IV.

IV.

Am 18. April 1791 kam die Sklavensache im Parlament wieder vor und Wilberforce ergriff sogleich das Wort, um vorzutragen, was er durch sein eifriges Studiumder Zeugenverhöre gewonnen hatte. Sorgfältig vermied er jede Bemerkung oder Anspielung, welche die Gegner persönlich hätte verletzen können, nur die unzweifelhaft bewiesenen Thatsachen ließ er reden. Aber wie auch nach ihm sein Freund Pitt, ja selbst dessen entschiedener politischer Gegner Fox für die Abschaffung des Sklavenhandels die Stimmen zu gewinnen suchten, es half nichts. Mit 163 gegen 88 Stimmen wurde der dahin zielende Antrag verworfen.

Denn die »Westindier« hatten große Summen aufgewendet, sich Stimmen zu ihren Gunsten zu erkaufen und leider auch charakterlose Menschen genug im Parlamente gefunden, die sich erkaufen ließen. Wo aber Eigennutz und Geldgierde das große Wort führten, mußten die mächtigsten Gründe ihre Wirkung versagen, mußten selbst solche gewaltige Worte vergeblich bleiben, wie die folgenden, mit denen Wilberforce seine Rede geschlossen hatte:

»Von welchem Gesichtspunkte aus«, so rief er von Eifer glühend in die Versammlung hinein, »man auch die Sache betrachten mag, England hat die Pflicht, dieselbe zu fördern. Die Hälfte des verbrecherischen Handels wird von seinen Unterthanen geführt, und da demnach unsere Schuld so groß ist, so laßt uns auch bald anfangen, Buße zu thun. Es kommt einst ein Tag der Vergeltung, da wir von den Talenten, Fähigkeiten und Gelegenheiten, die uns gegeben waren, Rechenschaft thun müssen! Möge es uns dann nicht offenbar werden, daß wir unsere größere Macht zur Knechtung unserer Nebenmenschen, unsere größere Erkenntnis zur Schändung der Schöpfung Gottes angewendet haben!!«

Mit der oben erwähnten Abstimmung war denn für diese Parlamentssitzung wieder die heilige Sache der Sklavenfreundebeseitigt, aber auch ihr Mut gebrochen? auch der Eifer eines Wilberforce gelähmt? – Keineswegs. Man schlug nur jetzt einen andern Weg ein.

Von den Vertretern des Volks war, wie sichs eben gezeigt hatte, nichts zu hoffen und zu erwarten, so beschloß man denn, sich an das Volk selbst zu wenden und dessen Gerechtigkeit und Menschlichkeit geradezu anzurufen. Es wurde ein Auszug aus den Parlamentsverhandlungen angefertigt, worin besonders die von Wilberforce als Waffen gebrauchten thatsächlichen Beweise für die Schändlichkeit des Sklavenhandels hervorgehoben waren, und dann dieser Auszug in zahllosen Abdrücken überallhin und in jeder möglichen Weise unter dem Volke zu verbreiten gesucht. Die Sklavenfreunde, an ihrer Spitze Wilberforce, ließen sich dabei weder Mühe noch Kosten verdrießen.

Aber man kam auch weiter auf den Gedanken, zu versuchen, ob man nicht in thatsächlicher Weise den Hauptgrund, welchen die Gegner stets für die Sklaverei vorbrachten, entkräften und in seiner Nichtigkeit blosstellen könnte. Das war nämlich der Grund: die Neger seien eigentlich gar keine Menschen, sondern nur menschenähnliche Tiere. Man berief sich dann dabei stets auf die Zeugnisse der Sklavenbesitzer, welche durch eigene, reiche Erfahrung hätten zu der Überzeugung kommen müssen, daß die Neger zu jeder geistigen Bildung völlig unfähig seien.

Da beschlossen denn die Sklavenfreunde, eine Ansiedelung für freie Neger zu gründen, worin diese unter der Leitung von wohlwollenden Menschen gesammelt und sorgfältig unterrichtet werden sollten, um selbst zu zeigen, daß sie in der That vernunftbegabte, bildungsfähige Wesen seien. Es bildete sich eine Gesellschaft, welche die nötigen Mittel für diesen Zweck zusammenschoß, und auf der WestküsteAfrikas von den dortigen Negerfürsten eine Strecke Landes erkaufte, die sich besonders zum Anbaue zu eignen schien und den Namen »Sierra Leone« führte. Wilberforce war einer von den ersten Leitern dieses Unternehmens.

Und dasselbe schien unter Gottes Segen glücken zu wollen. Es fehlte nicht an Negern, die den gebotenen Zufluchtsort gern annahmen. Denn in dem nordamerikanischen Befreiungskriege hatten sich eine ganze Anzahl entsprungener Sklaven aus den Südstaaten auf die Seite der englischen Regierung geschlagen und wacker gegen ihre früheren Herren kämpfen helfen. Sie waren natürlich von den Engländern für frei erklärt und nach Beendigung des Krieges auf der Halbinsel Neuschottland angesiedelt worden, um sie der Verfolgung ihrer ehemaligen Herren zu entziehen. Dort aber war ihnen das Klima zu rauh, und als sie deshalb von der afrikanischen Ansiedelung in Sierra Leone Kunde erhielten, sandten sie nach London und ließen die englische Regierung bitten, sie dorthin zu versetzen. Ihrem Wunsche wurde willfahrt, und in einer Stärke von 700 Köpfen siedelten sie nach der neuen Kolonie über.

Allerdings hatte die wohlgemeinte Ansiedelung anfangs nur schlechten Erfolg, da die Rohheit und geistige wie körperliche Trägheit der Neger fast aller Versuche spotteten, sie an ein geordnetes, thätiges Leben zu gewähren. Besser wurde es erst, als man mit Ernst daran ging, ihnen das Evangelium zu predigen und sie zum Christentume zu bekehren, und als unter christlichen Einflüssen ein neues Geschlecht herangewachsen war. Dann aber wurde auch die Kolonie in der That ein leuchtendes Zeugnis dafür, wie völlig haltlos und ungerechtfertigt die Ansicht sei, daß die Neger zum wenigsten eine untergeordnete Menschenrasseund zu jeder Bildung unfähig seien, und ist es bis heute, wo ja Gottlob, diese Ansicht kaum mehr einen ernsthaften Vertreter findet.

Die vorhin erwähnte Maßregel, den Auszug aus den Parlamentsverhandlungen über die Sklaverei und den Sklavenhandel in Massen unter das Volk zu werfen, trug gute Früchte. Der Gerechtigkeitssinn und das Menschlichkeitsgefühl fingen unter dem Volke an sich zu regen und sich gegen die Scheußlichkeiten des Sklavenhandels zu empören, nachdem dieselben einmal so recht nackt und klar auf Grund amtlicher Beweise aufgedeckt waren. Durch das ganze Land hin und her wurden Versammlungen gehalten und von denselben Bittschriften an das Parlament gerichtet, welche die Abschaffung des Sklavenhandels verlangten. Viele verbanden sich sogar im heiligen Eifer dazu, sich aller Erzeugnisse Westindiens zu enthalten, die der Sklavenarbeit ihren Ursprung verdankten.

Alles schien im besten Zuge und ließ hoffen, daß in der Parlamentssitzung von 1792 die Abschaffung des Sklavenhandels beschlossen werden würde, obwohl die Sklavenhändler von Liverpool 10000 Pfund Sterling (nach heutigem Gelde etwa 200000 Mark) aufwendeten, um wieder eine genügende Gegnerschaft im Parlamente zu schaffen.

Da kamen unglücklicherweise mit einem Male die Nachrichten von dem furchtbaren Sklavenaufstande auf der westindischen Insel St. Domingo oder Haïti, die völlig dazu angethan waren, alle wohlwollende Teilnahme für die Sklaven in unbefestigten Herzen zu ersticken.

Auf jener Insel, die im Ryswyker Frieden 1697 von Spanien, das sie seit der Entdeckung durch Kolumbus besessen hatte, an die Franzosen abgetreten worden war,lebten nämlich außer einer großen Masse eingeführter Negersklaven, die die Zahl der Weißen weit überwog, viele sogenannte »Mulatten«, welche Weiße zu Vätern hatten, und zum großen Teile freigelassen worden waren, oder doch den Negern gegenüber große Vorzüge genossen. Unter diesen »Farbigen«, wie sie hießen, hatten schnell die durch die französische Revolution in Gang gebrachten freiheitlichen Grundsätze Eingang gefunden und »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« war auch bei ihnen die feurig verfochtene Losung geworden. Aber es ist ja nur zu wohl bekannt, wie die Männer der Revolution die »Brüderlichkeit« nur für Diejenigen wollten gelten lassen, die in allen Stücken mit ihnen in das nämliche Horn bliesen, und ebensowohl die »Freiheit und Gleichheit« nur soweit gelten ließen, als es ihnen paßte. So war man denn auch in der Nationalversammlung zu Paris durchaus nicht gewillt, den Farbigen ganz gleiche Rechte mit den Weißen einzuräumen und brachte dadurch bei dieser Mischlings-Rasse, die durch ihr schnell aufloderndes, feuriges Wesen bekannt ist, eine furchtbare Gährung hervor. Es kam zu einer Vereinigung der Farbigen mit den sonst von ihnen tief verachteten und gehaßten Negern, und am 23. August 1791 brach ein furchtbarer Aufstand beider gegen die Weißen los, der zur schonungslosen Niedermetzelung dieser fast auf der ganzen Insel führte.

Diese bösen Nachrichten aus Westindien waren natürlich den Sklavenfeinden Wasser auf ihre Mühle und gaben ihnen willkommenen Grund, die Befürchtung auszustreuen, nach solchem Vorgange würden es auch die Neger auf den englischen Besitzungen in Westindien ihren Brüdern auf St. Domingo nachmachen und am Ende die ganze englische Herrschaft dort vernichten, wenn man sie nicht mitaller Strenge im Zaume halte und einen noch stärkeren Druck auf sie übe als bisher. – Dazu kam, daß auch unter den englischen Sklavenfreunden nicht wenige waren, die den Grundsätzen der französischen Revolution huldigten und denselben auch in England Eingang zu verschaffen suchten.

Wilberforce, dessen heller, klarer Blick die Hohlheit der französischen Redensarten von den allgemeinen Menschenrechten von vorne herein durchschaute, bemühte sich vergebens, den unvorsichtigen Reden und Handlungen dieser seiner Kampfesgenossen zu wehren und mußte es erleben, daß man sein auf die Abschaffung des Sklavenhandels gerichtetes Streben mit den revolutionären Grundsätzen aus Frankreich in Verbindung brachte und ihn auf das schmählichste verleumdete. Er mußte es sogar erleben, daß König Georg III. wurde, was die Prinzen des königlichen Hauses zum Teil schon längst waren, ein entschiedener Gegner der Abschaffung des Sklavenhandels, während er sonst wohl, wenn er an Hoftagen mit Wilberforce zusammen traf, sich bei diesem freundlich nach seinen schwarzen Schützlingen erkundigt hatte. Wie weit dabei die Abneigung gegen die revolutionären Grundsätze mitspielte, oder aber die Rücksicht auf die königlichen Interessen, die geschädigt wurden, wenn die vom Sklavenhandel erhobenen Abgaben ausfielen, muß dahingestellt bleiben.

Nichts destoweniger trat Wilberforce am 2. April 1792 mit dem Antrage auf sofortige Abschaffung des Sklavenhandels vor das Parlament, ermutigt durch sein gutes Gewissen, welches ihn von einer Hinneigung zu den Grundsätzen der Revolution völlig freisprach und angefeuert durch seinen heiligen Eifer, der die gute Sache auch jetzt nicht ruhen lassen konnte.

Wiederum sprach er mit dem ganzen Feuer seiner hinreißenden Beredsamkeit; wiederum unterstützten ihn die beiden sonstigen Gegner, Pitt und Fox mit gleicher Kraft und Entschiedenheit, aber sein Antrag fiel dennoch durch. Doch hatten die gehaltenen Reden wenigstens den bei den gegenwärtigen Zeitläufen immerhin nicht unbedeutenden Erfolg, daß man sich mit 238 gegen 45 Stimmen für den Vorschlag erklärte, auf allmähliche Abschaffung des Sklavenhandels Bedacht zu nehmen. Es mußte jedoch dafür erst in einer neuen Parlamentssitzung ein besonderer Antrag eingebracht werden.

Wilberforce konnte sich zu solch einem Antrage nicht entschließen, weil dadurch das einstweilige Fortbestehen des Sklavenhandels als gesetzmäßig hingestellt worden wäre. An seiner statt übernahm es einer der Minister ihn zu stellen und wollte den 1. Januar 1795 als den Tag angenommen haben, von welchem ab der Sklavenhandel aufhören müsse. Das war aber den meisten ein zu naher Termin und nach langen, heißen Verhandlungen wurde endlich auf den Antrag von Wilberforce mit 151 gegen 132 Stimmen der 1. Januar 1796 als Endtermin für den Sklavenhandel angenommen.

Hätte nur auch das Oberhaus, das diesen Beschluß ebenfalls annehmen mußte, wenn er Gesetzeskraft erlangen sollte, in denselben eingestimmt! Allein dies war nicht der Fall, sondern es verschob seine Entscheidung bis zur nächsten Sitzung.

Obwohl so noch durchaus nichts Festes und Bestimmtes erreicht war, ergossen doch die »Westindier« die ganze Schale ihres Zornes über Wilberforce, als den Mann, der im Kampfe gegen sie sich nicht zur Ruhe bringen ließ. Nicht blos, daß die schändlichsten Verleumdungen widerihn ausgestreut wurden, nein selbst mörderische Pläne wurden gegen ihn geschmiedet, sodaß ihn seine Freunde nicht ohne bewaffnete Begleitung wollten auf die Reise gehen lassen. Möglich, daß auch seine Ernennung zum französischen Bürger, welche ihm in dieser Zeit zukam, nur eine böswillige Anzettelung seiner Feinde war, die ihn dadurch als einen unzweifelhaften Anhänger der französischen Revolution verdächtigen wollten. Freilich wurde ihm diese zweifelhafte Ehre sogleich wieder entzogen und sein Name aus den Listen der französischen Bürger gestrichen, als er in den Vorstand einer Gesellschaft trat, die sich die Unterstützung der durch die Revolution aus Frankreich vertriebenen Geistlichen zum Zwecke gesetzt hatte.

Der Krieg mit Frankreich, welcher ausbrach, nachdem die Franzosen ihre gerühmte »Brüderlichkeit« soweit getrieben hatten, daß sie am 21. Januar 1793 ihren König hinrichteten, brachte notwendig einen Stillstand in die Verhandlungen über die Sklavensache. Nun, wo man gesehen hatte, wie die Grundsätze der Revolution in Frankreich zum Umsturz aller bestehenden Ordnung führen konnten, schrack man vor allem zurück, was nur den mindesten Zusammenhang mit diesen Grundsätzen zu haben schien, wie man das ja bereits den Bemühungen der Sklavenfreunde und unseres Wilberforce insonderheit zum Vorwurfe gemacht hatte. Das Parlament weigerte sich in seiner großen Mehrzahl, auch nur die Entscheidung vom vorigen Jahre zu erneuern.

Dem Kriege mit Frankreich war Wilberforce entgegen gewesen. Als derselbe unvermeidlich wurde, weil die französische Nationalversammlung auf die Rückberufung des englischen Gesandten nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. damit antwortete, daß sie an England den Krieg erklärte,drang Wilberforce bei seinem Freunde Pitt darauf, daß England sich nur verteidigen solle, wenn es von Frankreich wirklich angegriffen würde. Allein da Pitt ein erbitterter Gegner des revolutionären Nachbars war, so ging er darauf nicht ein, und zum erstenmale fanden sich die beiden Freunde in entschiedenem Gegensatze.

Wenn er aber auch so für den äußeren Frieden nichts durchsetzen konnte, so beteiligte sich Wilberforce desto eifriger an einem anderen Friedenswerke, zu dem sich jetzt Gelegenheit bot, und das ihm schon längere Zeit am Herzen gelegen hatte.

Es lag nämlich die Notwendigkeit vor, die Karte der englischen Kolonien in Asien zu erneuern, und es kam im Parlament zu Verhandlungen über die sittlichen und religiösen Zustände der Eingeborenen in jenen Kolonien, bei denen der Regierung zum Vorwurfe gemacht werden mußte, daß sie diesen Zuständen bisher gar keine Aufmerksamkeit zugewendet habe. Da verlangte denn Wilberforce, daß Geistliche und Lehrer nach Ostindien geschickt würden, welche den Eingeborenen das Christentum brächten, wie dies von seiten der Sekten der Methodisten und Baptisten bereits geschehen sei. Er bekämpfte dabei mit aller Entschiedenheit den Grundsatz, dem die englische Regierung bisher gefolgt war, und der dahin ging, daß es am besten sei, die Eingeborenen bei ihrem Heidentum zu lassen. Es war ein tiefer Schmerz für ihn, zu sehen, wie sein Vorschlag mit allgemeiner Gleichgültigkeit aufgenommen wurde und sogar nur bei einzelnen der Bischöfe Unterstützung fand. Vergebens machte er geltend, daß eine Ablehnung seiner Forderung gleichbedeutend sei mit der öffentlichen amtlichen Erklärung, man achte das Christentum nur deshalb, weil es die im Lande bestehende Religion sei, nichtaber deshalb, weil es allein den rechten Heilsweg zeige und eine göttliche Offenbarung sei. – Seine Anträge wurden nicht angenommen.

Als mit der Hinrichtung Robespierres am 27. Juli 1794 die Schreckensherrschaft in Frankreich ihr Ende erreicht hatte, hielt Wilberforce die Zeit für gekommen, den Frieden mit Frankreich wieder herzustellen und England wieder die Segnungen des Friedens zuzuwenden. Trotz der entgegenstehenden Ansicht der meisten seiner Freunde, trotzdem, daß er dadurch wieder mit Pitt in offenen Widerspruch treten mußte, brachte er, lediglich den Mahnungen seines Gewissens folgend, im Dezember 1794 seine Friedensanträge im Parlamente ein. Er zog sich dadurch nicht blos die Unzufriedenheit des Königs, sondern auch seiner Wähler zu, achtete aber dessen nicht, sondern unterstützte nach Ablehnung seiner eigenen Anträge schon im Februar des folgenden Jahres wieder den Antrag auf Wiederherstellung des Friedens, welchen ein anderes Parlamentsglied eingebracht hatte, sowie jeden anderen dahin zielenden Antrag, der im Laufe dieser Parlamentssitzung gestellt wurde. – So heilig war ihm eine einmal gewonnene gewissenhafte Überzeugung.

Zu einer inneren Entfremdung zwischen Wilberforce und Pitt kam es indessen durch diese Gegnerschaft in Sachen des Krieges keineswegs. Pitt wußte zu gut, daß der Freund lediglich aus der Gewissenhaftigkeit seiner Überzeugung heraus diese Gegnerschaft aufrecht erhielt und alles war zwischen beiden vergessen, als sich auch die Minister dem Frieden mit Frankreich glaubten zuneigen zu müssen.

Sie gingen wieder einträchtig zusammen, als die Regierung vom Parlamente die Berechtigung zu außerordentlichen Maßregeln forderte, um den Revolutionsgeist unterdrückenzu können, der sich immer weiter im Lande auszubreiten schien und immer kecker und unverhohlener hervortrat. Schon predigte man offen in eigens dazu berufenen Versammlungen den Aufruhr gegen die Regierung, verbreitete ungescheut Bilder, durch welche der König auf dem Gange zum Schaffot dargestellt wurde, ja wagte es sogar, den König persönlich zu beunruhigen und zu beschimpfen, als er zur Eröffnung des Parlamentes fuhr. – Da unterstützte denn Wilberforce furchtlos und kräftig, wenn auch ungern, die Forderung der Regierung und half dazu, daß sie, wenn schon auch erst nach langem und heißem Redekampfe bewilligt wurde.

Er hatte aber damit nicht allein die Feindschaft der Freiheitspartei auf sich geladen, die sich auch im Parlamente gebildet hatte, sondern auch die ganze Masse seiner Wähler in der Grafschaft York wider sich erbittert, die sich von dem Revolutionsgeiste hatten bestricken lassen. Als er nun hörte, daß diese eine große öffentliche Versammlung abhalten wollten, um ihrem Unwillen gegen das Ministerium und seine Absichten Ausdruck zu geben, beeilte er sich, zu dieser Versammlung noch zurecht zu kommen und benutzte dazu sogar, ohne irgend welches Bedenken, weil sein eigener Wagen für eine so weite eilige Reise nicht gehörig in Ordnung war, den Wagen, den ihm der so verhaßte Minister zur Verfügung stellte.

Allein als Wilberforce am Orte der Versammlung ankam, stellte es sich heraus, daß die sogenannte Freiheitspartei doch noch nicht so groß war, als man befürchtet hatte, und bei Eröffnung der Versammlung waren die Freunde und Anhänger des Ministeriums entschieden in der Überzahl. Ohne Furcht vor etwaigen Feindseligkeiten gegen seine Person trat Wilberforce in die stürmisch tobendeVersammlung hinein, verschaffte sich Gehör und hielt eine glänzende Rede, die den Erfolg hatte, daß eine ganz gegenteilige Kundgebung als die beabsichtigte zu stande kam, nämlich eine Schrift, die bald mit zahlreichen Unterschriften bedeckt war, und worin man die entschiedenen und kräftigen Maßregeln des Ministeriums gegen die revolutionäre Partei vollständig billigte, und dieser Vorgang fand bald auch in anderen Grafschaften Nachahmung.

So hatte Wilberforce den deutlichsten Beweis geliefert, wie falsch die ihm gemachten Vorwürfe wegen Hinneigung zu den Grundsätzen der Revolution gewesen seien, und glaubte denn nun, ohne aufs neue solche Vorwürfe erleiden zu müssen, seine Sklavensache wieder in Angriff nehmen zu können. Denn entmutigt war er durch die bisher nur errungenen geringen Erfolge keineswegs, und es lag gerade jetzt wieder ein besonderer Grund vor, in seiner Sache ernstlich vorzugehen.

Frankreich hatte nämlich, um den verhaßten englischen Nachbarn einen empfindlichen Schaden zuzufügen und wo möglich die ganze Negerbevölkerung auf seinen westindischen Besitzungen in Aufruhr zu bringen, auf seinen eigenen Besitzungen drüben alle Neger für frei erklärt, und es dadurch auch wirklich dahin gebracht, daß auf den englischen Inseln Granada, St. Vincent und Dominica Empörungen der Neger stattfanden. Da hatten denn die Freunde des Sklavenhandels wieder Oberwasser und wußten den Mund nicht voll genug zu nehmen, um auszuschreien, daß man hier sehen könne, wozu die Freundschaft gegen die Neger führe.

Sofort war Wilberforce auf dem Kampfplatze und brachte am 18. Februar 1796 wieder seine alten Anträge auf Aufhebung des Sklavenhandels und wo möglich derSklaverei selbst das Parlament, entwickelte auch wieder die alte, feurige Beredsamkeit für seine Herzenssache und wußte das thörichte Geschrei der Gegner mit der Wucht seiner Gründe zu übertäuben. Allein wiewohl er auch jetzt wieder von Pitt kräftig unterstützt wurde, konnte er doch seine Anträge nicht durchbringen, weil seine Freunde bei der schließlichen Abstimmung nicht in der nötigen Zahl auf dem Platze waren, und selbst der von ihm gestellte Antrag fiel durch, daß durch das Gesetz eine bessere Behandlung der Sklaven auf den Sklavenschiffen erzwungen werden möchte.

Tiefbetrübt über diesen neuen Mißerfolg würde Wilberforce wohl nicht daran gedacht haben, sich um seine Wiederwahl ins Parlament zu bewerben, wie es jetzt nötig wurde, wenn er nicht zweifellos an den endlichen Sieg seiner guten Sache geglaubt und es deshalb für eine heilige Pflicht angesehen hätte, seine Wirksamkeit im Parlamente unbeirrt und mit aller Kraft fortzusetzen. Seine Wiederwahl hatte denn auch nicht die geringste Schwierigkeit.

Bei einem Besuche seiner Mutter in Hull, den er bei Gelegenheit dieser Wiederwahl machte, durfte er mit inniger Freude wahrnehmen, wie die betagte Frau, die er so sehr liebte, jetzt durch Gottes Gnade innerlich eine ganz andere geworden und auf dem besten Wege war, sich mit ganzem, vollem Ernste dem wahren Christentum zuzuwenden. Ihre Bitte beim Abschiede, daß der Sohn ihrer fleißig in seinem Gebete gedenken möge, hat dieser gewiß von nun an mit doppelter Freudigkeit erfüllt.

Wer nach dem bisher Erzählten denken wollte, Wilberforce habe für nichts anderes Interesse gehabt, als für seine Sklavensache und höchstens für das, was derselben irgendwie dienen konnte, der würde ihn durchaus falschbeurteilen. Sein Herz, das von der Liebe Christi durchdrungen war, trieb ihn vielmehr, wo und wie er nur konnte, das leibliche und geistliche Wohl aller seiner Mitmenschen zu fördern.

Nicht blos, daß er bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die heilige Sache der Mission eintrat und für ihre Ausbreitung und Förderung kämpfte, auch das leibliche Elend seiner Mitmenschen fand in ihm einen stets willigen und bereiten Helfer. So besuchte er, wenn er in London war, häufig die dortigen Krankenhäuser und brachte den Elenden neben geistlichem Zuspruche auch leibliche Erquickungen, ja hielt es nicht unter seiner Würde, ihnen auch selbst hülfreiche Handreichung zu thun. Auch unterstützte er nach wie vor seine Freundin Hannah More bei ihren Bemühungen, dem unwissenden Volke die Segnungen eines regelmäßigen Schulunterrichtes zuzuwenden und hatte dafür eine allezeit offene Hand.

Besonders aber beschäftigte ihn schon seit Jahren eine Schrift, an der er ununterbrochen während seiner Mußezeiten arbeitete und welche den Titel führen sollte: »Eine praktische Übersicht des vorherrschenden religiösen Lehrbegriffs der Bekenner des Christentums in den höheren und mittleren Ständen dieses Landes, verglichen mit dem wahren Christentum«, also eine Schrift, die mit der Sklavensache zunächst gar nichts zu thun hatte.

Es war nämlich für Wilberforce ein fortgesetzter tiefer Schmerz, zu sehen, wie wenig wahres, aufrichtiges und thatkräftiges Christentum in den Gesellschaftskreisen herrschte, darin er sich bewegte. Entweder trat ihm da eine vollständige Gleichgiltigkeit gegen das Christentum entgegen, die von diesem nicht einmal reden hören mochte, oder jene unerträgliche Schwatzhaftigkeit über das Christentum,der man es doch sofort abmerkte, daß sie ebensowenig aus aufrichtiger Hochachtung und Liebe für dasselbe hervorging, als ihr eine rechte christliche Erkenntnis oder gar eine wahrhaftige christliche Erfahrung zu Grunde lag. Diese betrübende Wahrnehmung ließ dem für das Christentum, dessen segensreiche Wirkung er täglich mehr an sich selbst erfuhr, begeisterten Manne keine Ruhe. Er betrachtete es als eine heilige Pflicht, mit der Gabe, die er empfangen hatte, auch anderen zu dienen, die derselben noch ermangelten, und möglichst viele von ihren falschen, verkehrten Wegen zu dem einzigen Wege zu rufen, der zum Frieden auf Erden und zur Seligkeit im Himmel führt.

Bei denjenigen, welche ihm persönlich näher standen, that er dies mündlich mit rückhaltsloser Offenheit, aber auch mit so liebenswürdiger Milde und mit so teilnahmvoller Eindringlichkeit, daß ihm niemand zürnen konnte, auch wenn er sich vielleicht durch ein ernstes, strafendes Wort verletzt gefühlt hätte.

Um aber auch auf weitere Kreise zu wirken, mit denen er keine persönliche Berührung hatte, schrieb er das erwähnte Buch. In der Einleitung zu demselben hob er besonders hervor, daß er, obgleich ein Nichtgeistlicher, sich doch verpflichtet gefühlt habe, solch ein Buch zu schreiben, weil er dafür halte, daß jeder Christ dazu berufen sei, das Heil seiner Nächsten nach Kräften zu fördern, und weil er denke, daß man einen Nichtgeistlichen für unparteiischer halten werde; er habe nicht für entschiedene Gegner des Christentums geschrieben, sondern für solche, die sich wohl Christen nennten, aber deren Leben durchaus nicht mit ihren Bekenntnissen übereinstimme.

Nachdem er nun zuerst die Haupt- und Grundlehrendes Evangeliums: von der Sünde, von der Erlösung durch den Herrn Jesum Christum, von der Heiligung durch den heiligen Geist in tiefer, schriftgemäßer Weise besprochen und mit hoher Glaubensfreudigkeit als die rechte seligmachende Weisheit und Wahrheit bezeugt hatte, welche niemand ungestraft und ohne Schaden verachten könne, ging er besonders darauf aus, zu beweisen, wie eine Sittlichkeit ohne Glauben nur hohles, kraftloses, hinfälliges Wesen sei, wie aber der Glaube nicht etwa blos in dem Fürwahrhalten der christlichen Lehre bestehe, sondern vielmehr ein Sauerteig sei, der das ganze Wesen durchdringen und zu einer vollen, rückhaltlosen Hingabe des Herzens und Lebens an Gott und den Heiland treiben müsse. An dieser Beweisführung, bei welcher er besonders die Redensarten näher beleuchtete, mit denen die Weltmenschen in der Regel jede Zumutung mit ihrem Christentum Ernst zu machen, von sich abwiesen, schloß sich dann der Nachweis, wie wahres Christentum mit allen Lebensverhältnissen und mit jeder Lebensstellung wohl verträglich sei und durchaus nichts Unmögliches von seinen Jüngern fordere.

Sieben Jahre lang schon hatte Wilberforce an diesem Buche gearbeitet und, was er darin niederlegen wollte, nicht nur aufs Reiflichste erwogen, sondern auch an seinem eigenen Herzen und an seiner eigenen Lebenserfahrung soviel als möglich erprobt. Jetzt erst entschloß er sich, das Buch in Druck zu geben. Der Buchhändler, an welchen er sich deshalb wandte, hielt, nachdem er einen Blick in dasselbe gethan hatte, den Verfasser für einen liebenswürdigen Schwärmer, der aber mit dem Geschriebenen keinen großen Erfolg erzielen, sondern nur viel Spott und Hohn einernten werde. Dem Namen »Wilberforce« zuliebe, meinte er lächelnd, wolle er es wagen, 500 Exemplare zu drucken, aber es sei sehr fraglich, ob auch nur diese Absatz finden würden.

Wie hatte sich aber der gute Mann verrechnet! Kaum war im April 1797 der Druck vollendet, und das Buch ausgegeben, als auch bereits nach wenigen Tagen die 500 Exemplare vollständig vergriffen waren. Und damit war es nicht am Ende, nein, die Nachfrage nach dem Buche wurde so stark, daß im Laufe des nächsten halben Jahres 5 Auflagen in einer Stärke von im ganzen 7500 Exemplaren nachgedruckt werden mußten. Ja bis zum Jahre 1826 erlebte das Buch noch weitere 10 Auflagen und wurde ins Deutsche, Holländische, Französische, Italienische und Spanische übersetzt: jedenfalls ein unwiderlegliches Zeugnis von der Vortrefflichkeit und durchschlagenden Wirkung des Buches!

»Ich preise Gott,« so schrieb der fromme Bischof von London über dasselbe, »daß in diesen schrecklichen Zeiten solch ein Werk erschienen ist, und ich will ihn inbrünstig bitten, daß es weiterhin einen mächtigen Einfluß gewinnen möge, vor allem aber auf mein eigenes Herz, welches dadurch zur Demut und hoffentlich bald auch zur Wirksamkeit angeregt wird.«

Von allen Seiten kamen Wilberforce die ehrenvollsten Dankbezeugungen wegen seines Buches zu. Ja es zeigte ihm sogar jemand in einem namenlosen Schreiben an, er habe sich ein kleines Gut in der Grafschaft York gekauft, eigens zu dem Zwecke, bei der nächsten Wahl ins Parlament Wilberforce seine Stimme geben und ihm dadurch einen geringen Teil seiner Dankesschuld abtragen zu können.

Aber eitel konnte Wilberforce nicht werden, wenn erauch die Anlage dazu in eben dem Maße besessen hätte, als er sie nicht besaß. Seine Feinde und Gegner sorgten dafür, daß es neben den vielen Anerkennungen auch nicht an den härtesten, lieblosesten Beurteilungen des Buches fehlte. War es ihnen doch ein Dorn im Auge, daß der Name des von ihnen so bitter Gehaßten durch das Buch noch größere Berühmtheit erlangte, als er sie schon hatte.


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