VI.

VI.

Ein neues Ministerium, welches Pitt auf Befehl des Königs bildete, weil das bisherige sich für die bestehendenVerhältnisse zu schwach gezeigt hatte, zählte zu seinen Mitgliedern mehrere warme Freunde der Sklavensache, und Wilberforce konnte es deshalb nicht lassen, diesen günstigen Umstand zu benutzen und seinen Antrag auf Abschaffung des Sklavenhandels im Parlamente einzubringen, so unruhig auch die Zeiten waren.

Er hatte auch die Freude, daß derselbe im Unterhause bei jeder der drei Beratungen oder »Lesungen« angenommen wurde; allein das Oberhaus, dem der Antrag jetzt vorgelegt werden mußte, entschied sich dafür, ihn in Anbetracht der jetzigen Zeitverhältnisse für die nächste Sitzung zurückzulegen. Es sollte aber ein Erlaß des Ministeriums erscheinen, durch welchen einstweilen dem Sklavenhandel Einhalt gethan würde.

Indessen dieser Erlaß ließ ein ganzes Jahr auf sich warten, und als das Parlament sich wieder versammelte, wurde nicht etwa die günstige Entscheidung vom vorigen Jahre wiederholt und bestätigt, sondern wider alles Erwarten umgestoßen. Wilberforce blieb mit seinem Antrage in der Minderheit.

So nahe am Ziele gewesen zu sein nach 17jähriger Thätigkeit, und nun doch wieder eine völlige Vereitelung seiner so gegründeten Hoffnung erleben zu müssen, war für Wilberforce ein tiefer, brennender Schmerz. Er schrieb in sein Tagebuch die klagenden Worte: »Nie habe ich bei irgend einer Gelegenheit im Parlamente soviel empfunden. Als ich in der Nacht aufgewacht war, konnte ich nicht wieder einschlafen. Die armen Schwarzen kamen mir nicht aus dem Sinne und die Schuld unseres sündigen Vaterlandes.«

Aber nun die Hoffnung auf ein schließliches Gelingen seiner Arbeit ganz aufzugeben, war nicht die Sache einesWilberforce. Dazu war seine Überzeugung, daß sein Werk aus Gott sei und dasselbe durch Menschen nicht gedämpft werden könne, viel zu tief und fest gegründet.

»Herr Wilberforce,« sagte ihm jemand, »Sie sollten nicht erwarten, eine derartige Maßregel durchzusetzen. Sie haben wohl Geschick, eine Sache zu betreiben, und dies ist eine sehr achtbare Beschäftigung für Sie; aber wir beide haben genug vom Leben gesehen, um zu wissen, daß Menschen sich nicht dazu bringen lassen, nach allgemeinen Grundsätzen zu handeln, wo ihre Interessen im Spiele sind.«

Und was antwortete Wilberforce?

»Ich hoffe es dennoch durchzusetzen, und was noch mehr ist: ich hege die Zuversicht, daß ich es bald durchsetze. Ich habe die allmähliche Veränderung bemerkt, welche seit einiger Zeit in den Gesinnungen der Menschen vorgegangen ist, und wenn auch die Maßregel noch ein oder zwei Jahre hingezogen werden mag, so bin ich doch überzeugt, daß sie binnen kurzem zu stande kommt.«

Pitt erließ jetzt endlich die versprochenen Befehle zur Hemmung des Sklavenhandels, aber sie erwiesen sich als zu unbestimmt abgefaßt, um irgend welchen Erfolg haben zu können, und Pitt wurde deshalb angegangen, sie zu ändern. Er that dies auch nach starkem Drängen und am 13.September 1805 wurde der geänderte Erlaß denn endlich veröffentlicht.

Es war einer der letzten, welcher von Pitt ausging. Denn derselbe wurde bald darauf ernstlich krank, und wenn ihn auch die Freude über den Seesieg Nelsons bei Trafalgar (21. Oktober 1805), wobei dieser große Seeheld zwar selber das Leben verlor, aber auch die französische Seemacht so gut wie völlig vernichtet wurde, wieder ein wenig stärkte und ausrichtete, so beugte ihn doch dietraurige Nachricht von der Niederlage der englischen Bundesgenossen, der Russen und Österreicher, bei Austerlitz (2. Dezember) aufs tiefste nieder und übte einen so nachteiligen Einfluß auf seinen durch heftige Gichtschmerzen und Verdauungsstörungen geschwächten Körper, daß er am 23. Januar 1806 starb, wie Wilberforce sagte: »an gebrochenem Herzen, vom Feinde ebensowohl getötet wie Admiral Nelson.«

Tief bewegt folgte Wilberforce dem Sarge des Mannes, der 25 Jahre lang die Angelegenheiten seines Vaterlandes geleitet hatte und ihm, wenn auch vielleicht wegen des großen Standesunterschiedes nicht gerade im vollsten und schönsten Sinne des Wortes Freund geworden war, wozu überdies die volle innere Übereinstimmung fehlte in den höchsten und wichtigsten Lebensfragen, so doch die vollste Hochachtung und Anhänglichkeit abgewonnen hatte.

Dem neuen Ministerium, welches jetzt gebildet wurde, gehörten zum größten Teile Männer an, die zu den eifrigsten und lebendigsten Gegnern des Sklavenhandels zählen. Wie hob das wieder den Mut und die Freudigkeit des edlen Sklavenfreundes, und wie beeilte er sich nun sogleich wieder, die günstige Wendung der Dinge auszunutzen!

Ein Vorschlag, den Sklavenhandel nach fremden Kolonieen zu verbieten, wurde zum Vorläufer des weitergehenden auf völlige Abschaffung und Unterdrückung dieses Handels gemacht und erhielt im Mai 1806 die Zustimmung sowohl des Unter- wie des Oberhauses. Auch der weitere Vorschlag, daß sich das Parlament zu baldiger gänzlicher Abschaffung des Sklavenhandels verpflichten sollte, wurde im Unterhause mit großer Mehrheit von 100 gegen 14, im Oberhause mit 42 gegen 21 Stimmen angenommen. Ebenso wurde eine von Wilberforce beantragteAdresse an den König beschlossen, worin dieser gebeten wurde dahin zu wirken, daß auch die übrigen Mächte Europas den Sklavenhandel aufheben möchten.

Aber würde nicht, so mußte Wilberforce nun rechnen, die Sklavenhalter und Sklavenhändler jetzt, wo an der völligen Aufhebung des Sklavenhandels kaum mehr zu zweifeln schien, die ihnen noch gelassene Frist benutzen, um gerade jetzt diesen Handel in verstärktem Maße zu betreiben?

Von diesem Gedanken geleitet, brachte er noch einmal vor Schluß der Sitzung einen Gesetzesvorschlag ein, welcher verbot, daß Schiffe, die bis jetzt nicht zum Sklavenhandel gebraucht worden seien, nunmehr dazu verwendet würden, und siehe auch dieser Vorschlag fand zu seiner unsäglichen Freude die Zustimmung beider Häuser.

Allein es war für Wilberforce auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen doch noch keine volle Sicherheit vorhanden, daß der lange und heiß ersehnte Sieg in seiner heiligen Sache nun endlich errungen sei, und er bot deshalb gerade jetzt seine ganze Kraft auf, ihr, soviel an ihm lag, zum völligen Siege zu verhelfen. Mit seinen Freunden bereitete er sich sorgfältig darauf vor, ein günstiges Zeugenverhör herbeiführen zu können, wenn allenfalls das Oberhaus noch einmal ein solches verlangen sollte. Er ging auch mit allem Eifer daran, seine vorhin erwähnte Flugschrift fertig zu machen, um dieselbe vor dem Zusammentreten des Oberhauses allen Mitgliedern desselben zusenden zu können und vollendete dieselbe durch rastloses Arbeiten so frühe, daß sie am letzten Januar 1807 ausgegeben werden konnte.

Um ihn zu solchem Eifer aufzustacheln, hätte es indessen so ehrender Zeugnisse keineswegs bedurft, wie ihm ein solches bereits im Juni 1806 durch eine EdinburgerZeitung ausgestellt worden war. Dort war nämlich zu lesen gewesen: »Wir wollen unsere Dankbarkeit dem Manne bezeugen, der diesen glorreichen Kampf begonnen und durchgeführt hat. Er hat dem Ausgange desselben alle seine Tage und alle seine Talente geweiht. Er hat sich jeglicher Belohnung für seine Anstrengungen entzogen, außer dem zufriedenstellenden Bewußtsein, seinen Mitgeschöpfen gutes erwiesen zu haben. Er hat der Menschheit gewidmet, was andere den Parteirücksichten geopfert haben, und den Ruhm, im Gedächtnisse einer dankbaren Welt fortzuleben den glänzenden Belohnungen des Ehrgeizes vorgezogen. Wir betrachten mit inniger Freude diesen ausgezeichneten Mann, wie er nahe vor seinem endlichen Triumphe sich befindet in der größten Schlacht, in der je menschliche Wesen fochten und in einer Sache, welche wir für einen Gegenstand des gerechten Neides der Ehrgeizigsten unter den Sterblichen halten.«

Der Stachel, den Wilberforce im eigenen Herzen trug, der Stachel der Liebe zu den armen Schwarzen und die Überzeugung, von Gott zur Linderung ihrer Leiden berufen zu sein, war mächtiger als alle solche ehrenden Worte.

Am 3. Februar 1807 kam die Sklavensache zur Verhandlung im Oberhause und beschäftigte dasselbe die ganze Nacht hindurch bis Morgens 5 Uhr. Aber obwohl zwei Minister, ja selbst Prinzen des Königlichen Hauses dagegen auftraten, erklärten sich doch schließlich 100 Stimmen für die Abschaffung des Sklavenhandels, und nur 34 dagegen.

Nun fehlte nur noch eine günstige Entscheidung des Unterhauses, in welchem die Sache am 23. Februar vorgebracht werden sollte.

Aber wie bangte nun unserem Wilberforce vor dieserentscheidenden Sitzung! Hatte er es doch schon einmal erleben müssen, daß es trotz der günstigsten, fast zweifellosen Aussichten zuletzt doch noch übel gegangen war! Wie eifrig betete er, daß Gott alles zum Besten wenden möge und stellte ihm in Demut alles anheim!

Am 15. Februar schrieb er in sein Tagebuch: »Was für eine schreckliche Zeit ist das! Die Entscheidung der großen Frage nähert sich. Möge Gott, der die Herzen aller in seiner Gewalt hat, sie wenden wie im Oberhause! Möge er mich mit einem einfältigen Auge und Herzen ausrüsten, daß ich nur wünsche, Ihm zu gefallen, meinen Mitmenschen gutes zu erweisen und meinem angebeteten Erlöser meine Dankbarkeit zu bezeugen!«

Und am 22. Februar, am Vorabende des Tages, der die Entscheidung bringen sollte, schrieb er ebenso demütig: »Gewiß nie hatte ich mehr Ursache zur Dankbarkeit als jetzt, da ich den großen Gegenstand meines Lebens zu Ende führe, auf welchen eine gnädige Vorsehung meine Gedanken vor 26 oder 27 Jahren und meine Thätigkeit seit 1787 oder 1788 gerichtet hat. O Herr, laß mich dich preisen von ganzem Herzen; denn nie war jemand so sehr in der Schuld gegen dich. Wohin ich auch blicke, sehe ich mich mit Segnungen überhäuft. O möge meine Dankbarkeit nur einigermaßen im Verhältnisse zu denselben stehen!«

Bei den Verhandlungen des folgenden Tages war es nur ein einziger westindischer Pflanzer und Sklavenhalter, der gegen das Gesetz sprach, aber durch eine glänzende Rede, die Wilberforce hielt und in der er noch einmal die ganze Fülle seiner Beweise für die Schändlichkeit des Sklavenhandels entwickelte, sofort zum Schweigen gebracht wurde. Von dieser Rede begeistert rief der GeneralprokuratorRomilly aus: »Was ist das Gefühl der Größe, das ein Kaiser der Franzosen, ein Napoleon, hat gegen das Hochgefühl dieses Privatmannes, der heute sein Haupt aufs Kissen legen darf mit dem Gedanken: der Sklavenhandel ist nicht mehr!«

Ein Sturm des Beifalls brach los, wie ihn die Parlamentsräume noch nie gehört haben mochten. Alle die ernste würdevolle Zurückhaltung, die sonst in diesen Räumen üblich war und jede laute Beifallsäußerung verbot, war völlig vergessen, und als es zur Abstimmung kam, erklärten sich 283 Stimmen für, und nur 16 gegen die Abschaffung des Sklavenhandels.

Wie in einem Triumphzuge wurde Wilberforce von seinen Freunden nach Hause geleitet, und von allen Seiten regnete es gleichsam Beglückwünschungen für ihn. Er aber ging in sein Kämmerlein und schrieb mit betendem Aufblicke nach oben in sein Tagebuch: »O wieviel Dank bin ich dem Geber alles Guten dafür schuldig, daß er mich in seiner gnädigen Fürsorge zu der großen Sache geführt hat, welche endlich nach fast 19jähriger Anstrengung Erfolg gehabt hat!«

Nachdem das Gesetz wegen einiger Veränderungen, die daran gemacht worden waren, noch einmal durch das Oberhaus gegangen war und auch in der geänderten Fassung dessen Zustimmung erhalten hatte, erhielt es am 25. März 1807 auch die Königliche Bestätigung und damit volle Gesetzeskraft.

Das Ministerium, welchem es Wilberforce zu verdanken hatte, daß er endlich mit seinen unaufhörlichen Anträgen durchgedrungen war, wurde bald darauf zu seinem großen Leidwesen von dem Könige entlassen; dadurch wurde aber auch eine Auflösung des Parlamentsherbeigeführt, und es mußte zu neuen Wahlen geschritten werden.

Hier zeigte es sich nun so recht handgreiflich, mit welcher Liebe seine Wähler in der Grafschaft York an ihrem bisherigen Vertreter Wilberforce hingen. Es war nämlich ein angesehener Mann, Lord Milton, als Mitbewerber um die Vertretung der Grafschaft aufgetreten, dem es ein Geringes war, die großen Kosten zu bestreiten, welche eine Wahl ins Parlament für den Gewählten mit sich führte. Es galt nämlich für ihn, allen Wählern, welche ihm seine Stimme geben sollten, die Kosten der Reise nach dem Wahlorte zu vergüten und das verursachte besonders in einer so weitausgedehnten Grafschaft, wie die Grafschaft York, höchst bedeutende Ausgaben. Traten mehrere Bewerber um die Stimmen der Wähler auf, so hatte in der Regel, wenn es sich nicht gerade um besondere Parteiinteressen handelte, derjenige die meiste Aussicht, gewählt zu werden, welcher sich bei Vergütung der Reisekosten am freigebigsten zeigte und den Ersatz so bemaß, daß auch wohl nach gemachter Reise noch etwas Erkleckliches in der Tasche blieb.

Wilberforce hatte jetzt, wo er für eine Familie zu sorgen hatte, nicht Lust einen großen Teil seines Vermögens für einen Sitz im Unterhause zu opfern und ließ dies einmal in einer Versammlung seiner Freunde zu York so nebenher fallen. Da rief aber sofort jemand: »Wir dürfen unseren Wilberforce nicht verlassen, daher unterzeichne ich 500 Pfund zu den Wahlkosten.« – Und siehe im Handumdrehen gleichsam war die bedeutende Summe von 18000 Pfund (360000 Mark) durch die Anwesenden gezeichnet und stieg nachher noch durch weitere Zeichnungen auf 64455 Pfund, über eine Million Mark. Es wurde als eine Ehrensache für die Grafschaft angesehen, ihremlangjährigen hochgeschätzten Vertreter jedes persönliche Opfer an Geld zu ersparen, wo derselbe so treu und mit so hingebender Selbstverleugnung der Grafschaft seine Kraft und Zeit widmete.

Nun erhielt zwar am ersten Wahltage Lord Milton mehr Stimmen als Wilberforce, allein am folgenden Tage stellten sich die für Wilberforce Stimmenden in so großer Zahl ein, daß dessen Name mit großer Mehrheit aus der Wahl hervorging. Es hatte den Gegnern wenig geholfen, daß sie über Wilberforce die nachteiligsten Gerüchte auszusprengen suchten, ja ihn sogar schon für tot erklärten, weil er wegen einer leichten Unpäßlichkeit das Zimmer hüten mußte.

Aber auch jetzt war es nur Dank gegen Gott, der ihm solche Gunst bei den Menschen geschenkt habe, was sein Herz erfüllte, aber auch nicht die leiseste Regung von Hochmut, wie hätte er sonst die folgenden demütigen Worte in sein Tagebuch schreiben können, worin er sich gewöhnt hatte, all sein Denken und Fühlen niederzulegen? »Wenn ich auf meine Thätigkeit im Parlamente zurückblicke,« schreibt er da, »und sehe, wie wenig ich im ganzen genommen die Lehre Gottes und meines Heilandes geziert habe, so bin ich beschämt und beuge mich in den Staub. Möge, o Herr, alle Zeit, welche mir noch übrig ist, besser angewendet werden! Doch komme ich mit allen meinen Sünden, Vernachlässigungen und Irrtümern zum Kreuze und vertraue auf die freie Gnade Gottes in Christo, als auf meine einzige Hoffnung und Zukunft.«

Überhaupt war er, selbst in den bewegten Tagen der Wahlzeit überaus ruhig und sorglos wegen der bevorstehenden Entscheidung. Wußte er doch, daß die Entscheidung fallen werde und fallen müsse, wie es in GottesRat und Willen beschlossen sei, und in den sich ganz zu fügen und immer völliger sich fügen zu lernen, war für ihn Hauptsache. So berührte er, als er am Sonntage vor der Wahl den Besuch eines Geistlichen empfing, diese mit keiner Silbe, sondern unterredete sich zu dessen großer Bewunderung lediglich über geistliche Dinge, wie es dem Tage des Herrn angemessen war.

Und in einem Briefe an seine Frau aus diesen Tagen heißt es unter Anderem: »Wie schön muß Broomfield (der damalige Aufenthaltsort seiner Familie) in diesem Augenblicke sein! Auch hier ist spanischer Flieder und Weißdorn an warmen Stellen in Blüte. Ich stelle mir oft vor, wie ich den Garten mit Dir und den Kleinen durchstreife, und gewiß habe ich mich im Geiste mehrmals täglich mit Euch vereinigt und gehofft, wir wendeten uns zugleich an den Thron der Gnade. Wie barmherzig und gnädig ist Gott gegen mich! Gewiß muß ich die allgemeine Liebe, welche ich erfahre, als einen besonderen Beweis der Güte des Allmächtigen ansehen. Wahrlich kein Mensch hat soviel Ursache, den Ausspruch zu dem seinigen zu machen: »Gutes und Barmherzigkeit sind mir gefolgt mein Leben lang.« Ich danke Gott, mein Geist ist ruhig und heiter. Ich kann Ihm ohne Ängstlichkeit den Ausgang überlassen und wünsche nur, daß ich in der Stellung, in welche ich gesetzt werden mag, die Lehre Gottes und meines Heilandes und mein christliches Bekenntnis ehren möge. Ich muß gute Nacht sagen. Möge Gott dich segnen! Küsse die Kleinen und grüße freundlichst das ganze Haus und andere Freunde! Wenn es bei Euch so heiß gewesen ist, wie bei uns, (bei Ostwind zeigte das Thermometer um 12 Uhr im Schatten 77° Fahrenheit!) so müßt Ihr viel ausgestanden haben. Jeder Segen treffe Dich und dieunsrigen in Zeit und Ewigkeit. Immer Dein anhänglicher W. Wilberforce.«

Eine leichte Lungenentzündung, die ihn im Dezember 1807 befiel, hinderte Wilberforce, an der Parlamentssitzung dieses Winters teilzunehmen. Als aber im März 1808 eine sogenannte »afrikanische Stiftung« errichtet wurde, welche sichs zur Aufgabe stellte, dahin zu wirken, daß das Gesetz wegen Aufhebung des Sklavenhandels auch wirklich zur Ausführung gebracht werde, ließ er sich, obwohl seine Krankheit noch nicht völlig überwunden war, doch nicht abhalten, sich an dieser Stiftung mit allem Eifer zu beteiligen. Ohnehin schien es ihm, daß sich jetzt in Spanien, welches dem französischen Eroberer so kräftigen Widerstand im Volkskriege entgegensetzte, eine Stimmung bilden müsse, die der Aufhebung des Sklavenhandels auch in diesem Lande, das ihn ohnehin nur schwach betrieb, günstig wäre. Wo man Unterdrückung und Grausamkeit so verabscheuen lerne, meinte er, wie es jetzt die Spanier durch die Franzosen lernten, da könne man auch die Grausamkeiten des Sklavenhandels fernerhin nicht mehr ruhig mitansehen und dulden.

Während er selber sich mit den spanischen Ministern in Verbindung setzte und von diesen auch die Zusicherung ihrer thätigen Teilnahme empfing, forderte er seinen Schwager Stephen auf, eine Flugschrift an das spanische Volk zu richten, um dasselbe über den Sklavenhandel gründlich zu belehren und ihm die Gräuel dieses Handels recht gründlich aufzudecken.

Ebenso schrieb Wilberforce an den Präsidenten der vereinigten Staaten Nordamerikas, um eine Übereinkunft herbeizuführen, nach welcher es jedem Staate freistehen sollte, die Sklavenschiffe des andern wegzunehmen, um soden schändlichen Handel, gegen den sich jetzt auch die Nordamerikaner auflehnten, völlig lahm zu legen. Denn es war allerdings so gekommen, wie die »Westindier« im Parlamente vorausgesagt hatten, der Sklavenhandel, wenn auch gesetzlich verboten, wurde doch insgeheim und gegen das Gesetz fortgetrieben. Deshalb erwirkte Wilberforce auch bei dem Ministerium, daß den englischen Beamten auf den westindischen Inseln die größte Wachsamkeit in betreff des Sklavenhandels zur Pflicht gemacht wurde, und wandte sich eben deshalb auch an den englischen Konsul in Brasilien.

Als er erfuhr, daß auf der ostindischen Insel Ceylon aus Rücksichten der Sparsamkeit fast alle christlichen Schulen geschlossen worden seien und dadurch die Verbreitung des Christentums dort aufs tiefste geschädigt sei, machte er auch diese Sache bei dem Ministerium anhängig und erwirkte, daß die alten Schulen zum größten Teile wieder eröffnet und neue gegründet wurden.

So wirkte Wilberforce auch außerhalb des Parlamentes nach allen Seiten hin, wo sich nur die geringste Veranlassung bot, zum Segen der Menschheit und setzte seine schwache Körperkraft unbedenklich ein, wo es galt, etwas Gutes zu schaffen.

Um auch während der Parlamentssitzungen bei seiner Familie sein zu können, bezog er mit derselben, die bisher in dem etwas weiter von London entlegenen Broomfield gewohnt hatte, jetzt eine dem Parlamentshause näher gelegene Wohnung in Kensington Gore. Denn er fühlte es immer mehr als eine heilige Pflicht, die er bisher wegen seiner ausgebreiteten öffentlichen Thätigkeit viel zu wenig hatte erfüllen können, sich selbst mit der Erziehung seiner Kinder zu befassen, deren Zahl im Laufe der Jahreauf 6 herangewachsen war, darunter 4 Söhne und 2 Töchter. Zwar konnte er sich darauf verlassen, daß seine Frau den günstigsten Einfluß auf dieselben üben und besonders auch für ihre christliche Erziehung sorgen werde; aber es drängte sein Vaterherz, gerade in der letzten Beziehung seinen Kindern auch selbst etwas zu werden und ihnen aus dem reichen Schatze seines Herzens mitzuteilen, was ihm selber von Gott gegeben war.

Wenn er gehofft hatte, dies in der neuen Wohnung besser als bisher thun zu können, so war das freilich eine Täuschung; denn sein gastfreies Haus wurde gerade hier mehr denn je von Besuchern heimgesucht, ohne daß er es hindern konnte und wollte. Nur die frühen Morgenstunden blieben ihm frei, und diese war er seit langer Zeit gewöhnt, der Beschäftigung mit Gott vor Allem und dann seinen wichtigsten Arbeiten zu widmen.

So nahm er denn nicht ungern das Anerbieten eines Freundes an, dessen leerstehenden Landsitz in Sussexshire mit seiner Familie zu beziehen, nachdem die Parlamentssitzung des Jahres 1810 beendet war. Und hier konnte er sich nun ganz seinen Kindern widmen, was ihm bisher nur an den Sonntagen möglich gewesen war. Dann pflegte er mit ihnen nach der gemeinsamen Familienandacht regelmäßig zur Kirche zu gehen und den übrigen Teil des Tages mit ihnen im Garten oder auf Spaziergängen zu verbringen.

Hier in der ungestörten Stille des Landlebens konnte er ihre ganze Art und Weise beobachten und je nach der Verschiedenheit der bei ihnen sich zeigenden Neigungen und Anlagen seine erziehliche Einwirkung regeln. Vor Allem suchte er durch Liebe und Freundlichkeit, die er ihnen in reichster Fülle entgegenbrachte, ihre Herzen auch an sichzu fesseln, wie sie bereits auf das innigste an das treue Mutterherz gefesselt waren, und sich so einen wirksamen Einfluß auf ihr Gemüt zu sichern. Aber er ließ es ihnen gegenüber auch an dem nötigen Ernste nicht fehlen und strafte sie unnachsichtig, wo es sich nötig erwies. Sie in das rechte Verhältnis zu Gott, ihrem himmlischen Vater zu bringen, war und blieb jedoch seine Hauptsorge. Nur wachte er ängstlich darüber, daß sich in dieses Verhältnis nichts Unächtes und Gemachtes einschleiche, und daß die Kinder nicht Gefühle erheuchelten, die ihren Herzen fremd waren. Wenn er in ihnen die Liebe zu Gottes Wort und zur Kirche zu erwecken und zu nähren bemüht war, so that er das mehr durch sein eigenes Vorbild als durch Worte der Mahnung.

Aus diesem für ihn selbst so lieblichen, für seine Kinder aber so ersprießlichen Stillleben wurde er indes bald durch die Nachricht aufgeschreckt, daß der König Georg III. ernsthaft erkrankt sei und deshalb schon am 1. November eine Sitzung des Parlamentes stattfinden müsse, um wegen einer Stellvertretung in der Regierung des Landes zu beraten. Da die Ärzte die Krankheit des Königs für hoffnungslos erklärten, so übernahm der Kronprinz, oder wie er in England stets heißt: der Prinz von Wales, im Januar 1811 die Regierung.

Jetzt, wo eine Auflösung des Parlamentes und neue Wahlen zu erwarten standen, legte sich Wilberforce der Gedanke nahe, die mit so vieler Mühe und Arbeit verbundene Vertretung der großen Grafschaft York aufzugeben und sich lieber für einen kleineren Bezirk wählen zu lassen. Die sorgfältige Beschäftigung mit seinen Kindern hatte ihn die Notwendigkeit eines solchen Schrittes deutlich einsehen gelehrt.

Seinen bisherigen Wählern wollte es freilich gar nicht einleuchten, daß sie den Mann verlieren sollten, der so lange mit hingebender Treue ihre Interessen im Parlamente vertreten hatte, und dessen Namen im ganzen Lande einen so hellen, guten Klang besaß; es bedurfte einer wiederholten bestimmten Erklärung von seiner Seite, daß er die ihm angetragene Wahl für den Flecken Bramber annehmen wolle, ehe sie an die Festigkeit seines Entschlusses glaubten. Aber als sie nicht mehr zweifeln konnten und ihn schweren Herzens aufgeben mußten, ehrten sie seine Verdienste um sie mit einer warmen anerkennenden Dankadresse.

Daß Wilberforce dem Parlamente seine Thätigkeit nicht ganz entzog, wurde selbst von Solchen, die bisher seine Gegner gewesen waren, anerkannt und mit Freuden begrüßt.


Back to IndexNext