III.
Das wahre, lebendige Christentum, dem sich Wilberforce zugewandt hatte, hinderte ihn nicht, die Pflichteneines Parlamentsmitgliedes mit voller Treue und Hingebung zu erfüllen. Das wäre ja auch gewiß kein wahres Christentum, welches zur Erfüllung des irdischen Lebensberufs, darein man von Gott gesetzt ist, untüchtig machte. Und Wilberforce sah seine Wirksamkeit im Parlamente in der That als den Beruf an, den ihm Gott der Herr angewiesen habe, und hat sich dabei auch sicherlich nicht getäuscht.
An den Sitzungen des Parlamentes im Jahre 1786 konnte er allerdings nur wenig Anteil nehmen wegen eines bösen Augenleidens, das ihn befiel. Er hatte sich durch eifriges Studieren, womit er die Lücken in seiner Universitätsbildung auszufüllen suchte, welche er jetzt oft empfindlich fühlte, die ohnehin schwachen Augen gründlich verdorben und mußte es sich auf den Rat eines ihm befreundeten Arztes zu Leeds gefallen lassen, den Spätherbst und einen Teil des Winters in dem Badeorte Bath zuzubringen.
Ehe er sich dorthin begab, brachte er 14 Tage bei seiner Mutter und Schwester in Hull zu, welche er beide seit der italienischen Reise nicht mehr gesehen hatte. Hier gelang es ihm denn, die Besorgnisse der Mutter völlig zu beschwichtigen, denen sie sich hingegeben hatte, als das Gerücht zu ihr drang, ihr Sohn habe sich der Sekte der Methodisten angeschlossen. Wilberforce hatte sie freilich schon brieflich einigermaßen beruhigt und ihr versichert, daß er nach keiner menschlichen Lehre frage, sondern nur die heilige Schrift zur Richtschnur seiner Gedanken und Handlungen nehmen und sich nur von deren Vorschriften bei der Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten auf dem Platze, den ihm die Vorsehung angewiesen habe, leiten lassen wolle. Allein die mütterliche Befürchtung,der Sohn möge gleichwohl auf allerlei Thorheiten und Ueberspanntheiten verfallen sein, schwand erst gänzlich, als sie ihn persönlich wieder sah. Denn nun erkannte die Mutter, daß die ganze Veränderung, die mit dem Sohne vorgegangen war, nur in einer größeren Freundlichkeit und inneren Ruhe bestand, als er früher gehabt hatte, und in einem noch viel liebevolleren, bescheideneren und achtungsreicheren Benehmen gegen sie selbst, als er es schon früher bewiesen.
Solch eine Veränderung konnte ihr natürlich nur wohlgefallen und sie veranlassen, das eigene Herz mehr aufzuschließen für eine Religion, welche im stande war, wenn es ernst mit ihr genommen wurde, solch gesegnete Veränderung hervorzubringen. Die ernsten religiösen Gespräche, welche der Sohn jetzt mit besonderer Vorliebe in Gang zu bringen suchte, ließ sie sich willig gefallen und gewann dadurch allmählig selbst einen tieferen Einblick in die tröstlichen Wahrheiten des Christentums, als sie ihn bisher gehabt hatte. Sie stimmte jetzt völlig in das Wort einer Freundin ein, der sie ihre Besorgnisse wegen der mit William vorgegangenen Sinnesänderung vertraut haben mochte, und die, nachdem sie diesen persönlich kennen gelernt und in bezug auf die ihm schuld gegebene Thorheit beobachtet hatte, voll Begeisterung ausrief: »Wenn das Thorheit ist, so möchte ich wünschen, daß wir alle so thöricht würden!«
Das gesellige Leben, welches Wilberforce in dem Badeorte Bath in vollen Strömen umrauschte, konnte ihn jetzt in seinem ernsten Sinnen und Streben nicht mehr beirren; er schrieb vielmehr als Regel und Richtschnur für seinen Verkehr mit den Badegästen die schönen Worte in sein Tagebuch: »Wandle in Liebe! wo du auch bist, sei auf deiner Hut, eingedenk daß dein Handeln undReden Einfluß haben kann auf das Gemüt derer, mit denen du zusammenkommst, indem sie mehr oder weniger geneigt werden, christliche Grundsätze aufzunehmen und ein christliches Leben zu führen!«
An den Parlamentssitzungen des Jahres 1787 konnte Wilberforce wieder vollen Anteil nehmen und war mit Eröffnung der Sitzungen wieder pünktlich auf seinem Platze, nach wie vor ein treuer Unterstützer seines Freundes Pitt, mit dessen staatsmännischem Handeln er sich nur selten im Widerspruche fand.
Was ihn aber jetzt, wo ihm die Augen für einen rechten Christenwandel geöffnet waren, besonders bewegte, war die vollendete Gleichgültigkeit gegen alles Heilige und Göttliche, die ihm sonst bei seiner Umgebung begegnete und vor allem die traurige Sittenlosigkeit, die er überall bei Hoch und Niedrig wahrnahm. Es war ihm unmöglich, dabei gleichgültig zu bleiben und es drängte ihn, seinerseits etwas zu thun, daß es besser werde.
Mit ein paar gleichgesinnten Freunden faßte er den Plan, einen »Verein zur Schwächung und Entmutigung des Lasters« zu gründen und ging mit Feuereifer an die Ausführung desselben. Er ließ sich dabei von der gewiß richtigen Ansicht leiten, daß es der wirksamste Weg sei größere Verbrechen zu verhindern, wenn man die kleineren mit allem Ernste strafe und den allgemeinen Geist der Zügellosigkeit, die Quelle aller Laster, zu unterdrücken suche; denn wenn auch durch die Einwirkung auf die äußere Handlungsweise die Herzen der Menschen nicht geändert werden könnten, so würden sie doch dadurch geweckt und aufgeregt.
Zunächst erwirkte er einen Königlichen Aufruf an die Statthalter der englischen Grafschaften, worin dieselbenangewiesen wurden, die bestehenden Gesetze gegen Entheiligung des Sonntags, gegen Trunksucht und gegen die Verbreitung unsittlicher Schriften genau und strenge zu handhaben. Er mußte sich dabei freilich sagen, daß damit nicht viel gewonnen würde, wenn nicht überall die einflußreichsten Männer sich dazu verständen, persönlich gegen die herrschende Sittenlosigkeit anzugehen und selbst mit ihrem eigenen guten Vorbilde den niederen Ständen voranzugehen.
Er machte sich deshalb, sobald die Parlamentssitzungen geschlossen waren, auf die Reise, um in erster Linie alle Bischöfe, dann aber auch andere angesehene Männer für die heilige Sache, die ihm auf dem Herzen lag, zu gewinnen, und seinem heiligen Ernste, seiner liebenswürdigen Persönlichkeit gelang es auch, nicht nur sämtliche Bischöfe, sondern auch einen großen Teil der Mitglieder des Ober- wie des Unterhauses zum Eintritt in seinen Verein zu bewegen, welcher dann während einer ganzen Reihe von Jahren eine reich gesegnete Thätigkeit entfaltete.
Aber diese Reise und die rastlose Arbeit, die er sich auf derselben zumutete, hatte einen überaus ungünstigen Einfluß auf seine Gesundheit gehabt, und sollte er für die nächste Parlamentssitzung wieder recht bei Kräften sein, so mußte er wieder die Bäder von Bath gebrauchen, die ihm schon einmal so sehr wohl gethan hatten. Er gewann denn dort auch wirklich die gesuchte Kräftigung und überdies eine ihm sehr wichtige und wertvolle Bekanntschaft, die mit der bekannten Schriftstellerin und frommen Freundin der Jugend Hannah More, mit welcher er von da ab zeitlebens in naher Verbindung und noch näherer Geistesgemeinschaft blieb.
Um diese Zeit fing aber auch Wilberforce an,dieArbeit ernstlich und nachhaltig in Angriff zu nehmen, die fortan für ihn die wichtigste, ja so recht eigentlich seine Lebensarbeit werden sollte, und die ihm in ganz besonderem Maße die Hochachtung jedes edlen Menschen und einen unvergänglichen Platz in den Büchern der Geschichte erwarb, die Arbeit zu der Aufhebung des Sklavenhandels und zu der völligen Sklavenbefreiung.
Wir haben bereits gehört, wie Wilberforce schon in seinem 15. Lebensjahre dem Sklavenhandel seine herzlichste Teilnahme zugewandt und sogar einen kleinen Aufsatz über denselben geschrieben hatte, ohne Zweifel dadurch veranlaßt, daß er in seiner Vaterstadt Hull mit eigenen Augen ein Sklavenschiff gesehen hatte, und durch die grausame Behandlung der armen Sklaven im tiefsten Herzensgrunde ergriffen worden war. Was damals seine ungeübte Feder in Bewegung gesetzt hatte, konnte wohl für eine Zeitlang in den Hintergrund seines Herzens gedrängt, aber nicht ganz aus demselben verwischt werden. Das beweisen seine uns aufbewahrt gebliebenen Briefe, aus denen hervorgeht, daß er im Jahre 1781 einem Freunde welcher die westindische Insel Antigua besuchte, den Auftrag gab, sich über den Zustand der dortigen Sklaven genaue Kunde zu verschaffen, weil er, Wilberforce, beabsichtige, zu gelegener Zeit auf die Linderung der Leiden der unglücklichen Schwarzen hinzuarbeiten.
Diese edle Absicht wurde bei Wilberforce wieder bestärkt und gefördert, vielleicht auch erst wieder neu angeregt durch eine Preisschrift über die Sklaverei, die im Jahre 1785 erschien und die einen jungen Mann, Thomas Clarkson, zum Verfasser hatte, welcher in dem nun beginnenden Kampfe gegen die Sklaverei ebenfalls einen bedeutenden Namengewann. Aber was jetzt Wilberforce seine frühere Absicht wieder aufnehmen und nicht wieder aufgeben ließ, das war sein durch die christliche Erkenntnis, welche er gewonnen hatte, geschärftes Gewissen. Der Kampf gegen die Sklaverei wurde ihm nun in der That Gewissenssache.
Aber es galt, in diesem Kampfe mit großer Vorsicht vorzugehen, wenn nicht von vorne herein alles verdorben werden sollte. Denn noch war die öffentliche Meinung so ziemlich ganz auf seiten des Sklavenhandels, und die Besitzer der 105 Schiffe, die schon im Jahre 1771 allein von Liverpool aus diesen schändlichen Handel betrieben hatten, und deren Zahl bei der Einträglichkeit dieses Handels wohl nicht gefallen, sondern eher gestiegen war, unterließen gewiß nichts, die ersten Spuren eines Gegensatzes und eines feindlichen Auftretens gegen ihr Geschäft sofort mit aller Macht zu unterdrücken. Man mußte jedenfalls gesicherte und nicht abzuleugnende thatsächliche Beweise für die bei dem Sklavenhandel vorkommenden Grausamkeiten haben, wenn man mit einiger Aussicht auf Erfolg es auch nur unternehmen wollte, die öffentliche Meinung umzustimmen und gegen den Sklavenhandel ins Feld zu führen. Denn nur gegen diesen, nicht aber gegen die Sklaverei überhaupt durfte man vorläufig den Kampf eröffnen.
Nachdem sich Wilberforce der Teilnahme und Unterstützung seines Freundes Pitt bei dem zu eröffnenden Kampfe versichert hatte, trat er in eine Gesellschaft ein, welche sich unter dem Vorsitze des Rechtsgelehrten Granville Sharpe gebildet hatte, zu dem Zwecke, sichere Erkundigungen einzuziehen, durch welche es möglich wäre, den öffentlichen Unwillen gegen den Sklavenhandel wachzurufen, und zu diesem Zwecke die nötigen Kosten aufzubringen.Denn diese Erkundigungen sollten nicht blos diesseits des Ozeans in England selbst gesammelt werden, wo sich ja Gelegenheit genug dazu bot, nein auch wie es drüben in Westindien um die eingeführten Neger stand, sollte in sichere Erfahrung gebracht werden.
Wilberforce arbeitete Tag und Nacht an der Sammlung und Sichtung der bereits eingegangenen Nachrichten und kam dabei zu der Überzeugung, daß schon diese allein Grund genug gäben, einen Antrag auf Abstellung des Sklavenhandels im Parlamente zu stellen. Er kündigte in seinem heiligen Eifer auch wirklich schon für den 2. Februar 1788 einen solchen an.
Aber die aufreibende, Körper und Geist gleicherweise angreifende Thätigkeit, die er sich zugemutet hatte, blieb nicht ohne Rückwirkung. Gegen Ende des Januar verfiel er in eine schwere Krankheit, die sich rasch so sehr verschlimmerte, daß er nicht mehr im stande war, zu der ihm verordneten Badekur in Bath abzureisen, und daß die Ärzte ihm nur noch höchstens 14 Tage zu leben gaben. Aber im Rate des Herrn war es anders beschlossen. Der bedenkliche Zustand der Krankheit hob sich wieder so weit, daß er nach Bath geschafft werden konnte, und die dortigen Heilquellen thaten auch diesmal wieder ihre gute Wirkung in Verbindung mit reichlichen Gaben von Opium, dessen Gebrauch von nun an für Wilberforce während seines ganzen ferneren Lebens eine Notwendigkeit wurde, so oft er eine Unordnung in seinem Körper verspürte.
Die Sklavensache war aber inzwischen nicht liegen geblieben. Pitt selbst hatte sie zu der seinigen gemacht und am 9. Mai 1788 einen Antrag im Parlamente gestellt, wonach dieses sich verpflichten sollte, im Beginn der nächsten Sitzung jedenfalls sogleich die Verhältnisse des Sklavenhandelsin Erwägung zu ziehen. Weiter wollte Pitt nicht gehen, weil der fehlte, welcher das nötige Material von Beweisen in Händen hatte, auf die ein weitergehender Antrag hätte gegründet werden müssen.
Aber es geschah doch auch etwas Thatsächliches von Bedeutung. Auf den Antrag eines Sklavenfreundes, der sich mit eigenen Augen von der Einrichtung eines neu erbauten Sklavenschiffes überzeugt hatte und über die Anzahl der Sklaven erschrocken war, die in den engen Räumen desselben untergebracht werden sollten, wurde trotz des heftigsten Widerstandes der Vertreter von Liverpool durch einen Parlamentsbeschluß, dem auch das Oberhaus zustimmte, und der ebensowohl die königliche Bestätigung erlangt, festgesetzt, in welchem Verhältnisse zu dem vorhandenen Schiffsraum die Anzahl der einzuladenden Sklaven stehen müsse, und welche Maßregeln zu treffen seien, damit Leben und Gesundheit der noch immer enge genug zusammengepferchten Schwarzen möglichst geschont werde.
Die herzliche Freude über diesen ersten, wenn auch nur sehr kleinen Erfolg trug gewiß nicht wenig dazu bei, die Besserung zu beschleunigen, die im Befinden des Kranken zu Bath wider alles Erwarten eingetreten war. Bald konnten die Ärzte Wilberforce gestatten, den Gebrauch des Bades einzustellen, und nach einem kurzen Aufenthalte in Cambridge, wo er mit Milner zusammensein und von demselben wieder manche Anregung für sein geistliches Leben empfangen konnte, begab er sich nach Rayrigg, seinem stillen Landsitze in Westmoreland, um dort seine völlige Genesung abzuwarten, auf die jetzt mit voller Sicherheit gehofft werden konnte.
Und diese völlige Genesung kam mit Gottes Hülfe trotz der beständigen Aufregung, welche die ununterbrochenkommenden und gehenden Gäste bereiteten, die sich nach der Gesundheit des verehrten Mannes erkundigen und ihm seine Einsamkeit zu erleichtern suchen wollten. Allerdings war und blieb seine Gesundheit eine schwache, welche ihm die größte Mäßigkeit und die strengste Enthaltsamkeit in seiner Lebensweise zur Notwendigkeit machte; allein er fand doch wieder die Kraft, nicht nur an den Parlamentssitzungen teilzunehmen, sondern auch noch nebenher für seine Sklavensache thätig zu sein.
Selbst von Rayrigg aus machte er, sobald er es wagen durfte, da und dort Besuche, bei denen er durch seinen persönlichen Einfluß die Teilnahme für seine Bestrebungen zu gunsten der Sklaven zu wecken und zu verbreiten suchte und unterstützte dadurch wesentlich Clarkson, der beauftragt worden war, zu dem nämlichen Zwecke das Land zu bereisen.
Für die Parlamentssitzung von 1789 bereitete er sich wieder auf das Eifrigste vor, um alle schon gesammelten und noch täglich eingehenden Beweise für die Grausamkeit und Schändlichkeit des Sklavenhandels recht bei der Hand zu haben und damit alle Einwendungen der Gegner, gründlich beseitigen zu können. Er ging wieder einen ganzen Monat auf's Land, um ganz ungestört zu bleiben und arbeitete wohl 8 bis 9 Stunden am Tage. Selbst die Nachricht von der Erkrankung seines Freundes Milner konnte ihn nicht bewegen, sich zu einem Besuche desselben von seiner Arbeit loszureißen, während er doch noch kurz vorher am Kranken- und Todesbette seiner Tante erfahren hatte, wie gesegnet das Krankenlager eines frommen Menschen für die Besucher desselben werden könne.
Was ihn nicht ruhen ließ, war eine Mitteilung Pitts über die gewaltigen Anstrengungen, welche die Gegnermachten, um die öffentliche Meinung zu ihren gunsten zu stimmen und in Zeitungen und Flugschriften dem Lande zu beweisen, daß durch eine Aufhebung oder auch nur Beschränkung des Sklavenhandels nicht allein das Wohl der westindischen Kolonien aufs Spiel gesetzt würde, die der Sklaven notwendig bedürften, sondern auch der ganze Handel der englischen Nation Gefahr liefe, geschädigt zu werden.
Da galt es denn in der That auch, schlagende und unwiderlegliche thatsächliche Gegenbeweise in genügender Zahl bei der Hand zu haben.
Wohlgerüstet mit denselben und voll festen Vertrauens auf die siegende Macht der Wahrheit trat Wilberforce am 12. Mai 1789 vor das Parlament und entwickelte mit der vollen Kraft seiner ausgezeichneten Beredsamkeit alle Gründe, die nur gegen den Sklavenhandel geltend zu machen waren. Vier ganze Stunden redete er fast bis zur völligen Erschöpfung seiner Kraft, und ein hochstehender Mann äußerte nachher über diese Rede: »Das Haus, die Nation, ja Europa sind Wilberforce auf das Äußerste verpflichtet, daß er diesen Gegenstand in der meisterhaftesten, eindringlichsten und beredtesten Weise vorgebracht hat.«
Von allen Seiten beglückwünschte man Wilberforce, als er von der Rednerbühne herunterstieg. Und doch was war der thatsächliche Erfolg seiner Rede? Nur eine kleine Verbesserung des vorjährigen Beschlusses, daß jedes Sklavenschiff nur eine seinen Räumen entsprechende Anzahl von Sklaven aufnehmen dürfe.
Die Sklavenhalter und Sklavenhändler, die »Westindier« wie wir sie fortan mit einem gemeinschaftlichen Namen nennen wollen, hatten nämlich aus Furcht vor der offenbar gewaltigen Wirkung der Rede, die Wilberforcegehalten, eine sofortige Abstimmung und Beschlußfassung des Parlamentes dadurch zu hintertreiben gewußt, daß sie den Antrag stellten, der nicht wohl abgelehnt werden konnte, das Parlament möge selbst ein Zeugenverhör anstellen, um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der von Wilberforce aufgeführten Beweise zu untersuchen. Damit war die Entscheidung wieder für ein Jahr verschoben; denn es war unmöglich, vor Schluß der gegenwärtigen Sitzung noch eine genügende Anzahl von Zeugen zu vernehmen, wenn auch sofort damit begonnen wurde.
Schmerzlich bewegt, aber doch nicht entmutigt, eilte Wilberforce nach Beendigung der Sitzung wieder zu den Heilquellen von Bath, um dort Ruhe und Stärkung zu suchen, und hatte die Freude, nicht nur seine Mutter und seine Schwester daselbst vorzufinden, sondern auch den Sohn seines schon genannten Verwandten John Thornton, Henry Thornton, mit dem er eine innige und feste Freundschaft schloß.
Von Bath aus besuchte er auch seine alte Freundin Hannah More, die sich aus den gelehrten Kreisen Londons, mit welchen sie sonst verkehrte, völlig zurückgezogen hatte, um ihre reichen Geistesgaben im Dienste des armen, völlig unwissenden Landvolkes zu verwenden und für dessen Unterricht zu sorgen.
Auf einen schönen Punkt in der Nähe aufmerksam gemacht, unternahm der für Naturschönheiten äußerst empfängliche Wilberforce einen Ausflug dorthin, vergaß aber bald alle Naturschönheiten, als er die armen, leiblich und geistig verkommenen Bewohner der schönen Gegend kennen lernte.
»Miß Hannah, es muß etwas für Chidder (so hieß die Gegend) geschehen!« das war der Ausruf, mit demer bei seiner Rückkehr die Freundin begrüßte und auf den er immer wieder zurückkam, wenn er erzählen sollte, wie ihm die besuchte Gegend gefallen habe.
Die Not des armen Volkes, welche er durch eigene Anschauung kennen gelernt hatte, bewegte sein mitleidiges Herz so sehr, daß er mit der Freundin sogleich beschloß, dort in Chidder Schulen anzulegen und sich bereit erklärte, alle Kosten auf seine Tasche zu übernehmen, wenn Miß Hannah sich der damit verbundenen Mühewaltung unterziehen wolle.
»Wozu könnte ich besser meinen Überfluß anwenden?« antwortete er ablehnend, als ihm die Freundin für sein hochherziges Anerbieten danken wollte, und freute sich in der Folge jedesmal herzlich, wenn er hörte, daß das Unternehmen guten Fortgang habe.
Auch die Parlamentssitzung von 1790 brachte für die Sklavensache keine wesentliche Förderung. Man fuhr nur fort, Zeugen zu verhören, und zwar Zeugen für und wider den Sklavenhandel, wenn auch die »Westindier« das Zeugenverhör ihrerseits gerne geschlossen gesehen hätten, nachdem die für sie günstigen Zeugen vernommen waren. Das Ende der Sitzung war da, ehe die Vernehmungen beendigt waren.
Mit dem Ende dieser Sitzung waren die 7 Jahre abgelaufen, für deren Dauer die Mitglieder des Parlaments in England gewählt wurden, und Wilberforce mußte sich deshalb einer Neuwahl unterwerfen. Allein sein Name war schon so berühmt geworden, daß er sich seinen Wählern in Yorkshire nur vorzustellen brauchte, um ohne Weiteres eine Erneuerung seiner Wahl auf weitere 7 Jahre zu erlangen.
Und doch hatte er etwas gethan, was bei jedem AnderenAnstoß und Widerwilligkeit erregt haben würde: er hatte die Wahl ausgeschlagen zu einem Vorsteher bei den großen Pferderennen, die in York abgehalten wurden, und die bekanntlich noch heute, wo sie auch gehalten werden, bei den Engländern in hohem Ansehen stehen. Er hatte jedoch den jährlichen Beitrag, den er für die Beteiligung an den Rennen hätte entrichten müssen, dem Hospitale der Grafschaft überwiesen, um zu zeigen, daß ihn nicht der Geiz abhalte, an einer Sache teil zu nehmen, für die er nach seiner ganzen Anschauungsweise kein besonderes Interesse haben konnte.
Daß sich seine Schwester um diese Zeit mit einem frommen Manne, dem Geistlichen Clarke zu Hull, vermählte, war für Wilberforce eine große Freude. Denn nun durfte er hoffen – und diese Hoffnung erfüllte sich auch – daß die Bemühungen, die er selbst bisher gebraucht hatte, seine Schwester auf den Weg eines ernsten, lebendigen Christentums zu ziehen, und die auch keineswegs ganz vergeblich geblieben waren, von berufenen und geschickten Händen weiter geführt werden und gewiß zu einem gesegneten Ziele kommen würden. Auch für das geistliche Leben der geliebten Mutter durfte er von der Einwirkung des neuen Schwagers die gedeihliche Förderung erwarten, die sein treues, frommes Sohnesherz so sehnlich wünschte.
Nach einer stärkenden Kur in den Bädern von Buxton gab sich Wilberforce daran, die von dem Unterhause vorgenommenen Zeugenverhöre zu prüfen und durchzuarbeiten, welche bis jetzt schon 1400 große Bogenseiten füllten. Galt es doch, die Scheingründe, welche für den Sklavenhandel geltend gemacht worden waren, zu entkräften undso den Gegnern die Waffen zu entreißen, mit denen sie ihre schändliche Sache verteidigten.
Auf dem stillen Landsitze eines Jugendfreundes, wo er vor störenden Besuchen sicherer war als in seinem eigenen Heim, bewältigte Wilberforce diese ungeheure Arbeit, ohne danach zu fragen, ob es seine Gesundheit aushielte. Und Gott der Herr, in dessen Dienste und zu dessen Ehre zu arbeiten er sich bewußt war, verlieh ihm die dazu nötige Kraft. Wohl mag es eine Stärkung gewesen sein, die aus derselben Quelle ihren Ursprung nahm, daß ihm in diesen arbeitsvollen Tagen John Wesley, der Stifter der Methodistengemeinde, folgenden Brief schrieb:
»Mein teurer Herr! Wenn es nicht die göttliche Allmacht ist, welche Sie berufen hat, ein Athanasius im Kampfe mit der Welt zu sein, so sehe ich nicht ab, wie Sie das glorreiche Unternehmen zu Ende bringen wollen, gegen eine Schändlichkeit aufzutreten, welche eine Schmach der Religion Englands und der menschlichen Natur ist. Wenn es nicht Gott ist, der Sie zu dieser Sache berufen hat, so werden Sie durch den Widerstand der Menschen und Teufel besiegt werden. Aber ist Gott für Sie, wer mag dann wider Sie sein? Sind alle Feinde zusammen stärker als Gott? O ermüden Sie nicht, gutes zu thun! Schreiten Sie fort im Namen Gottes und in der Kraft seiner Stärke, bis die amerikanische Sklaverei für immer von derselben verschwindet! Sie ist das Schimpflichste, was je unter der Sonne bestand. Daß Er, der Sie von Ihrer Jugend an geführt hat, fortfahren möge,Siehierbei und in allen Stücken zu stärken, das ist das Gebet IhresJohn Wesley.«
»Mein teurer Herr! Wenn es nicht die göttliche Allmacht ist, welche Sie berufen hat, ein Athanasius im Kampfe mit der Welt zu sein, so sehe ich nicht ab, wie Sie das glorreiche Unternehmen zu Ende bringen wollen, gegen eine Schändlichkeit aufzutreten, welche eine Schmach der Religion Englands und der menschlichen Natur ist. Wenn es nicht Gott ist, der Sie zu dieser Sache berufen hat, so werden Sie durch den Widerstand der Menschen und Teufel besiegt werden. Aber ist Gott für Sie, wer mag dann wider Sie sein? Sind alle Feinde zusammen stärker als Gott? O ermüden Sie nicht, gutes zu thun! Schreiten Sie fort im Namen Gottes und in der Kraft seiner Stärke, bis die amerikanische Sklaverei für immer von derselben verschwindet! Sie ist das Schimpflichste, was je unter der Sonne bestand. Daß Er, der Sie von Ihrer Jugend an geführt hat, fortfahren möge,Siehierbei und in allen Stücken zu stärken, das ist das Gebet Ihres
John Wesley.«
Wie erhebend mußten für Wilberforce diese Worte sein aus dem Munde eines Mannes, der so eifrig war, rechtes Christentum zu fördern, und dessen Name überall in England einen hellen guten Klang hatte, selbst bei denjenigen, welche die Wege, die er einschlagen zu müssen glaubte, nicht billigten! Und doch wie demütig und bescheiden schreibt Wilberforce in seinem Tagebuch bei dieser Gelegenheit: »Möge Gott mir verleihen, daß ich fortan mehr zu seiner Ehre lebe und möge er mich in dem großen Werke segnen, das ich unter den Händen habe. Möchte ich zu ihm aufblicken nach Weisheit und Kraft und der Gabe, andere zu überzeugen! Möchte ich mich für den Ausgang ihm mit vollkommener Ergebung unterwerfen! Möchte ich Ihm ganz die Ehre geben, wenn ich das Ziel erreiche, und, wo nicht, von Herzen sprechen können: Dein Wille geschehe!«
Was den ersten Seufzer angeht, daß ihm gegeben werden möge, mehr zu Ehren Gottes zu leben, so hat Wilberforce denselben nicht blos hier, sondern auch an anderen Stellen seines Tagebuches wiederholt ausgedrückt, ohne Zweifel deshalb, weil er sich innerlich Vorwürfe darüber machen zu müssen glaubte, daß er dem gesellschaftlichen Leben zuviel Zeit und Kraft widme. Aber was wollte er machen, wenn sich, wo er auch sein mochte, die verschiedenartigsten Leute um ihn drängten, und ihn selbst in die entferntesten Gegenden verfolgten, um Rat und Beistand bei ihm zu suchen oder sich auch nur seines Umganges zu erfreuen.
»Ihr Haus ist ja gerade wie die Arche Noahs,« schrieb ihm einmal seine mütterliche Freundin Hannah More, »voll reiner und unreiner Tiere.«
Und das Gleichnis traf in der That zu. Denn außerMissionsfreunden und befreundeten Parlamentsgenossen, die mit ihm in betreff der gemeinschaftlichen guten Sache Rat pflegen wollten, sah er sich auch von solchen angelaufen, die in ganz gewöhnlichen, weltlichen Dingen Rat und Unterstützung von ihm begehrten und denen er sich, weil sie zu seinen Wählern gehörten, nicht entziehen konnte.
Wir verstehen es darum wohl, wenn er in seinem Tagebuche wiederholt schreibt: »Was für Gründe mich auch bestimmten, ein offenes Haus zu haben, so ist es doch gewiß, daß Einsamkeit und Ruhe der Betrachtung und dem Wachen günstiger sind. Ich will streben, mir öfters Zeiten des ununterbrochenen Umgangs mit Gott zu sichern.«
Wir verstehen es ebensowohl, daß es ihn nach jeder der arbeitsvollen und aufregenden Parlamentssitzungen, innerlich drängte, sich irgendwo solch stille Zeiten zu verschaffen, die er an den Badeorten, die er seiner Gesundheit wegen besuchen mußte, unmöglich finden konnte.
Was aber den letzten Seufzer in den oben angeführten Worten seines Tagebuches angeht, daß es ihm, wenn er in der Sklavensache sein vorgestecktes Ziel nicht erreichen sollte, gegeben werden möge, von Herzen zu sprechen: »Dein Wille ist geschehen!«, so scheint ihm diesen eine Vorahnung dessen, was nun kommen sollte, in das Herz und in die Feder gedrängt zu haben.