Woytasch hat den Schulzen-Stock,Kunicke ’nen langen Rock,Mietzel ist ein Hobelspahn,Quaas hat keinem was gethan,Nicht mal seiner eignen Frau,Kätzchen weiß es ganz genau.Miau, miau.
Woytasch hat den Schulzen-Stock,Kunicke ’nen langen Rock,Mietzel ist ein Hobelspahn,Quaas hat keinem was gethan,Nicht mal seiner eignen Frau,Kätzchen weiß es ganz genau.Miau, miau.
Dergleichen konnte nicht verziehen werden, am wenigsten solcher Bettelperson wie dieser hergelaufenen Frau Hradscheck, die nun mal für die Schuldige galt. Das stand bei Kätzchen fest.
»Ich wette,« sagte sie zur Mietzel, als diese denselben Abend noch, an dem die Hradscheck abgereist war, auf der Ölmühle vorsprach, »ich wette, daß sie mit einem Sammthut und einer Straußenfeder wiederkommt. Sie kann sich nie genug thun, diese zierige Person, trotz ihrer vierzig. Und alles blos, weil sie ›Swein‹ sagt und nicht ›switzen‹ kann, auch wenn sie drei Kannen Fliederthee getrunken. Sie sagt aber nicht Fliederthee, sie sagt Hollunder. Und das soll denn was sein. Ach, liebe Mietzel, es ist zum Lachen.«
»Ja, ja!« stimmte die Mietzel ein, schien aber geneigt, die größere Schuld auf Hradscheck zu schieben, der sich einbilde, Wunder was Feines geheirathet zu haben. Und sei doch blos ’ne Kattolsche gewesen und vielleicht auch ’ne Springerin; wenigstens habe sie so was munkeln hören. »Und überhaupt, der gute Hradscheck,« fuhr sie fort, »er soll doch nur still sein. In Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm. Die Rese hat er sitzen lassen. Und mit eins war sie weg und keiner weiß wie und warum.Und war auch von Ausgraben die Rede, bis unser alter Woytasch ’rüber fuhr und alles wieder still machte. Natürlich, er will keinen Lärm haben und is ’ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden. Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und ich sage blos, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so haben wir nächstens auch die Zigeuner hier und Frau Woytasch kann sich dann nach ’nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; dreißig is sie ja schon.«
So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche später die Hradscheck gerade so wieder kam, wie sie gegangen war, das heißt ohne Sammthut und Straußenfeder, und noch ebenso grüßte, ja womöglich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, daß die Erbschaft sie verändert habe.
»Man sieht doch gleich,« sagte die Quaas, »daß sie jetzt was haben. Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war eigentlich nicht zum Aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden, daß es nur wenig sei.«
»Wie viel mag es denn wohl sein?« unterbrach hier die Mietzel. »Ich denke mir so tausend Thaler.«
»O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr wäre, wäre sie nichtso; da zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ›ob es ihr nicht ängstlich gewesen wäre, so ganz allein mit dem vielen Geld‹,da sagte sie: ›nein, es wär’ ihr nicht ängstlich gewesen, denn sie habe nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede werth. Das Meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehen lassen.‹ Ich weiß ganz bestimmt, sie sagte: das Meiste. So wenig kann es also nicht sein.«
***
Unterredungen, wie diese, wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause geführt, ohne daß man mit Hilfe derselben im Geringsten weiter gekommen wäre, weßhalb man sich schließlich hinter den Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, daß er neuerdings einen rekommandirten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe.
»Von woher denn?«
»Aus Krakau.«
Man überlegte sich’s, ob das in irgend einer Beziehung zur Erbschaft stehen könne, fand aber nichts.
Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete:
»Krakau, den 9. November 1831.
HerrnAbel Hradscheckin Tschechin. Oderbruch.
Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntniß, daß unser Reisender, Herr Szulski, wie alljährlich so auch in diesem Jahre wieder, in der letzten Novemberwoche, bei Ihnen eintreffen und Ihre weitern geneigten Aufträge in Empfang nehmen wird. Zugleich aber gewärtigen wir, daß Sie, hochgeehrter Herr, bei dieserGelegenheit Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf unser Geschäft, unmöglich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit.
Olszewski-Goldschmidt & Sohn.«
Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht gesäumt, auch seine Frau mit dem Inhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern.
»Wo willst Du’s hernehmen, Abel? Und doch muß es geschafft werden. Und ihm eingehändigt werden ... Und zwar vor Zeugen. Willst Du’s borgen?«
Er schwieg.
»Bei Kunicke?«
»Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und giebt’s auch nicht. Ich glaube, daß ich’s schaffe.«
»Gut. Aber wie?«
»Bis zum 30. hab’ ich noch die Feuerkassengelder.«
»Die reichen nicht.«
»Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck’ ich mit einem kleinen Wechsel. Ein großer geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als baar.«
Sie nickte.
Dann trennte man sich, ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre.
Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle zugetheilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die nächste Minute zeigen sollte.
Hradscheck, voll Beherrschung über sich selbst, ging in den Laden, der gerade voll hübscher Bauernmädchen war, und zupfte hier der einen am Busentuch, während er der andern die Schürzenbänder aufband. Einer Alten aber gab er einen Kuß. »Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren – nich wahr, Mutter Schickedanz?«
Mutter Schickedanz lachte.
DerFrauHradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte sich rühmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und überschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz abzubeten. Aber es half alles nichts. Ihr Athem blieb schwer, und sie riß endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen.
So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch.
E
s war Ende November, als an einem naßkalten Abende der von der Krakauer Firma angekündigte Reisende vor Hradscheck’s Gasthof vorfuhr. Er kam von Küstrin und hatte sich um ein paar Stunden verspätet, weil die vom Regen aufgeweichten Bruchwege beinah unpassirbar gewesen waren, am meisten im Dorfe selbst. Noch die letzten dreihundert Schritt von der Orth’schen Windmühle her hatten ein gut Stück Zeit gekostet, weil das ermüdete Pferd mitunter stehen blieb und trotz allem Fluchen nicht weiter wollte. Jetzt aber hielt der Reisende vor der Ladenthür, durch deren trübe Scheiben ein Lichtschein auf den Damm fiel, und knipste mit der Peitsche.
»Halloh; Wirthschaft!«
Eine Weile verging, ohne daß wer kam. Endlich erschien der Ladenjunge, lief aber, als er den Tritt heruntergeklappt hatte, gleich wieder weg, »weil er den Knecht, den Jakob, rufen wolle.«
»Gut, gut. Aber flink ... Is das ein Hundewetter!«
Unter solchen und ähnlichen Ausrufungen schlug der jetzt wieder allein gelassene Reisende das Schutzleder zurück, hing den Zügel in den freigewordenen Haken und kletterte, halb erstarrt und unter Vermeidung des Tritts, dem er nicht recht zu trauen schien, über das Rad weg auf eine leidlich trockene, grad’ vor dem Laden-Eingange durch Aufschüttung von Müll und Schutt hergerichtete Stelle. Wolfsschur und Pelzmütze hatten ihm Kopf und Leib geschützt, aber die Füße waren wie todt, und er stampfte hin und her, um wieder Leben ins Blut zu bringen.
Und jetzt erschien auch Jakob, der den Reisenden schon von früher her kannte.
»Jott, Herr Szulski, bi so’n Wetter! Un so’ne Weg’! I, doa kümmt joa keen Düwel nich.«
»Aber ich,« lachte Szulski.
»Joa, blotSe, Herr Szulski. Na, nu geihen’s man in de Stuw’. Un dat Fellisen besorg’ ick. Un will ook glieks en beten wat inböten. Ick weet joa: de Giebelstuw, de geele, de noah de Kegelboahn to.«
Während er noch so sprach, hatte Jakob den Koffer auf die Schulter genommen und ging, dem Reisenden vorauf, auf die Treppe zu; als er aber sah, daß Szulski, statt nach links hin in den Laden, nach rechts hin in das Hradscheck’sche Wohnzimmer eintreten wollte, wandt’ er sich wieder und sagte: »Nei, nich doa, Herr Szulski. Hradscheck is in de Wienstuw ... Se weeten joa.«
»Sind denn Gäste da?«
»Versteiht sich. Wat arme Lüd’ sinn, na, de bliewen to Huus, awers Oll-Kunicke kümmt, un dennkümmt Orth ook. Un wenn Orth kümmt, denn kümmt ook Quaas un Mietzel. Geihen’s man in. Se tempeln all wedder.«
***
Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen erst mit dem polnischen Sammtrock sammt Schnüren und Knebelknöpfen angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen, auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde. Das Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hochaufgelaufene Schuldsumme, ganz wie gewollt, durch Baarzahlung und kleine Wechsel beglichen worden, was dem Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulirung kaum erwartet haben mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen.
»Ich kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt’ um die Ehr’.«
Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen zu sehen, aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen bis ganz vor Kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten, sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an, den man sich gefallen lassen könne. Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch und Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe.
Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen.
Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen vor Ausbruch der Insurrektion gewesen. Alles, was er damals als nahe bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt zurück, Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt, welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum Mindesten als Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer (er ließ dies vorsichtig im Dunkel) beigewohnt hatte. Das alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner, und Szulski, der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldenthaten, wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren sich die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Haus-Erstürmung in der Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die Weichsel berührt, war dabei sein Paradepferd.
»Wie hieß die Straße?« fragte Mietzel, der nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochroth wurde.
»Dlugastraße,« wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe. »Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner Geschichte handelt, stand dicht an der Weichsel, der Vorstadt Praga grad’ gegenüber, und war von unseren Akademikern und Polytechnikern besetzt, das heißt von den Wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indeß, was von ihnen noch lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause,von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun die Russen, es war das Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten sie die Trommel zum Angriff. Und so stürmten sie dreimal, immer umsonst, immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder. Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Thür, stießen sie mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Immer höher zogen sich unsere Tapferen zurück, bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem abgedeckten Dache standen. Da sah ich jeden Einzelnen so deutlich vor mir, wie ichSiejetzt sehe, Bauer Mietzel« – dieser fuhr zurück – »denn ich hatte meine Wohnung in dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka schwenkten, und hörte, wie sie unser Lied sangen: ›Noch ist Polen nicht verloren.‹ Und bei meiner Ehre,hier, an dieser Stelle, hätten sie sich trotz aller Übermacht des Feindes gehalten, wenn nicht plötzlich, von der Seite her, ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre, ein Hämmern und Schlagen sag’ ich, wie von Äxten und Beilen.«
»Wie? Was? Von Äxten und Beilen?« wiederholte Mietzel, dem sein bischen Haar nachgerade zu Berge stand. »Was war es?«
»Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt war ein Loch da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin drang das russische Regiment auf denDachboden vor. Was ich da gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen wurde, konnte von Glück sagen, die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert. Es war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das Massacre, ja, vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist vorgekommen) nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte sich mit ihnen in den Fluß.«
»Alle Wetter,« sagte Kunicke, »das ist stark! Ich habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl, wo man Holz fällt, fallen Spähne. So war es bei Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann das Kolbenschlagen losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und Kinder! Alle Wetter, Szulski, das ist scharf. Is es denn auch wahr?«
»Ob es wahr ist? Verzeihung, ich bin kein Aufschneider, Herr Kunicke. Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch. Aber was ich gesehn habe, das hab’ ich gesehn, und eine Thatsache bleibt eine Thatsache, sie sei wie sie sei. Die Dame, die da herunter sprang (und ich schwör’ Ihnen, meine Herren, eswareine Dame), war eine schöne Frau, keine 36, und so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt’ ihr was Bessres gewünscht, als diese naßkalte Weichsel.«
Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte, seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben. Szulski selbstaber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen, um nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: »Eine schöne Frau, sagt’ ich, und hingemordet. Und was das Schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein, durch uns selbst; hingemordet, weil wir verrathen waren. Hätte man uns freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen. Das Volk war gut, Bürger und Bauer waren gut, alles einig, alles da mit Gut und Blut. Aber der Adel! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert, bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte. Und wenn der Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren.«
»Kann ich nicht zugeben,« sagte Kunicke. »Jeder denkt an sein Geld. Alle Wetter, Szulski, das sollt’ unsrem Hradscheck schon gefallen, wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier vorspräch’ und nie an Geld dächte. Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden.«
»Ah, Erbschaft,« wiederholte Szulski. »So, so; daher. Nun, gratulire. Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt. Lemberg ist besser als Krakau. Ja, das muß wahr sein, Erbschaft ist die beste Art zu Gelde zu kommen, die beste und eigentlich auch die anständigste ...«
»Und namentlich auch die leichteste,« bestätigte Kunicke. »Ja, das liebe Geld. Und wenn’s viel ist, das heißtsehrviel, dann darf man auch dran denken! Nicht wahr, Szulski?«
»Natürlich,« lachte dieser. »Natürlich, wenn’s viel ist. Aber, Bauer Kunicke, denken und denken ist ein Unterschied. Man mußwissen, daß man’s hat, soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl und stört nicht ...«
»Nein, nein, stört nicht.«
»Aber, meine Herren, ich muß es wiederholen, denken und denken ist ein Unterschied. An Geldimmerdenken, bei Tag und bei Nacht, das ist soviel, wie sich immer drum ängstigen. Und ängstigen soll man sich nicht. Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt, der ängstigt sich um seine Frau.«
»Freilich,« schrie Kunicke. »Quaas ängstigt sich auch immer.«
Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus Anekdoten- und Geschichten-Erzähler von Fach war, daß er sich nicht gern unterbrechen ließ, fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort: »Und wie mit der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht ängstlich; haben muß man’s, aber man muß nicht ewig daran denken. Oft muß ich lachen, wenn ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d’hôte mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt, ›ob er’s auch noch hat‹. Und dann athmet er auf und ist ganz roth geworden. Das ist immer lächerlich und schadet blos. Und auch das Einnähen hilft nichts, das ist ebenso dumm. Ist der Rock weg, ist auch das Geld weg. Aber was man aufseinem Leibe hat, das hat man. All die andern Vorsichten sind Unsinn.«
»Recht so,« sagte Hradscheck. »So mach’ ich’s auch. Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen. Ist es denn wahr, Szulski, daß sie Diebitschen vergiftet haben?«
»Versteht sich, es ist wahr.«
»Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?«
»Alles wahr,« wiederholte Szulski. »Daran ist kein Zweifel. Und es kam so. Constantin wollte die Polen ärgern, weil sie gesagt hatten, die Russen fräßen bloß Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen eingeladen hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht sich nahm er immer zuerst, dafür war er Großfürst und Vicekönig. Aber das eine Mal vergriff er sich doch und da hat er’s runter würgen müssen.«
»Wird nicht sehr glatt gegangen sein.«
»Gewiß nicht ... Aber, Ihr Herren, kennt Ihr denn schon das neue Polenlied, das sie jetzt singen?«
»Denkst Du daran – –«
»Nein, das ist alt. Ein neues.«
»Und heißt?«
»Die letzten Zehn vom vierten Regiment ... Wollt Ihr’s hören? Soll ich es singen?«
»Freilich.«
»Aber Ihr müßt einfallen ...«
»Versteht sich, versteht sich.«
Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte:
Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen:Kein Schuß im heil’gen Kampfe sei gethan,Tambour schlag’ an, zum Blachfeld laßt uns ziehen,Wir greifen nur mit Bajonetten an!Und ewig kennt das Vaterland und nenntMit stillem Schmerz seinviertesRegiment.
Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen:Kein Schuß im heil’gen Kampfe sei gethan,Tambour schlag’ an, zum Blachfeld laßt uns ziehen,Wir greifen nur mit Bajonetten an!Und ewig kennt das Vaterland und nenntMit stillem Schmerz seinviertesRegiment.
»Einfallen! Chorus.« »Weiter, Szulski, weiter.«
Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffenAn unsrer Seite dort wir stürzen sahn,Wir leben noch, die Wunden stehen offenUnd um die Heimath ewig ist’s gethan;Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.
Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffenAn unsrer Seite dort wir stürzen sahn,Wir leben noch, die Wunden stehen offenUnd um die Heimath ewig ist’s gethan;Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.
Chorus:
»Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.«
»Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.«
Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf.
»Wenn ihn jetzt seine Frau sähe,« rief Kunicke.
»Da hätt’ er Oberwasser.«
»Ja, ja.«
Und nun stieß man an und ließ die Polen leben. Nur Kunicke, der ananno13 dachte, weigerte sich und trank auf die Russen. Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen.
Mietzel aber war ganz übermüthig und halb wieverdreht geworden und sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit einem Male:
»Nicht mal seiner eignen Frau,Kätzchen weiß es ganz genau.Miau.«
»Nicht mal seiner eignen Frau,Kätzchen weiß es ganz genau.Miau.«
Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr an Übelnehmen.
Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen.
S
o ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurück halten; »er müsse morgen um neun in Frankfurt sein.« Und damit nahm er den bereitstehenden Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in der Hand hatte, wandt’ er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck: »Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee. Guten Abend, Ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!«
***
Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daßallerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke, das grad’ in dem Windstrome lag, der, von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke’s Stall und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden.
»Dat’s joa groad’, as ob de Bös kümmt,« sagte die Alte und richtete sich in die Höh’, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen, und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn, ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel, drüben in der neumärkischen Haide, das freiwillige Hinken wegkurirt hatte.
Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche was zusammen, ein Baumoder ein Strauchwerk, und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck’schen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her, mal hier, mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube.
»Mien Jott, supen se noch?« fragte die Jeschke vor sich hin. »Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr Schull un he künn nich anners.«
Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung ’was zu sehen. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die Hradscheck’sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war’s ihr doch wieder, als ober wolle,daßman ihn sähe. Denn wozu sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt’ er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.
»Wat he man hett?« murmelte sie vor sich hin.
Aber ehe sie sich, aus ihren Muthmaßungen heraus, ihre Frage noch beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus dem Auge gekommene Hradscheck von der Thür her in den Garten trat und mit einem Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt. Hier grub er eifrig und mit sichtlicher Hast und mußte schon ein gut Theil Erde herausgeworfen haben, als er mit einem Male das Graben aufgab und sich aufs Neue nach allen Seiten hin umsah. Aber auch jetzt wieder (so wenigstens schien es ihr) mehr in Spannung als in Angst und Sorge.
»Wat he man hett?« wiederholte sie.
Dann sah sie, daß er das Loch rasch wieder zuschüttete. Noch einen Augenblick und die Gartenthür schloß sich und alles war wieder dunkel.
»Hm,« brummte die Jeschke. »Dat’s joa binoah, as ob he een’ abmurkst hett’. Na, so dull wahrd et joawoll nich sinn ... Nei, nei, denn wihr dat Licht nich. Awers ick tru em nich. Un ehr tru ick ook nich.«
Und damit ging sie wieder bis an ihr Bett und kletterte hinein.
Aber ein rechter Schlaf wollt’ ihr nicht mehr kommen, und in ihrem halbwachen Zustande sah sie beständig das Flimmern im Kellerloch und dann den Lichtschein, der in den Garten fiel, und dann wieder Hradscheck, wie er unter dem Baume stand und grub.
U
m vier Uhr stieg der Knecht die Stiege hinauf, um Szulski zu wecken. Er fand aber die Stube verschlossen, weshalb er sich begnügte zu klopfen und durch das Schlüsselloch hineinzurufen: »Is vier, Herr Szulski; steihn’s upp.« Er horchte noch eine Weile hinein, und als alles ruhig blieb, riß er an der klapprigen Thürklinke hin und her und wiederholte: »Steihn’s upp, Herr Szulski, is Tied; ick spann nu an.« Und danach ging er wieder treppab und durch den Laden in die Küche, wo die Hradscheck’sche Magd, eine gutmüthige Person mit krausem Haar und vielen Sommersprossen, noch halb verschlafen am Herde stand und Feuer machte.
»Na, Maleken, ook all rut? Wat seggstDudato? Klock vieren. Is doch Menschenschinnerei. Worümm nich um söss? Um söss wihr ook noch Tied. Na, nu koch’ uns man en beten wat mit.«
Und damit wollt’ er von der Küche her in den Hof hinaus. Aber der Wind riß ihm die Thür aus der Hand und schlug sie mit Gekrach wieder zu.
»Jott, Jakob, ick hebb mi so verfiert. Dat künn joa ’nen Doden uppwecken.«
»Sall ook, Male. He hett joa ’nen Dodensloap. Nu wahrd he woll uppstoahn.«
Eine halbe Stunde später hielt der Einspänner vor der Hausthür und Jakob, dem die Hände vom Leinehalten schon ganz klamm waren, sah ungeduldig in den Flur hinein, ob der Reisende noch nicht komme.
Der aber war immer noch nicht zu sehen, und statt seiner erschien nur Hradscheck und sagte: »Geh hinauf, Jakob, und sieh nach, was es ist. Er ist am Ende wieder eingeschlafen. Und sag’ ihm auch, sein Kaffee würde kalt ... Aber nein, laß nur; bleib. Er wird schon kommen.«
Und richtig, er kam auch und stieg, während Hradscheck so sprach, gerade die nicht allzuhohe Treppe hinunter. Diese lag noch in Dunkel, aber ein Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch einigermaßen deutlich erkennen. Er hielt sich am Geländer fest und ging mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht, als ob ihm der große Pelz unbequem und beschwerlich sei. Nun aber war er unten, und Jakob, der alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete.
»Na, nu wahrd et joa woll wihr’n,« tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende. »Kümmt Tied, kümmt Roath.« Und wirklich, ehe fünf Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genugim Gesicht saß, auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte.
»Das ist recht,« sagte Hradscheck. »Besser bewahrt, als beklagt. Und nun mach flink, Jakob, und hole den Koffer.«
Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder unten war, saß der Reisende schon im Wagen und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne was zu sagen, wies er darauf hin und nickte nur, als Jakob sich bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das Orth’sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu. Diese ging nicht; der Wind wehte zu heftig.
Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das Guldenstück ansah.
»Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!«
»Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa keen Wuhrt nich.«
»Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen,« lachte Hradscheck. »Is ja erst fünf.«
»Versteiht sich. Klock feiv red’ ick ook nich veel.«
D
er Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der Kutscher in Livrée. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte respektvoll, fast devot.
»Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ›Luft‹ oder lieber gleich zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann? Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne.«
Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: »Zwei Pfefferminz, Ede; rasch!« und wandte sich dann mit der Frage zurück, womit er sonst noch dienen könne?
»Mirmit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder, wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt.«
»Wo, Herr Amtsrath?«
»Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth’s Mühle.«
»Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren?«
»Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr, soviel hab’ ich gesehn. Aber alles muß doch seinen Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu ... Vorwärts!«
Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen.
***
Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch, während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf hielt.
»Stör’ Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!«
»Wird wohl,« gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte, »wird wohl ... Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm gestern Abend sagte: ›nicht so früh, Szulski, nicht so früh ...‹ Denke doch blos voriges Jahr, wie die Post ’runter fiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsernDamm! Und nu solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn.«
Inzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke.
»Komm!«
Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus.
Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr, aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft’ er sich mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke’s Rampe heran war, hielt er und rief Beiden zu: »Wollt auch hinaus? Natürlich. Immer aufsteigen. Aber rasch.« Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth’s Gehöft und die Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen.
Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlang zu fahren,wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch weniger tief einschnitten.
»Paß Achtung,« sagte Woytasch, »sonst liegen wir auch unten.«
Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte.
Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine wundervolle Fahrt und das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen, zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm, daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während, auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag.
Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte: »Der Wind wird ihn runter geweht haben.«
»Unsinn!« lachte Woytasch, »Ihr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind kommt ja von da, von drüben. Wennderschuld wäre, läg’ er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder ... Aber seht nur,da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr’ zu, daß wir nicht die Letzten sind.«
Und eine Minute darauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie’s stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft- und Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt, was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski’s Einspänner lag wie gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken.
»Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,« sagte Schulze Woytasch. »Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm.«
Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle.
»Der Pelz muß doch oben auf schwimmen.«
»Ja, der Pelz,« lachte Kunicke. »Wenn’s blos der Pelz wär’. Aber der Pohlsche steckt ja drin.«
Es war der Kunicke’sche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andernTrupp führende Hradscheck mit einem Male rief: »Ah, da ist ja seine Mütze!«
Wirklich, Szulski’s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.
»Nun, haben wirdie,« fuhr Hradscheck fort, »so werden wir ihn auch selber bald haben.«
»Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen.«
Und so geschah’s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.
»Ich werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,« sagte dieser. »Irgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben.«
»Und die andre Hälfte geben wir,« setzte Kunicke hinzu. »Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?«
»Natürlich war er,« sagte Woytasch. »Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad’t nichts. Ich bin für Aufklärung. Deralte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Façon ...«
»Versteht sich,« sagte Kunicke. »Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?«
»Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht.«
Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.