VIIIMynheer van Schleetens Erlebnisse

VIIIMynheer van Schleetens Erlebnisse

Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte, hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten hatte er Filialen oder Korrespondenten.

Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten, daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienstefür seinen Schützling, den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen, namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe Aussehen hatten, müde geworden.

Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief, die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu sein.

Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß.

Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen, dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten; er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer vanSchleetens Jugend war von verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen; sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte. Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein Bächlein.

Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären.

Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster Klasse eingenommen hatte, — seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz in der Fahrtrichtung — kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah, wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüberHerrn van Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das Studium der Morgenzeitungen.

Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete.

Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten, barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt, Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich selbst seine Ansichten über die jungen Leute vonheute kund, und nahm nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf.

Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet, diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie.

Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen? Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte; aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreibenkonnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie sich an ihn:

„Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“

„Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“

„Es ist gut!“

Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie unterbrach ihn sofort.

„Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“

Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor. Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue, daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen, streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van Schleeten zuwendete:

„Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“

Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke Zähne hatte, und daßihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen.

„Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war einfach unerhört.“

Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte, mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte gnädig:

„Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“

Herr van Schleeten verbeugte sich.

Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war, durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten Meinungsaustausch,ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs. Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief:

„Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“

Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie durchaus nicht telepathischer Natur waren.

Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte.

Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr Zimmer.

Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen. Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast zu sein.

Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben freimütigen Prinzessinnenmiene.

Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug.

„Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“ sagte Herr van Schleeten.

Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt.

„Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“ sagte sie.

Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper imSavoy Champagner und nicht Bordeaux serviert werden sollte.

Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung, daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im Grand Hotel Hermitage wünschte.

Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte, beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte sich ohne Aufschub in das Hotel.

Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das Wort:

„Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“

„Ja.“

„Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders wertvoll!“

„Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht gering sein werden.“

„Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte.

Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken. Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in das man ihn nicht einweihen wollte.

Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte, dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast umgefallen.

Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien. Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen; Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt sprühen zu lassen — und überall zwischen die anderen versprengt, Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich; schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine, deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel zu zeigen — schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zumodernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an den Maharadscha gewendet:

„Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“

„Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“

Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam.

„Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“

Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm gelang zu erwidern:

„Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“

„Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst. Es ist ja Ihre Spezialität.“

Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst in sich hineinmurmeln:

„Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“

Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr fort:

„Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier hier in London bringe, oder —“

„Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen, wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen vorzubeugen.“

„Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“

„Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig. „Am besten heute.“

„Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“

„Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“

„Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“

Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände,als er zur Türe hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen Ruf ihres Herrschers hereineilen.

Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen, in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und bat den Portier sie zu übergeben.

Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van Schleeten ungeahnte Ueberraschungen.

Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war, wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor.

„Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.

Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken.

„Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“

„Sie ist abgereist!“

In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in gesperrten Lettern wie ein Schauspieler.

„Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“

„Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper werden?

„Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“

Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst.

Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien.

„Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“

„Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt.

„Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der Maharadschaist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht ein Einbruch verübt worden.“

„Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs. Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen. „Sind die Juwelen gestohlen?“

„Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“

Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt? Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße. „Wann ist er verschwunden?“ stammelte er.

„Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie diskret!“

Herr van Schleeten atmete wieder.

Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger blutdürstig anzusehen.

„Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf.

„Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der Juwelier, der —“

„Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu—“

Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf die Türe zu.

„Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß ich nicht —“

„Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig — es ist ja doch eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado — Sr. Hoheit finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr. Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“

Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu, der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu.

„Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es momentan nicht sehr angenehm.“

„Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einenKutscher, der falsch gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein jeder hat seine Sorgen.“

„Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“

Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug, um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern; zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das Hotel.

Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar verstanden sie nur ihre Muttersprache.

Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangshalb abwesend durch das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit bewußt, daß er Hunger hatte.

Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige Gerichteà la carteund eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs. Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid.

Herr van Schleeten flog in die Höhe.

„Sie!“ rief er. „Sie!“

„Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank! Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“

Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte, ihr zu überreichen.

„Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“

Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der die Champagnerliste durchforschte,bemerkte, daß sie auf französisch bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner verschwunden war, sagte er:

„Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“

„In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder gebildete Mensch.“

Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen.

Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte, zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann! Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, dereinen einzigenguten Freund hat (Herr van Schleeten).

„Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie.

Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle Einschränkungen zu übernehmen.

„Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort.

Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas, im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen — man weiß schon. Ein bißchen Belagerung.

„Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ, wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“

Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich rasch aus seinem gierigen Griff retteten.

„Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt? Sind Sie sehr beschäftigt?“

Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist, daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen, und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch. Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort:

„Ichmußsie sehen!“ rief sie. „IchliebeJuwelen! Ueber alles andere auf Erden.“

„Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“

„Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten, ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“

Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu zeigen —

„All right.Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“

Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug. Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen:

„Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Esgäbeja eine Möglichkeit ...“

Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen.

„Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“

Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.

„Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn — ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen — und das —“

„Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können, lieber Freund! Siesindein Engel.“

Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen.

„Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“

„Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange arbeiten Sie denn dort?“

„So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten.

„Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“

„Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein.

„Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems.

Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet?

„Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte den Obersten vorbereiten,daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“

Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch hinweg seine Hand.

„Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“

„Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit gezogenen Säbeln vor den Türen, und —“

„Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß ich mit einem wirklichen Freund bin!“

Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys. Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft, erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ...


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