VII.
Die freie Zeit, welche Wilberforce dadurch gewann, daß er nicht mehr soviel mit der Vertretung seines Wahlbezirks zu thun hatte, verwendete er außer für die Sklavensache, von welcher er täglich neu die Erfahrung machte, wieviel dabei noch zu thun sei, in der That jetzt in der gewissenhaftesten Weise für die Erziehung seiner Kinder. Er ließ sich dabei von der erfahrenen Kinderfreundin und Jugendlehrerin beraten, mit der er in so genauer, freundlicher Beziehung stand, von Hannah More.
Sooft die Kinder, welche schon so weit erwachsen waren, daß sie auswärtige Schulen besuchten, nach Hause kamen, suchte er sich ihnen ganz zu widmen und ihnen durch Liebeund Freundlichkeit das Elternhaus recht teuer zu machen. War er mit ihnen auf dem Lande, so nahm er trotz seiner 50 Jahre lustig an ihren Spielen teil und entwickelte dabei einen solchen Eifer, daß er einmal wegen einer Verletzung am Beine, die er beim Ballspiel davongetragen hatte, mehrere Wochen das Zimmer hüten mußte.
Dazwischen las er mit ihnen unterhaltende und belehrende Schriften, aber nicht ohne dieselben vorher auf ihren Inhalt genau angesehen zu haben, und würzte oder vervollständigte das Gelesene durch Mitteilungen aus seiner eigenen reichen Lebenserfahrung. Vornehmlich suchte er bei ihnen, soweit es ihrem Lebensalter angemessen war, eine rechte Liebe zu dem Worte Gottes zu erwecken, indem er es nicht allein täglich in den Familienandachten vorlas, sondern auch Besprechungen daran knüpfte und es in recht verständlicher, kindlicher Weise auslegte. Dabei war aber, wie schon bemerkt worden ist, seine ängstlichste Aufmerksamkeit darauf gerichtet, daß seine Kinder in der Wahrheit blieben und daß kein gemachtes Wesen bei ihnen aufkam. Mit dem bittersten Ernste strafte er alles, was nur an das Gebiet des geistlichen Geschwätzes anzustreifen schien, und mahnte unablässig zur Nüchternheit und Aufrichtigkeit.
Noch ernster nahm er es damit, als er erfuhr, daß der Sohn eines Freundes auf böse Wege geriet und ein trauriges Ende nahm, weil er im elterlichen Hause durch unaufhörliche Beschäftigung mit religiösen Dingen einen vollständigen Widerwillen gegen alle Religion gefaßt hatte und sich, sowie er dem elterlichen Hause entwachsen war, ganz und gar dem Unglauben und der Freigeisterei in die Arme geworfen hatte.
Gern gestattete er seinen Kindern harmlose Lebensfreudenund Erheiterungen, ja suchte ihnen selber solche in jeder möglichen Form zu bereiten. Überhaupt huldigte er bei der religiösen Erziehung seiner Kinder dem unzweifelhaft richtigen Grundsatze: »Sprich mehr zu Gott über deine Kinder, als zu deinen Kindern über Gott!«
Wie treulich er das erstere that, mag eine Stelle aus seinem Tagebuche zeigen, worin er sich selbst anklagend sagt: »Ich bin mir der Unzulänglichkeit meiner Kräfte in allem, was die Erziehung meiner Kinder betrifft, wohl bewußt, hoffe aber in Demut und Zuversicht, daß ich in Wahrheit sagen kann: die geistlichen Angelegenheiten meiner Kinder sind das Hauptziel meines Strebens. Es kommt mir mehr darauf an, sie als wahre Christen, denn als große Gelehrte oder sonst ausgezeichnete Leute zu sehen. Ich bitte Gott ernstlich um Weisheit für mich und um reichliche Gnade für meine Kinder, und bin dabei fest entschlossen, alle meine Maßregeln genau zu überlegen und dann erst zu handeln. In Beziehung auf den Erfolg bin ich dann auf Grund der Verheißungen in der Schrift guten Mutes.«
Um erkennen zu lassen, in welch herzlicher, kindlicher Weise Wilberforce mit seinen Kindern zu verkehren verstand, lassen wir hier einen Brief folgen, den er bei einer längeren Abwesenheit von Hause an einen seiner jüngeren Söhne richtete, und der zugleich darthut, daß er auch bei den dringendsten Geschäften doch Zeit zu gewinnen wußte, um sich mit seinen Kindern brieflich zu unterhalten.
»Mein teuerster Sohn!« schreibt er, »es gefällt mir gar nicht, daß Du das einzige von meinen Kindern bist, welches während meiner Abwesenheit nicht an mich geschrieben hat und daß Du das einzige sein solltest, an welches ich nicht schriebe. Daher ergreifeich meine Feder, wenn auch nur für sehr wenige Augenblicke, um Dir zu versichern, daß ich nicht vermute, Dein Schweigen sei aus einem Mangel an Zuneigung entsprungen, sowenig als das meinige aus derselben Quelle herzuleiten ist. Es giebt einen gewissen bösen Geist, genannt »Aufschub«, welcher ein Schloß in der Luft zu Sandgate (NB. dem augenblicklichen Aufenthaltsorte der Familie) sowohl, wie an vielen anderen Plätzen bewohnt. Ich vermute, daß Du eines Tages, vielleicht an dem Schwanz Deines Drachen, aufgefahren bist und Dich in diesem Schlosse niedergelassen hast, worin es sehr große weite Zimmer mit herrlichen Aussichten nach allen Richtungen giebt. Wahrscheinlich wirst Du diese Wohnung nicht verlassen wollen, bis Du hörst, daß ich auf dem Wege nach Sandgate bin. Du könntest dort den »Morgen-Mann« (d. h. der alles auf morgen verschiebt) treffen, und ich hoffe, Du wirst von ihm verlangen, den Rest der unterhaltenden Geschichte zu hören, von welcher Miß Edgeworth einen Teil erzählt hat, obgleich ich fürchte, er wird zu sehr nach dem Geiste des Platzes handeln, als daß er nicht einen Teil der Geschichte noch unerzählt lassen sollte – bis morgen. Doch ich treibe Scherze und bin doch diesen Morgen ungewöhnlich in meiner Zeit beengt. Ich will darum, mein teuerstes Kind, Dich nur noch ernstlich vor dem Aufschub warnen, als einem der gefährlichsten Feinde einer nützlichen Wirksamkeit, und Dir versichern, daß ich bin heute, morgen und immer, solange ich lebeDein Dich liebender Vater W. Wilberforce.«
»Mein teuerster Sohn!« schreibt er, »es gefällt mir gar nicht, daß Du das einzige von meinen Kindern bist, welches während meiner Abwesenheit nicht an mich geschrieben hat und daß Du das einzige sein solltest, an welches ich nicht schriebe. Daher ergreifeich meine Feder, wenn auch nur für sehr wenige Augenblicke, um Dir zu versichern, daß ich nicht vermute, Dein Schweigen sei aus einem Mangel an Zuneigung entsprungen, sowenig als das meinige aus derselben Quelle herzuleiten ist. Es giebt einen gewissen bösen Geist, genannt »Aufschub«, welcher ein Schloß in der Luft zu Sandgate (NB. dem augenblicklichen Aufenthaltsorte der Familie) sowohl, wie an vielen anderen Plätzen bewohnt. Ich vermute, daß Du eines Tages, vielleicht an dem Schwanz Deines Drachen, aufgefahren bist und Dich in diesem Schlosse niedergelassen hast, worin es sehr große weite Zimmer mit herrlichen Aussichten nach allen Richtungen giebt. Wahrscheinlich wirst Du diese Wohnung nicht verlassen wollen, bis Du hörst, daß ich auf dem Wege nach Sandgate bin. Du könntest dort den »Morgen-Mann« (d. h. der alles auf morgen verschiebt) treffen, und ich hoffe, Du wirst von ihm verlangen, den Rest der unterhaltenden Geschichte zu hören, von welcher Miß Edgeworth einen Teil erzählt hat, obgleich ich fürchte, er wird zu sehr nach dem Geiste des Platzes handeln, als daß er nicht einen Teil der Geschichte noch unerzählt lassen sollte – bis morgen. Doch ich treibe Scherze und bin doch diesen Morgen ungewöhnlich in meiner Zeit beengt. Ich will darum, mein teuerstes Kind, Dich nur noch ernstlich vor dem Aufschub warnen, als einem der gefährlichsten Feinde einer nützlichen Wirksamkeit, und Dir versichern, daß ich bin heute, morgen und immer, solange ich lebe
Dein Dich liebender Vater W. Wilberforce.«
Wie er aber mit seinen Kindern zu scherzen verstand,ließ es Wilberforce im Verkehre mit ihnen auch nicht am heiligsten Ernste fehlen. Das zeigt der Schluß eines Briefes, den er an seinen ältesten 17jährigen Sohn richtete, und darin es heißt:
»Da ich alle meine Zeit aufgewendet und auch die Deinige in Anspruch genommen habe, so muß ich zum Schlusse eilen, aber nicht ohne in wenigen Worten meinem teuern William zu versichern, wie oft ich an ihn denke, wie oft ich für ihn bete. O mein teuerster Sohn, ich beschwöre Dich ernstlich, Dich nicht verführen zu lassen zur Vernachlässigung, Abkürzung oder Übereilung Deiner Morgengebete. Vor allen Dingen hüte Dich, Gott in Deinem Kämmerlein zu vernachlässigen. Nichts ist gefährlicher für das Leben und die Macht der Religion, nichts veranlaßt gewisser Gott, seine Gnade zu entziehen. Lebe wohl, mein geliebter William, mein Erstgeborner, und o mein teuerster Sohn, halte im Gedächtnis, was für eine Quelle der Freude oder des Grams Du Deiner Dich liebenden Mutter sein kannst und Deinem Dich liebenden Vater und FreundeW. Wilberforce.
»Da ich alle meine Zeit aufgewendet und auch die Deinige in Anspruch genommen habe, so muß ich zum Schlusse eilen, aber nicht ohne in wenigen Worten meinem teuern William zu versichern, wie oft ich an ihn denke, wie oft ich für ihn bete. O mein teuerster Sohn, ich beschwöre Dich ernstlich, Dich nicht verführen zu lassen zur Vernachlässigung, Abkürzung oder Übereilung Deiner Morgengebete. Vor allen Dingen hüte Dich, Gott in Deinem Kämmerlein zu vernachlässigen. Nichts ist gefährlicher für das Leben und die Macht der Religion, nichts veranlaßt gewisser Gott, seine Gnade zu entziehen. Lebe wohl, mein geliebter William, mein Erstgeborner, und o mein teuerster Sohn, halte im Gedächtnis, was für eine Quelle der Freude oder des Grams Du Deiner Dich liebenden Mutter sein kannst und Deinem Dich liebenden Vater und Freunde
W. Wilberforce.
Derartige Briefe wechselte der Vater wenigstens einmal wöchentlich mit seinen Kindern, und um nie daran gehindert zu sein, führte er stets Schreibgeräte bei sich, und schrieb nicht selten aus den Häusern seiner Freunde, bei denen er eingetreten war.
Wenn wir bisher nur seiner eigenen Bemühungen um seine Kinder gedacht haben, so soll damit aber keineswegs angedeutet sein, als ob er dabei nicht in voller Gemeinschaft und in vollem Einklange mit seiner Gattin gehandelt habe. Im Gegenteile waren beide Eltern stets vereintin liebender Fürsorge für die Kinder. Dafür mag nachfolgende Stelle Zeugnis geben, die einem Briefe entnommen ist, den Wilberforce an seine Frau schrieb:
»Möge Gott Dich segnen, und wenn es so sein Wille ist, möchten wir noch lange einander erhalten werden! Ich hege die lebendige Überzeugung, daß dies sehr auf dem Verhalten unserer Kinder beruht. Wie ich oft gesagt habe, laß es für uns ein Grund sein, danach zu trachten, daß wir selbst in der Gnade wachsen. Denn je mehr wir selbst die Gunst des Himmels zu erlangen suchen, um mich so auszudrücken, desto sicherer werden wir, was wir ja inbrünstig erbitten, das Heil unserer Kinder fördern. O daß ich nur noch sehen könnte, wie sie ihre Herzen Gott darbringen! Ich denke, dann könnte ich mich freudig zur Ruhe legen.«
Über solch treuer Fürsorge für seine Kinder vergaß jedoch Wilberforce seine Sklavensache durchaus nicht, sondern benutzte die größere Freiheit von eigentlichen Berufsgeschäften, die er jetzt genoß, dazu, diese Sache auf immer weitere und höhere Bahnen zu bringen. Er wußte ja freilich wohl, daß ein Werk, das zu seiner Vorbereitung allein soviele Jahre erfordert hatte, und so schweren, heißen Kampf, nicht in kurzer Zeit vollendet dastehen könne, und deshalb steuerte er geduldig und beharrlich, Schritt um Schritt dem Endziele zu, das aber jetzt nicht mehr blos die Aufhebung des Sklavenhandels für ihn war, sondern die gänzliche Abschaffung der Sklaverei.
Einstweilen konnte er sich nicht darüber täuschen, daß der Sklavenhandel ruhig seinen Gang fortging, daß selbst englische Schiffe trotz des bestehenden gesetzlichen Verbots ihn fortsetzen. In Voraussicht dessen hatte er schon sogleich nach seinem Siege im Parlamente darauf gedrungen,daß englische Kriegsschiffe an die afrikanischen Küsten beordert würden, um dort zu kreuzen, jedes englische Sklavenschiff wenigstens wegzunehmen und die darauf befindlichen Neger wieder in Freiheit zu setzen.
Jetzt unterstützte er eifrig den Vorschlag, freie Arbeiter in die westindischen Kolonien überzuführen, welche dort gegen bestimmten Lohn auf den Plantagen arbeiteten.
Vor Allem aber kam es darauf an, sorgfältig darüber zu wachen, und die geeigneten Maßregeln zu treffen, daß nicht, sei es heimlich durch englische, sei es öffentlich durch spanische, französische oder portugiesische Schiffe immer neue Neger in jene Kolonien eingeführt würden. Deshalb sollten die Namen sämtlicher Negersklaven, die sich dort bereits befänden, in öffentliche Listen eingetragen, und jeder Pflanzer bestraft werden, der bei einer eintretenden Untersuchung im Besitze eines nicht eingetragenen Sklaven befunden würde.
Das wäre denn freilich ein gewaltiger Eingriff gewesen in die Rechte der einzelnen Kolonien und ihrer Regierungen, welche ziemlich selbständig wirtschafteten, und es stand zu befürchten, daß eine gewaltige Aufregung in allen Kolonien die Folge wäre. Daher glaubte man am besten zu thun, wenn man zuerst auf der Insel Trinidad, der südlichsten der kleinen Antillen vor dem Meerbusen von Paria, einen Versuch mit der Einregistrierung der Sklaven machte. Denn diese Insel, welche die Engländer von den Spaniern erobert hatten und welche 1802 im Frieden von Amiens förmlich an sie abgetreten worden war, hatte noch keine so selbständige Regierung, daß man auf dieselbe besondere Rücksichten hätte nehmen müssen.
Der Minister Perçeval, welcher seit 1807 das Ministerium leitete und Wilberforce in seinen Bestrebungengerne unterstützte, erließ auch wirklich den Befehl, daß die Registrierung der Negersklaven auf Trinidad sofort zu geschehen habe, und war auch weiter durchaus nicht abgeneigt, diese Maßregel, wenn sie sich hier als wirksam zur Hemmung des Sklavenhandels bewähre, auf die übrigen westindischen Kolonieen Englands auszudehnen.
Aber der wohlwollende, christlich gesinnte Mann fiel am 11. Mai 1812 als das Opfer eines Wahnsinnigen, der ihn erschoß, tief betrauert von Wilberforce, der an ihm eine kräftige Stütze verlor und nun vorläufig wenig Aussicht hatte, daß die allgemeine Aufzeichnung der Sklaven in den Kolonieen zu stande komme. Nur in der »afrikanischen Stiftung« behielt man die Sache fest im Auge und zog sorgfältige Erkundigungen ein darüber, welche Wirkung die auf Trinidad ausgeführte Maßregel habe.
Inzwischen richtete Wilberforce, der nicht ruhen konnte, seine Blicke von Westindien nach Ostindien hinüber, für das er ja schon einmal seine Thätigkeit eingesetzt hatte, um dazu zu helfen, daß den dortigen Eingeborenen in reicherem Maße das Christentum gebracht werde, als es die sogenannte »ostindische Kompagnie« gethan haben wollte, die dort drüben fast unabhängig von der Regierung des englischen Mutterlandes die Kolonieen beherrschte.
Im Jahre 1813 erlosch nämlich einmal wieder der jener Kompagnie von England bewilligte Freibrief, laut dessen sie nicht blos den ganzen Handel mit England und allen anderen Ländern betrieb, sondern auch so ziemlich nach freiem Ermessen und Gutdünken wirtschaften konnte und dafür nur eine bestimmte Abgabe an die englische Regierung entrichtete. Viele Stimmen sprachen sich nun dafür aus, daß der Freibrief in seiner bisherigen Ausdehnung nicht mehr ausgestellt und dadurch jene Kompagniezu einer beherrschenden Macht im Staate gemacht werden dürfe. Dies glaubte Wilberforce benutzen zu müssen, um einen Druck auf die ostindische Kompagnie auszuüben, daß sie, wie es auch sonst mit ihrem Freibriefe ergehen möge, wenigstens genötigt würde, die Hemmnisse zu beseitigen, welche sie bisher der Ausbreitung des Christentums in den Weg gelegt hatte. Er brachte die Angelegenheit im Parlamente zur Sprache, unterstützt von 900 Bittschriften, die er aus allen Teilen Englands zusammengebracht hatte. Er bot wieder seine ganze Beredtsamkeit auf und erreichte es zu seiner großen Freude auch wirklich, daß sich die große Mehrzahl des Parlaments zu Beschlüssen vereinigte, in Folge deren der Missionsarbeit in Ostindien kein Hindernis mehr bereitet werden konnte.
Auch in seiner Sklavensache durfte er einen erfreulichen Fortschritt verzeichnen. Es war ihm nämlich schon lange ein Dorn im Auge gewesen, daß auf der einzigen Besitzung Schwedens in Westindien, auf der kleinen Insel St. Barthelemy, ein bedeutender Sklavenmarkt bestand, auf dem sich die westindischen Pflanzer trotz der Wachsamkeit der englischen Kriegsschiffe leicht mit Sklaven versorgen konnten, solange nicht die oben erwähnte Maßregel, die Sklaven aufzuzeichnen, allgemein durchgeführt war.
Als nun Schweden, das auf Napoleons Befehl an England hatte den Krieg erklären müssen, aber unter diesem Kriegszustande selbst am meisten litt, nach Napoleons Niederlage in Rußland sich zum Anschlusse an die gegen Napoleon verbündeten europäischen Mächte entschloß und mit England seinen Frieden zu machen suchte, drang Wilberforce bei den Ministern darauf, daß in die Friedensbedingungen, die England stellte, auch die aufgenommen würde, daß Schweden den Sklavenhandel aufgeben undaufheben müsse. Es wurde ihm willfahrt, und als erst Schweden sich in Folge dessen zur Aufhebung des Sklavenhandels herbeigelassen hatte, folgte ihm auch Dänemark bald freiwillig darin nach.
Auch vom Festlande herüber kamen verheißungsvolle Nachrichten, welche ein baldiges Ende von Napoleons Gewaltherrschaft und einen dauernden Frieden in Aussicht stellten, bei dessen Schließung etwas für die Sklavensache Ersprießliches durchzusetzen möglich schien. Und als das Gehoffte geschehen war, als Napoleon entthront und von seinen Marschällen aufgegeben, auf der Insel Elba saß, wie frohlockend schrieb da Wilberforce an seine alte Freundin Hannah More! Hatte er doch allezeit den Corsen für eine Gottesgeißel gehalten, die der Herr, wenn er sie zur Züchtigung der Völker gebraucht hätte, wieder wegwerfen würde. »So hat denn,« schrieb er jetzt, »die Dynastie Buonaparte aufgehört, zu regieren, wie Freund Talleyrand uns benachrichtigt; das hat Gott gethan! Wie sehr wünschte ich nur, daß mein armer alter Freund Pitt noch lebte, um Zeuge von dieser Entwickelung des 25 Jahre dauernden Dramas zu sein!« – Wie ergriff er aber auch sofort die Gelegenheit, aus der völlig veränderten Lage Frankreichs für die Sklavensache Nutzen zu ziehen!
Kaum hatte Ludwig XVIII. wieder seinen Einzug in Paris gehalten und den französischen Thron bestiegen, als er seinen Schwager Stephen veranlaßte, ein Schreiben an denselben zu richten und ihm ehrerbietig vorzustellen, wie nun, wo England und Amerika, Schweden und Dänemark den schändlichen Sklavenhandel abgestellt hätten und selbst Portugal seine Grausamkeit und Ungerechtigkeit nicht mehr in Abrede stellte, ja sich zu allmählicher Aufhebung desselben verstehen wolle, Frankreich nicht zurückbleiben dürfe,da ohnehin während der langen Kriegszeit ihm dieser Handel so gut wie verloren gegangen wäre und eine gesetzliche Abschaffung desselben keine Interessen seiner Bewohner schädigen könnte.
Wilberforce selbst aber entschloß sich, an den Kaiser von Rußland zu schreiben, als an den mächtigsten unter den verbündeten Monarchen, und ihn um seine Mitwirkung zur völligen Abschaffung des Sklavenhandels zu bitten. Dieser Brief war ihm so wichtig, daß er, was er sonst nie that, selbst einen Sonntag darauf verwendete, freilich nicht ohne sich nachher ernstlich selbst darüber zu strafen.
Am Schlusse dieses Briefes hieß es: »Aber obgleich die Schuld und die Schande dieses schrecklichen Handels Großbritannien nicht mehr trifft, so besteht er selbst doch noch, und in der Hoffnung, Sire, daß Sie Ihren mächtigen Einfluß zur Unterdrückung desselben anwenden, rufe ich Sie im Namen der Religion, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit an, Ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten. Dem göttlichen Segen vertraue ich diese Zeilen an. Möge das allmächtige Wesen, dem Sie, wie ich die Zuversicht hege, anhangen und dienen, welches Sie zum Hauptleiter bei der Befreiung des europäischen Festlandes von den Banden erhoben hat, in denen es durch eine geheimnißvolle Vorsehung so lange gehalten war, Sie zu dem geehrten Werkzeuge machen, durch welches es auch an Afrika seine gnädigen Absichten vollführt! Mögen Sie leben, Sire, ein Zeuge des gesegneten Erfolgs dieser Ihrer Wohlthaten, durch welche christliches Licht, sittliche Besserung und gesellschaftliches Wohlergehen über die in Nacht liegenden Gegenden kommen! Mögen Sie hören, wie die schwarzen Kinder nach der Schrift ihre Hände erheben zu dem allein wahren Gotte und nicht zeitlichen allein, sondern auchewigen Segen herabrufen auf das Haupt Alexanders, des Kaisers der Russen, als des größten unter ihren irdischen Wohlthätern!«
Wilberforce wollte durchaus, daß bei den Verhandlungen wegen des Pariser Friedens (Mai 1814) von seiten Englands die Forderung erhoben würde, daß die von ihm eroberten französischen Kolonieen nur unter der Bedingung zurückgegeben werden könnten, daß Frankreich sich zur Abschaffung des Sklavenhandels verstünde. Er setzte alles in Bewegung, um darauf hinzuwirken. Er wollte anfangs sogar selber in eigener Person nach Paris reisen und dort seinen Einfluß geltend machen, zog es jedoch endlich vor, zu Hause zu bleiben, weil ihm das Parlament ein geeigneterer Schauplatz für sein Wirken zu sein schien.
Aber obwohl der frühere Leiter der Sierra Leone-Gesellschaft, der zu den eifrigsten Gegnern des Sklavenhandels gehörte, an seiner Stelle hinüberging und seinen Einfluß auf den englischen Bevollmächtigten in vollem Maße geltend machte, konnte dieser doch nur erreichen, daß Frankreich die Wiedererlangung seiner sämtlichen Kolonieen durch das unbestimmte Versprechen bezahlte, den Sklavenhandel binnen 5 Jahren aufheben zu wollen. Der französische Hochmut, so tief er auch gedemütigt worden war, sträubte sich etwas anzunehmen, was von dem gehaßten England ausging und wie ein Befehl desselben aussehen konnte, und der englische Bevollmächtigte trug wohl diesem Hochmute zu sehr Rechnung.
Wilberforce war auf das bitterste enttäuscht, gab sich aber sofort daran, zu retten, was noch zu retten war. Er mühte sich ab, recht viele Bittschriften herbeizuschaffen, in welchen das Volk sein Bedauern ausspreche über dieWendung, welche die Sklavensache jetzt genommen habe, und sich sogar zu weiteren Opfern an Kolonieen bereit erklärte, um Frankreich die ihm bewilligten 5 Jahre Sklavenhandel damit abzukaufen, aber auch ernstlich darauf dränge, daß, wenn sich eine Verkürzung dieses Zeitraums nicht erreichen ließe, durch eine allgemeine Übereinkunft aller europäischen Staaten der Sklavenhandel nach Ablauf dieser 5 Jahre für Seeraub erklärt und in der Behandlung diesem gleichgestellt werde.
Diese Bittschriften, deren wirklich 800 zusammen kamen mit beinahe einer Million Unterschriften, und deren Übergabe an das Parlament Wilberforce, als »dem Vater unserer großen Sache« anvertraut wurden, sollten dazu führen, daß das Parlament eine Adresse an den Prinz-Regenten richte, worin die Bitte und der Wunsch Ausdruck fänden, der englische Bevollmächtigte für den bevorstehenden Wiener Kongreß möge beauftragt werden, fester und entschiedener, als es beim Pariser Friedensschlusse geschehen sei, in der Sklavenfrage aufzutreten.
Wirklich gelang es auch der Beredtsamkeit, mit welcher Wilberforce die Sache im Parlamente vortrug, zu bewirken, daß eine solche Adresse an den Prinz-Regenten beschlossen wurde. »Wenn alle jetzt Lebenden«, sagte er unter Anderem, »ihre Häupter zur Ruhe gelegt haben, und die Thaten, welche jetzt so mächtig alle Gefühle aufregen, durch die Feder des kalten, unparteiischen Geschichtschreibers berichtet werden; wenn man sehen wird, daß eine solche Gelegenheit wie die jetzige verloren wurde; daß die erste Handlung des wieder eingesetzten Königs von Frankreich die Wiederherstellung eines Handels in Knechtschaft und Blut war: was für ein Urteil wird sich dann bilden von den Anstrengungen, welche England gemacht, oder von demEinflusse, welchen es auf ein Volk unter so gewichtigen Verpflichtungen geäußert hat? Gewiß, man wird weder vom britischen Einflusse, noch von französischer Dankbarkeit eine hohe Meinung gewinnen!«
Als im Juli 1814 der Kaiser von Rußland und der König von Preußen, von ihren siegreichen Heerführern begleitet, einen Besuch in London abstatteten, hatte Wilberforce bei dem Kaiser Alexander mehrmals Audienz und wurde stets von ihm auf das huldvollste empfangen, ja erhielt die Erlaubnis, sich noch weiter schriftlich an ihn zu wenden, wenn er es für gut hielte.
Auch Friedrich Wilhelm III. wünschte Wilberforce kennen zu lernen und wurde so von ihm eingenommen, daß er ihm zum Andenken ein kostbares Porzellan-Service schenkte.
Der alte Blücher, der einer von Wilberforce geleiteten Versammlung beiwohnte, worin beraten werden sollte, wie man helfen könne, die Leiden lindern, welche der Krieg über Deutschland gebracht, erhielt von dem heiligen Eifer, mit welchem Wilberforce für die Notleidenden redete, einen so tiefen lebhaften Eindruck, daß er sich nachher demselben vorstellen ließ und sich in sehr herzlicher Weise mit ihm unterhielt, allerdings vermittels eines Dolmetschers, da er der englischen Sprache ebensowenig mächtig war, wie Wilberforce der deutschen.
Selbst von den Kosaken, die in Begleitung der Monarchen mit nach England gekommen waren, erzählt Wilberforce, daß sie obwohl sonst scheu gegen Jedermann, sich doch gegen ihn stets freundlich bewiesen hätten. Vielleicht hatten sie mitangesehen oder erfahren, daß nicht blos ihr Kaiser mit ihm freundlich gewesen, sondern auch der von ihnen so hoch geehrte »Marschall Vorwärts.«
Aber was half es viel, daß Wilberforce bei all' diesen Gelegenheiten, den Mächtigen der Erde nahezukommen, darauf bedacht nahm, wo es nur irgend anging, ein gutes Wort für seine Herzenssache einzulegen? Was half's, daß er sich wegen derselben mit den angesehensten Männern Frankreichs in Briefwechsel einließ? Was half's, daß der englische Bevollmächtigte beim Wiener Kongreß die bündigsten Anweisungen erhalten hatte von seiten des Prinz-Regenten, die Sklavensache mit aller Entschiedenheit so wie es Wilberforce wünschte, zu betreiben? – Der Erfolg all dieser Bemühungen war nur ein sehr geringer. Es wurde nur erreicht, daß der Sklavenhandel auf einen ganz bestimmten Teil der afrikanischen Küste beschränkt werden sollte. Denn außer dem Könige Ludwig XVIII. waren unter den höher gestellten Männern Frankreichs nur sehr wenige, die sich für die völlige Aufhebung des Sklavenhandels hatten gewinnen lassen. Daß diese Angelegenheit gerade von England so nachdrücklich betont, so kräftig betrieben wurde, gereichte ihr am allerwenigsten zur Empfehlung bei den Franzosen. Wie freudig man auch in Frankreich aufatmete, daß nun der Druck, welchen der Mann von Elba geübt hatte, aufhörte, es verdroß dennoch den französischen Hochmut im stillen, daß sich England allein unter den von ihm bekämpften Mächten unter diesen Druck nicht hatte beugen lassen.
Wer hätte aber denken sollen, daß das, was auf dem Wege friedlicher Unterhandlungen nicht hatte erreicht werden können, mit einem Male durch einen Machtspruch dessen hinausgeführt werden würde, der so lange nicht nur seinem eigenen, sondern auch fremden Völkern das Joch der Knechtschaft aufgedrückt hatte?
Am 1. März 1815 kehrte Napoleon von Elba zurücknach Frankreich, und wenn auch er sogleich von allen Monarchen Europas in die Acht erklärt wurde, war doch der Glanz seines Namens für die Eitelkeit der Franzosen so berückend, daß alle gegen ihn gesendeten Truppen des Königs dem gefeierten Feldherrn zufielen, und daß er ohne Widerstand den von dem geflüchteten Ludwig XVIII. verlassenen Thron Frankreichs wieder einnehmen konnte. Und – wer hätte sich nicht darüber wundern sollen? – eine seiner ersten Regierungshandlungen war die, daß er die gänzliche Aufhebung des Sklavenhandels verordnete, und zwar für sofort, ohne daß er sich an die im Pariser Frieden festgesetzte fünfzehnjährige Frist kehrte.
Allerdings dauerte ja die ganze wiederhergestellte Kaiserliche Herrlichkeit nicht länger als 100 Tage und wurde bei Waterloo und bei Belle-Alliance durch die Anstrengungen Blüchers und Wellingtons ohne jegliche Hoffnung auf Wiederauferstehung begraben; aber als Ludwig XVIII. wieder auf den Thron Frankreichs zurückgekehrt war, mußte es als eine Unmöglichkeit erscheinen, jenen Machtspruch Napoleons gegen den Sklavenhandel wieder aufzuheben.
Wilberforce freute sich selbstredend dieses erfolgreichen Machtspruchs von Herzen, wenn er auch deshalb von dem gefallenen Tyrannen keine bessere Meinung bekam. Er urteilte nach wie vor über ihn als eine Zuchtrute Gottes für die Völker Europas und drückte sich dahin aus, als er von seiner Wiederkunft von der Insel Elba hörte: »Er führt unbewußt den göttlichen Willen aus, und es ist wahrscheinlich, daß die Leiden, welche er früher über die Nationen Europas gebracht hat, die beabsichtigte Wirkung der Demütigung und Besserung nicht hervorbrachten; deshalbist es ihm erlaubt worden, noch einmal aufzutreten und die Summe des menschlichen Elends zu mehren.«
Es war gleichsam eine prophetische Anwandelung, die Wilberforce am 18. Juni, dem Tage der Schlacht bei Belle-Alliance zu seinen Kindern sprechen ließ, als er sie bei dem Kirchgange auf dem stillen Dorfe, wo er sich gerade mit ihnen befand, auf die Schönheit der Natur aufmerksam machte: »Vielleicht bestehen in diesem Augenblicke, da wir so in Frieden zum Hause Gottes gehen, unsere braven Soldaten einen heftigen Kampf in Belgien. O wie dankbar sollten wir für alle Güte Gottes gegen uns sein!«
Nach London zurückgekehrt, erfuhr er, daß sein »vielleicht« zur Wahrheit geworden war, und zwar aus sicherster Quelle. Denn ein Adjutant, den Blücher eigens herübergesandt hatte, brachte dem Prinz-Regenten die Freudenkunde von dem großen Siege, den die Engländer und Preußen nach heißem Kampfe erfochten hätten.
»Hat Ihnen der Marschall Blücher noch einen anderen Auftrag gegeben?« fragte der Prinz-Regent den willkommenen Boten.
»Ja,« antwortete dieser, »er hat mir aufgetragen, Herrn Wilberforce von allem, was vorgegangen ist, zu benachrichtigen.«
»So gehen Sie auf alle Fälle selbst zu ihm,« antwortete der Prinz-Regent, »Sie werden sich über ihn freuen.«