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Wilberforce war bis jetzt, obwohl nahezu 38 Jahre alt, allein durchs Leben gegangen, ohne sich noch eine eigene Familie gegründet zu haben. Seine Besitzungen in Yorkshire ließ er durch seine dortigen Freunde und Bekannten verwalten, um nicht durch die gewöhnlichen, alltäglichen Lebenssorgen in seiner öffentlichen Thätigkeit gehindert zu sein. Obschon es ihm seine Mittel erlaubt hätten, erwarb er sich nicht einmal eine eigene Wohnung in London, wo er doch einen großen, wenn nicht den größten Teil seiner Zeit zubrachte.

»Als einzelner Mann,« sagte er später einmal, »fand ich ein Vergnügen an dem Gedanken, allein in einem gemieteten Hause zu leben. Denn so ward ich beständig daran erinnert, daß hienieden noch nicht meine wahre Wohnung und Heimat sei, und daß ich die Pflicht habe, nach einer besseren Heimat auszusehen und zu streben.«

Gleichwohl fühlte er sein Alleinstehen nicht selten als einen Mangel in seinem Leben, zumal, wenn er bei Besuchen seiner Freunde deren glückliches Familienleben sah, und die reinen erquickenden Freuden eines solchen schmecken und fühlen lernte. Denn seit der Verheiratung seinerSchwester fand er auch bei seiner Mutter, die einsam in Hull wohnte und sich von diesem Orte nicht trennen wollte, wenn er dieselbe gelegentlich besuchte, kein eigentliches Familienleben mehr, wie es sein gefühlvolles Herz begehrte.

Allein so oft ihm auch schon der Gedanke mochte gekommen sein, sich einen eigenen Herd zu gründen, er hatte denselben bisher immer wieder von sich abweisen zu sollen geglaubt, weil er befürchtete, die Pflichten eines Familienhauptes würden ihn zu sehr in Anspruch nehmen, als daß er im stande wäre, dem Werke, das ihm ja mehr und mehr Lebensaufgabe wurde, die gebührende Zeit und Kraft zuzuwenden. Auch die eigene schwache Gesundheit mochte bei seiner Abneigung, sich zu vermählen, ein bedeutsames Wort mitsprechen.

Am allerwenigsten aber glaubte Wilberforce gerade jetzt an die Gründung einer eigenen Familie denken zu dürfen, wo er es hatte erfahren müssen, daß seine Gegner selbst vor meuchlerischen Anschlägen auf sein Leben nicht zurückscheuten, und wo überdies sowohl die immer noch nicht völlig beigelegten kriegerischen Unruhen, als auch der in immer höherem Maße um sich greifende Geist der Empörung und des Aufruhrs alle Verhältnisse im Lande unsicher machten.

Aber er sollte es erfahren, daß in der That die rechten Ehen »im Himmel geschlossen werden,« und daß Gottes Gedanken über seine Kinder oft ganz andere sind als die eigenen Menschengedanken, wenn dieselben auch auf dem Boden voller pflichtmäßiger Überzeugung erwachsen sind und durchaus nicht mit Gottes heiligen Geboten in Widerstreit stehen.

Denn gerade jetzt, wo er in Bath die Osterferien 1797 zubrachte, führte ihm des Herrn Hand Diejenigezu, welche bestimmt war, ihm ein reiches häusliches Glück zu bereiten, und so den Mangel auszufüllen, den er sich bisher in opferwilliger Selbstverleugnung geglaubt hatte auferlegen zu müssen.

Es war Barbara Ann, die älteste Tochter eines adeligen Herrn aus der Grafschaft Warwickshire, des Esquire Isaak Spooner zu Elmdon Hall. Schon die erste Begegnung dieser Dame hatte auf Wilberforce einen tiefen Eindruck gemacht und den Gedanken in ihm erweckt, daß eine Lebensgefährtin, die er sich erwählen sollte, gerade so und nicht anders sein müsse. Daß es aber nicht bestechende äußere Vorzüge waren, die diesen Eindruck auf ihn machten und ihm solche Gedanken erweckten, sondern vielmehr die inneren Eigenschaften, die er bei der neuen Bekannten wahrnahm und die sich ihm bei fortgesetzter Bekanntschaft immer deutlicher erschlossen, zeigt eine Stelle in seinem Tagebuche, welche er nach seiner Verlobung niederschrieb.

»Der Würfel ist gefallen,« heißt es da. »Ich glaube, sie eignet sich ganz besonders für mich, und manche Umstände schienen mir diesen Schritt anzuraten. Ich hoffe, Gott wird mich dabei segnen; ich will darum zu ihm beten. Ich halte sie für eine ächte Christin, liebevoll, gefühlvoll, verständig in ihrem ganzen Wesen, mäßig in ihren Wünschen und Bestrebungen, fähig, Glück und Unglück zu ertragen, ohne davon beherrscht zu werden. Wenn ich voreilig gewesen bin, so vergieb mir, o Gott! Aber wenn, wie ich zuversichtlich hoffe, wir beide Dich lieben und fürchten, und Dir dienen werden, dann wollest Du uns segnen nach dem untrüglichen Worte Deiner Verheißung.«

Am 23. April 1797 verlobte sich Wilberforce förmlich mit der Erwählten, und je näher er dieselbe kennenlernte, desto inniger wurde sein Dank gegen Gott, der sie ihn hatte finden lassen, desto freudiger und hoffnungsreicher sein Blick in die Zukunft, die sich bei der vollen inneren Übereinstimmung der beiden Verlobten zu einer glücklichen und gesegneten gestalten zu müssen schien.

Die glücklichen Stunden jedoch, welche Wilberforce jetzt hier in Bath verleben durfte, konnten sein ernstes Pflichtgefühl auch nicht um einen Finger breit abschwächen und ihn zurückhalten, wenn die Pflicht zur Arbeit rief. Und das sollte schon wenige Tage nach der Verlobung der Fall werden.

Es waren nämlich dadurch, daß Österreich, Englands bisheriger Bundesgenosse gegen Frankreich, mit diesem einen besonderen Frieden geschlossen hatte, ernste Verwickelungen für England entstanden, die auf den inneren Zustand des Landes einen höchst nachteiligen Einfluß äußerten. Deshalb lud der Minister Pitt seinen Freund, dessen Scharfsinn und staatsmännische Klugheit er in hohem Maße schätzte, auf das dringendste ein, sofort nach London zu kommen. Und Wilberforce zögerte keinen Augenblick, diesem Rufe zu folgen, so schwer es ihm auch werden mochte, sich jetzt sogleich wieder von seiner Braut zu trennen.

Ja, als sich ihm in London die Überzeugung aufdrängte, daß sich die Verhältnisse des Landes in einem noch viel schlimmeren und gefährlicheren Zustande befänden, als er bei seiner Abreise befürchtet hatte, in einem Zustande, der für ihn selber Gefahren herbeiführen konnte, wenn er sich wieder voll und ganz an dem öffentlichen Leben beteiligte, entschloß er sich sogar dazu, wenn auch erst nach schwerem innerem Kampfe, seine Braut ihres Wortes zu entbinden, um sie nicht in die ihm drohenden Gefahren und Schicksalemit hineinzuziehen. Indessen nahm er schon nach zwei Tagen diesen ihm durch die erste augenblickliche Bestürzung eingegebenen Vorschlag wieder zurück im festen Vertrauen auf die Güte und Fürsorge Gottes, die ihn bisher in gefährlichen Lagen stets so treu und gnädig bewahrt habe und auch fernerhin bewahren werde.

Die ernsten Zeitumstände, welche zu Zornesgerichten Gottes über das Land zu werden drohten, gaben Wilberforce den Mut, am 15. Mai wiederum die Sklavensache im Parlamente vorzubringen, weil er hoffen durfte, die ernste Hinweisung auf die drohenden Gottesgerichte würde auch die verstocktesten Gegner herumbringen, daß sie nicht länger gegen etwas widerstrebten, was diese Gerichte geradezu herausfordere. Aber er erntete nur Spott und Hohn wegen seiner unaufhörlichen Belästigungen des Parlaments, und mußte den Schmerz erleben, daß man sich mit 82 gegen 74 Stimmen für die Beibehaltung des Sklavenhandels entschied, also nicht einmal die früheren Beschlüsse beachtete, worin doch die Abschaffung dieses Handels als etwas, das kommen werde und müsse, hingestellt worden war.

Schmerzlich bewegt kehrte er, als seine Anwesenheit in London nicht mehr so dringend nötig erschien, nach Bath zurück und feierte erst am 30. Mai in aller Stille seine Hochzeit. Nach einem kurzen Besuche bei seiner Freundin Hannah More, welcher er seine erwählte Lebensgefährtin glaubte vorstellen zu müssen, weil sie an seinem Wohl und Wehe so warmen Anteil nahm, kehrte er dann wieder nach London zurück, um den Sitzungen des Parlamentes bis zu ihrem Schlusse beizuwohnen, und es wo möglich durchzusetzen, daß bei den in Aussicht stehendenFriedensverhandlungen mit Frankreich für die Abschaffung des Sklavenhandels etwas gewonnen würde.

Er nahm jedoch seine Frau mit sich und mietete für sie ein Landgut in der Nähe von London, wo er dann, nachdem die Tagesarbeit im Parlamente gethan war, im Glücke und Frieden des eigenen Hauses sich erholen konnte. Was ihm diesen Aufenthalt besonders lieb machte, war das, daß er ganz nahe bei dem Landsitze seines Freundes Eliot lag, des Schwagers von Minister Pitt, mit dem er schon seit Jahren auf das Engste verbunden war.

Welch köstliche Tage er hier im Genusse der innigsten Freundschaft und des jungen, ehelichen Glückes verleben durfte, beweisen eine Reihe von Briefen, die er an auswärtige Freunde schrieb, und worin er die Gnade Gottes pries, die ihm alles gegeben habe, was der Mensch auf Erden zum Glücke bedürfe. Allein es sollte auch bei ihm so gehen, wie es ja der Herr bei den Seinigen so oft fügt, daß auf die Tage des sonnigen Glückes bald wieder trübe und dunkele Schmerzenstage folgen, und das prophetische Wort, womit einer seiner Freunde ihm geantwortet hatte: »ich fürchte, daß es kaum zur menschlichen Natur stimmt, lange so glücklich zu sein,« sollte nur zu schnell Wahrheit werden.

Denn nicht allein, daß der von ihm hochgeschätzte Gatte seiner Schwester, der Prediger Clarke in Hull plötzlich und unerwartet vom Tode weggerafft wurde; auch sein innig geliebter Freund Eliot mußte denselben Weg gehen. Und wenn es für Wilberforce ein großer Trost gewesen war, daß seine alte Mutter und seine verwittwete Schwester an dem Nachfolger Clarkes, dem Bruder seines langjährigen Freundes Milner eine kräftige Stütze gefunden hatten,so wurde ihm auch dieser Trost bald wieder geraubt, da Joseph Milner schon nach ganz kurzer Zeit starb.

Diese drei rasch aufeinander folgenden Todesfälle beugten Wilberforce tief nieder. Aber er verstand es auch, dieselben sich zum innerlichen Segen werden zu lassen. Wie eindringlich schrieb er in sein Tagebuch, »lehren auch diese Ereignisse, daß die uns zugemessene Zeit kurz ist! O möchte ich lernen und weise sein!«

Und siehe, kaum hatte er diese Verluste einigermaßen überwunden, da traf ihn ein neuer Schlag, der sein gefühlvolles Herz tief verwundete. Nach kurzer Krankheit starb nämlich in Hull auch seine eigene Mutter, die ihm von Jahr zu Jahr lieber geworden war, je mehr sie sich, durch das Vorbild des frommen Sohnes angeregt, dem wahren Christentum zugewandt hatte und je mehr dadurch der innere Einklang zwischen Mutter und Sohn gewachsen war, der früher gefehlt hatte. Welch ein Trost war es für Wilberforce, sich an ihrem Sarge der festen Zuversicht überlassen zu können, daß ihr Ende ein seliges gewesen sei!

Von ihrem Begräbnisse zurückgekehrt, durfte er es aber auch erfahren, daß Gottes Liebe in die Schmerzenstage des Lebens immer auch Freudenstunden einflicht, die das gebeugte Herz stärken und aufrichten sollen. Seine Gattin schenkte ihm nämlich jetzt im Sommer 1798 den ersten Sohn. Wie freudig jubelte er dafür in seinem Tagebuche Gott dem Herrn seinen Dank aus und wie inbrünstig betete er um Kraft und Beistand von oben, daß es ihm gelingen möge, das Kind zu einem rechten Christenmenschen zu erziehen!

Mit der Sklavensache gab es auch in der Parlamentssitzung von1798keinen Fortgang. Wilberforce brachte zwar seinen Antrag auf Verbot des Sklavenhandels getreulichwieder ein trotz des ärgerlichen Kopfschüttelns vieler Parlamentsmitglieder, die dieses ewig wiederkehrenden Antrags überdrüssig waren; aber wiederum fiel derselbe durch, wenn er auch nur mit der kleinen Mehrheit von 4 Stimmen abgelehnt wurde. Zwar gelang es den Gegnern nicht, irgend etwas vorzubringen, was die Beweise entkräften konnte, die Wilberforce für die beim Sklavenhandel vorkommenden entsetzlichen Grausamkeiten beibrachte, aber sie warfen ein und fanden für diesen Einwurf viele gläubige Abnehmer, daß der Sklavenhandel, wenn er gesetzlich verboten würde, dennoch nicht ganz aufhören, sondern in ungesetzlicher Weise fortgetrieben werden würde, und daß dann voraussichtlich unter dem Schleier des Geheimnisses noch viel größere Grausamkeiten vorkommen würden.

Wollte es mit der Sklavensache noch immer keinen Fortgang gewinnen, so suchte Wilberforce dem Drange seiner thätigen Menschenliebe in allerlei anderer Weise zu genügen und suchte überall die Not auf, um sie nach Kräften zu lindern. Wir wissen, daß er im Jahre 1789 über 2000 Pfund Sterling, also über 40,000 Mark zu wohlthätigen Zwecken verwandte, eine Summe, bei welcher er gewiß nicht ängstlich berechnet hatte, ob sie nicht seine Vermögensverhältnisse überstiege. Dabei gab Wilberforce nie blindlings sein Geld weg, sondern prüfte immer erst sorgfältig, ob seine Unterstützungen auch nicht an Unwürdige weggeworfen seien. Es war also seine Wohlthätigkeit etwas mehr, als das blos äußerliche Sichloskaufen von einer Verpflichtung, die er sich durch seinen Reichtum auferlegt fühlte, sie war ein wirkliches Üben brüderlicher Liebe mit der Vorsicht und Weisheit, ohne welche die Wohlthätigkeit zur nutzlosen Verschwendung werden kann,ja zu einem verderblichen Förderungsmittel der Trägheit und des Lasters.

Die günstige Aufnahme, welche sein Buch überall gefunden hatte und die ihm noch fortwährend zukommenden Zeugnisse von den segensreichen Wirkungen, die dasselbe übte, ließen ihn erkennen, daß ihm auch ein geistiges Pfund anvertraut sei, welches er ebensowohl wie das äußere seines Reichtums zum Wohle seiner Nebenmenschen zu verwenden habe. Da ihm nun zum Schreiben eines weiteren größeren Buches immer mehr die nötige Ruhe und freie Zeit gebrach, so beschloß er, in Verbindung mit mehreren gleichgesinnten Freunden eine religiöse Zeitschrift herauszugeben, welche dem überhandnehmenden Unglauben besonders in den mittleren Ständen einen Damm entgegensetzen sollte. Die erste Nummer dieser Zeitschrift, welche den Titel: »Der christliche Beobachter« führen sollte, erschien jedoch erst im Januar 1801.

Auch die Ansiedelung auf Sierra Leone machte ihm in dieser Zeit viel zu schaffen, da dieselbe gerade damals mit besonders großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und doch bestehen bleiben und sich im Segen entwickeln mußte, wenn die Behauptung, daß die Neger keine bildungsfähigen Menschen seien, auf welche die Freunde des Sklavenhandels sich besonders stützten, in ihrer völligen Grundlosigkeit hingestellt, und diesen ihre beste, wirksamste Waffe entrissen werden sollte.

Der glorreiche Sieg zur See, in welchem der englische Admiral Nelson am 1. August 1798 bei Abukir fast die ganze französische Flotte vernichtet hatte und der in ganz England mit unsäglichem Jubel begrüßt worden war, gab Wilberforce neuen Mut, trotz aller erlittenen Niederlagen, auch in der Parlamentssitzung von 1799 wiedergegen den Sklavenhandel aufzutreten. Hatte doch der fromme Seeheld Nelson zur herzlichen Freude unseres Wilberforce in seinem Berichte ausdrücklich darauf hingewiesen, wieviel Dank das englische Volk für diesen Sieg seinem Gotte schuldig sei! Mußte es da nicht von durchschlagender Wirkung sein, wenn nun Wilberforce seinerseits mit seiner feurigen Beredsamkeit mahnte, diesen Dank durch Abstellung des Sklavenhandels thatsächlich darzubringen und nicht durch Verhärtung in einem anerkannten und zweifellosen Unrecht den Zorn Gottes über das Land zu reizen? – Aber siehe, auch diesmal wieder fielen die warmen, begeisterten Worte, womit er seinen Antrag verfocht, auf unfruchtbaren Boden, sein Antrag fiel durch.

Die tiefe Niedergeschlagenheit, in welche er wegen dieses neuen unerwarteten Mißerfolgs verfiel, brachte ihn auch körperlich sehr herunter. Ein heftiges Fieber befiel ihn und hinderte ihn, die Parlamentssitzung zu besuchen, welche auf den 24. September ausgeschrieben war, um die Entsendung eines Heeres nach den Niederlanden zu beraten, wo dasselbe gemeinschaftlich mit den Russen die Franzosen bekämpfen sollte.

Da auch seine Gattin, die am 21. Juni von einem Töchterlein entbunden worden war, der Ruhe bedurfte, so mietete sich Wilberforce in der Nähe von Bath, dessen unruhiges Badeleben ihm nicht zusagte, eine Wohnung auf dem Lande und brachte dort vier Monate im Genusse eines ruhigen, ungestörten Familienlebens zu. Aber Arbeit machte er sich auch hier, weil er ohne solche nicht leben konnte. Die stillen Sonntage auf dem Lande, deren Köstlichkeit und Segen niemand besser zu würdigen wußte, als er, mahnten ihn, für die Förderung einer rechten Sonntagsheiligung thätig zu sein. Das war zwar nichterst eine neue Thätigkeit. Denn er hatte schon das Parlament aufgefordert, gesetzlich gegen jede Entheiligung des Sonntages einzuschreiten, und als er das nicht durchsetzen konnte, wenigstens auf eigene Hand eine ganze Anzahl von Parlamentsgliedern zusammengebracht, die sich freiwillig verbanden, für eine rechte Sonntagsheiligung zu wirken und dabei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Er hatte auch durch Verwendung seines Einflusses bei den Ministern eine Verfügung erwirkt, wonach niemand mehr gegen sein Gewissen durch Geld- und Freiheitsstrafen gezwungen werden durfte, sich an militärischen Übungen zu beteiligen, welche am Sonntage stattfanden, wie dies an vielen Orten geschah.

Aber mußten nicht die stillen gesegneten Sonntage hier auf dem Lande ihm ein unwiderstehlicher Antrieb werden, in der Nähe und in der Ferne, durch Wort und Schrift darauf hinzuwirken, daß solch eine gesegnete Sonntagsfeier allenthalben möglich werde und auch allenthalben zu stande käme?

Im Januar 1800 kehrte Wilberforce neu gestärkt nach London zurück und trat sofort wieder mit frischer Kraft in die parlamentarische Thätigkeit ein. Es handelte sich jetzt in der That um den Frieden mit Frankreich, über welchen von seiten Napoleons Unterhandlungen eingeleitet worden waren. Allein die von demselben vorgeschlagenen Friedensbedingungen waren der Art, daß selbst der friedliebende Wilberforce dazu raten mußte, sie zu verwerfen, und das Ministerium, welches gleicher Ansicht mit ihm war, kräftig unterstützte. »Wer heute meine Rede hörte,« sagte er selbst, »mußte mich für einen größeren Freund des Krieges halten, als ich es in Wahrheit bin.«

Ein sehr erfreuliches Ereignis war es für Wilberforce,daß sein Freund Stephen, sein treuer Gefährte im Kampfe gegen den Sklavenhandel, dessen Scheußlichkeiten er bei einem langen Aufenthalte in Westindien durch eigenen Augenschein kennen gelernt hatte, seiner verwittweten Schwester die Hand reichte und dadurch eine noch nähere Verbindung mit ihm schloß, als sie bisher schon durch ihre Kampfgenossenschaft bestanden hatte.

Aber bald fiel auch wieder ein düsterer Schatten in sein Leben, der um ein Haar zu einer völligen Trübsalsfinsternis geworden wäre. Denn bald nach der Rückkehr aus dem Seebade Bognor, wo er sich eine Zeit lang nach dem Parlamentsschlusse mit seiner Familie aufgehalten hatte, verfiel seine geliebte Gattin in eine schwere Krankheit, welche das Schlimmste befürchten ließ. Wie es dabei in seinem Inneren aussah, mag ein Brief beweisen, den er am 27. September an Hannah More schrieb.

»Mein teure Freundin,« heißt es darin, »Sie sollen nicht durch eine andere Feder erfahren, daß es Gott gefallen, meine teuerste Frau mit einem gefährlichen Fieber heimzusuchen. Man sagt mir, daß der endliche Ausgang der Krankheit wahrscheinlich nicht bald entschieden sein werde, daß ich aber nach der Heftigkeit des Beginnens Ursache habe, alles zu fürchten, wenn auch nicht jede Hoffnung aufzugeben. Aber ach, meine teuere Freundin, was für ein unaussprechlicher Segen ist es für mich, daß ich in Demut hoffen kann, der Tod werde für meine arme Gattin die Versetzung sein aus einer Welt der Sünde und der Sorge in das Land vollkommener Heiligkeit und nie endender Seligkeit! Wie tröstend ist der Gedanke, daß ihre Leiden ihr nicht allein zugeteilt, sondern auch zugemessen sind durch ein Wesen vollunendlicher Weisheit und Güte, welches sie liebt, wie ich hoffe, mehr als ein teures Kind von einem irdischen Vater geliebt ist! Ich weiß, Sie alle werden für mich fühlen, für mich und meine arme Leidende beten. Ich bin noch nicht genug an das Krankenbett gewöhnt; es ist äußerst angreifend für mich, ihre Heftigkeit und wirre Unruhe zu bemerken, ja bisweilen ihr Phantasieren zu hören, während damit ihr gewöhnlicher freundlicher Blick und ihre sanfte Ruhe verbunden ist. Möchten wir alle bereit sein und endlich alle in der Herrlichkeit zusammentreffen, jetzt aber wachen und beten und nüchtern sein und danach trachten, einzugehen; dann werden wir gewiß einst nicht ausgeschlossen werden. Ich pflege auch sonst solche Worte zu reden wie diese, und, wie ich hoffe, aus dem Herzen. Aber wieviel kräftiger prägen sie sich dem Geiste ein bei dem Anblick des Todes, wie ich ihn habe! Gott segne Sie alle! Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen! Für immer Ihr W. Wilberforce.«

»Mein teure Freundin,« heißt es darin, »Sie sollen nicht durch eine andere Feder erfahren, daß es Gott gefallen, meine teuerste Frau mit einem gefährlichen Fieber heimzusuchen. Man sagt mir, daß der endliche Ausgang der Krankheit wahrscheinlich nicht bald entschieden sein werde, daß ich aber nach der Heftigkeit des Beginnens Ursache habe, alles zu fürchten, wenn auch nicht jede Hoffnung aufzugeben. Aber ach, meine teuere Freundin, was für ein unaussprechlicher Segen ist es für mich, daß ich in Demut hoffen kann, der Tod werde für meine arme Gattin die Versetzung sein aus einer Welt der Sünde und der Sorge in das Land vollkommener Heiligkeit und nie endender Seligkeit! Wie tröstend ist der Gedanke, daß ihre Leiden ihr nicht allein zugeteilt, sondern auch zugemessen sind durch ein Wesen vollunendlicher Weisheit und Güte, welches sie liebt, wie ich hoffe, mehr als ein teures Kind von einem irdischen Vater geliebt ist! Ich weiß, Sie alle werden für mich fühlen, für mich und meine arme Leidende beten. Ich bin noch nicht genug an das Krankenbett gewöhnt; es ist äußerst angreifend für mich, ihre Heftigkeit und wirre Unruhe zu bemerken, ja bisweilen ihr Phantasieren zu hören, während damit ihr gewöhnlicher freundlicher Blick und ihre sanfte Ruhe verbunden ist. Möchten wir alle bereit sein und endlich alle in der Herrlichkeit zusammentreffen, jetzt aber wachen und beten und nüchtern sein und danach trachten, einzugehen; dann werden wir gewiß einst nicht ausgeschlossen werden. Ich pflege auch sonst solche Worte zu reden wie diese, und, wie ich hoffe, aus dem Herzen. Aber wieviel kräftiger prägen sie sich dem Geiste ein bei dem Anblick des Todes, wie ich ihn habe! Gott segne Sie alle! Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen! Für immer Ihr W. Wilberforce.«

Und weiter schreibt er in dieser Zeit: »Welch unaussprechliche Tröstung und Erleichterung ist es, in solch einem Augenblick die volle Zuversicht zu hegen, daß meine teuerste Gattin ihren Frieden mit Gott gemacht hat und für die furchtbare Vorladung nicht unvorbereitet ist! Ich danke Gott, daß ich im stande bin, mich seiner Züchtigung (welche leider nur zu sehr verdient ist) ohne Murren zu unterwerfen, und, wie ich demütig hoffe, mit Ergebung, ich möchte sagen: mit frohem, dankbarem Sinne gegen seinen heiligen Willen. Er weiß am besten, was unsgut ist, und wenn unsere Leiden hier, indem sie uns aus der Trägheit erwecken und uns näher zum Himmel drängen, in irgend einem Grade dazu dienen, das Glück der Ewigkeit zu erhöhen, so mögen wir wohl in der triumphierenden Sprache des Apostels ausrufen: »Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige über alle Maßen wichtige Herrlichkeit!« – Mein teures Weib hat stets phantasiert, seit wir wußten, daß ihre Krankheit gefährlich sei. Wie wenig hätten wir für ihren Seelenzustand thun können, wenn er früher vernachlässigt worden wäre und wir nun erst gewünscht hätten, sie zum Tode vorzubereiten! Welch praktische Lehre für uns alle!«

Welch tiefen Blick eröffnen uns diese Worte, die doch gewiß der unmittelbarste Erguß der Gedanken und Gefühle waren, in ein Herz voll des lautersten, aufrichtigsten Christentums, in ein Herz, das gelernt hatte, sich ganz im Glauben dem Herrn anzuvertrauen, in ein Herz, das für den Menschen nichts Höheres kannte, als den Gewinn des ewigen Lebens!

Die züchtigende Hand des Herrn ließ es indessen bei Wilberforce nicht zum Äußersten kommen. Sein Flehen wurde erhört, die Krankheit wendete sich zum Besseren. Am 20. Oktober konnte er frohlockend und dankend melden, daß ihm sein geliebtes Weib erhalten sei und allmählich die Gesundheit und frühere Kraft wiedererlange. Wenn er sich aber dabei gleichsam in demselben Atem selbst anklagt, daß die ernsten Gefühle in den Augenblicken des Leidens hernach, wenn dasselbe durch Gottes Gnade vorüber sei, so bald wieder sich abschwächten und dahinschwänden, so beweist dies, wie sehr er gewohnt war, auch auf die leisesten Regungen seines Herzens zu achten und wie ihm äußereErlebnisse in Freude und Leid niemals den heilsamen Blick in das eigene Herz trüben konnten.

Die Hoffnung, welche Wilberforce gehegt hatte, daß er, wenn der Friede mit Frankreich, nach welchem jetzt ganz England seufzte, geschlossen werden würde, es werde durchsetzen können, daß die Abschaffung des Sklavenhandels unter die Friedensbedingungen aufgenommen würde, erwies sich als eine trügerische. Wiewohl sich Pitt mit ihm vereinigte, schlug dieser Plan fehl. Da wegen der wichtigen Arbeiten, die dem Parlamente vorlagen, auch ein neuer Antrag wegen des Sklavenhandels keine Aussicht hatte, nur zur Beratung zu kommen, mußte sich Wilberforce darauf beschränken, durch seinen Schwager Stephen kleinere Flugschriften gegen den Sklavenhandel abfassen zu lassen, die dann in Massen unter das Volk geworfen wurden, um bei diesem das Interesse für die Sklavensache, welches unter den kriegerischen Unruhen und dem Drucke einer großen Teuerung fast erloschen sein mußte, wieder neu zu beleben.

Am 25. April 1802 war denn endlich zu Amiens der Friede mit Frankreich zu stande gekommen, und da Wilberforce wieder aufs neue als Vertreter für die Grafschaft York ins Parlament gewählt worden war, sprach er sich voll heiligen Eifers dafür aus, es sei nötig, die goldene Zeit des Friedens dazu zu verwenden, daß der sittliche Zustand des Landes gebessert werde, daß die Kinder der geringeren Stände in tugendhafter Sitte und zur Anhänglichkeit an die bürgerlichen und religiösen Einrichtungen des Landes erzogen würden, daß für die niedrigen Klassen der Steuerdruck ermäßigt und an Stelle der aufrührerischen Ansichten und Neigungen ein rechter Gemeingeist bei dem Volke geweckt und gepflegt würde.

Man erklärte freilich solche Reden im Parlamente kurzweg für baren Unsinn, aber Wilberforce ließ sich durch solche beleidigende Urteile den Mund nicht zubinden und kam immer wieder von neuem in seinen Reden auf diese Forderungen zurück.

Leider schien der Friede, den Wilberforce in solch heilsamer Weise benutzt haben wollte, nicht von langer Dauer sein zu sollen. Gegenseitige Beschwerden über Nichterfüllung der Bedingungen des Friedens von Amiens flogen über den Kanal hinüber, und es wurde bald klar, daß es zu einem Bruche mit dem französischen Gewalthaber, mit Napoleon kommen müsse, der auch England gerne unter sein Scepter gebeugt gesehen hätte.

Bei dieser unsicheren Lage der äußeren Verhältnisse, welche die ganze Aufmerksamkeit und Sorge des Parlaments in Anspruch nahmen, hielt es Wilberforce für völlig aussichtslos, und nur dazu geeignet, den Unmut der Volksvertreter zu erregen, wenn er auch jetzt wieder seine alten Anträge erneuert hätte.

Um aber nicht ganz unthätig in seiner großen Sache zu bleiben, entschloß er sich, wie es sein Schwager Stephen schon früher gethan hatte, eine Flugschrift zu schreiben, worin der ganze bisherige Gang der Verhandlungen über die Sklavensache klar und übersichtlich dargelegt wäre. Hatte doch seit dem Jahre 1792 eine sorgfältige und gründliche Verhandlung über diese Sache kaum mehr stattgefunden, und da fast die Hälfte der Volksvertreter, die damals im Parlamente gesessen hatten, durch neue ersetzt waren, so gab es unter diesen gewiß viele, denen jede nähere Bekanntschaft mit den bereits gepflogenen Verhandlungen und besonders mit den für die Schändlichkeit des Sklavenhandels beigebrachten Beweisen und Zeugnissen mangelte.

Wilberforce begab sich nun sogleich an diese Schrift und arbeitete den ganzen Januar 1803 so angestrengt und anhaltend, daß er sich eine Krankheit zuzog, die ihn längere Zeit an das Lager fesselte.

Kaum genesen beteiligte er sich mit feurigem Eifer im April 1803 an der Gründung der englischen Bibelgesellschaft, die noch heute in reichem Segen wirkt und schon viele Millionen Bibeln in hunderten von Sprachen nach allen Weltenden verbreitet hat.

Nichts desto weniger ließ er über solchen Friedensarbeiten die äußere Lage des Vaterlandes nicht aus den Augen und half mit aller Macht darauf dringen, daß das Land in den gehörigen Verteidigungszustand gesetzt werde. Denn, wenn der Krieg mit Frankreich wirklich wieder ausbrach, so lag die Befürchtung nahe, Napoleon würde wenigstens den Versuch machen, mit einem Heere in England zu landen. Indessen, so lange der Krieg nicht wirklich erklärt sei, riet Wilberforce zum Frieden, wenn auch für denselben Opfer sollten gebracht werden müssen. Er glaubte fürchten zu müssen, daß Gott in einem neuen, leichtsinnig begonnenen Kriege seine Zornesgerichte über England werde kommen lassen.

Als aber am 15. Mai 1803 der englische Gesandte Paris verlassen hatte und ihm am 18. die Kriegserklärung Napoleons auf dem Fuße folgte, forderte Wilberforce zu festen, kräftigen Schritten auf und sprach dafür trotz seines kränklichen Zustandes mit aller Wärme und Entschiedenheit, welche ihm die Vaterlandsliebe eingab.


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