

Wynfried lachte.

»Wissen Sie, was ich tat?«

»Bin gespannt.«

»Ich lenkte mein Pferd ’ran – ich salutierte Hornmarck mit meinem Reitstock und improvisierte:


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