EIN DUMMER MENSCH

Guiseppe stand verlegen und verständnislos da.

"Das Söllingerhaus da drüben, Guisepp', das soll dir gehören, wenn'st —wenn'st nochmal sprengst, bloß mehr dies einzige Mal!" sagte Michael aschfahl und öffnete seinen Schreibtisch, legte drei Pulversäcke aufs Pult.

Der Italiener starrte ihn groß und schweigend an.

Als dies Michael bemerkte, sprudelte er fast bittend und hastig heraus: "Haben dich nie erwischt, Guisepp', nie! Hast dich immer rausgemacht—wirst's auch diesmal fertigbringen!"—

Und dann setzte er ihm den Plan auseinander.

Mitten im Gespräch horchte er jäh auf. Fern aus dem Dorf hörte man Wagengeknatter und "Hü"-Rufe. Der Gleimhans fuhr die Habe Reinalthers ins Schmiedhaus.

"Geh!" sagte Michael hastig zum Italiener. Mechanisch verließ dieser das Zimmer.—

Bis tief in die Nacht hinein schleppten der Gleimhans, der Söllinger und die Reinalther-Eheleute die Möbel in die wackeligen Kammern im ersten Stock des Schmiedhauses.

Es war eine windige, unruhige, stockdunkle Nacht. Manchmal trug eineWindwelle Laute und abgerissene Sätze herüber zur "Ferkelburg".

Michael ging zitternd im Turm auf und ab. Auf und ab. Von Zeit zu Zeit neigte er sich über den Schreibtisch und schrieb noch ein Wort oder einen Satz auf einen aufgeschlagenen Bogen Papier.

Jetzt riß der Wind die Schläge der Kirchturmuhr auseinander. Michael tappte ans Fenster, hob die Gardine ganz schmal beiseite und band den Strick an den Fenstergriff.

Und sah scharf und spähend ins Dunkel hinaus.

Da krachte es furchtbar. Ein riesiger Feuerklumpen brach in der Gegend des Schmiedhauses schleudernd in die Schwärze der Nacht.—

Und um die runde Anhöhe hetzte eine lange Gestalt auf die Ferkelburg zu.

Michael faßte den Strick und legte seinen Hals in die Schlinge. Dann brach er ins Knie und hob seine ineinandergerungenen Hände zur Höhe. Sank.—

Mit jener grauenhaften Blässe, die oft jäh von furchtbarer Ahnung Erschütterte befällt, sagte der Pfarrer am andern Tag vor der Leiche des Erhängten: "Alle Dinge sind eitel!" Und hob den Blick gen Himmel.

Auf dem Schreibtisch lag ein Testament, das Guiseppe die ganzenBesitzungen und Hinterlassenschaften Michaels zuerkannte.—

Seltsam sind Menschenwege. Kalt ist der Winter, heiß der Sommer, die Zeit läuft weg und Alter und Verbitterung hocken in den Knochen, eh' man sich richtig umsieht. Und schließlich—was ist's gewesen, wenn man nachdenkt?—

Misere, Misere, Misere!

Zufall ist alles—und nichts.—

Vor zweieinhalb Monaten noch—hol der Teufel diese kalten, widerwärtig regnerischen Herbsttage!—trottete Adam Högl verdrießlich durch die dumpfen Straßen, überlas ein um das anderemal die Karte des Arbeitsamtes, die ihm anbefahl, daß er sich beim Kranenwerk als Erdarbeiter zu melden hätte, zerknüllte sie ebensooft in der Tasche und trat gedankenlos in die Kneipe der engagementslosen Artisten "Zur wilden Rosa."

Widerlich, wie er jetzt auf einmal noch quälender die kalte Nässe an seinen Gliedern herabrieseln fühlte! Und ausgerechnet mußte noch dazu die selbstspielende Geige unausgesetzt kratzen, daß es durch Mark und Bein ging!

Die rauchige Luft war zum Schneiden dick hier und ein Lärm herrschte an allen Tischen wie auf einem Jahrmarkt.

Knirschend und ohne sich um die geschwätzige Gesellschaft zu kümmern, ließ sich der Eingetretene auf einen Stuhl fallen und schwang seinen patschnassen Hut ein paarmal derart wütend him und her, daß die herausgepeitschten Tropfen wie aus einem Weihwasserpinsel herumflogen.

"Pilsner oder Most?" schrie der Kellner üher die Köpfe hinweg.

"Pilsner!" brummte Högl finster zurück und machte sich breit. "Hoho!" murrte jemand beinahe drohend am Tisch, und ärgerliche Gesichter hoben sich. Auf einmal rief eine bekannte Stimme: "Mensch! Högl!" und Adam Högl sah verwundert auf.

"Högl! Mensch! Adam!" schrie es abermals und ein Herr mit rundem, lachendem Gesicht tauchte an der anderen Tischseite auf, beugte sich behend in die gedrängten Leute: "Erinnerst du dich? Krull, vierte Kompagnie, Zimmer achtundzwanzig!? Bauchreden!" Adam Högl faltete schnell die Stirn.

Ja, es stimmte: Im Zimmer achtundzwanzig der vierten Kompagnie lag er neben Ferdinand Krull und betrieb als Liebhaberei die gelegentlich erlernte Kunst des Bauchredens. Er entsann sich ganz deutlich, und unwillkürlich, fast von selbst entquollen ihm einige Laute. Er saß gerade aufgerichtet da, mitten im plötzlich verstummten Kreis der Gesichter, mit geschlossenem Mund—nur der herausgedrückte Punkt seines Halses bewegte sich etwas auf und ab—und tief unten in seinem Bauch redete es.

"Mensch, du kannst noch!? Komm sofort mit! Du wirst meine beste Nummer!" jubelte jetzt der ehemalige Barkellner Ferdinand Krull, und ehe die verblüffte Schar sich's richtig versah, trabten die beiden eilsamen Schrittes aus der Kneipe, stiegen in das bereitstehende Auto und weg waren sie.—

Am selben Abend schon stand Adam Högl auf der grell beleuchteten, geräumigen Bühne des Krullschen "Paradies-Kasinos" und johlte seine Bauchstimmen-Witze in das bunte, glänzende Publikum, das sich allabendlich hier zusammenfand.

Flüchtig zurechtgemacht, im zu großen, faltigen Frack des beleibteren Krull, mit viel zu weitem Kragen, der sich wie ein schmaler weißer Kummet um seinen dürren, langen Hals wand, in einer karierten, schnürenden Weste, einer billigen gestreiften Hose und den quälend drückenden Lackschuhen des Wirtes—so stand Adam Högl, eine beachtete, wichtig gewordene Einzelperson,—wie aus einer tiefen sumpfigen Finsternis plötzlich auf einen strahlenden, weithin sichtbaren Gipfel gehoben—inmitten der sorglosen, großen, prächtigen Welt.

Musik fiel ein, säuselte süße, schmeichelnde Melodien durch den Raum, tuschte, brach ab—der Vorhang peitschte in die Höhe. Vereinzeltes Stühlerücken noch, leise verschwingendes Gläserklirren und andächtige Stille minutenlang. Adam Högl riß die Augen weit auf. In der blauüberleuchteten, abgedämpften Zuschauergruft tauchten puppige Herrenrücken auf, kühngekleidete Damen, ebenmäßige, gepflegte, wunderbar abgetönte Gesichter und lange, glitzernd beringte Hände mit Elfenbeinfarbene Nacken bogen sich waghalsig.

Herausfordernde, runde, nackte Arme bewegten sich lässig undentblößte, leicht gerötete Brüste hoben und senkten sich wie weiche, märchenseltsame Lichtflächen, die ein fächelnder Wind arglos um schwirrte.—

Mit Gewalt mußte Adam Högl an sich halten. Der Atem stand ihm still.Schweiß war auf seiner Stirn. Mühsam preßte er endlich die erstenLaute heraus.

Es räkelte.

Sein Herz klopfte auf einmal wie im Galopp. Mit ganzer Kraft straffte er sich, gröhlte unbeholfen den ersten Witz heraus, begann ohne Zwischenpause den zweiten.

Es räkelte schon wieder. Seine Knie begannen zu schlottern. Er biß die Zähne fest aufeinander, preßte—preßte die Laute, die auf der Kehle saßen, wieder zurück, hinunter in den Bauch und hatte endlich den zweiten Witz.

Das Räkeln verstärkte sich, verflachte zu einer allgemeinen Bewegung. Schon drohte er umzufallen—da brach ein berstender, frenetischer Jubel üher ihn her, ein Gelächter wie aus einer vielstimmigen Riesentrompete, ein betäubendes Klatschen, als sei hoch auf einem Berge die Schleuse eines gehemmten Flusses mit einem Male jäh aufgerissen worden und die ganze Wasserlast falle sausend in die Tiefe.

Er war gerettet.

Er atmete auf, hielt inne, ließ den Jubel verrauschen und jetzt floß sein ganzer Mut und Witz berückend sicher aus ihm heraus, hinab in die Gruft und wieder zurück an seine schweißnasse Brust wie verhundertfachter, brausender Dank.

Er hatte gesiegt.

Einen solchen aus allen Geleisen geratenen Beifall hatte das"Paradies-Kasino" noch nie erlebt.—

Vollkommen erschöpft schleppte sich Adam Högl am Arm seines ehemaligen Regimentskameraden immer wieder durch die getürmten Blumenhaufen, vor bis an die Rampe, kaum noch fähig, sich zu verbeugen. Und immer, immer wieder zuckte der Vorhang, fuhr sausend auseinander und in die Höhe.

Zuletzt sah es aus, als hätten sich alle Menschen da unten übereinandergeworfen und in das wüste, kreischende Plärren mischte sich endlich die Musik undschwoll an zu einem mächtigen Choral. Und regelmäßiger, breit und den ganzen Raum erbeben lassend sang es aus allen Kehlen zur Höhe: "Ooo du Pa—a—aradies! Pa—a-aradies —Kasi—ino—o—o!" daß Adam Högl buchstäblich wie halbtot seinem Kameraden in die Arme sank und aus tiefstem Glück erschüttert auf johlte: "Pa—a—aradies!"—

Einige Tage später konnte er an allen Litfassäulen in halbmetergroßenBuchstaben seinen Namen lesen und darunter stand: "Die große Nummer".Und jeden Abend erntete er den gleichen Beifall. Schon in der Mittedes zweiten Monats war auf allen Plakaten, quer üher "Die großeNummer" geklebt, zu lesen: "Zum dritten Male prolongiert!"—

Ohne es selber recht innezuwerden, rückte Adam Högl in eine andere Menschen schicht hinauf. Er trug nunmehr seidegefütterte Anzüge der besten Schneider, ging mit gelassener Selbstsicherheit durch die Straßen und grüßte mit ausnehmender Vorliebe auffällig gestikulierend und so geräuschvoll, daß alles stehen blieb und lachen mußte, vornehme Gäste des "Paradies-Kasinos". Fast jeden Abend nach seinem Auftreten saß er an irgendeinem Tisch, inmitten einer fidelen Gesellschaft, trank je nach der Art seiner Gastgeber entweder herablassend beiläufig oder mit einigen Brusttönen lobender Aufmerksamkeit ältesten Wein, Bekanntesten französischen Sekt, jeden Nerv kitzelnde Liköre und sog, immer witzgerecht, mit geübt bäuerlicher, biederer Bescheidenheit alle Bewunderung der Gäste in sich hinein.

Seine berechnete Natürlichkeit wirkte bestechend bei Damen, alten Lebemännern und Industriellen. Er zotete, wenn ihn ein abfälliger, herabmindernder Witz traf, üher alles hinweg mit jenerunerschütterlichen, nie angreifbaren, hämischen Trockenheit, die entwaffnet. Mit dem ganzen unterdrückten Instinkt eines Menschen, demdie Angst vor dem Wiederzurücksinken in den Sumpf Spannkraft gibt, beobachtete er, erwog die Möglichkeiten neuer Bekanntschaften, erlistetesich notwendige Gebärden und Manieren, machte sich gutwirkende Kniffe zunutze und galt bald als der gewiegteste Weinkenner und großartigste, bewunderungswürdigste Zecher, mit dem es eine Lust war, Gelage zu halten.

Freilich, es gab auch Abende ohne Einladung, wo er am Künstlertisch in der zerwetzten Nische saß und sich mit Kollegen und Kolleginnen, die mit ihm das Programm ausfüllten, unterhielt. Artisten aus aller Herren Länder, dicke Sängerinnen, zierliche Chansonetten und schwergebaute Ringkämpfer waren da. Intrigen, Neid und Intimitäten gab es da, Vertraulichkeiten und Klatsch. Mit teilweise unverhohlenem oder auch leisem, verstecktem, stechendem Spott sahen diese weltbereisten, mit allen Wassern gewaschenen Leute auf den Neuling herab. Es war unerquicklich und feindselig in dieser Nische, alles deutete zurück in die Misere.

Draußen, im Zuschauerraum, vertrugen sich die dickaufgetragenen Freundlichkeiten vorübergehender Kollegen fast lächerlich leicht. Während er nicht selten, wenn er spät nachts den Künstlertisch verlassen hatte und heimwärts ging, zukunftsbesorgt und entmutigt war, lebte er als Gast an den Tischen der Kasinobesucher stets auf, schaute den vorübergehenden Kollegen kühn und dreist in die Augen, warf ihnen treffsichere Zoten zu und lächelte unverschämt, wenn er auf ihren Gesichtern die nur schwer zurückgehaltene Wut aufsteigen sah. Hier, in diesem Meer, dessen Wellen ihn unausgesetzt emporhoben, fühlte er sich völlig geborgen, unverfolgbar und mächtig.

Adam Högl war kein Optimist. "Nichts dauert ewig und jeder muß sich nach der Decke strecken," sagte er bei jeder Gelegenheit mit leiser Ironie, doch handelte er danach.

Gelegentlich eines wüsten Gelages mit dem Millionär van Haarskerk und seiner Gesellschaft in einem abgedämpften Hinterraum des Paradies-Kasinos ließ er sich kaltes Wasser kübelweise üher den Kopf schütten, spielte mit Meisterschaft den völlig Betrunkenen, trank gesalzenen Sekt ohne eine Miene zu verziehen, ertrug zur Steigerung des Vergnügens viele, viele Stöße in den hingehaltenen Bauch und tanzte zuguterletzt patschig und negerhaft wie ein Eunuch im Hemd herum, daß sich die ganze Gesellschaft vor Lachen wälzte.

Von da ab saß er jeden Abend am Tische van Haarskerks, duzte sich mit diesem. Der Millionär war eine besondere Art von Mensch, Er hatte der kleinen Kabarett-Diva Yvonne eine Villa draußen an der Peripherie der Stadt gebaut und vertrieb sich die Zeit damit, mit ihren früheren Bekannten Gelage zu halten, ausgesuchte Gerichte zu kochen und Autotouren zu machen. Durch sein Verhältnis mit der Diva war er im Laufe einer ganz kurzen Frist zu einer Art Stadtbekanntheit geworden. Meistens kam er mit zwei oder drei vollbesetzten Autos im Paradies-Kasino an. Allerhand zweifelhaft gekleidete Leute begleiteten ihn, alles frühere Geliebte Yvonnes—: abgewirtschaftete Studenten, die sich Dichter nannten, einige Kunstmaler, ehemalige Kabarettleute, undefinierbare Witzbolde und schließlich noch einige Herren, die stets neueste Mode am Leibe trugen, gepudert waren und das Einglas ins Auge geklemmt hatten. Nach Schluß der Vorstellung fuhr man nicht selten mit noch Hinzugekommenen, momentan die Langeweile vertreibenden Eingeladenen nach Hause, um dort weiterzutrinken, zu diskutieren oder Bakkarat zu spielen, his die Frühe fahl ihr Licht durch das dicke Glasdach des Wintergartens auf die Zecher herabfallen ließ.

Adam Högl faßte festesten Fuß in diesem Hause, ja, zählte geradezu zur Familie, lernte fabelhafte Tafeln kennen, überschüttete die gelassene Gleichgültigkeit, mit der man hier Unsummen in die Spieltischmitte schob und wieder wegzog, mit seinen herabmindernden Späßen, trank ebenso wählerisch wie selbstverständlich Whisky pur wie Kognak von 1875, Mit dem ihm eigenen Geschick sekundierte er, wenn Yvonne ihre tausendmal erzählten Bettgeschichten und anzüglichen Witze erzählte. Sein trainiertes Gelächter riß jedesmal mit und erleichterte den nur mit Mühe die Langeweile verbergenden, devot Beifall spendenden Günstlingen ihre schwierige Aufgabe auf das angenehmste.

Oft und oft kam es vor, daß die überreizte Diva eine Vase durch eineGlastür warf, Unheil stand drohend—da auf einmal trompetete dasLachen Högls und glättete im Nu den Sturm.

Es gab Nächte in diesem Hause mit ihm, die begannen mit einem wüstenBalgen zwischen Yvonne und van Haarskerk, mit einem Zusammenschlagenkostbarster chinesicher Zierrate, mit einem Demolieren von Türen undMöbeln und endeten wie etwa eine unvergleichlich lustige Sylvesterfeier.

Hier war ein reicher Fischplatz. Adam Högl warf vorsichtig seineAngeln und Netze aus.—

"Denn nichts dauert ewig und jeder muß sich nach der Decke strecken!"

Die Tage und die Nächte liefen davon. Viel zu schnell. Sie schwebten vorbei, ohne sich voneinander zu unterscheiden. Es war ein unaufhaltsames Fließen. Es gab keinen festen Punkt, kein Nachdenken, keinen Widerstand.

Allmählich, mit jedem Tag bemerkbarer, ließ der Beifall nach. Es brach jetzt kein plötzliches Gelächter mehr aus. Es war keine Stille mehr in der Zuschauergruft, wenn Högl auftrat. Man sandte auch kein resolutes "Pst!" mehr aus aufmerksamen, lauschenden Tischen, wenn die Kellner servierten. Gelangweilte Gesichter sah man ringsum. Es schwätzte jedermann während des Vertrags. Wie ein böses Gewissen rieselte durch den erschauernden Körper jene penetrante Peinlichkeit, die immer einsetzt, wenn man sich hilflos einer stärkeren Macht gegenübersieht und es sich nicht eingestehen will.

Es war acht Tage vor dem Ende des dritten Monats, und nichts wieder hatte Krull von abermaliger Prolongierung erwähnt. Adam Högl stand benommen hinter dem eben herabgefallenen Vorhang und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es klatschte mäßig. Der Vorhang zuckte fast mitleidig und wurde rasch noch einmal hochgezogen. Es klatschte etwas mehr, als Högl dankte. Der Vorhang fiel wieder herab. Bagg—bagg—bagg —bagg!—schon schwammen die Redegeräusche, das Klirren der Gläser, das Stühlerücken und Surren der Ventilatoren darüber hinweg, und alles verebbte zu einem gleichmäßigen Geplätscher. In acht Tagen vielleicht stand Krull, der in der letzten Zeitmerkwürdig schüchtern auswich und sich selten sehen ließ, vor ihm und sagte ungefähr: "Adam, du weißt! Mein Publikum will Abwechslung. Ichbin Wirt, ich muß mich nach ihm richten."

Man war ihn satt!—Er konnte wo anders hingehen?—Schließlich—er hatte noch etwas Geld, Anzüge. Es ging eine Zeitlang. Dann?—

Der Boden schwankte, man glitt aus, man ließ sich dahintreiben, dumpf und verbittert auf einen nächsten jähen Zufall wartend. Die fast märchenhafte Leichtigkeit, mit der man üher Nacht so hoch getragen worden war, hatte die Energie vernichtet.—Adam Högl knirschte und sah scheu rundherum. Die Angst kam von der Magengegend zur Gurgel heraufgekrochen. Mit einem Ruck riß er sich zusammen und schritt zur Tür. Da kam der schlanke Kellner und bat ihn in die Loge des Millionärs. Er atmete erleichtert auf. "Ich komme gleich," sagte er schnell und ging in die Garderobe.

Nach einigen Minuten schritt er die Logenreihen entlang und hatte schon wieder die breitlachende, humorvolle Miene, die man an ihm gewohnt war. Aus verschiedenen Tischen nickten ihm Leute grüßend zu, und scheinbar ganz in seligster Wonne erwiderte er.

Die Haarskerksche Loge war wie gewöhnlich gepfropft voll. Jeder derHerren lachte bereits das knallige Lachen Adam Högls. Das gab Mut.Noch war man also nicht ausgelöscht.—

"Ah—haha!!" krächzte der Millionär aufstehend und machte Platz.

"Was machst du?" fragte Yvonne den Angekommenen.

"Einen schlechten Eindruck," erwiderte Högl trocken. Die Unterhaltung belebte sich, wurde aufdringlich laut.

"Psst! Psst!" zischte es aus den gegenüberliegenden Tischen, denn eben trat die neuengagierte Sängerin auf und trillerte die ersten Laute.

"Ah—a—a—ah—ah—a—a—aa!" sang Högl boshaft mit angestrengtesterKopfstimme nach und der ganze Tisch kreischte hellauf.

"Psst! Psst!" Adam Högl entdeckte mit einem flüchtigen Blick drüben in einer dunklen Ecke Krull mit finsterem Gesicht, wandte sich schnell wieder weg.

"Ein Türteltäubchen! Ein Täubchenturtel!" gröhlte er sehr laut.

"Ru—u—uhee! Psst!" brummte es noch energischer und empört gehobeneGesichter tauchten auf.

"Mistkäfer! Schweinebande!" knirschte Yvonne dumpf in den Tisch und rief lauter: "Anton zahl'! Wir wollen gehen! Sofort!"

Der Kellner kam eilends herangeflitzt. Sehr geräuschvoll bezahlte der Millionär und die ganze Loge erhob sich. Alle tappten im Gänsemarsch knatternd auf den Ausgang zu.

"Psst! Psst! Ru—uhe!" surrte es ihnen nach. An der Tür stand Krull, verbeugte sich devot und wollte entschuldigen.

"Schon gut! Schon gut! Wir werden's uns merken!" schrie Yvonne und befahl resolut: "Kommt! Laßt euch nicht aufhalten!" Der Trupp stürzte hinaus. "Ich möchte heut' nur Högl, Kotlehm und Raming, Anton! Laß die andern nach Hause fahren! Wir wollen unter uns sein!" sagte Yvonne vor dem Auto. Der Millionär rannte auf die anderen Begleiter zu, sagte ihnen dies, kam wieder zurück, stieg rasch ins volle Auto und gab das Zeichen zum Abfahren.

"So sind alle Wirte, weißt du! Pack! Pack!" schimpfte Yvonne während des Dahinfahrens.

"Eben! Eben!" brummte Högl in tiefem Baß.

"Ein solches Miststück mit ihrem Geplärr! Na, ich danke!"

"Eben! Eben!" sekundierte Högl befriedigt.

Der Maler Kotlehm lachte gewaltsam.

"Und diese Preßsackbrüste, pw! Diese Wurstfinger, äh!" zeterte Yvonne.

"Gulasch! Gulasch mit Kartoffel!" murmelte Högl. Man lachte allenthalben. Yvonne warf ihre Arme hingerissen um Högls Nacken und drückte ihr kaltes geschminktes Gesicht an seine Wange, küßte ihn breit und feucht, daß es schnalzte: "Högl, Du bist mein Mann!"

Die Stimmung war wiederhergestellt.

"Was trinken wir?" fragte van Haarskerk.

"Sekt! Sekt!—Ich möchte heute schwimmen im Sekt—und dann Whisky!" rief Yvonne emphatisch.

Das Auto fuhr surrend durchs Tor.

Die Dienerschaft war zu Bett gegangen. Es war still. Überall herrschte ein Geruch nach Zigaretten, Parfüm und Alkohol. Man ließ sich in die tiefen, nachgiebigen Fauteuils um den offenen Kamin im Rauchzimmer fallen. Jener Punkt war erreicht, wo alles öde, langweilig, dumm und trist zu sein scheint. Die Stimmung war zweideutig und unentschieden. Es hieß geschickt eine Krise zu vermeiden, die scharfen, vorgeschobenen Riffe der Überreiztheit gewandt zu umsegeln. Noch zwei oder drei schweigende Minuten und man stand vielleicht auf, gähnte dösig und ging zu Bett—oder aber auch Yvonne stieß zufällig mit dem Fuß wo an, knirschte gehässig und schmiß eine Vase kaputt. Es gab Skandal und alles war verloren, verhunzt. "Ich hab' Hunger," sagte Yvonne bereits bedrohlich.

Adam Högl ergriff die Gelegenheit und brummte trocken: "Ein frugalesMittelstück! Sehr richtig! Weder Früh—noch Nachtstück—ein Mittelstück,ein Stück in der Mitte!" Man lachte lahm. Der Maler Kotlehm und der LyrikerRaming bewegten sich etwas aufgefrischter: "Ja, das wäre nicht dumm!"

"Geht!" befahl Yvonne Högl und dem Millionär. Die beiden waren aufgestanden. "Komm! Kommen Sie, Herr Küchenchef! Wir wollen—Na, die Herrschaften, na—na!?" trompetete Högl in seinem breiten Baß, als er mit van Haarskerk in die Küche ging. Während der Hausherr eineinhalb Dutzend Eier kochte, schmierte Högl Butterbrote, strich Kaviar darauf, schnitt Schinken und Seelachs.

Der Sekt war bereits abgekühlt.

Als er die Gläser und das Tablett mit den Speisen in das Rauchzimmer trug, hatte sich Adam Högl wieder ganz in der Gewalt und bediente behend wie ein Servierkellner. Man griff gierig zu, schmatzte. Die Stimmung hob sich.

"Und ick?!—Ick hock mir ins Klosette rin und kotze alle Spucke rinn!—rinn!—rinn!—" johlte Högl wie ein Grammophon mit wässerigem Mund. Und: "—rinn!—rinn!—" wiederholte der ganze Chorus.

Zufällig warf der Millionär seine Eierschalen in großem Bogen zur Decke. Sie fielen in den Spiegel oberhalb des Kamins und zischten auseinander. Belustigt darüber schleuderte Yvonne ihr Ei in die glitzernde Fläche. Benng! klatschte es spritzend auseinander. Einen Moment gafften alle unschlüssig.

"Hoi—j! Hoi—j!" brüllte Högl unverblüfft wie ein Ausrufer und warf ebenfalls sein Ei in den Spiegel. Das gefährliche Riff war umschifft. Alles gröhlte mit einem Male mitgerissen. Patsch—Patsch—Patsch! Jeder warf sein Ei in den Spiegel. Es klatschte um die Wette. Yvonne schüttelte sich berstend. Adam Högl hüpfte vor Vergnügen. Wie doch alles einfach ist!—"Das ist—um es richtig zu sagen—der Kampf mit dem Spiegel oder der verspritzte Eidotter auf dem Kamingesims!" plapperte Raming rülpsend.

"Hahaha—ha! Der Lyriker wird witzig!" stichelte der Millionär.

"Der Spiegelkrieg! Das Krieglspielchen! Das Spielchen mit demKriegl-Spiegl!" gluckerte Högls Bauchstimme. Ein hemmungslosesGelächter peitschte auf. Man trank überschnell und mit vollstemBehagen. Adam Högls Gesicht glänzte triumphierend. Sehr gewandtspuckte er seinen Mund voll Sekt zur Decke. Ein dicker Strahl war's.Im Nu folgten die ändern.

Die Stimmung hatte einen ersten Höhepunkt erreicht. Es galt, ihn zu halten. Adam Högl begann zu zoten.

—Dem Lyriker Raming gab der Millionär seit einem Jahr ein Stipendium, weil Yvonne dessen bastardhaft verfaltetes Gesicht gelegentlich einmal als "angeilend" bezeichnet hatte. Des Malers Kotlehm vulgäre Schönheit entzückte die Diva dergestalt, daß sie van Haarskerk veranlaßte, ihm ein Atelier zu bauen. Von anderen noch wußte Adam Högl, daß sie beträchtliche Summen wegen eines Witzes oder dergleichen erhalten hatten.

Und er hatte sich Wasser kübelweise üher den Kopf schütten lassen.

In den Bauch treten lassen!

Und in acht Tagen?—

Raming rülpste, ließ den Kopf haltlos auf seine Brust herabgleiten, sank zusammen und schlief ein.

"Der ausgewundene Strumpf zieht sich in die Vorhaut zurück!" rief Högl breit, überprüfte unbemerkt die Gesichter der ändern.

"Die Inspiration kommt im Schlaf!" warf der Millionär beiläufig him.

"Weißt du, Anton," sagte die Diva schnell und aufgeräumt, "einSpielchen wäre jetzt richtig angebracht!"

"Ein Bakkarat?—Ja, das wär' jetzt sehr nett!" sagte der Maler Kotlehm ebenso.

"Sehr richtig! Gewiß die Damen! Gewiß die Herren! Die Dammenherren, die Herrendammen!" plapperte Högl und verbeugte sich wie ein Lakai: "Adam Högl übernimmt die Saufregie, bitte, bitte meine Herrschaften, bitte!"

Das Schnarchen Ramings sägte friedlich und gleichmäßig. Yvonne, Kotlehm und der Millionär setzten sich um das Spieltischchen, legten die Banknoten in die Mitte.

"Prost, Herr Kunstmaler, Herr Kotstengel!" rief Högl hämisch, hob das volle Sektglas und schluckte hastig den ganzen Inhalt hinunter.

Van Haarskerk gab die Karten.

Högl, der nicht spielen konnte, ging auf und ab und brümmelte leise singend vor sich him. Von Zeit zu Zeit lugte er flüchtig auf den getürmten Haufen der Banknoten, die sich in der Tischmitte sammelten. Lässig zog man die Scheine weg oder warf neue him.

Mattblauer Tag lag schon auf den Gesimsen. Die Gärten draußenbleichten. Stare zwitscherten leise auf. Tau stieg von der Erde hoch.Unbehaglich tappte Adam Högl auf und ab, schielte manchmal auf dieSpieler, dann wieder durch die Fenster.

Lästig! Die Umstände hatten einen kaltgestellt. Alles entglitt wieder.—Jetzt verspielte Kotlehm. Erwar darauf gekommen, an jenem Abend im abgedämpften Hinterraum des "Paradies-Kasinos", daß man auch in den Bauch stoßen könnte. Adam Högl umspannte ihn unbemerkt mit seinen düsteren, hassenden Blicken.

"A—ah—ach!" stieß van Haarskerk mit boshafter Befriedigung heraus, als der Maler abermals einen Geldschein auf den Tisch warf.

"Prost!" rief Högl schadenfroh.

"Donner und Doria!" lachte der Maler etwas nervös und legte die Karte auf den Tisch. Abermals Hundert!

Adam Högl ließ eine saftige Zote vom Stapel. Yvonne lachte.

Wie um sich zu wehren, nahm Kotlehm das Glas und schrie feldwebelmäßig: "He! Kuli! Einschenken!" Adam Högl schoß das Blut zu Kopf. Aber er faßte sich schnell und hob die Karaffe: "Besser zielen!—Vorbeigeschissen!" Er zitterte ein wenig, als er eingoß und schüttete daneben.

"Hehe! Du! Kuli!" schrie Kotlehm und stieß ihn in den Bauch. Erquickt schnellte der Millionär auf, nahm ihm die Karaffe. Adam Högl zog verwirrt die Schultern hoch. Van Haarskerk lachte stoßweise und schüttete den Rest über seinen geduckten Schädel. Eiskalt rann der Sekt den Rücken herunter.

Adam Högl raffte seine letzen Kräfte zusammen. Ratlosigkeit, Wut und Verzweiflung standen auf einmal da. Wie von schwirrenden Peitschen umsummt brummte der zerrüttete Kopf.—

Er drohte zu fallen, drückte noch einmal mit ganzer Gewalt den Bauch heraus und grunzte endlich wieder. Wieder bellte das Gelächter.

Der Maler Kotlehm sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum wie ein peitschenschwingender Tierbändiger.

Das Spiel war zerrissen. Die neue Sensation hatte die Langeweile im Nu ausgelöscht. Man umtanzte, umjohlte Adam Högl, der wie ein blinder Bär herumtappte. Gutgezielte Stöße sausten in dessen Bauch. Van Haarskerk kam mit einer gefüllten Karaffe, schüttete, goß, goß.

Adam Högls Schuhe pfiffen.

"Schurken! Sadistische Hunde!" schrie Yvonne machtlos in den betäubenden Lärm. Raming hob schläfrig den Oberkörper und ließ sich wieder zurückfallen. Das wüste Gebrüll zerspaltete die verrauchten Bäume. Zwischendurch gluckste wie das Röcheln eines Verendenden Högls Bauchstimme.—Heute noch! Noch einmal! Dann war vielleicht die Rettung da. Man war geborgen. Eine Nacht Wasser über den Kopf—und keine Misere mehr.—

Die Hose platzte, als er sich bückte. Kotlehm riß das Hemd heraus.

"Hoij! Hoij!" zischte es von allen Seiten. Man nahm Högl in die Mitte und stampfte durch den Wintergarten ins Freie. Schwerfällig, plumpsig bewegte sich der Troß an den ersten Gemüsebeeten vorbei. Der Millionär schob hinten, Kotlehm zog und zerrte an den Armen Högls. Yvonne kreischte unaufhörlich.

"A—ahach Mensch, laß mich doch schnaufen!" stöhnte Högl und riß seinen Mund weit auf. Dicker Schweiß rann ihm herunter.

"Hoij! Hoij!" schrie es wieder. Zog, zerrte. Adam Högl prustete, hauchte. Der Maler Kotlehm riß einen Rettich aus dem Gemüsebeet und stopfte ihn mit aller Gewalt in Högls Mund.

Die Zähne krachten. Der Schlund kämpfte gegen das Ersticken. Blau lief der Kopf an. Adam Högl stemmte sich würgend, spuckte, erhob beide Arme furchtbar, stieß in die leere Luft. Es war auf einmal frei um ihn. Wie Kettenlast fiel etwas ab. Der wachgewordene Körper straffte sich, als renne er stahlhart gegen eine Wand und stieße sie durch.

So leicht atmete es sich.

Eine große Stille stand unfaßbar weiß ringsherum.—

Nach langer Zeit, als er die Augen öffnete, saugte die Kälte der feuchten Erde an allen seinen Gliedern. Er lag langgestreckt in einem Gemüsebeet. Schmutz und Blut klebten auf seinen zerschundenen Wangen. Er schloß den Mund, schluckte. Die Gurgel würgte. Ein wüster Ekel stieg vom Magen auf.—

Wie eine gemeine, grüne Qualle hockte das Haus in den zertrampelten Beeten. Das zärtliche Rot des frühen Tages beleckte die Fenster, die ausdruckslos vor sich hinglotzten. Es roch nach Verwesung.—

Taumelnd sprang er auf und rannte entsetzt aus dem Garten. Schwankend wie ein Wrack trieb er über die Wiesen, der Stadt zu. Eine gräßliche Schwäche fieberte in ihm. Angstvoll schleuderte er zuletzt seine Füße nach vorne, lief, lief, was er konnte.

Erst als er die ersten Häuser erreicht hatte, hielt er inne und wischte sich aufatmend Kot und Blut aus dem Gesicht.

Ruhig und nüchtern griff die Straße aus. Arbeiter gingen vorüber und beachteten ihn kaum. Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die nichts anficht. Es strömte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebärden und Worten.

Verlassen, nutzlos, ein jämmerlicher Wicht stand Adam Högl da.Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg.Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen.

Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht bekam langsam eine größere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener, mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine große Erschütterung die Ruhe wieder zurückerobert hat, schritt er fürbaß.—

Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben winden, fangen die Reibungen an zwischen natürlichem Denken und dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Über die Dämme, die die Erziehung notdürftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine Zerrüttung, ja nicht selten ein zeitweiser gänzlicher Zusammenbruch und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht wieder ein.—

Glücklich derjenige, der von früh auf Menschen, Bücher, Winke,Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizonterweiterten und ihm einigermaßen dazu verhalfen, solchenErschütterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen.

Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als daß dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer erlernbare Körperhaltung die Mühe der Arbeit erleichtern, haben wenig Zeit, sich gegen solche innere Überfälle zu wappnen. Es ist wahr, auch sie überwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden ärger mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz fällt hier mit schwererer Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfließen verbraucht und wenig sinnvoll für solche Menschen. Sie stehen meist unvermerktmitten im Gestrüpp plötzlich hervorbrechender Gefühle, kämpfen blindlings gegen ihre Dämonie, werden überwältigt davon und fallen schließlich in gänzliche Lethargie.—

Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt.

Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd. Auf einmal war dieses Kind da und man mußte notgedrungen heiraten. Man frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmähen zur Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin und wieder Baumfällen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war ziemlich alles.

Es hieß eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!"—Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei denBauern. Es heißt aufstehen mit den Knechten um vier Uhr früh, zugreifenund den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. DieKnochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.—

Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen oder Wellblechstücke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn der Vater eine Klage hörte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem Handtuch am Ofen hing, war furchtbar.

Nun, es kam schließlich die Gesellenprüfung und der Achtzehnjährige ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete er dann nach ungefähr fünf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen schweren Posten geschnappt.

An einem Abend—es war Sommer und Samstag—kam Johann in seinem Zimmer an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich. Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung durch die Straßen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal merkwürdig überwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder. Diese Straße hieß eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem Namen eines verdienten Ehrenbürgers der Stadt, aber seitdem die Polizei verfügt hatte, daß sich nur hier die professionellen Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und üble Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzüglichen "Fleisch" umgewandelt.

Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach kurzer Zeit redete ihn eine süßliche Stimme an und besinnungslos folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde Luftschicht umschwelte ihn. Er wußte nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hörte jedes Geräusch wie aus weiter Ferne und wußte nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel sein Körper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biß sich jemand fest an ihm. Es lachte.

Langsam kehrte alles wieder zurück, wurde deutlicher und war ein grünliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm lag.

Schließlich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiß seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen.

Erquickt darüber preßte ihn das Mädchen wild an ihre Brüste, nahm seinen zerwühlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an ihren dicklippigen Mund und küßte ihn unausgesetzt, daß er zuletzt gänzlich machtlos mit sich geschehen ließ und auf einmal weinerlich und wimmernd anfing, sein Leben zu erzählen. Stockend kamen ihm die Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie über die Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend saß das halbnackte Mädchen da und hörte zu. Aber auf einmal stockte es wieder—und endete und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riß und zerrte an ihr, daß sie aufkreischte.

"Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldbörseaus der Hose zog, drängte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch.

Und nicht nur das. Plötzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und in einem fort stöhnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du—du! Ich möcht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei mir! Du! Du!"

Anfänglich schien es, als belustige sich das Mädchen über ihn. Sie zog ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine Wildheit immer mehr anschwoll und seine Züge einen fast irren, düsteren Ausdruck annahmen, ließ sie das Spielen. In ihren schlaffen Körper stieg mit einem Male eine Wärme. Überwältigt, zuckend sank sie zurück, ihn umfangend. Sie, über die vielleicht Hunderte hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten Menschen und küßte ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter Liebe….

In der Frühe nach dieser wüsten Nacht rannte Johann in seinen Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufällig offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte, was er denn an einem Feiertag hier wolle, daß er sich wie ein plötzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief durch die Straßen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf fest. Immer wieder mündete er in die "Fleischgasse", wagte es aber nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentümliche Weise gewonnenen Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es geschah etwas, was niemand gedacht hätte, etwas, was ebenso unglaubwürdig wie wunderlich klingt—: Anna kam nicht. Sie stand an keiner Ecke, war überhaupt nicht auf der ganzen Straße zu sehen. Sie lag droben—so wie er sie verlassen hatte—im Bett, verstört, zerbrochen und bekam erst wieder völliges Leben, als er nach langem Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war.

Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn zärtlich und begehrend und sagte zuletzt muttergütig: "Ja, dich möcht ich heiraten."

Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte nichts mehr.—

Seit dieser Zeit haßte man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie völlig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze Welt umbringen. Er arbeitete für drei. Und jeden Tag verließ er fast fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich ruchbar wurde, daß er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn beglückwünschte und leichte Anzüglichkeiten machte, wurde er rot his hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder.

"Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein brüllendes, gereiztes Tier, daß die Fragenden halb verärgert und halb verblüfft "Oho!" herausstießen und sich alle mit ihm verfeindeten.

Alle wunderten sich, daß er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Erhielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an.Finster hockte er während der Vesperzeit da und starrte dumm insLeere. Niemand wußte, ob er um einen freien Tag zur Erledigung seinerVerehelichung gebeten hatte.

Drei Tage vor seiner Hochzeit kam er nicht mehr und wurde entlassen, weil er auch kein Entschuldigungsschreiben schickte.—

Die ersten Wochen der Krillschen Ehe verliefen—wenn man so sagen darf—unterirdisch glücklich. Mit Hilfe Bekannter fand Anna schon einige Tage vor ihrer Hochzeit eine annehmbare, freundliche Dreizimmerwohnung in einem anderen Viertel. Mit den Ersparnissen Johanns wurden Möbel auf Teilzahlung beschafft und zum Schluß hatte man, weiß Gott wie, noch Geld übrig. Man sah das Paar nicht mehr in der alten Gegend. Außerdem vermied es Johann auf der Straße, Leuten, die er zu kennen glaubte, zu begegnen. Furchtsam wich er aus, machte große Bogen vor früheren Bekannten, ja, scheute sogar nicht, ihrethalben große Umwege zu machen. Zu Hause erst, in der Verborgenheit der vier Wände, kam Beruhigung über ihn. Mit zufriedenem Gefühl durchtappte er immer wieder die Räume und bestaunte seine Habschaften und am Ende stand er stets mit verschwommenen Augen vor seinem ständig adrett gekleideten, beweglichen Weib.

Vorerst dachten die beiden nicht ans Verdienen. Mit tausend Kleinigkeiten verzettelten sich die Tage. Es gab kein geregeltes Dahinleben mehr, keine bestimmte Mittagszeit, kein Weckerläuten in der frischen Frühe, keine Müdigkeit am Abend. Die Nacht war kurz, lästig kurz und oft noch um zehn Uhr vormittags verdüsterten die herabgezogenen Jalousien das dumpfige Schlafzimmer. Und man blieb liegen und liegen.

Mit der bewußten Neugier, mit der wilden, noch einmal völlig auflodernden, durstigen Liebe erfahrener Frauen, über die das zu frühe Altern schon ihre ersten Schatten geworfen, liebte Anna Johann. Jede ihrer Bewegungen, jedes Wort waren eine stumme, begehrende Aufforderung. Ihre Nähe benahm den Atem, zerrüttete die eben gefaßten Gedankengänge. Wie eine warme, unsagbar wohltuende Gischtwelle ergoß sich ihre Atmosphäre unaufhörlich über Johann.

Erwarnicht mehr!

Zerschmolzen, zerronnen liefen die Zungen seiner Brunst ohne Unterlaß üher das Meer ihres Körpers.

Die Zeit war weggeweht, alles schwirrte, rann, floh.—

Erst ganz langsam wieder festigte sich seine Gestalt, stückweise beinahe. Und es schien, als seien es andere Teile, die sich nun vereinigten. Ein immer klarer werdendes Begreifen keimte auf, wuchs ohne Überstürzung, vermittelte Halt und Festigkeit. Alle Scheu, alle Furcht und Unsicherheit wichen. Auf einmal war Johann Krill ein anderer.

Jetzt erst kam ihm die Besinnung. Jetzt erst war er eigentlich verheiratet, hatte ein Fundament, besaß Weib und Möbel und so weiter.

Er erinnerte sich genau. Es war nirgends anders. Im Dorf nicht. In der Stadt nicht. Es war immer das gleiche. Der Bauer, bei dem er zuletzt auf dem Dorfe war, hatte drei Töchter. Ringsum standen größere und kleinere Häuser.

"Dahinein gehörst du, das ist was Handfestes," ließ er einmal beim Abendessen fallen, der Bauer, und deutete dabei auf den mächtigen Grillhof hinüber. Und die ältere Tochter sah ihn ohne Verblüffung an und sagte: "Der Grillhans braucht bloß kommen." Zur Erntezeit ließ man die ältere Tochter daheim und an einem Abend sagte sie: "Hat schon geschnappt!" Etliche Wochen später gab es eine saftige Hochzeit.

"Ein' schöne Sach', Hans, ein schöner Hof. Der ist so einen BrockenWeib wert," lachte der Bauer bei der Hochzeit und schaute seinemSchwiegersohn in die Augen. Und: "Ja—ja, hast mir's ja auch leichtgemacht," brummte der Grillhans bierselig.

Dann kamen die beiden anderen Töchter an die Reihe. Bei der einen vollzog sich die Sache leicht, und bei der jüngsten, die etwas hochnäsig war, ging es schwerer. "Herrgott, Rindvieh!—um so einen Hof ziert man sich doch nicht so! Besinn dich nicht so lang', sag' ich!" brüllte der Bauer sie an und als zufällig an einem der darauffolgenden Abende der gewünschte Werber kam, sagte er zu diesem: "Bleib nur beieinander mit der Zenz. Wir legen uns nieder."

Und Bauer und Bäuerin gingen schlafen.

"Ist's so weit?" fragte der Bauer beim Mittagessen andern Tags seine Tochter. Und diese sagte nickend: "Im Frühjahr, meint er. Er will noch den Stall bauen lassen."

"In Gottesnamen, die paar Monat' sind gleich vergangen. Meinetwegen!" brummte der Bauer und die Sache nahm ihren gewöhnlichen Verlauf. Im Frühjahr gab es wieder eine breite Hochzeit.—

Es war also nirgends recht viel anders. Johann Krill war mit dieser Erkenntnis zufrieden. Das Neue, das Unerwartete, was ihn einmal in Brand und Aufruhr gesetzt hatte, war verloschen. Ohne Staunen stand er nunmehr auf dem Boden der Welt und achtete nichts mehr auf ihr. Kurzum, er wurde—gemütlich. Kam eine angenehme Sache, war es gut, kam sie nicht, war es auch gut.—

An einem Nachmittag, als sie beim Kaffeetrinken in der Küche saßen, sagte Anna: "Es wird Zeit, daß wir wieder um Verdienst schauen."

Und Johann nickte stumm. Er begann wieder Stellung zu suchen.

Umsichtig und resolut wie sie war, machte sich aber auch Anna auf die Suche und an einem Tag kam sie freudig an und sagte: "Die Rienken will mich fürs Büfett. Ich kann gleich anfangen, sagt sie. S'ist ein gutes Lokal.—Was meinst du?—Unser Geld ist weg und mit einer Stellung für dich wird's noch eine Zeitlang dauern. Jetzt kannst du auch mit aller Ruhe suchen."

Das leuchtete ein. Johann nickte wieder.

"Die Rienken? Wo ist denn das?" fragte er dann weiter.

Anna begann von einer Bar "Tip-Top" zu erzählen.

"In der Quergasse," berichtete sie geschäftiger, "die Rienken kenn' ich schon lang. Ist eine nette Person. Es verkehren massenhaft Gäste dort, nur bessere Leute. Nicht so allerhand, von Hinz bis Kunz. Lauter Stammgäste… Na, was sag' ich—Fabrikbesitzer, Beamte und so Leute. Wer weiß, man kann ein gutes Geld machen, braucht sich nicht abzuschinden und kann schließlich auch für dich was ausfindig machen,—wie meinst du?"

Johann Krill glotzte stumpf in ihre Augen.

"Na, so hör doch, du—Patsch, hör doch!—Und die Rienken ist eine gute Person, steht zu einem," redete Anna weiter und rüttelte ihren Mann schmeichelhaft, begann wieder ihr siegendes Lachen und küßte ihn.

"Das ist—also wieder—das Alte," sagte Johann endlich. Nachdenklich, schwerfällig.

"A—aber geh doch, Tolpatsch! Keine Rede davon! Wer sagt denndavonwas! Ich bin doch nur hinterm Büfett—nu ja, nu ja, wenn schon einer mal zu tappen anfängt und mir ein Gläschen bezahlt, Herrgott—das ist doch kein Weltuntergang," beruhigte ihn Anna und fuhr fort: "Sieh mal—Ware sind wir nun ein für allemal, ob so oder so—ob du in die Fabrik gehst oder ob ich—was anderes mache. Es kommt immer nur darauf an, daß wir uns die Sache möglichst leicht machen, daß wir noch was wegschnappen für unseren Komfort!"

Johann Krill hatte jetzt ein wenig klarere Augen. Es war etwas wie ein aufgegangenes Licht auf seinem Gesicht. Er nickte.

"Stimmt schon," sagte er.

"Also sag' ich der Rienken, daß ich komme?" fragte Anna.

"Ich muß dann auch was suchen," gab Johann statt jeder Antwort zurück.

"Ach, du bist ja verdreht!—Ja freilich, freilich,—sofort denkt er, er muß nun wieder rackern von früh bis spät und für die Familie sorgen! Ach du, du!" lachte Anna und knüllte seinen Kopf in ihre Brust.

Jeden Nachmittag um vier Uhr ging Anna nunmehr zur Bar "Tip-Top" der Sylvia Rienke. Spät in der Nacht kam sie stets nach Hause, roch nach Zigaretten und Alkohol. Manchmal war sie auch leicht betrunken, brachte allerhand zu essen und zu trinken mit, und dann saßen die beiden Eheleute nicht selten his zum Morgengrauen in der besten Laune beisammen und ließen sich's gut gehen.—

In der letzten Zeit war Johann Krill etwas einsilbiger. Er saß meistens in Hemdsärmeln im Schlafzimmer und schien schwerfällig immer über das gleiche nachzudenken.—

Ja, alles war ausgelöscht. Langweilig und trist vertropften die Stunden. Es war ungemütlich. Wenn man den ganzen Tag in der Fabrik arbeitete, verging wenigstens die Zeit schneller.

Aber Anna zerstreute ihn immer wieder.

Wenn sie nachmittags weggegangen war, verließ auch er die Wohnung und lungerte entschlußlos in der Stadt herum oder setzte sich in irgendeine Kneipe. Und jetzt, da er sich alleingelassen sah, unterhielt er sich auch wieder mit seinesgleichen.

"Maschinenschlosser?" fragte ihn eines Tages ein älterer Arbeiter amKneipentisch.

"Ja," antwortete Krill. "Eventuell auch zum Maschinisten zu gebrauchen?"

"Bei Schall und Weber war ich Maschinist."

"Mensch, bei uns sucht man solche. Geh hin. Du kannst sofort anfangen," erzählte der Arbeiter und überprüfte Krill.

Der nickte.

Etliche Tage nachher schlief Johann schon, als Anna heimkam. Sein Gesicht war rußig. Er schwitzte. Anna wollte ihn aufwecken, aber er drehte sich schläfrig um und schnarchte weiter. Verärgert legte sie sich ins Bett.

In der Frühe, als plötzlich der Wecker schrillte, schrak sie empor und sah erstaunt auf ihren Mann, der sich eben wusch.

"Arbeitest du denn wieder?" fragte sie.

"Ja."

"Dumm!—Ich hätte jetzt etwas für dich.—Ein schöner Posten," sagte sie und richtete sich vollends auf im Bett.

Einige Augenblicke stummten sie einander an.

"Der Fabrikmensch, der immer Schwedenpunsch schmeißt, hat mir's versprochen … Laß doch das andere fahren, da verkommst du ja bloß," begann Anna wieder und wollte eben aus dem Bett springen.

"Jetzt ist's schon wie's ist!" knurrte er und ging.

Es gab Ärgerlichkeiten bei Krills. Dadurch, daß nun auch Johann seiner Arbeit nachging, vernachlässigte der Haushalt. Anna, die oft erst gegen zwei oder drei Uhr nach Hause kam, schlief bis tief in den Mittag hinein. Schließlich meldeten sich die Wanzen. Man putzte, schrubbte, streute übelriechende Pulver aus. Aber es half nichts. Es war unerträglich zuletzt.

"Das ist eine verschobene Sache, wenn du ins Geschäft gehst und hier muß alles verkommen," sagte Johann zu Anna.

"Für wen tu' ich's denn?—" erwiderte sie, "man braucht soviel und dieLöhne sind zum Verhungern."

Sie kam schließlich auf alles zu sprechen. Daß man sich doch nicht umsonst von unten herausgewunden habe, daß man doch nicht zu den Nächstbesten gehöre und man müsse jetzt eine neue Wohnung haben. Was der Umzug schon koste! Alles klang wie ein zaghafter Vorwurf. "Warten hättest du sollen. Der Herr mit dem Schwedenpunsch ist so nett. Du könntest da gut unterkommen."

Eine Zeitlang ging es auf solche Weise hin und her. Johann war die ganze Rederei schon widerwärtig.

"Was du doch alles erzählst! Sind wir denn weiß der Teufel was?!" sagte er endlich fester: "Mein Vater hat sein Leben lang gearbeitet. Meine Mutter stand noch mit siebzig Jahren früh um vier Uhr auf—und wir, wir bilden uns auf einmal ein, etwas Besonderes zu sein!" Während des Redens schon bekam sein Gesicht langsam eine bestimmtere Haltung.

Schließlich, als aller Spruch und Widerspruch allmählich erlahmte, einigte man sich aber doch, und Johann willigte beiläufig ein, sich in der Fabrik des Herrn, der bei der Rienken jeden Abend Schwedenpunsch bezahle, vorzustellen.

Mit jedem Tag wurde er nun auch mißvergnügter. Es gefiel ihm nicht mehr in seiner Fabrik. Er wurde mürrisch gegen jedermann und kam zuletzt plötzlich nicht mehr. Nach einigen Tagen stellte er sich in dem anderen Betrieb vor. Er wurde merkwürdig freundlich empfangen und ging besinnungslos darauf ein, Nachtschicht zu machen.

Anna behandelte ihn zärtlicher als je, wenn er frühmorgens ankam. Nicht lange darauf fand sie auch eine Wohnung im dritten Stock des Rienkeschen Hauses und alles machte einen glücklichen Anlauf. Sie brachte jetzt immer mehr mit. Pasteten, kalte Hühnerschenkel, Blumen, Zigaretten, halbe Flaschen Wein, ja zuletzt sogar Stoffe, Halsketten, einen Ring.

Sie war in der fröhlichsten Laune jedesmal und erzählte von diesem und jenem Herrn, von den guten Gästen bei Rienkes und konnte sich nicht genug tun, den Chef Johanns zu loben.

"Und was ich dir sage—er ist ein Mensch, der das Leben kennt. Er ist für die Arbeiter. Er läßt leben neben sich," plauderte sie.

Und Johann lächelte hölzern und sah auf ihre Brüste, die schwammig und verbraucht nach unten sich sackten.

"Ist für die Arbeiter—?" sagte er und sah sie dumm an.

"Ist ein anständiger Mensch. Keiner von den Ausnützern, gar nicht so eingebildet und hochnäsig—und fidel, sag ich dir, fidel,—na ich danke, wenn der anfängt. Man kann sich schief lachen," erwiderte Anna und lachte auf, als erinnere sie sich an etwas sehr Drolliges.

"Und—der gibt dir—so—solche Sachen?"

Annas Mund zuckte ein wenig. Sie schlug schnell die Augen nieder und fand das Wort nicht gleich.

"Hmhm," brachte sie dann heraus und schluckte etwas hinunter, setzte rasch hinzu: "Und die Rienken ist so nett zu mir."

"So," brummte Johann nur noch, "nu ja, es geht immer rundum."

Dann legte er sich schlafen.

Am Abend schlüpfte er in seine Sonntagskleider und ging nicht in die Fabrik. Er durchwanderte etliche Male die Quergasse und trat dann in die "Tip-Top"-Bar.

Es ging bereits fidel zu. Einige Herren in modischem Anzug saßen vorne am Büfett auf den hohen Stühlen und saugten an den Strohhalmen, die in schlanken gefüllten Gläsern mit glitzerndem Eis staken. In der einen Ecke spielte ein Befrackter Klavier und ein hagerer Geiger begleitete ihn. In den Nischen, die mit künstlichem Efeu zu Laubengängen hergerichtet waren, tuschelte es und hin und wieder zirpte ein schrilles Auflachen aus ihrem Dunkel. Eben wollte eine hochbusige duftende Bedienerin mit zuvorkommender Freundlichkeit auf Johann zueilen. Da auf einmal schrie es aus einer Nische: "Um Gotteswillen, Hans!" Und ein hurtiges Getrampel und Knarren wurde hörbar.

Johann wandte schnell den Kopf dahin und sah hinter einer dichten Weinflaschenparade das pralle, runde, kleinstirnige Gesicht seines Chefs, die Rienken und das totenblasse, entsetzte Gesicht seiner Frau. Die Köpfe der drei hingen auseinander wie schwere Dolden. Geradewegs ging Johann auf sie los und ließ sich in einen der gepolsterten Stühle an ihrem Tisch fallen.

Eine peinliche Stille trat ein. Jeder hielt jetzt fassungslos den Atem an. Nur Johann schien sicher zu sein.

"Ich bin nicht zur Schicht gegangen, Herr Hochvogel—ich hab' einen Höllendurst, ich könnt' ein Meer aussaufen," sagte er ohne sichtliche Erregung und lächelte schnell. Das löste eine Entspannung aus. Man atmete wieder und nahm langsam die gewöhnliche Haltung an. Der Fabrikherr schnitt ein malitiöses Gesicht. Er suchte sich zu fassen und griff zum Weinglas.

"Heiß ist's hier," sagte Johann wieder.

"Nicht zur Schicht? Aber Johann!?" brachte nunmehr Anna heraus. DieRienken erhob sich und verließ den Tisch.

"Das macht doch nichts, oder? Herr Hochvogel, macht das was aus?" fragte Johann den Fabrikherrn.

"Na—wissen Sie, meinetwegen,—wir wollen einige gute Schoppen heben—ich kann's verstehen,—ich drück' gern ein Auge zu—bei Ihnen, Herr Krill.—Sie sind mir gut—sie arbeiten zuverlässig, da—da—da übersieht man auch mal einen Seitensprung, Prost!" sprudelte der Fabrikherr verlegen. Die Worte flossen schnell, fast ängstlich aus ihm, so, als wären sie wunderliche Ziegelsteine, mit denen man im Nu eine schützende Mauer um sich schließen könnte.

"Zu gütig," lispelte Anna bereits.

Und Herr Hochvogel goß das Glas der Rienken voll und schob es behend dem Arbeiter hin: "Da, trinken Sie!"

Die ärgste Gefahr schien behoben zu sein. Man konnte es an den allmählich sich wieder aufheiternden Gesichtern sehen. Auch die Wirtin kam wieder an den Tisch und der Fabrikant bestellte in einem fort.

Johann beachtete das Getue Hochvogels mit seiner Frau auch nicht weiter. Er trank in vollen Zügen und wurde immer lustiger, lachte und machte hin und wieder einen dreisten Witz. Dadurch wurde auch Anna kühner. Sie wich nicht von der Seite des Fabrikherrn und streichelte ihn ein paarmal kosend, warf belustigte Blicke zwischen den beiden Männern hin und her.

"Hab ich nicht gesagt, Hans, daß er ein netter Mensch ist?" sagte sie übermütig und lachte piepsend.

"Ein netter Me—ensch! Ein sehr netter Mensch! Ein Goldmensch!" brümmelte Johann schon etwas betrunken und summte weiter: "Verbringt das Geld so gemütlich, so—so—so—" Er wankte bereits him und her und rülpste ungeniert in den Tisch. Gläsern standen seine Augen. Die anderen kicherten.

"Hat ihn schon mächtig," hörte er Hochvogels Stimme.

"Na, na! Herr Krill, na—!" rief die Rienken.

Johann hob den schweren Kopf und glotzte auf das verschwommene Gemeng der drei, die im fahlen Lichtschimmer hinter den Weinflaschen sich hin und her drückten.

"Ein ne—etter Mensch,—eine richtige Qualle—e—iin dummes Vieh!—Ein geiler Orang—g—kutan, hahahaha—hat den Schwanz eingezogen, weil der Wärter gekommen ist, haha—a—a!—" Johann sank haltlos zurück.

"Das ist zu stark!" zischte Hochvogel. Der Tisch knarrte. Die Weinflaschen klirrten gegeneinander. Die zwei Frauen lispelten besänftigend. Schnell, überschnell mengten sich ihre flehenden Worte ineinander. Ein Gezerre um den Aufgestandenen begann.

Mit herabhängenden Armen, halb eingeschlafen, zerfallen hing Johann auf dem Stuhl. "Er ist doch betrunken!" "Bitte, bitte,—er ist's doch nicht gewohnt!" "Er meint's doch nicht übel, Herr Hochvogel!" "Bitte!—Hier, trinken Sie. Er schläft ja schon! Seh'n Sie, seh'n Sie!—Es passiert nie wieder. Ich sag's ihm morgen,—mein Wort, mein Ehrenwort!" alles zerfloß ineinander, bittend, winselnd, aufgeregt, ängstlich.

Wie ein zischendes Gezirpe umsummte dieses Geplätscher Johanns Kopf.Als gieße irgend jemand kaltes Wasser üher ihn.

"Haha! Hat's viellleicht gestoh—lllen und—und wirft's weg,—dadas Gellldt,—wei—weils brennt in der Tasche, haha,—das dumme Vieh, haha—das Arschloch!" grunzte der Betrunkene lallend und lachte ruckweise, immerfort, glucksend.

Da wurde der Tisch weggestoßen und stapfend hasteten Schritte vorbei. Wieder das Gezwitscher. Noch geschäftiger. Dann fiel eine Tür krachend zu.

"Hans!" schrie Anna wütend und riß ihren Mann an der Schulter.

"Saustall!" stieß die Rienken heraus.

Krill hob den Kopf und langte lahm nach Anna: "Haha—ha—es ist so wunderschön auf der We—elt, haha—ha!"

Sein ausgreifender Arm fiel wieder herab. Er sank in die alte Haltung zurück. Dünner Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er schnaubte geräuschvoll wie ein Pferd, das von der Kolik geplagt wird.

Unter wüstem Gezeter und Gejammer verließ Anna mit ihm die Bar. Sie mußte ihn buchstäblich die Stiege hinaufschleppen.

Dieser unerquickliche Vorfall hatte schlimme Folgen. Am andern Tag, sehr früh, schellte es. Krill schlief wie ein Sack. Anna schreckte auf und lief halb angekleidet an die Tür. Der Ausgeher der Hochvogelschen Fabrik brachte die Papiere und den Lohn für Johann. In einem sehr kurzen, ärgerlichen Brief stand, daß sich Krill nicht mehr sehen lassen sollte und entlassen sei.

"Ja, ja—ist schon recht!" sagte Anna verwirrt und warf die Tür zu. Ohne Johann zu wecken, kleidete sie sich an und ging in die Fabrik hinaus, um Hochvogel zu besänftigen. Auf dem ganzen Wege überlegte sie sich die besten Worte und übte sich in der Art, wie sie den Verärgerten wieder dazu bewegen wollte, daß er stillschweigend über das üble Ereignis hinwegginge.—

Aber sie wurde nicht vorgelassen. Erbittert und erniedrigt trat sie den Heimweg an.

"Da!—Das hast du gemacht mit deinen Dummheiten!" fuhr sie den inzwischen erwachten, auf dem Bettrand sitzenden Johann an und warf ihm das Schreiben Hochvogels him. Der blickte stumpfsinnig zu ihr auf und sagte kein Wort. Dies erregte sie nur noch mehr. Sie stampfte schimpfend aus dem Schlafzimmer und rannte zur Rienken hinunter.

Die Wirtin empfing sie sehr kühl.

"Herr Hochvogel hat mich wissen lassen, daß er nicht mehr kommt. Ich kann Sie nicht mehr brauchen.—Das ist der Dank dafür, daß ich mich so um Sie angenommen habe," schimpfte sie mit hochgehobenem Kopf. Anna versuchte auf alle mögliche Art, sie umzustimmen. Vergebens.

"Und überhaupt—glauben Sie, ein solcher Mann wie Hochvogel läßt sich derartige Schmutzigkeiten ins Gesicht sagen! Passen Sie mal auf,—das hat noch ein gerichtliches Nachspiel. Und ich, was hab' ich von meiner Gutmütigkeit?—Vor die Gerichte werde ich gezerrt. Mein Lokal verliert den guten Ruf—ich hab' den Schaden und sitz' in der Patsche,—werden Sie sehen, ob's nicht so kommt?—Sagen Sie es nur ihrem 'Kerl'—am liebsten ist's mir, ihr zieht aus. Basta!" zeterte die Bienken immer bestimmter.

Auch Anna wurde allmählich ärgerlich und schimpfte.

"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal, Sie—Sie! So eine krieg' ich alleTage!" fauchte die Wirtin wütend, rannte zur Tür und riß sie auf:"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal!" "Geh'n Sie!" schrie sie, daß ihrKopf blau anlief: "Geh'n Sie! Sie—Sie Ludermensch!"

Auch in Anna platzte die angesammelte Wut nun vollends.

"Was sagen Sie da, was?! Sie Kupplerin, Sie dreckige!" schrie sie schriller noch. "Solang man sich hergibt, ist man gut, dann kann man gehen, Sie Dreckfetzen!"

"Geh'n Sie! Geh'n Sie!" pfiff die Wirtin erstickt: "Hinaus da, hinaus!"

Keifend verließ Anna das Lokal. Zitternd vor Erregung kam sie in ihrer Wohnung an. "Es ist Schluß mit allem! Ich mag nicht mehr!" stöhnte sie erschöpft und sank in einen Küchenstuhl. Unter stoßweisem Weinen und Vorwürfen erzählte sie Johann ihr Mißgeschick. Der hatte den Kopf unter dem Hahn der Wasserleitung und ließ immerfort den kalten Strahl üher ihn herabrinnen. Er drehte sich nicht um. Nicht im mindesten ließ er sich stören. Annas Geduld riß völlig. Sie begann wüst zu schimpfen.

"Und du!—Du lungerst da heroben herum und läßt mich die Füße ausrennen! Ich kann mich mit den Leuten herumschlagen und die Suppe ausfressen, die du eingebrockt hast!" bellte sie ihn an. "Du! Du Lump!"

Er drehte sich endlich um. Kein Wort kam aus ihm.

"So rede doch, Stock!" schrie sie, "was willst du denn jetzt machen? Ich kann nichts mehr tun! Ich bin kaputt!" Er schwieg immer noch. Da stand er, tatsächlich wie ein Stock. Sie zerbrach an seiner Gleichgültigkeit und fiel in ein heftiges Weinen. Es schüttelte sie gerade so. Johann sah ohne Niedergeschlagenheit auf ihre zusammengekauerte, zuckende Gestalt nieder.

"Was ich tun will?" sagte er endlich leichthin, als sei gar nichts vorgefallen,—"der wird mich schon nicht gleich herauswerfen. Ich gehe einfach heute wieder zur Schicht und fertig. Und die Rienken—die wird schon wieder aufhören mit ihrem Geschimpfe, wenn sie müd ist." Anna blickte auf einmal auf zu ihm. "Ist doch ein netter Kerl, dieser Hochvogel. Mit dem läßt sich doch reden," brummte er. Der arglose Ernst, die Selbstverständlichkeit dieser Worte bezwangen. Tatsächlich wurde sie vollkommen ruhig und glaubte zuletzt wirklich, daß dies der einzig glückliche Weg sei, mit einem Schlag alles Mißliche beheben würde.

"Herrgott, ich bin ja auch so dumm! Ich laß mich von jedem insBockshorn jagen," schalt sie sich selbst, wischte sich schnell dieTränen ab und stellte Kaffeewasser auf. Ganz munter wurde sie wieder.

Als sie dann wieder am Tisch saßen, begann sie über die Rienken zu schimpfen und über Hochvogel und erzählte im Laufe des Gesprächs alles mögliche von den beiden.

"Es war ganz richtig, daß du ihm mal heimgeleuchtet hast," sagte sie, "die ganze Sippschaft glaubt immer, sie könnte Schindluder mit einem treiben!—Was hat er mir nicht alles angetragen, wenn ich mit ihm schlafen würde! Und wie hat die Rienken gekuppelt und jetzt—jetzt spielt sie sich auf, diese Sau, diese alte!"

Sie blickte immer wieder wie verlegen zu Johann herüber, wurde aber, da er vollkommen ruhig war, immer weitschweifiger und erzählte mehr und immer mehr. Sein Gleichmut quälte sie. Sie berichtete dreister, anzüglicher.

"Er hat das Geld gerade so weggeworfen. Die Bluse hat er mir aufgerissen, einmal. Er hat immer seine Hand unter meinem Rock gehabt, der Drecksack! Von den Hosen hat er einmal ein halbes Dutzend dahergebracht und wollte, daß ich's vor ihm anziehen soll—und die Bienken half mit und verschwand immer, wenn er anfing," sagte sie und fuhr fort: "Einmal wollt' ich ihn schon heraufnehmen in der Frühe und abwarten, bis du von der Fabrik kämst."

Johann verzog keine Miene.

"Jaja—das Loch und das Geld," brummte er beiläufig. "Es geht immer rundum."

Ihre Hände bewegten sich in einem fort. Nervös zerrieb sie dieBrotkrumen mit den Fingern. Sie erzählte nichts mehr. Sie schwieg. Alser fortgegangen war, fiel ihr Kopf auf den Tisch und ein wüstesSchluchzen brach aus ihr.—

Johann kam ohne Hindernis durch die Fabrikpforte. Im Umkleideraum trafen ihn bereits befremdende Gesichter. Keiner sprach ihn mehr an und als er in den Maschinenraum hinuntersteigen wollte, kam der Schichtmeister rasch auf ihn zu und rief: "Sie sind doch entlassen, was wollen Sie denn noch hier?" Einige Arbeiter blieben mit verwunderten Mienen stehen. Das rüttelte ihn aus der Fassung. Er sah beklommen auf den Schichtmeister, auf die Arbeiter und hilflos im Raum herum.


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